© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 178/20 Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Zur Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 2 Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Zur Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 178/20 Abschluss der Arbeit: 5. August 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Die Wahl zur Aufstellung der Kandidaten zur Bundestagswahl erfolgt gemäß §§ 21, 27 Bundeswahlgesetz (BWG) auf Landesebene durch Mitgliederversammlungen oder durch besondere oder allgemeine Vertreterversammlungen der Parteien.1 Ein von den Regierungsfraktionen in den Bundestag eingebrachter Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (im Folgenden: Gesetzentwurf) sieht die Einfügung eines neuen Abs. 4 in § 52 BWG vor. Mit diesem soll das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) ermächtigt werden , „im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates von den Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern abweichende Regelungen zu treffen, um die Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen zu ermöglichen, wenn der nach § 3 des Wahlprüfungsgesetzes gebildete Ausschuss des Deutschen Bundestages zu einem Zeitpunkt, der näher als neun Monate vor dem Beginn des nach Artikel 39 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes bestimmten Zeitraums liegt, feststellt, dass die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist.“2 Gefragt wird, ob Abweichungen von den im BWG geregelten Vorgaben für die Aufstellung der Kandidaten auf Grundlage des § 52 Abs. 4 BWG-E durch Rechtsverordnung zulässig wären und ob § 52 Abs. 4 BWG-E als Ermächtigungsgrundlage zum Verordnungserlass das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot wahrt. Die erste Beratung des Gesetzentwurfs im Plenum des Bundestages ist für September 2020 vorgesehen .3 Erst danach soll eine Überweisung in die Ausschüsse erfolgen. Konkrete Stellungnahmen zum Gesetzentwurf liegen daher bislang nicht vor. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf einer kursorischen Prüfung der Rechtslage. 2. Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung zur Abweichung von den Bestimmungen zur Kandidatenaufstellung Grundsätzlich kann der Bundestag im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz Ausnahmebestimmungen zu bundesgesetzlichen Regelungen schaffen und die Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnung ermächtigen (vgl. Art. 80 Grundgesetz – GG). Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden, Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht leitet daraus nicht nur ein Bestimmungs-, sondern ein Bestimmtheitsgebot 1 Siehe auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 23. November 2016, Aufstellung der Listenkandidaten zur Bundestagswahl, WD 3 - 3000 - 251/16; Ausarbeitung vom 27. Januar 2017, Wahl der besonderen Vertreterversammlung für die Aufstellung von Listenkandidaten zur Bundestagswahl. Zur Ausgestaltung durch Parteisatzung, WD 3 - 3000 - 017/17 (letzter Abruf aller in der Ausarbeitung verlinkten Internetfundstellen : 4. August 2020). 2 BT-Drs. 19/20596, S. 2. 3 TOP 21 der geplanten Tagesordnung für die 173. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 10. September 2020, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/tagesordnung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 4 ab.4 Das Parlament darf sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben , dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.5 Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung müssen zwar nicht durch ihren Wortlaut selbst so genau wie möglich festgelegt sein, jedenfalls aber durch dessen Auslegung unter Einbeziehung des Kontextes des gesamten Gesetzes hinreichend bestimmt werden können.6 Dies kann mit Hilfe der allgemeinen Auslegungsregeln insbesondere anhand des Zwecks, des Sinnzusammenhangs und der Vorgeschichte des Gesetzes erfolgen.7 Auch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist zulässig.8 Das Bundesverfassungsgericht hat die Prüfung der Bestimmtheit in ständiger Rechtsprechung konkretisiert und dabei folgende drei Formeln entwickelt:9 - Selbstentscheidungsformel: Der Gesetzgeber muss selbst die Entscheidung treffen, „dass bestimmte Fragen geregelt werden sollen, […] muss die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen und [muss] angeben, welchem Ziel die Regelung dienen soll“.10 - Programmformel: Aus dem Gesetz muss sich ermitteln lassen, „welches vom Gesetzgeber gesetzte ‚Programm‘ durch die Verordnung erreicht werden soll“.11 - Vorhersehbarkeitsformel: Es fehlt an der nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG notwendigen Beschränkung , „wenn die Ermächtigung so unbestimmt ist, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können “.12 Die Bestimmtheitsanforderungen sind „von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität der Maßnahme abhängig […]. Geringere Anforderungen sind vor allem bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen […] oder wenn zu erwarten ist, dass sich die tat- 4 BVerfGE 113, 167 (268 f.). 5 BVerfGE 58, 257 (277). 6 BVerfGE 113, 167 (269). 7 BVerfGE 8, 274 (307); 80, 1 (20 f.); 106,1 (19). 8 BVerfGE 48, 210 (222); 101, 1 (32); 106, 1 (19). 9 Hierzu ausführlich Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 80 Rn. 32 m. w. N. zur Rechtsprechung des Gerichts. 10 BVerfGE 2, 307 (334). 11 BVerfGE 5, 71 (77). 12 BVerfGE 1, 14 (60). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 5 sächlichen Verhältnisse alsbald ändern werden […]. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, so müssen höhere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert.“13 Ebenso dürften höhere Anforderungen hinsichtlich der Bestimmtheit gelten, wenn die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiche Rechte sowie die Parteienfreiheit (Art. 21 GG) und das Gebot der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) berührt werden. Das Bundesverfassungsgericht ordnet die Kandidatenaufstellung durch die Parteien als „Nahtstelle zwischen den von den Parteien weitgehend autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung und dem auf die Staatsbürger bezogenen Wahlrecht“ 14 ein. Die aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs.3 GG) folgenden Wahlgrundsätze gelten mithin grundsätzlich auch für das Wahlvorschlagsrecht der Parteien.15 Dieses setze eine freie Kandidatenaufstellung unter Beteiligung der Mitglieder der Parteien voraus; die Auswahl der Kandidaten dürfe weder rechtlich noch faktisch deren Führungsgremien zur alleinigen Entscheidung überlassen werden.16 Aus der Funktion der wahlrechtlichen Regelungen zur Kandidatenaufstellung im BWG, die personale Grundlage einer demokratischen Wahl zu schaffen, ergebe sich eine Pflicht zur „Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorgangs sein kann“.17 Allerdings seien die Wahlrechtsgrundsätze bei der parteiinternen Kandidatenaufstellung nicht mit derselben Strenge anzuwenden wie bei staatlichen Wahlen. Vielmehr komme es darauf an, ob die Verfahrensgrundsätze in ihrem Kernbestand eingehalten werden.18 Aufgrund der Besonderheiten des Verfahrens seien enge Ausnahmen zuzulassen.19 So kann etwa der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl aus Gründen der Praktikabilität eingeschränkt und die Kandidatenwahl unter den im BWG bestimmten Voraussetzungen durch eine Vertreterversammlung vorgenommen werden.20 13 BVerfGE 58, 257 (277 f.). 14 BVerfGE 89, 243 (252). Zur Einordnung der Kandidatenaufstellung als parteiinternes und als wahlrechtliches Verfahren siehe auch Hambusch, Kandidatenaufstellung und „Primaries“ im Lichte des Verfassungsrechts (2016), 38 ff. 15 BVerfGE 89, 243 (251 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG); Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 7. 16 BVerfGE 47, 253 (282). 17 BVerfGE 89, 243 (252 f). 18 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 7: „Eine ‚lupenreine‘ Anwendung i.S. strenger und formaler Gleichheit ist nicht erforderlich und auch nicht vorgeschrieben. (…) Soweit die Wahlrechtsprinzipien zur Anwendung kommen, muss ihr Kerngehalt stets gewahrt sein.“; Hambusch, Kandidatenaufstellung und „Primaries“ im Lichte des Verfassungsrechts (2016), 53. 19 BVerwGE 25, 305 f.; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017 § 21 Rn. 7 und 17; Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 90. EL 2020, Art. 21 Rn. 340. 20 Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, 90. EL 2020, Art. 21 Rn. 351. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 6 Durch § 52 Abs. 4 BWG-E würde vorhersehbar durch den Gesetzgeber selbst bestimmt, in welchen Fällen von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht werden kann, nämlich nur dann, wenn die Durchführung von Versammlungen im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt ganz oder teilweise unmöglich ist und dies der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages weniger als neun Monate vor dem Beginn des in Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG bestimmten Zeitraums für die Neuwahl feststellt. Die unbestimmten Rechtsbegriffe „Naturkatastrophen oder ähnliche Ereignisse höherer Gewalt“ werden seit Langem bereits in § 19 Abs. 4 S. 1, § 75 Abs. 10, § 82 Abs. 1 Bundeswahlordnung verwendet. Ausweislich der Literatur werden darunter unverschuldete, nicht zu vertretende und nicht kurzfristig zu beseitigende außergewöhnliche Umstände oder Ereignisse oder unabwendbare Zufälle verstanden.21 Laut der Begründung des Entwurfes sollen davon auch das soziale Leben durch Infektionsschutzerfordernisse einschränkende Epidemien erfasst sein. Hinsichtlich des weiteren unbestimmten Rechtsbegriffs der „Versammlung“ macht die Begründung des Entwurfes deutlich, dass hier körperliche Zusammentreffen von Personen im Rahmen von Mitglieder- oder Vertreterversammlungen zur Kandidatenaufstellung gemeint sind.22 So könne das BMI etwa bestimmen, dass die Parteien abweichend von den §§ 21, 27 BWG und entgegenstehenden Bestimmungen ihrer eigenen Satzungen Vertreter zu den Vertreterversammlungen im Sinne des § 21 BWG, Wahlbewerber in den Wahlkreisen und Listenbewerber angesichts der Krisensituation ausnahmsweise nicht wie sonst in Versammlungen, sondern ausnahmsweise in anderer Form wählen, wenn neun Monate vor der Wahl die Durchführung von regulären Versammlungen krisenbedingt nicht möglich ist.23 Als andere Formen der Durchführung der Wahl nennt die Begründung etwa die schriftliche Einreichung von Wahlvorschlägen und ggf. auch elektronische Vorstellung der Kandidaten sowie die Durchführung der Kandidatenwahl als geheime Briefwahl.24 Unabhängig von der konkreten Reichweite des Inhalts der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe sind diese jedenfalls einer Auslegung zugänglich und führen nicht zur Unbestimmtheit der Verordnungsermächtigung. § 52 Abs. 4 BWG-E benennt auch klar den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Ermächtigung zum Verordnungserlass: In der Rechtsverordnung dürfen in den genannten Fällen nur von den Bestimmungen des BWG zur Kandidatenaufstellung abweichende Regelungen getroffen werden, „um die Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen zu ermöglichen“. Der Inhalt der möglichen Regelungen in einer Rechtsverordnung des BMI ist zusätzlich dahingehend umrissen, dass zu dem verfolgten Zweck nur von den Bestimmungen über die „Aufstellung von Wahlbewerbern“ abgewichen darf. Auf diese Weise werden die äußeren Grenzen des Regelungsgegenstandes einer zu erlassenden Rechtsverordnung in der Ermächtigungsnorm vorgegeben . Allerdings wird nicht konkret benannt von welchen Bestimmungen des BWG und des Parteiengesetzes zur Kandidatenaufstellung im Einzelnen abgewichen werden kann. Laut der Entwurfsbegründung sei etwa auch im Falle einer Abweichung dennoch zu sichern, dass jeder Stimmberechtigte ein Vorschlagsrecht (§ 21 Abs. 3 S. 2 BWG) habe, allen Kandidaten Gelegenheit 21 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 43 Rn. 4. 22 BT-Drs. 19/20596, (Fn. 2), S. 3. 23 BT-Drs. 19/20596, (Fn. 2), S. 4. 24 BT-Drs. 19/20596, (Fn. 2), S. 4 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 7 gegeben wird, sich und ihr Programm vorzustellen (§ 21 Abs. 3 S. 3 BWG) und dass geheim gewählt würde (§ 21 Abs. 3 S. 1 BWG, § 17 PartG). Diese Grundsätze werden unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als elementare Regeln des demokratischen Charakters der Wahl bezeichnet, deren Nichteinhaltung einen Wahlfehler begründe. Dies spricht dafür , dass der Bestimmtheitsgrundsatz eine entsprechende Konkretisierung der Ermächtigungsnorm erfordern könnte. Aus einer einschränkenden Auslegung des § 52 Abs. 4 BWG-E im Zusammenhang mit § 27 i.V.m. § 21 BWG ergibt sich, dass die Aufstellung und Benennung der Kandidaten auch bei einer Abweichung durch Rechtsverordnung weiterhin auf einer parteiinternen Wahl basieren muss. § 52 Abs. 4 BWG-E knüpft die Befugnis zur Abweichung von § 27 i.V.m. § 21 BWG daran, dass die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist. Maßgeblich sind danach die äußeren und organisatorischen Umstände der Bestimmung der Kandidaten. § 52 Abs. 4 BWG- E lässt nicht erkennen, dass darüber hinaus auch vom ebenfalls in § 27 i.V.m. § 21 BWG verankerten Erfordernis einer parteiinternen Wahl zur Kandidatenaufstellung abgewichen werden darf. Dies dürfte vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur besonderen demokratischen Funktion der Kandidatenaufstellung (sh. oben) auch verfassungsrechtlich nicht zulässig sein. In der Begründung des Entwurfs werden ebenfalls nur Alternativen zum Regelfall der Wahl in Mitglieder- oder Vertreterversammlungen angesprochen, die ebenfalls einen Wahlcharakter aufweisen (insbesondere Briefwahl kombiniert mit elektronischen Vorverfahren zur Vorermittlung, Sammlung, Vorauswahl und Vorstellung der Kandidaten)25. Um mögliche verbleibende verfassungsrechtliche Risiken hinsichtlich der Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm auszuschließen, könnte eine entsprechende Klarstellung in § 52 Abs. 4 BWG-E aufgenommen werden. Grundsätzlich erscheint es in Anbetracht der Verschiedenartigkeit der von der Ermächtigung erfassten Situationen (Naturkatastrophen und ähnliche Ereignisse höherer Gewalt) sinnvoll, keine detaillierte Vollregelung zu erlassen, sondern der Exekutive einen Spielraum zu eröffnen, welche konkreten Abweichungen von den Bestimmungen zur Kandidatenaufstellung geeignet und erforderlich sind, um die Benennung der Kandidaten zu ermöglichen, wenn Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich sind. Allerdings dürfte das große Gewicht der Kandidatenaufstellung als Wahlvorbereitungshandlung und die damit einhergehenden höheren Anforderungen an die Bestimmtheit dafür sprechen, dass der Gesetzgeber das Ausmaß, die Tendenz und das Programm , welches verordnungsrechtlich von der Exekutive umgesetzt bzw. erreicht werden soll, in der Ermächtigungsnorm näher zum Ausdruck bringen sollte. In der Entwurfsbegründung wird als eine weitere inhaltliche Grenze möglicher Abweichungen von den Bestimmungen des BWG zur Kandidatenaufstellung etwa ausgeführt, dass eine reine Online-Wahl zur Kandidatenaufstellung unzulässig sei. Diese Frage ist bislang nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gewesen und wird in der Literatur nur vereinzelt 25 BT-Drs. 19/20596, (Fn. 2), S. 4 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/20 Seite 8 thematisiert und – insbesondere vor dem Hintergrund der Wahlcomputer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 26 – unterschiedlich bewertet.27 In der Rechtswissenschaft wird zudem wohl eine reine Briefwahl ohne Möglichkeit der Vorstellung und Debatte über die Kandidatenaufstellung für unzulässig erachtet.28 Davon scheint auch die Entwurfsbegründung auszugehen, nach der in jedem Fall auch bei Abweichungen zu sichern ist, dass allen Kandidaten Gelegenheit gegeben wird, sich und ihr Programm vorzustellen.29 Eine Kombination von schriftlicher Wahl und einem elektronischen Vorverfahren zur Vorermittlung, Sammlung und Vorauswahl sowie zur Vorstellung der Kandidaten, wie sie in der Entwurfsbegründung vorgeschlagen wird, dürfte verfassungsrechtlich zulässig sein.30 *** 26 BVerfGE 123, 39. 27 Für die Zulässigkeit der Kandidatenaufstellung auf Online-Parteitagen zuletzt etwa von Notz, Liquid Democracy , 2020, 264 f.; für die Zulässigkeit bei Einsatz der Blockchain-Technologie zur Gewährleistung der Nachprüfbarkeit der Stimmabgabe Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 643 (646); sh. auch Roßner/Gierling, Sind virtuelle Parteitage und Kandidatenaufstellungen undemokratisch?, legal tribune online vom 17. April 2020; Für eine Zulässigkeit des Einsatzes von elektronischen Abstimmungssystemen nur auf Grundlage einer entsprechenden gesetzlichen Regelung Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 28. 28 Von Notz, Liquid Democracy, 2020, S. 269 m.w.N. 29 BT-Drs. 19/20596, (Fn. 2), S. 4 f. 30 Vgl. zur Zulässigkeit von elektronischen Vorverfahren bei der Kandidatenaufstellung für die Europawahl die Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 15/4750, Anlage 5, S. 25 und BT-Drs. 18/5050, Anlage 5, S. 43.