Verbot einer NPD-Versammlung in geschlossenen Räumen - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WF III G - 177/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Verbot einer NPD-Versammlung in im Privateigentum stehenden geschlossenen Räumen Ausarbeitung WF III G - 177/06 Abschluss der Arbeit: 28.04.2006 Fachbereich III: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Gegen die von der NPD geplante Versammlung können im Vorfeld keine behördlichen Maßnahmen ergriffen werden. Solche wären nur zulässig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von der Versammlung Gefahren für Rechte Dritter oder der Allgemeinheit ausgehen. Insbesondere kann im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Bedeutung des Art. 8 Absatz 1 GG kein Rückschluss vom Veranstalter der Versammlung auf mögliche Verfassungsverstöße gezogen werden. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Rechtsgrundlagen eventueller Maßnahmen 4 3. Maßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz Bayern (PAG BAY) 5 3.1. Mögliche Standardmaßnahmen 5 3.2. Maßnahmen nach Art. 11 Absatz 1 PAG BAY 5 3.2.1. Art. 11 Absatz 2 Nr. 1, 1. Fall – Straftaten 6 3.2.2. Art. 11 Absatz 2 Nr. 1, 3. Fall – Verfassungsfeindliche Handlungen 6 3.3. sonstige Maßnahmen 7 4. Ergebnis 8 - 4 - 1. Einleitung Die NPD beabsichtigt in Bayern ein Landestreffen mit anschließender Kundgebung abzuhalten. Diese Veranstaltungen sollen in einem Gebäude stattfinden, welches der NPD gehört. 2. Rechtsgrundlagen eventueller Maßnahmen Gemäß Art. 8 Absatz 1 Grundgesetz (GG) haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Bei dem geplanten Treffen der NPD handelt es sich um eine Versammlung i. S. d. Art. 8 Absatz 1 GG, da eine Mehrheit von Menschen für eine beschränkte Zeit zum Zwecke der (hier politischen ) Meinungsbildung und –äußerung zusammenkommen soll (Versammlungsbegriff ).1 Diese Versammlung soll in einem im Eigentum der Partei NPD stehenden Gebäude abgehalten werden. Darüber hinaus sollen nur Personen Zutritt erhalten, die am Landestreffen der NPD teilnehmen. Es handelt sich daher um eine nicht öffentliche (nur bestimmter Personenkreis zutrittsbefugt) Versammlung in einem geschlossenen Raum.2 Aus dem Umkehrschluss aus Art. 8 Absatz 2 GG ergibt sich, dass Versammlungen in geschlossenen Räumen durch Art. 8 Absatz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet sind. Absatz 2 besagt, dass Versammlungen unter freiem Himmel durch oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden können. Versammlungen in geschlossenen Räumen finden ihre Grenzen daher nur in Grundrechten Dritter oder sonst auf Verfassungsebene geschützten Rechtsgütern. Hier muss zwischen den kollidierenden Rechtsgütern durch Abwägung im Sinne der praktischen Konkordanz ein Ausgleich gefunden werden .3 Das Versammlungsgesetz (VersG) ist vorrangiges Spezialgesetz für Versammlungen. Es ist in seinem Anwendungsbereich gemäß § 1 Absatz 1 jedoch auf öffentliche Versammlungen beschränkt. Dort heißt es, dass jeder das Recht hat, öffentliche Versammlungen zu veranstalten oder daran teilzunehmen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine analoge Anwendung des VersG oder ein Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht des Landes Bayern zu erfolgen hat. Gegen die Anwendung des Polizeirechts spricht, dass dann die für Dritte unschädlichere Form der Versammlung – weil abgeschottet von der Öffentlichkeit – niedrigeren Ein- 1 Kunig: in v. Münch / Kunig, GG Kommentar, 5. Auflage, 2000, Art. 8 Rn. 18; Hettich, Versammlungsrecht in der kommunalen Praxis, 2003, Rn. 4. 2 Hoffmann – Riem: in Alternativkommentar GG, 3. Auflage, 2002Art. 8, Rn. 14. 3 Schulze – Fielitz: in Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Auflage, Mohr Siebeck 2004, Art. 8 Rn. 70. - 5 - griffsschwellen unterliegt.4 Dem lässt sich jedoch durch eine entsprechende Auslegung und Anwendung des Polizeirechts begegnen. Nicht-öffentliche Versammlungen sind durch Art. 8 Absatz 1 GG geschützt und daher können Eingriffe auch bei Anwendung des Polizeirechts nur unter der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und zum Schutz verfassungsrechtlich geschützter Belange erfolgen.5 Es ist daher in Anlehnung an den expliziten Wortlaut des § 1 Absatz 1 VersG das Polizeirecht des Landes Bayern anzuwenden.6 3. Maßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz Bayern (PAG BAY) Mögliche Rechtsgrundlage eines Verbotes könnte Art. 11 PAG BAY sein. Dieser ist nach Absatz 1 jedoch subsidiär zu den in Art. 12 bis 48 PAG BAY festgeschriebenen Standardmaßnahmen der Polizeibehörden. 3.1. Mögliche Standardmaßnahmen Die in Art. 12 bis 48 aufgeführten Standardmaßnahmen des PAG BAY bieten u.a. die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen den Versammlungsort zu betreten (Art. 23) oder Personen (Art. 21) und Räumlichkeiten (Art. 22) zu durchsuchen. Diese Maßnahmen sind erst nach Beginn der Versammlung durchführbar. Sie zielen auf das konkrete , tatsächliche Geschehen innerhalb der Räume ab und sind durch zeitlich weit davor liegende Gefahrenprognosen nicht zu rechtfertigen. Die Art. 12 bis 48 PAG BAY bieten daher keine passende Ermächtigung, zeitlich weit vor der Versammlung liegende Maßnahmen zu ergreifen. Daher ist lediglich ein Rückgriff auf die Generalklausel des Art. 11 Absatz 1 PAG BAY möglich. 3.2. Maßnahmen nach Art. 11 Absatz 1 PAG BAY Nach Art. 11 Absatz 1 PAG BAY kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen , um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren. Absatz 2 beinhaltet eine Auflistung möglicher Gefahrentatbestände , bei denen die Polizei beispielsweise Maßnahmen ergreifen kann. Dementsprechend können Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 1 getroffen werden, wenn diese notwendig sind, um Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden. 4 Rühl, Die Polizeipflichtigkeit von Versammlungen bei Störung durch Dritte und bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit bei Gegendemonstrationen, NVwZ 1988, S. 577, 581. 5 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Auflage, 2002, Rn. 343. 6 Gusy, Polizeirecht, 5. Auflage, 2003, Rn. 419. - 6 - 3.2.1. Art. 11 Absatz 2 Nr. 1, 1. Fall – Straftaten Im vorliegenden Fall könnte ein Eingriff nach Art. 11 Absatz 2 Nr. 1, 1. Fall PAG BAY gerechtfertigt sein, wenn die Verübung von Straftaten zu verhüten ist. Es kommt eine Verletzung des § 130 Absatz 4 StGB, wonach bestraft wird, wer u. a. in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt, in Betracht. Die Polizei könnte die notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung ergreifen, wenn eine im einzelnen Fall bestehende (konkrete) Gefahr nachgewiesen werden kann, dass Straftaten nach § 130 Absatz 4 StGB auf der von der NPD geplanten Versammlung verübt werden. Gefahr bedeutet, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein nicht unerheblicher Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erwarten ist. Konkret ist eine Gefahr, wenn sie auf einen bestimmten, „konkreten“ Einzelfall, also auf einen bestimmten vorhersehbaren Geschehensablauf deutet. Diese Wahrscheinlichkeitsprognose muss sich auf Tatsachen stützen. Da im vorliegenden Fall jedoch keinerlei konkrete Tatsachen ersichtlich sind, dass bestimmte, vorhersehbare, also konkrete Geschehensabläufe stattfinden werden, die auf die Erfüllung des Tatbestandes des § 130 Absatz 4 StGB hindeuten , kann lediglich mit beschränkter Wahrscheinlichkeit eine Gefahrenprognose erstellt werden. Die Prognostizierung von möglichen Gefahren anhand von vormaligen Äußerungen oder politischen Gesinnungen im Allgemeinen ist mithin nicht im Mindesten ausreichend.7 Es liegt hier daher höchstens ein Gefahrenverdacht vor, jedoch keine konkrete Gefahr. 3.2.2. Art. 11 Absatz 2 Nr. 1, 3. Fall – Verfassungsfeindliche Handlungen Fraglich ist, in wie weit auf der geplanten Versammlung verfassungsfeindliche Handlungen zu erwarten sind und wie diese rechtlich zu bewerten wären. Die Definition der verfassungsfeindlichen Handlungen im Sinne des PAG BAY ist ein Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips und will selbst dann polizeiliche Maßnahmen rechtfertigen, wenn Störungen oder Angriffe gegen die Verfassung noch keine Straftatbestände verletzen.8 Die verfassungsfeindliche Handlung könnte im vorliegenden Fall über die Tendenz der Veranstalter selbst zum Nationalsozialsozialismus konstruiert werden. Zu beachten ist jedoch, dass die Norm in strikter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen ist und bezüglich der Vorbehaltlosigkeit des gewährleisteten Grundrechts der nicht-öffentlichen Versammlung erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob eine Anwendung nach dieser Definition mit Art. 8 Absatz 1 GG vereinbar ist. 7 Gusy, Rechtsextreme Versammlungen als Herausforderung an die Rechtspolitik, JZ 2002, 105, 112. 8 Berner / Köhler, Polizeiaufgabengesetz, 11. Auflage, München 1990, Art. 11 Rn. 9. - 7 - Bereits bezüglich von der NPD und anderer vermeintlich verfassungsfeindlicher Veranstalter durchgeführten Versammlungen unter freiem Himmel, die im Vergleich zur nicht-öffentlichen Versammlung gemäß Art. 8 Absatz 2 GG durch oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden können, hat das BVerfG mehrfach Stellung genommen. Das BVerfG hat betont, dass die Straftatbestände zum Schutz gegen verfassungsfeindliche Meinungen und zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dahingehend abschließend seien, als dass Meinungen, die nicht den Tatbestand eines dieser Gesetze erfüllen, nicht durch behördliches Handeln unterbunden werden dürfen. Begründet wird dies mit dem Status der Versammlungsfreiheit als kommunikatives Grundrecht, welches ein unentbehrliches Mittel des freien und öffentlichen Meinungsund Willensbildungsprozesses ist,9 der für die Demokratie als schlechthin konstituierend angesehen wird.10 Daraus folgt, dass eine inhaltliche Beschränkung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Absatz 1 GG auch eine Beschränkung der in der Versammlung geäußerten Meinung darstellt. Daher sind inhaltliche Beschränkungen von Versammlungen am Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Absatz 1 GG zu messen. Dieses wiederum schließt alle Meinungen – seien sie gemäßigt, links- oder rechtsextremistisch – ein.11Geschütz werden nicht nur Diskussionen innerhalb der Staatsform, sondern auch solche über sie.12 Praktisch bedeutet dies, dass eine Meinung, die nach Art. 5 Absatz 1 GG nicht unterbunden werden kann, auch keine Beschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen kann. Daraus folgt, dass Art. 11 Absatz 2 Nr. 1, 3. Fall PAG BAY ebenfalls in diesem Sinne eng auszulegen ist. Gegen die geplante NPD Versammlung kann daher nur bei Verletzung strafrechtlicher Normen vorgegangen werden, die nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu erwarten sind. Darüber hinaus ist bei Versammlungen von Parteien zusätzlich das Parteienprivileg aus Art. 21 Absatz 1 und 2 Satz 2, 18 Satz 2 GG zu beachten. Es gewährt Parteien einen Sonderstatus gegenüber anderen Verbänden und nur das BVerfG darf über die Verfassungswidrigkeit von Parteien und die Verwirkung ihrer Grundrechte entscheiden. Administratives Einschreiten unterhalb der Verbots- oder Verwirkungsentscheidung auf Grund verfassungsfeindlicher Meinungsinhalte durch Behörden verstößt laut BVerfG gegen dieses Parteienprivileg .13 3.3. sonstige Maßnahmen Es können darüber hinaus auch keine Maßnahmen außerhalb des PAG BAY getroffen werden. Da das Gebäude in dem die Versammlung stattfinden soll Eigentum der NPD 9 BVerfGE 69, 315, [346]. 10 BVerfGE 7, 198, [208]. 11 Gusy, JZ 2002, 105 [108]. 12 Gusy, JZ 2002, 105 [108]. 13 BVerfG NJW 2001, 2076 - 8 - ist, stehen insbesondere keine Belange von öffentlichem Interesse über beispielsweise die Nutzung öffentlicher Gebäude oder Plätze durch die Partei entgegen. 4. Ergebnis Gegen die von der NPD geplante, nicht-öffentliche Versammlung im geschlossenen Raum können keine ordnungsbehördlichen Maßnahmen getroffen werden.