© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 178/18 Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a GG mit Blick auf die Fördermöglichkeiten des ELER-Fonds Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/18 Seite 2 Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a GG mit Blick auf die Fördermöglichkeiten des ELER-Fonds Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 178/18 Abschluss der Arbeit: 7. Juni 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/18 Seite 3 1. Einleitung Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. November 2013 wurde die Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zur Gemeinschaftsaufgabe „ländliche Entwicklung“ vereinbart.1 Ziel war eine Anpassung des GAK-Förderspektrums an die Fördermöglichkeiten des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), um diese umfassend nutzen zu können.2 Umgesetzt wurde das Vorhaben jedoch nicht durch eine Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a GG, sondern durch eine Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAKG).3 Die Förderung der ländlichen Entwicklung findet sich nun als Konkretisierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur“ in § 1 Abs. 7 GAKG. Im Einzelnen wurde der Förderkatalog um „Maßnahmen zur Förderung der Infrastruktur ländlicher Gebiete im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union“ ergänzt, welche u.a. Investitionen in nichtlandwirtschaftliche Kleinstbetriebe, Basisdienstleistungen, Umnutzung dörflicher Bausubstanz und in den ländlichen Tourismus umfassen. Um den erforderlichen Bezug zum Begriff der Agrarstruktur in Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG zu begründen, verweist die Bundesregierung auf ein weites Verständnis der Begriffe Agrarstruktur und Infrastruktur. Danach sollen zumindest mittelbar positive Auswirkungen auf die Agrarstruktur ausreichen.4 Auch nach diesem Verständnis wären jedoch ELER-Förderungen, die keinerlei Agrarbezug aufweisen, auf Grundlage des GAKG nicht förderfähig.5 Vor diesem Hintergrund wird nach der Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a GG zur Förderung der ländlichen Entwicklung gefragt, und zwar mit Blick auf die Fördermöglichkeiten des ELER-Fonds. 1 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 27.11.2013, 85, abrufbar unter: https://www.cdu.de/sites /default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf. Siehe auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (WD 3 - 3000 - 323/15). 2 Koalitionsvertrag (Fn. 1), 85: „Die Fördermöglichkeiten des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sollen umfassend genutzt werden.“ Zur fehlenden Kompatibilität des GAGK mit den Fördermaßnahmen des ELER-Fonds vor der Änderung des GAKG von 2016 siehe BT-Drs. 18/5704, 4 f. 3 Viertes Gesetz zur Änderung des GAK-Gesetzes vom 11. Oktober 2016, BGBl. I, 2231 ff. 4 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drs. 18/8578, 9 und BT-Drs. 19/1813, 4: „Die GAK bleibt jedoch auch nach der Gesetzesänderung weiterhin an Artikel 91a Absatz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes gebunden und dient der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Maßnahmen, die gar keine Rückbindung an den Agrarbegriff erkennen lassen, sind auch mit der neuen GAK nicht förderfähig. Dies berührt insbesondere Fördermaßnahmen für nicht landwirtschaftliche Kleinunternehmen und für Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Natur sowie Freizeit und Tourismus. Durch eine weite Auslegung der Begriffe Agrarstruktur und Infrastruktur (…) ist es allerdings möglich, Entwicklungsmaßnahmen auch in diesen Bereichen zu fördern, sofern sie zumindest mittelbar positive Wirkungen auf die Agrarstruktur entfalten.“ Kritisch hierzu Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 6 f. 5 So die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage in BT-Drs. 18/8510, 3: „Maßnahmen, die gar keine Rückbindung an den Agrarbegriff erkennen lassen, sind auch mit der neuen GAK nicht förderfähig.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/18 Seite 4 2. Regelungssystematik Versteht man die hier fragliche Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben als Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, liegt es nahe, eine entsprechende Regelung in Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG zu verorten. Eine konkrete Formulierung der Gemeinschaftsaufgabe könnte sich an die einschlägige EU-Verordnung über die „Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums“ (ELER-VO)6 anlehnen und die Begriffe „ländliche Entwicklung“ oder „Entwicklung des ländlichen Raums“ aufgreifen. In der ELER-VO erfolgt die inhaltliche Konkretisierung der Fördermöglichkeiten allerdings nicht auf Grundlage einer allgemeinen Definition der Begriffe „ländliche Entwicklung“ oder „Entwicklung der ländlichen Räume“, sondern über eine Auflistung von sechs Prioritäten für die Entwicklung des ländlichen Raums (Art. 5 ELER-VO). Zu diesen Prioritäten gehören z.B. die Förderung von Wissenstransfer und Innovation in der Land- und Forstwirtschaft, die Förderung der Ressourceneffizienz und Unterstützung des Agrar-, Nahrungsmittel- und Forstsektors beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten Wirtschaft und die Förderung der sozialen Inklusion, der Armutsbekämpfung und der wirtschaftlichen Entwicklung in ländlichen Gebieten. Die weiten, allein raumbezogenen Begriffe der „ländlichen Entwicklung“ oder der „Entwicklung der ländlichen Räume“ decken die verschiedenen Sachbereiche der ELER-Prioritäten ohne weiteres ab und kämen daher grundsätzlich als Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der ländlichen Entwicklung“ oder „Verbesserung der ländlichen Räume“ zur Nutzung der ELER-Förderungen in Betracht.7 Eine solche Gemeinschaftsaufgabe würde allerdings – gleichsam als Querschnittsaufgabe – auch zahlreiche Sachbereiche umfassen, die über die geltenden ELER-Prioritäten der ELER-VO hinausgehen. Man könnte daher erwägen, die Gemeinschaftsaufgabe mit Blick auf die ELER-Förderungen zu beschränken. Möglicherweise lassen sich diejenigen Sachbereiche des ELER-Förderungen, die nach dem GAKG und Art. 91a Abs. 1 GG bisher nicht nutzbar sind, unter einem anderen Oberbegriff als den der „ländlichen Entwicklung“ zusammenfassen und als Gemeinschaftsaufgabe formulieren. Dafür wäre allerdings eine gewisse Homogenität der betroffenen Sachbereiche erforderlich. Denkbar wäre auch eine ausdrückliche begriffliche Bezugnahme auf die ELER-Förderungen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich eine solche Bezugnahme umso weniger für eine verfassungsrechtliche Verankerung eignet, je konkreter sie in Bezug auf bestimmte Rechtsakte, die Änderungen unterliegen, ausfällt (z.B. Verweis auf die ELER-VO). Näher liegen würde es daher, die Gemeinschaftsaufgabe 6 Verordnung (EU) Nr. 1305/2013. 7 In diese Richtung wohl Weingarten (Johann Heinrich von Thünen-Institut), Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft vom 5. Juli 2016 zu den Auswirkungen des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAKG, Wortprotokoll, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/blob/438838/cf9013099ce1542429ac181faaf95959/wortprotokoll_oea_60_sitzung_am_5_7_2016-data.pdf, 18: „Wenn aber, wie man aus dem Koalitionsvertrag (von CDU, CSU und SPD) hätte erwarten können, ländliche Räume und deren Entwicklung im Vordergrund stehen, dann hätte dem aus meiner Sicht durch eine Änderung von Artikel 91a (des Grundgesetzes - GG) besser Rechnung getragen werden können.“ Anders Hemmerling (Deutscher Bauernverband e.V.), ebda, 12: „Von der Ausgangsposition zu sagen, wir belassen es bei der Anknüpfung im Grundgesetz, so wie es heute ist beim Agrarstrukturbegriff. Das war für uns schon mal ein wichtiger Punkt.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/18 Seite 5 „Verbesserung der ländlichen Entwicklung“ oder „Verbesserung der Entwicklung der ländlichen Räume“ mit einer abstrakten Bezugnahme auf Förderinstrumente im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union zu verbinden.8 Die Bundesregierung steht dem Vorhaben, die Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a GG mit Blick auf die ELER-Fördermöglichkeiten zu erweitern, aus verfassungspolitischen Gründen jedoch grundsätzlich ablehnend gegenüber. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage führt sie aus: „Nach Auffassung der Bundesregierung sollten einzelne Artikel des Grundgesetzes nicht an durch EU-Recht ermöglichte Förderoptionen, die Änderungen unterliegen können, angepasst werden.“9 Unabhängig von der konkreten Formulierung wäre eine neue Gemeinschaftsaufgabe nach Maßgabe von Art. 91a Abs. 2 GG durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates näher zu konkretisieren . 3. Verfassungsrechtliche Vorgaben Der Maßstab für Verfassungsänderungen folgt aus Art. 79 GG. In formeller Hinsicht ist dabei zunächst die Vorgabe des Art. 79 Abs. 1 GG zu nennen, wonach das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Ferner bedarf ein verfassungsänderndes Gesetz nach Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. In materieller Hinsicht sind verfassungsändernde Gesetze an der Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG zu messen. Die sog. Ewigkeitsgarantie schließt die Änderung bestimmter Grundsätze des Grundgesetzes dauerhaft aus. Den geschützten Verfassungskern bilden dabei die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze. Gemäß Art. 79 Abs. 3 GG dürfen die genannten Grundsätze nicht „berührt“ werden. Eine solche „Berührung“ wird lediglich bei prinzipieller Preisgabe angenommen.10 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden die Grundsätze als solche von vornherein nicht berührt, wenn ihnen im Allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus sachgerechten Gründen modifiziert werden.11 In Bezug auf die Schaffung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe als besondere Form der Mischverwaltung sind grundsätzlich das Bundestaats- sowie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip 8 Eine ähnliche Bezugnahme auf das Unionsrecht enthält § 1 Abs. 1 Nr. 7 GAKG („Maßnahmen zur Förderung der Infrastruktur ländlicher Gebiete im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union“). 9 BT-Drs. 19/1813, 6. 10 BVerfGE 30, 1, 24; siehe aber auch die Kritik im Sondervotum, BVerfGE 30, 1, 33, 41 f. 11 Siehe BVerfGE 30, 1, 24; E 109, 279, 310. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 178/18 Seite 6 zu beachten. In diesem Zusammenhang wird das Bundesstaatsprinzip unter dem Aspekt der Eigenstaatlichkeit der Länder diskutiert.12 Die Relevanz des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips beruht auf dem Gedanken der Klarheit der Kompetenzordnung im Rahmen einer rechtsstaatlichen Verwaltungsorganisation und der klaren Zuordnung von demokratischer Verantwortlichkeit.13 Die hier fragliche Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben um den Bereich der ELER-förderfähigen ländlichen Entwicklung dürfte die genannten Prinzipien jedoch nicht im Sinne einer prinzipiellen Preisgabe berühren, Art. 79 Abs. 3 GG.14 Ergänzend ist insofern auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur 2010 geschaffenen Regelung in Art. 91e GG (Zusammenwirken hinsichtlich der Grundsicherung für Arbeitsuchende) hinzuweisen: „Ein absolutes Verbot der Mischverwaltung lässt sich weder aus dem Demokratie- noch aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ableiten (…). Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung gilt hingegen ohnehin nur so, wie sie durch das Grundgesetz konkret ausgestaltet ist (…). (…) Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG hindern den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht, in begrenzten Ausnahmefällen die konkreten Ausprägungen der dort verankerten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren (…). Das hat er mit Art. 91e GG getan.“15 *** 12 Vgl. Hellermann, Kooperativer Föderalismus in Gestalt der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a ff. des Grundgesetzes , in: Härtel, Handbuch des Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt (2012), 339 ff., Rn. 48. 13 Siehe BVerfGE 119, 331, 336; Hellermann (Fn. 12), Rn. 49. 14 Siehe auch Hellermann, (Fn. 12), Rn. 50 ff., der verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf Art. 79 Abs. 3 GG bei einzelnen, begrenzten Gemeinschaftsaufgaben ausschließt. 15 BVerfGE 137, 108, 144 f.