Datenschutzregelungen in § 31 Genossenschaftsgesetz - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WF III G - 176/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Datenschutzrechtliche Regelungen und Grundrechte im Genossenschaftsrecht Ausarbeitung WF III G - 176/06 Abschluss der Arbeit: 28. April 2006 Fachbereich III: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Der Vorschlag der Bundesregierung zur Änderung des § 31 Abs. 1 S. 2 Genossenschaftsgesetz (GenG) verletzt keine Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), da das BDSG gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG gegenüber sonstigen Rechtsvorschriften des Bundes über die Anwendung personenbezogener Daten subsidiär ist. Auch sind keine Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, verletzt. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Kollision mit datenschutzrechltichen Bestimmungen 4 3. Vereinbarkeit der Änderung mit Grundrechten 5 3.1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 5 3.1.1. Begriff 5 3.1.2. Schutzbereich und Eingriff 5 3.1.3. Rechtfertigung 6 3.2. Ergebnis 7 4. Gesamtergebnis 8 - 4 - 1. Einleitung Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts soll die Vorschrift des § 31 Abs. 1 S. 2 Genossenschaftsgesetz (GenG) geändert werden1. Die geltende Fassung der Vorschrift des § 31 Abs. 1 GenG lautet: „Die Mitgliederliste kann von jedem Genossen sowie jedem Dritten, der ein berechtigtes Interesse darlegt, bei der Genossenschaft eingesehen werden. Abschriften aus der Mitgliederliste sind dem Genossen hinsichtlich der ihn betreffenden Eintragungen auf Verlangen zu erteilen .“ Nach dem Vorschlag der Bundesregierung soll Satz 2 dieser Vorschrift wie folgt geändert werden: „Abschriften aus der Mitgliederliste sind dem Mitglied auf Verlangen zu erteilen.“ Es stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls welche datenschutzrechtlichen Regelungen und Grundrechte durch die Änderung berührt und verletzt werden. Im Vergleich zur geltenden Fassung der § 31 Abs. 1 S. 2 GenG scheint durch die Änderung ein umfassendes Recht der Mitglieder der Genossenschaft, eine Abschrift der Mitgliederliste zu verlangen, zu bestehen. Eine Beschränkung dieses Rechts kann dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 S. 2 nicht entnommen werden. Unter der Berücksichtigung des Inhalts der Mitgliederliste nach § 30 Abs. 2 GenG könnte eine Verletzung von datenschutzrechtlichen Regelungen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, als eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1GG in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 GG, in Betracht kommen. 2. Kollision mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen Datenschutzrechtliche Bestimmungen sind durch die Änderung des § 31 Abs. 1 S. 2 GenG nicht betroffen. § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG lautet: „Soweit andere Rechtsvorschriften des Bundes auf personenbezogene Daten einschließlich deren Veröffentlichung anzuwenden sind, gehen sie den Vorschriften dieses Gesetzes vor.“Demnach ist das BDSG gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG subsidiär zu den hier in Rede stehenden, im Genossenschaftsgesetz befindlichen Regelungen über die Handhabung personenbezogener Daten. 1 BT-Drucks 16/1025, Art. 3 Abs. 1 Nr. 36 - 5 - 3. Vereinbarkeit der Änderung mit Grundrechten 3.1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung Als einziges, von der Änderung betroffenes Grundrecht kommt hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht. 3.1.1. Begriff Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine Ausformung des aus dem Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts 2. Es gewährleistet dem einzelnen die Befugnis, „selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen“ und „grundsätzlich selbst zu entscheiden wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“3. Geschützt werden soll die Herstellung eines umfassenden Persönlichkeitsbildes des einzelnen durch Dritte4. 3.1.2. Schutzbereich und Eingriff Der Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung definiert sich über jegliche personenbezogenen Daten, die in § 3 Abs. 1 BDSG als Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (Betroffener) konkretisiert werden5. Vorliegend stehen die personenbezogenen Daten der Genossenschaftsmitglieder, die in der Mitgliederliste nach § 30 GenG geführt werden, in Rede. Die Mitgliederliste umfasst nach § 30 Abs. 2 GenG den Familiennamen , Vornamen und Anschrift, bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften Firma und Anschrift, bei anderen Personenvereinigungen Bezeichnung und Anschrift der Vereinigung oder Familiennamen, Vornamen und Anschriften ihrer Mitglieder , die Zahl der von ihm übernommenen weiteren Geschäftsanteile sowie Angaben über das Ausscheiden aus der Genossenschaft. Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist nach oben genannter Definition folglich tangiert. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die von der Bundesregierung geplante Änderung des § 31 Abs. 1 S. 2 GenG liegt vor, da durch das Recht der Mitglieder der Genossenschaft auf Abschrift aus der Mitgliederliste die Befugnis des einzelnen, selbst über die Preisgabe seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen , beschränkt wird. 2 Dreier, GG Kommentar, Band I, 2. Auflage, 2004,Tübingen, Art. 2 Rn. 78. 3 BVerfGE 65 1, [41ff, 78]. 4 Dreier, GG, Art. 2 Rn. 78. 5 Dreier, GG, Art. 2 Rn. 80. - 6 - 3.1.3. Rechtfertigung Ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist, richtet sich danach, welche Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen sind. Hierfür ist vor allem das Gewicht des Persönlichkeitseingriffs von Bedeutung.6 Je stärker in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der einzelnen Mitglieder eingegriffen wird, desto höher sind die Anforderungen an die Voraussetzungen, die dann im Wege der Verhältnismäßigkeitsprüfung mit dem Gewicht des Eingriffs abzuwägen sind. Fraglich ist daher wie weitgehend der Eingriff die Rechte der einzelnen Mitglieder beschränkt , frei über ihre Daten zu verfügen. Der Wortlaut des § 31 Abs. 1 S. 2 in der geplanten Neufassung, „Abschriften aus der Mitgliederliste sind dem Mitglied auf Verlangen zu erteilen“, deutet auf ein umfassendes Recht jeden Mitglieds, Abschriften beliebig einfordern zu können. Dies würde einen erheblichen – und im Ergebnis wohl unverhältnismäßigen – Eingriff in das Recht der übrigen Mitglieder ihre Daten betreffend darstellen . Dem Wortlaut des S. 2 sind keine expliziten Beschränkungen zu entnehmen. Eine der Norm innewohnende Beschränkung dieses umfassenden Rechts könnte jedoch in der Zusammenschau des S. 2 mit S. 1 zu sehen sein, der durch den Gesetzesvorschlag keine inhaltliche Änderung erfährt. S. 1 regelt die Voraussetzungen, unter denen Mitglieder sowie Dritte die Mitgliederliste einsehen können. S. 1 lautet: „Die Mitgliederliste kann von jedem Mitglied7 sowie von einem Dritten, der ein berechtigtes Interesse darlegt, bei der Genossenschaft eingesehen werden.“ Hier knüpft der Wortlaut bei grammatikalischer Auslegung nur in Bezug auf Dritte an die notwendige Darlegung eines berechtigten Interesses. Jedoch ist bezüglich der letztmaligen Änderung des GenG durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung registerrechtlicher und anderer Verfahren (Registerverfahrenbeschleunigungsgestz – RegVBG)8 in der Gesetzesbegründung hierzu Stellung genommen worden. In der Begründung wird klargestellt, dass den Mitgliedern jedenfalls dann die Erteilung einer Gesamtabschrift der Mitgliederliste zu gewähren ist, wenn die Mitglieder einen rechtfertigenden Anlass dazu haben9. Die in S. 1 bezüglich Dritter normierte Voraussetzung eines berechtigten Interesses soll sich demnach auch auf S. 2 erstrecken und somit den Mitgliedern ein Recht zur Erteilung von Abschriften über die eigenen Daten hinaus gewähren , wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt. Dies folgt, wenn nicht schon aus dem Zweck des § 31 Abs. 1 S. 2 GenG, jedenfalls aus der Treuepflicht der Genossenschaft 6 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Kommentar, 4. Auflage,München, 1997, Art. 2 Rn. 37. 7 Das Wort „Genossen“ wird im Zuge der Gesetzesänderung durch „Mitglied“ ersetzt, im Übrigen identisch zur a.F., BT-Drucks 16/1025, 27, 85. 8 BT-Drucks. 12/5553, S. 111. 9 BT-Drucks. 12/5553, S. 111,112. - 7 - ihren Mitgliedern gegenüber, die aus der genossenschaftlichen Förderbeziehung nach § 1 GenG resultiert10. Bezüglich der bisher geltenden Fassung des § 31 Abs. 1 S. 2 stellt diese Auslegung eine Erweiterung des in diesem begründeten Rechts auf Abschrift, nämlich über die eigenen Daten hinaus, dar. Übertragen auf die geplante Fassung würde sich dieses Modell jedoch in eine Einschränkung des dem Wortlaut nach sehr weitgehenden Rechts der Mitglieder umwandeln. Ebenfalls in der Begründung des Gesetzesentwurfes zur Änderung des Genossenschaftsrechts wird hierzu erneut „klargestellt, dass ein Mitglied eine vollständige Abschrift der Mitgliederliste nur verlangen kann, wenn es die Voraussetzungen nach S. 1 – Darlegung eines berechtigten Interesses – erfüllt“11. Daraus ist zu schließen, dass an der bisherigen Rechtspraxis festgehalten werden soll, lediglich das Verhältnis zwischen tatsächlichem Wortlaut und Rechtsfortbildung schlägt vom Positiven ins Negative um. Der durch die Änderung zu befürchtende Eingriff steht daher auf gleicher Wertigkeitsstufe mit dem Eingriff, der mit der geltenden Fassung einhergeht und gewährleistet kein beliebiges Recht auf Abschrift der Mitgliederliste. Die Rechtfertigungsvoraussetzungen sind daher anhand derselben Maßstäbe zu beurteilen. Das Recht des Mitglieds auf vollständige Abschrift wurde, wie bereits erwähnt, bislang zum einen aus dem Zweck des § 31 Abs. 1 S. 2 und zum anderen aus der Treuepflicht der Genossenschaft gegenüber ihren Mitgliedern abgeleitet. Die Möglichkeit der vollständigen Abschrift für die Mitglieder ist erforderlich, damit diese ihr Einberufungsrecht aus § 45 Abs. 3 S. 1 GenG wahrnehmen können, analog dazu ihre Rechte nach den neuen § 43a Abs. 7 (Nr. 45) und nach § 45 effektiv ausüben können. Diese Rechte wären ohne Kenntnis der Namen und Anschriften aller Mitglieder nicht durchsetzbar. Eine Güterabwägung der widerstreitenden Interessen wurde bislang und wird daher auch weiterhin zugunsten eines umfassenden Recht der Mitglieder, eine Abschrift der Mitgliederliste zu erhaltenden, entschieden.12 3.2. Ergebnis Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht verletzt. 10 Beuthin, GenG Kommentar, 14. Auflage, München, 2004, § 31 Rn. 4. 11 BT-Drucks. 16/1025, S. 85. 12 Beuthin, § 31 Rn. 4. - 8 - 4. Gesamtergebnis Es werden durch die im „Gesetzesentwurf zur Einführung der europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts“ vorgeschlagene Änderung des § 31 Abs. 1 S. 2 GenG weder datenschutzrechtliche Bestimmungen noch Grundrechte verletzt.