© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 180/16 Fragen zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage im Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 26 Beschäftigungsverordnung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Einleitung Im Zusammenhang mit dem Asylpaket I im Herbst 2015 wurden mit einer Änderung der Beschäftigungsverordnung (BeschV) die Voraussetzungen für eine Arbeitsmigration von Staatsgehörigen der Staaten des Westbalkans gelockert, um den Asyldruck aus diesen Staaten zu verringern.1 So wurde für diese Staatsangehörigen die Möglichkeit geschaffen, unabhängig von ihrer persönlichen Qualifikation eine Ausbildung oder eine Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Laut der Neuregelung müssen die Betroffenen jedoch das zweckentsprechende Visum in ihrem jeweiligen Herkunftsstaat bei einer deutschen Auslandsvertretung beantragen und dürfen grundsätzlich in den letzten 24 Monaten vor Visumantragstellung keine Leistungen in Deutschland nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen haben. Gemäß einer Rückausnahme ist der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz jedoch unschädlich, wenn der Asylantrag zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 24. Oktober 2015 gestellt wurde und der Betroffene sich am 24. Oktober 2015 in Deutschland aufgehalten hat und danach unverzüglich ausgereist ist. Im Einzelnen lautet die am 28. Oktober 2015 in Kraft getretene Neuregelung in § 26 Abs. 2 BeschV: „1Für Staatsangehörige von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien können in den Jahren 2016 bis einschließlich 2020 Zustimmungen zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden. 2Die Zustimmung darf nur erteilt werden, wenn der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels bei der jeweils zuständigen deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsstaat gestellt wurde. 3Die Zustimmung darf nicht erteilt werden, wenn der Antragsteller in den letzten 24 Monaten vor Antragstellung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hat. 4Satz 3 gilt nicht für Antragsteller, die nach dem 1. Januar 2015 und vor dem 24. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt haben, sich am 24. Oktober 2015 gestattet, mit einer Duldung oder als Ausreisepflichtige im Bundesgebiet aufgehalten haben und unverzüglich ausreisen.“ Es sind Fälle denkbar, in denen ein Staatsangehöriger eines Westbalkanstaates zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 24. Oktober 2015 in Deutschland Asyl beantragt und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hat, jedoch vor dem 24. Oktober 2015 ausgereist ist und in seinem Herkunftsstaat nach Inkrafttreten der Neuregelung in § 26 Abs. 2 BeschV ein Visum zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in Deutschland beantragt hat. In Bezug auf eine derartige Fallgestaltung wird gefragt, ob eine Neuregelung (hier also die Regelungen aus § 26 Abs. 2 S. 3 und 4 BeschV) angewandt werden darf, auch wenn zum Zeitpunkt einer Handlung (im genannten Beispielsfall die Ausreise des Betroffenen aus Deutschland) noch die alte Rechtslage galt. Ferner wird gefragt, wie viele Fälle bekannt sind, in denen Staatsangehörigen eines Westbalkanstaates die Erteilung eines Visums gemäß § 26 Abs. 2 S. 3 und 4 BeschV versagt wurde, weil die Ausreise aus Deutschland vor dem 24. Oktober 2015 stattgefunden hat. 2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage im Verwaltungsverfahren Zunächst ist festzuhalten, dass für eine Behörde bei Bescheidung eines Antrages die Rechtslage grundsätzlich in der Form maßgeblich ist, wie sie sich zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung 1 Siehe BR-Drs. 447/15, S. 11, dort zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 180/16 Seite 4 darstellt.2 Das bedeutet, dass die Behörde anhand der Gesetze entscheidet, die zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung in Kraft sind. Von diesem Grundsatz bestehen Ausnahmen. So kann für die Behörde eine frühere Rechtslage maßgeblich sein, wenn dies – etwa im Rahmen von Übergangsvorschriften – durch den Gesetzgeber angeordnet ist. Etwas anderes gilt auch dann, wenn die Behörde rückwirkend über eine Rechtsfrage aus der Vergangenheit – beispielsweise über einen Leistungsanspruch des Bürgers für einen bestimmten vergangenen Zeitraum – zu entscheiden hat. In diesen Fällen ist nicht die Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung, sondern das Recht, das während des zu beurteilenden Zeitraums galt, für die Behörde maßgeblich. Darüber hinaus ist auch die Konstellation zu nennen, in der sich die Rechtslage nach Einleitung des Verwaltungsverfahrens zu Ungunsten des Bürgers geändert hat. Besitzt die Behörde in einer solchen Situation hinsichtlich ihrer Entscheidung Ermessen und gibt es keinen sachlichen Grund dafür, dass das Verwaltungsverfahren nicht bereits vor Änderung der Rechtslage abgeschlossen worden ist, so hat die Behörde diese Umstände im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.3 Im vorliegenden Beispielsfall ist für die Entscheidung über die Erteilung eines Visums zum Zwecke der Arbeitsaufnahme die Rechtslage in der Form maßgeblich, wie sie sich zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung dargestellt hat. Ausnahmen von dem oben erläuterten Grundsatz des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtslage sind hier nicht ersichtlich. Aus dem materiellen Recht – hier also den Vorschriften des Aufenthaltsrechts – ergibt sich nicht, dass von dem Grundsatz abweichend eine frühere Rechtslage anzuwenden wäre. Auch ist in dem Beispielsfall nicht darüber zu entscheiden, ob dem Betroffenen in der Vergangenheit ein Visum hätte erteilt werden können, so dass eine frühere Rechtslage maßgeblich gewesen wäre. Die zuständige Auslandsvertretung hat vielmehr zu prüfen, ob dem Antragsteller zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung nach der derzeit geltenden Rechtslage ein Visum erteilt werden kann und ihm die Einreise nach Deutschland gestattet werden kann. Zwar werden dabei auch Tatbestandsmerkmale geprüft, die sich auf ein Verhalten in der Vergangenheit – hier etwa den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – beziehen, oder zumindest unter Umständen ein bestimmtes Verhalten des Antragsteller in der Vergangenheit – hier etwa die Ausreise aus Deutschland zum Zwecke der Beantragung des Visums bei der zuständigen Auslandsvertretung – voraussetzen. Entscheidend ist jedoch, dass hier über eine Rechtsfolge für die Zukunft (die Visumserteilung) zu entscheiden ist, so dass allein die aktuelle Rechtslage maßgeblich ist. Schließlich hat sich im Beispielsfall die Rechtslage für die Erteilung eines Visums zum Zwecke der Arbeitssuche auch nicht nach Einleitung des Verwaltungsverfahrens geändert, so dass es keiner weiteren Prüfung bedarf, ob die Auslandsvertretung solche Umstände bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen hat. Ein auf Antrag eines Bürgers hin eingeleitetes Verwaltungsverfahren – ein 2 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 44 Rn. 16. 3 Gerstner-Heck, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Beck’scher Online Kommentar, Stand der Kommentierung: 31. Edition (April 2016), § 9 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 180/16 Seite 5 solches stellt auch das Visumverfahren dar – beginnt erst mit Zugang des Antrages bei der Behörde.4 Im Beispielsfall wurde der Antrag auf Erteilung eines Visums erst nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 26 Abs. 2 BeschV gestellt. 3. Statistische Angaben über die von den Differenzierungen in § 26 Abs. 2 S. 3 und 4 BeschV Betroffenen Hier sind keine Angaben über die Zahl von Betroffenen bekannt, die Deutschland vor dem 24. Oktober 2015 verlassen haben und denen aufgrund dieses Umstandes die Erteilung eines Visums nach § 26 Abs. 2 S. 3 und 4 BeschV versagt wurde. Auch eine Presseberichterstattung über entsprechend Betroffene ist hier nicht bekannt. Ende der Bearbeitung 4 Etwas anderes gilt lediglich bei völlig unsubstantiierten oder querulatorischen Anträgen, vgl. Gerstner-Heck, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Beck’scher Online Kommentar, Stand der Kommentierung : 31. Edition (April 2016), § 9 Rn. 13.