Deutscher Bundestag Die Rolle des Deutschen Bundestages bei Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten oder Staatengemeinschaften Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 178/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 2 Die Rolle des Deutschen Bundestages bei Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten oder Staatengemeinschaften Verfasserin: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 178/11 Abschluss der Arbeit: 20. Juni 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 3 1. Einleitung Wegen des Stillstandes bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) im Rahmen der Doha-Runde1 und bei der Aushandlung des GATS (General Agreement on Trade in Services – Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) geht die Europäische Union (EU) dazu über, außerhalb der WTO Freihandelsabkommen mit Drittstaaten oder Staatengemeinschaften abzuschließen. Diese Abkommen sind insbesondere in den Drittstaaten (z.B. Indien) wegen ihrer sozialen Folgen für die Gesellschaft umstritten.2 In diesem Zusammenhang ist die Frage aufgekommen, welche Mitwirkungsmöglichkeiten der Deutsche Bundestag auf die Aushandlung dieser Abkommen haben. Die Ausarbeitung stellt zunächst das Verfahren des Abschlusses von Abkommen auf dem Gebiet des Außenhandels und die Aufteilung der Zuständigkeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten dar (Punkt 2). Unter Punkt 3 werden die Beteiligungsrechte des Bundestages erläutert, die unter Punkt 4 um informelle Möglichkeiten der Abgeordneten erweitert werden. Unter Punkt 5 findet sich ein Überblick über die derzeit verhandelten Freihandelsabkommen der EU, in Punkt 6 ist das Ergebnis der Untersuchung zusammengefasst. 2. Verfahren des Abschlusses von Abkommen auf dem Gebiet des Außenhandels 2.1. Zuständigkeit für den Abschluss von Abkommen im Kompetenzgefüge der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Der Abschluss von Abkommen auf dem Gebiet des Außenhandels liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union (Art. 207 Abs. 3 AEUV3), die für die „gemeinsame Handelspolitik “ gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV allein kompetent ist. Nunmehr fallen in diese Zuständigkeit ausdrücklich auch der Abschluss von Handelsabkommen – bspw. im Rahmen der WTO –, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen betreffen sowie die Handelsaspekte des 1 Im Jahr 2001 begann die Ministerkonferenz der WTO in Doha, Vereinigte Arabische Emirate, eine neue Runde der Liberalisierung des Welthandels einzuleiten. Es sollten umfassende Handelserleichterungen vor allem für Industrie- und Agrarprodukte sowie für Dienstleistungen erreicht werden. Weitere wichtige Verhandlungsthemen betreffen Handelsregeln zu Antidumping und Subventionen oder besondere Erleichterungen für Umweltgüter sowie die Vereinfachung von Zollabfertigungsverfahren. Ein wichtiger Schwerpunkt der neuen Runde ist auch die verbesserte Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft durch eine Sonder- und Vorzugsbehandlung dieser Staaten. Die Runde ist bisher nicht abgeschlossen worden. Im Einzelnen: http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Aussenwirtschaft/Handelspolitik-EU-WTO/wto,did=209624.html (Stand: 20. Juni 2011). 2 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drs. 17/4288 – EU-Indien-Freihandelsabkommen, BT-Drs. 17/4359; Werner Balsen, „Pakt gegen die Armen“ in Berliner Zeitung, 24.Dezember 2010 und die kritische Studie der NGO Corporatee Europe Observatory: „Trade Invaders –how big business is driving the EU-India free trade negotiations“, September 2010, im Internet abrufbar unter http://www.corporateeurope.org/globaleurope /content/2010/09/eu-india-trade-invaders (Stand 9.Juni 2011). 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Amtsblatt der Europäischen Union vom 9. Mai 2008, C 115/47. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 4 geistigen Eigentums. Nach dem Vertrag von Lissabon sind entsprechende völkerrechtliche Verträge damit keine Sonderfälle mehr, die die gewohnte Kompetenzverteilung aufbrechen.4 Sämtliche derzeit im Rahmen der WTO verhandelten Gegenstände fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU.5 Eine Beteiligung der Mitgliedstaaten beim Abschluss der Doha-Runde der WTO scheidet damit aus, sofern die Mitgliedstaaten in dieser Runde nicht noch über den jetzigen Stand hinausgehende Bereiche regeln wollen, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen würden.6 Allerdings könnte die Europäische Union die Mitgliedstaaten zum Abschluss der Runde rückermächtigen, ggf. wäre sie hierzu sogar verpflichtet.7 Neben der ausschließlichen Zuständigkeit der EU in diesen Bereichen können weiterhin sog. gemischte Abkommen abgeschlossen werden, wenn auch Materien erfasst sind, die nicht zum Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik gehören. Insbesondere kann dies für die derzeit verhandelten Abkommen der EU mit Indien, dem Mercosur, Süd-Korea und dem ASEAN gelten, die politische und ökonomische Ziele miteinander verbinden wollen.8 In diesen Bereichen ist die Union nur gemeinsam mit den Mitgliedstaaten kompetent, d.h. die Abkommen müssen jeweils von der Union und den Mitgliedstaaten gezeichnet und von diesen auch ratifiziert werden, so dass in Deutschland das Verfahren gemäß Art. 59 Abs. 2 GG einzuhalten ist. Die Einflussmöglichkeiten des Deutschen Bundestags sind unterschiedlich stark ausgeprägt, abhängig davon, ob ein Abkommen als gemischtes Abkommen noch von Deutschland ratifiziert werden muss oder nicht. 2.2. Verfahren des Vertragsabschlusses bei Handelsabkommen in der ausschließlichen Zuständigkeit der EU Soweit der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages in der ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union liegt, empfiehlt gemäß Art. 207 Abs. 3 UAbs. 2 die Kommission dem Rat die Aufnahme der Verhandlungen; dieser erteilt ihr ein entsprechendes Verhandlungsmandat, dessen Vorgaben in Form von Richtlinien im Einzelfall durchaus eng gefasst sein können.9 Der Kommission wird der mit nationalen Spitzenbeamten besetzten „207er-Ausschuss“ zur Seite gestellt , der die Einhaltung dieser Vorgaben und die Koordinierung zwischen Kommission und letztentscheidendem Rat sicherstellen soll. Diesem Ausschuss sowie dem Europäischen Parlament (EP) hat die Kommission regelmäßig Bericht zu erstatten. Die Informationspflicht gegen- 4 Bungenberg, Marc, Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik in: EuR 2009, Beiheft 1, S. 195, 204. 5 Hahn, Michael in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/AEUV – Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, 2011, Art. 207 AEUV Rn. 73. 6 Hahn (Fn. 5), Rn. 77. 7 Hahn (Fn. 5), Rn. 78 mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon (BVerfGE 123, 267), wonach die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ein nach Außen auftretendes Mitglied der WTO bleiben müsse. 8 Bungenberg (Fn. 4), S. 205. 9 Hahn (Fn. 5), Rn. 94. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 5 über dem EP ist durch den Lissabonner Vertrag eingefügt worden und gibt dem EP und insbesondere dessen zuständigem Handelsausschuss erhebliche Einflussmöglichkeiten insbesondere vor dem Hintergrund der Zustimmungsbedürftigkeit entsprechender Verträge durch das EP.10 Die Auslegung dieser Vorschrift hat bereits zu einem Brief des Vorsitzenden des Ausschusses für internationalen Handel im EP und dem amtierenden Ratsvorsitzenden geführt, in dem jener ein engmaschiges Raster für die Unterrichtung des EP zu „allen Zeitpunkten des Verfahrens“ einfordert .11 Kommen die Vertragsverhandlungen zu einem positiven Ergebnis, paraphiert die Kommission das Dokument und legt es dem Rat zur Zustimmung vor. Der Rat entscheidet gemäß Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit nach (regelmäßig) vorheriger Zustimmung des Europäischen Parlaments. Einstimmigkeit im Rat sieht Art. 207 Abs. 4 UAbs. 2 AEUV bei Abkommen in bestimmten Bereichen vor, in denen für die Annahme interner Vorschriften ebenfalls Einstimmigkeit erforderlich wäre, sowie für Abkommen über bestimmte Dienstleistungen. Die Zustimmungsbedürftigkeit von Abkommen wird sich wohl überwiegend aus Art. 218 Abs. 6 lit. a) v) AEUV ergeben, der die Zustimmung des EP zu solchen Abkommen vorsieht, für die „entweder das ordentliche Gesetzgebungsverfahren oder, wenn die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich ist, das besondere Gesetzgebungsverfahren gilt.“ Es ist also ausreichend, dass der Vertrag (auch) einen Bereich betrifft, der unionsintern im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu regeln ist, selbst wenn keine unmittelbare Rechtsänderung erforderlich ist.12 Faktisch wird damit die Zustimmung des EP zu den allermeisten Abkommen im Bereich des Außenhandels notwendig sein; in den anderen Fällen entscheidet der Rat nach Anhörung des EP (Art. 218 Abs. 6 lit. b AEUV).13 Die Stärkung der Rechte des EP führt bereits zu einer intensiveren Beschäftigung des EP mit Fragen der Gemeinsamen Handelspolitik. Hierzu trägt die in Art. 205 AEUV ausgesprochene Verpflichtung auch der Gemeinsamen Handelspolitik der Europäischen Union auf die Wertvorgaben für das internationale Handeln der Union in Art. 21 Abs. 2 EUV14 bei.15 10 Hahn (Fn. 5), Rn. 96; ebenso Krenzler, Horst Günter/ Pitschas,Christian, Die Gemeinsame Handelspolitik nach dem Entwurf des Europäischen Verfassungsvertrags - ein Schritt in die richtige Richtung in RIW 2005, 801-811, S. 809 zum wortgleichen Art. III-315 EVV. Nach Tietje handelt es sich dabei nur um die Kodifizierung einer bereits bestehenden Praxis; Tietje, Christian, Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, in: ders./Kraft, Gerhard (Hrg.), Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht Heft 83, S. 13; im Internet abrufbar unter: http://telc.jura.uni-halle.de/sites/default/files/altbestand/Heft83.pdf . 11 Council Document 12539/10, 23. Juli 2010, Letter of Mr. Vital Moreira (nur auf englisch verfügbar), s. Anlage 1. 12 So auch Krenzler/Pitschas (Fn. 10), S. 809. 13 Krenzler/Pitschas (Fn. 10), S. 809, nennen als Ausnahmefälle mengenmäßige Beschränkungen mit Nicht- Mitgliedern der WTO bspw. im Textil- oder Stahlbereich; sie verweisen auch auf eine Meinung, nach der sämtliche Handelsabkommen der Zustimmung des EP unterliegen müssten. So auch Schmalenbach, Kirsten in: Calliess /Ruffert (Fn. 5), Art. 218 AEUV Rn. 20. 14 Vertrag über die Europäische Union, Amtsblatt der Europäischen Union vom 9. Mai 2008, C 115/13. 15 Diese Einschätzung teilt auch Tietje (Fn. 10), S. 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 6 2.3. Vertragsabschluss bei gemischten Abkommen Bei gemischten Abkommen treten sowohl die EU also auch die Mitgliedstaaten als Verhandlungs - und Vertragsschlusspartner auf. Für die Mitgliedstaaten gelten deren innerstaatliche Vorschriften zur Unterrichtung des Parlaments sowie der Ratifikation. Für Deutschland ist Artikel 59 Abs. 2 GG einschlägig, wonach die politischen völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik Deutschland der Zustimmung des Bundestages bedürfen. 3. Beteiligungsrechte des Bundestages 3.1. Beim Abschluss von Abkommen in der ausschließlichen Zuständigkeit der EU Die Beratungsgegenstände, Initiativen sowie Verhandlungsmandate und –richtlinien für die Europäische Kommission im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik und der Welthandelsrunden sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 des § 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG)16 Vorhaben der Europäischen Union, über die die Bundesregierung den Bundestag umfassend unterrichten muss. In der Praxis17 der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages werden dem Bundestag auch die (häufig englischsprachigen) Dokumente zur Vor- und Nachbereitung der Sitzungen des 207-Sonderausschusses des Rates zugeleitet. Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie leitet dem Bundestag wegen der Fülle der englischsprachigen Dokumente nur ausgewählte Beratungsdokumente förmlich zu. Zur näheren Erläuterung des handelspolitischen Vorhabens übermittelt das Ministerium zugleich den Berichtsbogen gem. § 7 Abs. 1 EUZBBG. Der Bundestag kann eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 GG, § 9 EUZBBG zu Vorhaben der Europäischen Union abgeben. Unter den Begriff der Vorhaben im Sinne des Art. 23 Abs. 3 GG fallen gemäß § 3 EUZBBG, der Art. 23 Abs. 3 GG konkretisiert, auch die Richtlinien für Verhandlungen im Bereich der Handelspolitik der EU. Diese Stellungnahmen hat die Bundesregierung im Rat zu berücksichtigen.18 Sie hat sich mit ihr inhaltlich auseinanderzusetzen und sie in die Festlegung ihrer Verhandlungsposition einzubeziehen. Gelangt sie zu dem Ergebnis, der Stellungnahme gänzlich oder teilweise nicht zu folgen, hat sie dies dem Bundestag gegenüber zu begründen .19 Die Stellungnahmen kann der Bundestag im Fortgang der Beratungen auf europäischer 16 vom 12. März 1993 (BGBl. I, S. 311), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl. I, S. 3026). 17 Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon (ENTWURF), erstellt von der Verwaltung des Deutschen Bundestages, Referat Europa (PA 1), S. 14 f. 18 Zum Streit, ob die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestages ihrer Verhandlungsposition zugrunde zu legen hat, also stärker gebunden ist, im Ergebnis mit der wohl h.L. ablehnend Saberzadeh, Leila in: v. Arnauld, Andreas/Hufeld, Ulrich (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen – Handkommentar, 2011, S. 361 Rn. 34 m.w.N. 19 Jarass, Hans D. in: ders. /Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Kommentar, 2011, Art 23 Rn. 53 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 7 Ebene anpassen und ergänzen (§ 9 Abs. 3 S. 1 EUZBBG); entsprechende Änderungen hat die Bundesregierung bei ihrem Vorgehen auf europäischer Ebene zu berücksichtigen. Der Bundestag kann sich also ab Beginn der Vorbereitung von Vertragsverhandlungen zum Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten oder Staatengemeinschaften über die Beratungsgegenstände und mögliche Verhandlungsrichtlinien, die der Kommission vom Rat erteilt werden, unterrichten lassen und gegenüber der Bundesregierung auch noch im Verlauf der Verhandlungen Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 3 GG abgeben, die die Bundesregierung bei den Verhandlungen im Rat zur Erteilung des Verhandlungsmandats an die Kommission zu berücksichtigen hat. Ein Vetorecht steht ihm hingegen nicht zu. 3.2. Beim Abschluss gemischter Abkommen Der Ratsbeschluss zur Genehmigung des ausgehandelten und unterschriebenen Abkommens ergeht bei gemischten Abkommen erst, wenn die innerstaatlich erforderliche Ratifikation in den Mitgliedstaaten erfolgreich abgeschlossen ist und die völkerrechtliche Ratifikation auch auf Seiten der Mitgliedstaaten abgeschlossen werden kann.20 In Deutschland richtet sich die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit eines Vertrages nach Art. 59 Abs. 2 GG. Die Zustimmung erfolgt damit in Form eines Bundesgesetzes („Vertrags- oder Zustimmungsgesetz“). Der Bundestag kann die Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag nur gänzlich erteilen oder ablehnen, eine Änderung des Textes ist nicht mehr möglich, weil sie bereits mit den Vertragspartnern ausgehandelt worden sind. Allerdings kann die Zustimmung mit der Bedingung erfolgen, dass die Bundesregierung bei der völkerrechtlichen Ratifikation des Vertrages einen bestimmten Vorbehalt erklären solle.21 4. Sonstige Möglichkeiten Den Abgeordneten steht insbesondere beim Abschluss von Verträgen in der ausschließlichen Zuständigkeit der EU eine Abstimmung mit ihren Kollegen im Europäischen Parlament offen, um diese von ihrer Position im Bereich der Verhandlung von Freihandelsabkommen zu überzeugen. Die Abgeordneten des EP haben, wie bereits unter 2.2 gezeigt, in bestimmten Fällen die Möglichkeit , den Abschluss eines Vertrages zu verhindern, und dadurch mittelbar erhebliche Einflussmöglichkeiten auf den Fortgang der Verhandlungen. Um ihre Einflussmöglichkeiten zu erweitern, könnten die Abgeordneten ferner versuchen, auf eine Ausweitung der Verhandlungsgegenstände der Freihandelsabkommen hinzuwirken, so dass es sich um gemischte Abkommen handelt, gegen deren Abschluss der Bundestag ein Vetorecht hätte. 20 Schmalenbach (Fn. 13), Art. 218 Rn. 28. 21 Streinz, Rudolf in: Sachs, Michael, Grundgesetz Kommentar, 2009, Art. 59 Rn. 51 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 8 Darüberhinaus stehen den Abgeordneten das parlamentarische Fragerecht zur Regierungskontrolle sowie das Antragsrecht zu, von beiden Möglichkeiten ist auch bereits in Bezug auf Freihandelsabkommen Gebrauch gemacht worden.22 5. Derzeit verhandelte Freihandelsabkommen Derzeit befindet sich die EU mit folgenden Staaten(bündnissen) in Verhandlungen über den Abschluss eines Freihandelsabkommen23: Japan24 Südkorea25 Mercosur26 Asean-Staaten Derzeit finden verstärkte Verhandlungen vor allem mit Singapur und Malaysia statt27. Indien Kanada Ukraine Ferner laufen innerhalb der WTO noch die Verhandlungen zur sog. Doha-Runde.28 22 Vgl. als parlamentarische Frage: Schriftliche Frage der Abg. Heike Hänsel, DIE LINKE,: „Einstufung des EU- Freihandelsabkommens mit Peru und Kolumbien als reines Handelsabkommen; Sanktionsmechanismen bei weiterer Verletzung von Grund- und Menschenrechten“, BT-Drs. 17/5422; die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, EU-Indien-Freihandelsabkommen, BT-Drs. 17/4349; Antrag der Fraktion der SPD „Menschenrechtsschutz im Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kolumbien und Peru verankern“, BT-Drs. 17/883. 23 Einen Überblick bietet der „Gesamtbericht über die Tätigkeit der Europäischen Union 2010“, SEK (2011) 189, S. 96-98; im Internet abrufbar unter http://europa.eu/generalreport/index_de.htm (Stand: 20. Juni 2011). 24 Zum Stand vgl. EU will Freihandelsabkommen mit Japan, Focus online vom 28. Mai 2011, http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/japan-eu-will-freihandelsabkommen-mitjapan _aid_631936.html (Stand: 20. Juni 2011). 25 Das Abkommen soll im Juli 2011 in Kraft treten. S. Pressemitteilung des Europäischen Parlaments, http://www.europarl.europa.eu/de/pressroom/content/20110207IPR13238/html/EU-Abgeordnete-stimmen- Freihandelsabkommen-zwischen-EU-und-S%C3%BCdkorea-zu (Stand: 20. Juni 2011). 26 Pressemitteilung zur Parlamentarischen Versammlung EP – Mercorsur, http://www.europarl.europa.eu/de/headlines/content/20110513STO19334/html/Abgeordnete-von-EU-und- Mercosur-besprechen-Freihandelsabkommen-und-Finanzkrise (Stand: 20. Juni 2011). 27 siehe EU und Asean stärken Austausch, Handelsblatt vom 6. Mai 2011; Freihandelsabkommen: EU kurz vor Abschluss, HNA vom 8. Juni 2011. 28 Aktueller Überblick hierzu auf der Internetseite der WTO: www.wto.org. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 178/11 Seite 9 6. Ergebnis Die Einflussmöglichkeiten des Deutschen Bundestages auf die Ausgestaltung von Freihandelsabkommen hängen von der konkreten Ausgestaltung der Abkommen ab. Soweit die Abkommen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der EU liegen, wie dies nach dem derzeitigen Stand bei den im Rahmen der Doha-Runde verhandelten WTO-Abkommen der Fall wäre, müssen die deutschen Abgeordneten von der Bundesregierung über die Einleitung sowie den Fortgang und geplanten Abschluss der Verhandlungen gemäß § 3 EUZBBG unterrichtet werden. Dem Bundestag steht die Möglichkeit der Abgabe von Stellungnahmen nach Artikel 23 Abs. 3 GG sowohl zum Inhalt des zu erteilenden Verhandlungsmandates an die Kommission sowie zu einzelnen Fragen auch noch während des Fortganges der Verhandlungen offen. Ein Vetorecht gegenüber dem Abschluss eines Freihandelsabkommens durch die Europäische Union hat der Deutsche Bundestag hingegen nicht. Ferner können die Abgeordneten im informellen Bereich versuchen, ihre Kollegen im EP von ihrem Standpunkt zu überzeugen, damit diese das entsprechende Anliegen während der Verhandlungen einbringen bzw. bei der Frage über die Zustimmung zum Abkommen berücksichtigen können. Dem EP steht ein Vetorecht zum Abschluss von Freihandelsabkommen zu. Soweit es sich um gemischte Abkommen handelt, unterliegen die jeweiligen Abkommen auch der Zustimmung des Bundestages. Hier kann der Bundestag die Zustimmung zu einem Abkommen verweigern bzw. unter der Bedingung erteilen, dass bei der völkerrechtlichen Ratifikation ein Vorbehalt einzulegen ist. Allerdings wird es gerade bei multilateralen gemischten Abkommen nur selten zu einer Ablehnung des Vertrages durch den Bundestag in dieser Phase kommen, da hierdurch ein erheblicher außenpolitischer Schaden zu befürchten ist. Jedoch kann der Bundestag in der Phase der Aushandlung der Verträge sich laufend unterrichten lassen.