© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 177/15 Verfassungsrechtliche Aspekte der von der Fraktion DIE LINKE. beantragten Asylrechtsreform Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 177/15 Seite 2 Verfassungsrechtliche Aspekte der von der Fraktion DIE LINKE. beantragten Asylrechtsreform Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 177/15 Abschluss der Arbeit: 5. August 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 177/15 Seite 3 1. Fragestellung Die Fraktion DIE LINKE. hat auf BT-Drs. 18/3839 beantragt, die Bundesregierung aufzufordern, einen Entwurf für ein „Flüchtlingsaufnahmegesetz“ vorzulegen. Die vorgeschlagenen Inhalte eines solchen Gesetzes werden in dem Antrag grob skizziert. Gebeten wird nunmehr um eine Einschätzung , inwieweit Verfassungsänderungen für die Realisierung der Vorschläge erforderlich seien, insbesondere ob der Bund nach geltendem Verfassungsrecht über die nötigen Gesetzgebungskompetenzen verfüge. Die von der Fraktion DIE LINKE. im genannten Antrag vorgeschlagenen Änderungen des Asylrechts sind überwiegend offen formuliert. Eine abschließende Bewertung der Vereinbarkeit mit geltendem Verfassungsrecht kann erst auf der Grundlage eines konkreten Gesetzentwurfs erfolgen. Die im Mittelpunkt der Frage stehenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes lassen sich hingegen abstrakt anhand der Rechtsbereiche der vorgeschlagenen Rechtsänderungen beantworten. 2. Vorschlag der Fraktion DIE LINKE. Die von der Fraktion DIE LINKE. ins Auge gefasste Reform der Asylpolitik zielt im Schwerpunkt auf eine Änderung bereits existierender asylrechtlicher Bundesgesetze. Konkret benannt werden in dem Vorschlag Änderungen des Asylverfahrens- und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Alle anderen Vorschläge der Fraktion DIE LINKE. sind nicht explizit an die Veränderung bestehender Gesetze geknüpft. Offen bleibt, ob es sich bei dem geforderten „Flüchtlingsaufnahmegesetz“ um ein Artikelgesetz handeln soll, das lediglich Änderungen bestehender Gesetze enthält, oder ob ein eigenständiges Gesetz beabsichtigt ist. Für die Frage der Gesetzgebungskompetenz ist dies ohne Belang, da es auf den materiellen Regelungsgehalt ankommt. Nach dem Vorschlag soll das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) diverse Änderungen erfahren. Sie verfolgen insbesondere das Ziel, das Asylverfahren zu beschleunigen.1 Zudem sollen die sogenannte Residenzpflicht (§§ 55 ff. AsylVfG) sowie sämtliche Arbeitsverbote (§ 61 AsylVfG) abgeschafft werden.2 Im Übrigen sollen bundesweite Mindeststandards in der Unterbringung festgesetzt werden, wie etwa der Vorrang einer Unterbringung in Wohnungen und erhöhte Anforderungen an die Gemeinschaftsunterkünfte (§ 53 AsylVfG).3 Ebenfalls abgeschafft werden soll das Asylbewerberleistungsgesetz als „diskriminierendes Sondergesetz“.4 Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Qualifikationen soll ausgeweitet und die Förderung von Weiterbildung vorangetrieben werden.5 Zu diesem Zweck käme eine Anpassung des bereits bestehenden Anerkennungsgesetzes in Frage. Asylsuchende sowie Geduldete sollen 1 BT-Drs. 18/3839, S. 5 f. 2 BT-Drs. 18/3839, S. 6. 3 BT-Drs. 18/3839, S. 4 f. 4 BT-Drs. 18/3839, S. 6. 5 BT-Drs. 18/3839, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 177/15 Seite 4 zudem Zugang zu Integrationskursen erhalten.6 Hierzu könnten die §§ 44, 44a Aufenthaltsgesetz erweitert werden. Da die beiden letztgenannten Gesetze nicht nur Anwendung auf Asylbewerber finden, kommt alternativ die Schaffung einer speziell auf den asylrechtlichen Bereich zugeschnittenen gesetzlichen Regelung in Betracht. Außerdem soll die Bundesregierung nach dem Antrag aufgefordert werden, Verhandlungen mit den Bundesländern aufzunehmen, um ein bundesweites Recht auf Bildung in Regelschulen für alle Flüchtlinge sicherzustellen.7 3. Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die vorgeschlagenen Änderungen Bei den genannten asylrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Gesetzen handelt es sich um Bundesgesetze , die der Bund in Ausübung verschiedener Kompetenztitel der Art. 70 ff. GG erlassen hat. Ob eine Änderung dieser Gesetze gemäß den von der Fraktion DIE LINKE. gemachten Vorschlägen im Einzelnen von den zugrundeliegenden Kompetenztiteln gedeckt wäre, lässt sich nicht pauschal beantworten. Denn die Kompetenzgemäßheit hängt nicht vom Regelungsstandort, sondern vom konkreten Inhalt einer Bestimmung ab. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, dass der Bund für das Asylrecht und das Aufenthaltsrecht über weitreichende Gesetzgebungskompetenzen im Rahmen der ausschließlichen und der konkurrierenden Bundesgesetzgebung verfügt. Eine ausschließliche Bundeskompetenz besteht für die Ein- und Auswanderung (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG). Konkurrierende Bundeskompetenzen bestehen im vorliegenden Zusammenhang für das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG), für die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG) sowie für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Für bestimmte Ausschnitte des Asylrechts bestehen ferner ausschließliche Bundeskompetenzen nach Art. 16a GG. Die genannten Kompetenztitel überlappen sich im Hinblick auf asylrechtliche und asylverfahrensrechtliche Regelungen. Auch ist ihre Abgrenzung im Schrifttum zum Teil umstritten. Klar ist zunächst , dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG das Verweilen einschließlich der Wohnsitznahme (Aufenthalt) und die Begründung einer Erwerbstätigkeit (Niederlassung) von Ausländern in der Bundesrepublik betrifft.8 Für die Einwanderung von Ausländern, also die Einreise in das Bundesgebiet mit dem Ziel der Wohnsitz- oder dauernden Aufenthaltsbegründung, ist Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG lex specialis .9 Das eigentliche Asylrecht, soweit nicht die partiellen Bundeskompetenzen nach Art. 16a GG betroffen sind, und das Asylverfahrensrecht werden kompetentiell unterschiedlich eingeordnet: 6 BT-Drs. 18/3839, S. 6. 7 BT-Drs. 18/3839, S. 6. 8 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 15. 9 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 15; Degenhart, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 33. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 177/15 Seite 5 Nach teilweise vertretener Auffassung ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG einschlägig.10 Eine andere Auffassung hält Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG für anwendbar.11 Eine Bundeskompetenz für das Asylverfahrensrecht besteht in beiden Fällen. Der Unterschied besteht darin, dass Gesetze nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG im Gegensatz zu solchen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG unter dem Erforderlichkeitsvorbehalt des Art. 72 Abs. 2 GG stehen. Die Staatspraxis hat sich bei einer Änderung des Asylverfahrensgesetzes kürzlich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG berufen.12 Sozialleistungen für Asylbewerber, wozu auch deren Unterbringung zählt, fallen nicht unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG, sondern unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG.13 Auch diese Gesetze stehen unter dem Erforderlichkeitsvorbehalt des Art. 72 Abs. 2 GG. Für die im Antrag der Fraktion DIE LINKE. vorgeschlagenen Änderungen des Asylrechts und des Asylverfahrensrechts besteht danach grundsätzlich eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Ob Art. 72 Abs. 2 GG, soweit anwendbar, Rechnung getragen ist, ist stark wertungsabhängig und hängt von der konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen ab. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse besteht nur insoweit, als der Bund für den Erlass berufsrechtlicher Regelungen zuständig ist. Dementsprechend wurde das genannte Anerkennungsgesetz auf diverse Kompetenztitel des Art. 73 und 74 GG (insbesondere Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG: Recht der Wirtschaft) gestützt.14 Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestünde hinsichtlich schulrechtlicher Regelungen, da das Schulrecht Sache der Länder ist. Allerdings sieht der Vorschlag der Fraktion DIE LINKE. insoweit auch lediglich „Verhandlungen mit den Bundesländern“ über ein Recht auf Zugang zu einer Regelschule vor. Eine bundesgesetzliche Regelung wird nicht vorgeschlagen. In der bislang vorliegenden Form begegnen die Reformvorschläge im Hinblick auf eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach alledem keinen Bedenken. 4. Vollzugskompetenzen im Bereich des Asylrechts Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass von den Gesetzgebungskompetenzen, die dem Bundesgesetzgeber im Bereich des Asylrechts in weitem Umfang zugewiesen sind, die Vollzugskompetenzen zu unterscheiden sind. Letztere liegen überwiegend bei den Ländern. Denn die 10 Seiler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 25. Edition 2015, Art. 74 Rn. 20. 11 Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 50, 52; ebenso wohl Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 72. 12 BT-Drs. 18/3144, S. 10 f. 13 Degenhart, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 33; ebenso BT-Drs. 18/3144, S. 11. 14 BT-Drs. 17/6260, S. 42 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 177/15 Seite 6 Länder sind nach Art. 83 GG sind grundsätzlich für den Vollzug der Bundesgesetze zuständig. Sie führen diese als eigene Angelegenheit aus. Der Vollzug der Asylgesetze des Bundes liegt daher im Zuständigkeitsbereich der Länder. Daraus folgt sowohl das Recht als auch die Pflicht, die Vollzugsaufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen und Organisation, Zuständigkeit und Verfahren des Vollzugs zu bestimmen.15 Eine Übertragung der Vollzugskompetenzen auf den Bund ist nach der geltenden Verfassungslage nicht möglich.16 Eine Ausnahme bildet lediglich Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, wonach für Angelegenheiten, für die der Bund gesetzgebungskompetent ist, durch Bundesgesetz selbständige Bundesoberbehörden errichtet werden . Eine Vollzugskompetenz des Bundes kann insoweit durch einfaches Bundesgesetz begründet werden. Dies ist durch § 5 AsylVfG geschehen, wonach über Asylanträge und bestimmte ausländerrechtliche Maßnahmen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet. Bei dem BAMF handelt es sich um eine selbständige Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG. Die Aufgabenübertragung auf solche Behörden ist jedoch nur begrenzt möglich: Es dürfen nur solche Aufgaben auf eine Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG übertragen werden, die zentral erfüllt werden können.17 Das heißt, die Angelegenheit muss für das gesamte Bundesgebiet allein durch die Oberbehörde, also ohne behördlichen Unter- und Mittelbau sowie ohne Zuhilfenahme der Landesbehörden, erledigt werden können.18 Eine gänzliche Übernahme des Vollzugs des Asylrechts in die Bundesverwaltung bedürfte einer Verfassungsänderung. Soweit ersichtlich, zielt der Reformvorschlag der Fraktion DIE LINKE. jedoch nicht auf eine Modifikation der föderalen Vollzugskompetenzen, sondern auf eine Anpassung der rechtlichen Grundlagen. Ende der Bearbeitung 15 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 25. Edition 2015, Art. 83 Rn. 21; Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 73. Ergänzungslieferung 2014, Art. 84 Rn. 52. 16 BVerfGE 32, 145 (156); Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 25. Edition 2015, Art. 83 Rn. 10. 17 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, 73. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 64. Ergänzungslieferung 2012), Art. 87 Rn. 245. 18 BVerfGE 14, 197 (211); Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 25. Edition 2015, Art. 87 Rn. 28.