© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 180/14 Abschiebungshaft von Kindern – EZPWD-Anfrage Nr. 2612 aus Norwegen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 180/14 Seite 2 Abschiebungshaft von Kindern – EZPWD-Anfrage Nr. 2612 aus Norwegen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 180/14 Abschluss der Arbeit: 19. August 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 180/14 Seite 3 1. Wird in ihrem Land die Haft von Kindern für allgemeine Einwanderungszwecke oder für einen spezifischen Zweck wie die Rückführung genutzt? (Is detention of children, in your country, used in general for immigration purposes or is it used for specific purposes such as returns?) Regelungen zur Haft von Minderjährigen im Bereich des Zuwanderungsrechts enthält das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern (Aufenthaltsgesetz - AufenthG). Sie betreffen allein die Abschiebungshaft. Nach § 62 Abs. 1 S. 3 AufenthG dürfen Minderjährige und Familien mit Minderjährigen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Zum Vollzug der Abschiebungshaft heißt es in § 62a Abs. 3 AufenthG, dass im Falle von minderjährigen Abschiebungsgefangenen - unter Beachtung der Maßgaben der einschlägigen EU-Richtlinie- alterstypische Belange zu berücksichtigen sind. 2. a) Gibt es eine bestimmte zeitliche Festlegung, wie lange Kinder in einer Hafteinrichtung festgehalten werden dürften, alleine oder mit anderen Familienmitgliedern? (Is there a specific time limit stating how long children can be kept in a detention centre, either alone or together with their families?) b) Was passiert mit Familien mit Kindern, wenn die zeitliche Grenze überschritten ist? Werden dann alle Familienmitglieder freigelassen? Können Familienmitglieder getrennt werden? (What happens to families with children if the time limit is exceeded? Are all family members in that case released? Can family members be separated?) Eine allgemeine gesetzliche Frist für die Dauer der Abschiebungshaft enthält § 62 Abs. 2 S. 2 Aufenth G für die Vorbereitungshaft. Sie soll sechs Wochen nicht überschreiten. Die Vorbereitungshaft ist eine Unterform der Abschiebungshaft und nach § 62 Abs. 2 S. 1 AufenthG einschlägig, wenn ein Ausländer zur Vorbereitung der Ausweisung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen ist, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden worden ist und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. § 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG befristet die Sicherungshaft auf längstens zwei Wochen, wenn die Ausreisfrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Nach § 62 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann Sicherungshaft bis zu sechs Wochen angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens 12 Monate verlängert werden. Als Sicherungshaft wird in § 62 Abs. 3 S. 1 AufenthG die Inhaftnahme eines Ausländers auf richterlicher Anordnung zur Sicherung der Abschiebung in bestimmten Fällen (z.B. unerlaubte Einreise, siehe hierzu im Einzelnen den Wortlaut der gesamten Vorschrift unter 4.) bezeichnet. Die Dauer der Abschiebungshaft von Minderjährigen ist gesetzlich nicht speziell vorgegeben. Bei der Entscheidung über die Dauer der Abschiebungshaft ist die bereits unter 1. genannte Vorgabe des § 62 Ans. 1 S. 3 AufenthG zu beachten, dass Minderjährige u. Familien mit Minderjährigen „nur solange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist“. Außerdem gilt insbesondere auch in Bezug auf Minderjährige, dass nach § 62 Abs. 1 AufenthG eine Abschiebungshaft nur zulässig ist, wenn der Zweck der Haft nicht durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann (Ultima- Ratio-Grundsatz). So muss im Haftantrag für jeden Einzelfall konkret dargelegt werden, dass kei- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 180/14 Seite 4 ne weniger einschneidenden Mittel zur Vollzugssicherung vorhanden und zweckdienlich sind. Geeignete Alternativen, wie z. B. im Falle von Minderjährigen die Inobhutnahme durch die Jugendhilfe , sind zu prüfen. Zu diesen Verhältnismäßigkeitserwägungen zählt auch, dass die Abschiebungshaft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist.1 Wenn die Abschiebung der Familie im Einzelfall nicht auf schonendere Weise als durch Abschiebungshaft erfolgen kann, soll bei Familien mit minderjährigen Kindern nicht für die gesamte Familie Abschiebungshaft beantragt werden, sondern nur für einen Elternteil (Vater). Die Mutter verbleibt in der Regel bei den minderjährigen Kindern.2 Die Frage einer vorzeitigen Entlassung von Familienmitgliedern wegen kürzerer Haftzeiten der Kinder (Frage 2b) stellt sich dann nicht. 3. Gibt es alternative Maßnahmen zur Familienhaft mit Kindern im Bereich der Immigration , wie z.B. eine Berichtspflicht oder die Anordnung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten ? Gibt es noch andere Maßnahmen? (Have you implemented any alternative measures to detention of families with children for immigration purposes, such as obligation to report or an order to stay in a specified place? Other measures?) Ja. Wie bereits erwähnt, dürfen Minderjährige u. Familien mit Minderjährigen nach § 62 Abs. 1. S. 3 AufenthG nur in besonderen Ausnahmefällen und nur solange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. In der Praxis wird – wie unter 2. erwähnt - aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Elternteil inhaftiert, so dass eine Familienhaft ohnehin im Regelfall nicht realisiert wird. Mildere Mittel zur Vermeidung der Abschiebungshaft für Minderjährige bzw. für Familien mit Kindern können z. B. die Unterbringung in Kinder- und Jugendeinrichtungen, Meldeauflagen und räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsortes sein.3 4. Falls möglich, bitten wir, die relevanten Regelungen zur Verfügung zu stellen sowie die Praxis zu 1, 2 und 3 zu erläutern. (If possible, we kindly ask you to refer to the relevant statutory provisions/set of rules as well as the practice in the answers to questions 1,2 and 3.) Die bereits oben zitierten, für die Abschiebungshaft einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, §§ 62 und 62a AufenthG, die auch Bestimmungen zu Minderjährigen enthalten, sind in deutscher und englischer Sprache abrufbar unter: http://www.gesetze-iminternet .de/aufenthg_2004/index.html. 1 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 62 AufenthG, Rn 5. 2 Siehe zur Praxis in den Bundesländern: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. „Umsetzung der Abschiebungsrichtlinie der Europäischen Union und die Praxis der Abschiebungshaft“, Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 17/10597 vom 05.09.2012, Antwort zu Frage 34 , .S.58 ff., abzurufen in deutscher Sprache auf der WEbseit des Bundestages unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21.web/searchDocuments/simple_search.do 3 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, § 62 AufenthG, Rn 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 180/14 Seite 5 Zur Praxis der Abschiebung für Minderjährige und Familien mit Minderjährigen können für Deutschland aufgrund seiner föderalen Struktur keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden. Denn für den Vollzug der Abschiebungshaft in der Bundesrepublik Deutschland sind Landesbehörden zuständig mit der Folge, dass es keine einheitliche bundesweit Vorgehensweise gibt.4 Als einheitliche Eckpunkte der Praxis im Bereich Abschiebungshaft von Minderjährigen und Familien mit minderjährigem Kindern erscheinen jedoch folgende Aspekte erwähnenswert: Es dürfte zwischen Bund und Ländern Einvernehmen herrschen, dass bestimmte Gruppen von Ausländern regelmäßig nicht in Abschiebungshaft genommen werden sollen. Hierzu zählen jedenfalls Minderjährige unter 16 Jahren.5 Im Fall von unbegleiteten Minderjährigen muss sich die Ausländerbehörde mit dem zuständigen Jugendamt in Verbindung setzen, um die Unterbringung bis zur Abschiebung zu regeln. Minderjährige Asylbewerber, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen regelmäßig nicht in Abschiebungshaft genommen werden, sondern sich bis zur Abschiebung in ihrer Unterkunft aufhalten. ( ) 4 Siehe hierzu ausführlich die Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10597. 5 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Unbegleitete minderjährige Migranten in Deutschland, Juni 2009, S. 63, abzurufen in deutscher und englischer Sprache unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/EMN/Nationale-Studien-WorkingPaper/emnwp 26-unbegleitete-minderjaehrige-de.html.