© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 175/15 Notwendigkeit der Verfassungsänderung für die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 175/15 Seite 2 Notwendigkeit der Verfassungsänderung für die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 175/15 Abschluss der Arbeit: 29. Juli 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 175/15 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, inwieweit das von der unabhängigen Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ vorgeschlagene Modell einer Infrastrukturgesellschaft für die Bundesfernstraßen einer Verfassungsänderung bedarf. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei Art. 90 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Nach einer kurzen Darstellung des vorgeschlagenen Gesellschaftsmodells wird der Regelungsgehalt des Art. 90 Abs. 2 GG erörtert. Im Anschluss daran werden Möglichkeiten einer Teilumsetzung des Gesellschaftsmodells im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts, etwa in Form einer Teilübertragung von Aufgaben und Kompetenzen, beleuchtet. Finanzverfassungsrechtliche Aspekte werden nicht behandelt. 2. Modell einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nach der Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ Im August 2014 setze der Bundesminister für Wirtschaft und Energie eine unabhängige Expertenkommission zu dem Thema „Handlungsempfehlungen zur Stärkung privater und öffentlicher Investitionen in Deutschland“ (im Folgenden: Expertenkommission) ein. In ihrem im April 2015 veröffentlichten Gesamtbericht1 schlug die Expertenkommission unter anderem vor, eine öffentliche Infrastrukturgesellschaft für die Bundesfernstraßen (sog. Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ) zu schaffen. Diese solle die Sicherung von Investitionen in die Bundesfernstraßen langfristig gewährleisten.2 Bei der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft solle es sich um eine ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehende Gesellschaft handeln,3 zu deren zentralen Aufgaben der Aus- und Neubau, die Instandhaltung sowie der Betrieb der Bundesfernstraßen gehöre.4 Daneben solle auch die gesamte Finanzierungsverantwortung, insbesondere also das wirtschaftliche Risiko, auf die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft übergehen.5 So würden die Finanzierungsverantwortung und die Verantwortung für Bau und Betrieb der Fernstraßen zusammengeführt.6 1 Expertenkommission, Gesamtbericht von April 2015, http://www.bmwi.de/DE/Mediathek/publikationen,did= 702188.html [Stand: 29. Juli 2015]. 2 Expertenkommission, Gesamtbericht (Fn. 1), S. 7. 3 Expertenkommission, Gesamtbericht (Fn. 1), S. 41 f. 4 Expertenkommission, Gesamtbericht (Fn. 1), S. 7, 41. 5 Expertenkommission, Gesamtbericht (Fn. 1), S. 43. 6 Expertenkommission, Gesamtbericht (Fn. 1), S. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 175/15 Seite 4 Die Expertenkommission geht davon aus, dass zur Schaffung einer solchen Gesellschaft die Änderung des Art. 90 GG zwingend erforderlich sei.7 3. Verfassungsrechtliche Maßgaben für die Organisation der Bundesfernstraßenverwaltung Bei der vorgeschlagenen Verkehrsinfrastrukturgesellschaft handelt es sich um einen Fall der sogenannten formellen Privatisierung8 oder Organisationsprivatisierung.9 Hier wird eine dem Verwaltungsträger obliegende Aufgabe, hier der Betrieb der Bundesfernstraßen, auf eine privatrechtliche Organisation (z.B. eine AG oder GmbH) übertragen, wobei diese Organisation entweder ausschließlich oder zumindest mehrheitlich in staatlicher Hand liegt.10 Die Zulässigkeit einer formellen Privatisierung der Bundesfernstraßenverwaltung richtet sich nach den Vorgaben der Art. 83 ff. GG, insbesondere des Art. 90 Abs. 2 GG.11 Die Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie die organisatorische Ausgestaltung der Bundesverwaltung wird geregelt durch die Bestimmungen des VIII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 83 ff. GG).12 Maßgeblich zur Bestimmung des verfassungsrechtlichen Rahmens für die Verwaltung der Bundesfernstraßen ist Art. 90 Abs. 2 GG. Die Bestimmung hat zum einen föderalen, zum anderen organisationsrechtlichen Gehalt. 3.1. Föderale Maßgaben Art. 90 Abs. 2 GG bestimmt, dass die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrag des Bundes verwalten. Damit wird für die Bundesfernstraßenverwaltung der Verwaltungstyp der Bundesauftragsverwaltung im Sinne von Art. 85 GG vorgeschrieben.13 Die Bundesauftragsverwaltung stellt gewissermaßen eine Zwischenform zwischen den zwei weiteren Verwaltungstypen des Grundgesetzes, der Landeseigenverwaltung nach Art. 83, 84 GG und der Bundeseigenverwaltung nach Art. 86 ff. GG, dar. Bundesauftragsverwaltung ist in der Sache Landesverwaltung,14 zeichnet 7 Expertenkommission, Gesamtbericht (Fn. 1), S. 44. 8 Gröpl, in: Maunz/Dürig, GG, 73. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 49. Ergänzungslieferung 2007), Art. 90 Rn. 78. 9 Burgi, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Band 3, Art. 86 Rn. 55. 10 Gröpl, in: Maunz/Dürig (Fn. 8), GG, Art. 90 Rn. 78. 11 Die Ausführungen des 3. Abschnitts basieren auf der Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Formelle Privatisierung der Verwaltung – Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen (WD 3 - 3000 - 204/14), 2014, S. 3 ff. 12 BVerfGE 63, 1 (33). 13 Durner, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 46. Ergänzungslieferung 2015, Art. 90 Rn. 16. 14 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 25. Edition Juni 2015, Art. 85 Vorbemerkung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 175/15 Seite 5 sich im Unterschied zur Landeseigenverwaltung aber durch besondere Einwirkungs- und Weisungsrechte des Bundes gegenüber den Ländern aus.15 Aufgrund des durch Art. 83 GG angeordneten Regelfalls der Landeseigenverwaltung kommt die Bundesauftragsverwaltung nur zur Anwendung, wenn dieser Verwaltungstyp durch das Grundgesetz vorgeschrieben wird (obligatorische Bundesauftragsverwaltung) oder durch ein Bundesgesetz aufgrund einer Ermächtigung des Grundgesetzes festgelegt wird (fakultative Bundesauftragsverwaltung ).16 Art. 90 Abs. 2 GG ordnet für die Bundesfernstraßenverwaltung obligatorische Bundesauftragsverwaltung an.17 Zu unterstreichen ist, dass bei der Bundesauftragsverwaltung die Verbandskompetenz bei den Ländern bleibt. Die Bundesfernstraßenverwaltung obliegt daher den Straßenbehörden bzw. Straßenbaubehörden der Länder. Die Bundesregierung kann lediglich nach Maßgabe des Art. 85 GG Einfluss auf die Landesverwaltung nehmen. Dies macht die Aufgabe aber nicht zur Bundesverwaltung . Eine Organisationsprivatisierung der Bundesfernstraßenverwaltung auf Bundesebene scheidet damit bereits aus Gründen der föderalen Kompetenzverteilung aus. 3.2. Organisationsrechtliche Maßgaben Zu klären bleibt indes, ob die Länder ihre die Bundesfernstraßenverwaltung betreffenden Aufgaben ihrerseits in privater Rechtsform wahrnehmen könnten. Zwar regeln die Art. 83 ff. GG grundsätzlich nicht die Behördenorganisation der Länder; detailliertere Vorgaben finden sich in Art. 86, 87 GG nur für die Bundeseigenverwaltung. Art. 90 Abs. 2 GG schreibt gleichwohl vor, dass die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften die Bundesfernstraßen im Auftrag des Bundes verwalten. Aus dem Wortlaut („Die Länder […] verwalten“) sowie aus dem Charakter der Auftragsverwaltung wird überwiegend geschlossen, dass die Verwaltung der Bundesfernstraßen – zumindest in ihrem Kern – entweder durch Landesbehörden oder durch öffentlich-rechtlich organisierte Selbstverwaltungskörperschaften (mittelbare Landesverwaltung) zu erfolgen habe und eine Organisationsprivatisierung daher unzulässig sei.18 Eine formelle Privatisierung der Bundesfernstraßenverwaltung bedürfte danach einer Verfassungsänderung. Diese Rechtsauffassung wird auch bestätigt durch die zur Ermöglichung der Anfang der 1990er Jahre beabsichtigten Organisationsprivatisierung der Flugsicherung erfolgte Verfassungsänderung. 15 Hermes, in: Dreier, GG, Band 3, 2. Auflage 2008, Art. 85 Rn. 15. 16 Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Band 3, Art. 85 Rn. 1. 17 Art. 90 Abs. 3 GG eröffnet allerdings die Möglichkeit, die Aufgabe unter bestimmten Voraussetzungen teilweise in bundeseigene Verwaltung zu überführen. 18 Gröpl, in: Maunz/Dürig (Fn. 8), GG, Art. 90 Rn. 78; Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Auflage 2014, Art. 90 Rn. 10; Boysen, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Auflage 2012, Band 2, Art. 90 Rn. 41; Remmert, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 25. Edition Juni 2015, Art. 90 Rn. 14; a.A. ohne nähere Begründung Ibler, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Band 3, Art. 90 Abs. 2 Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 175/15 Seite 6 Hierzu wurde Art. 87d Abs. 1 GG, der in der bis dahin geltenden Fassung obligatorisch Bundeseigenverwaltung vorschrieb, um einen Satz 2 ergänzt, demzufolge über die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationsform der Luftverkehrsverwaltung durch Bundesgesetz zu entscheiden war.19 Ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes bedarf nach Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. 4. Möglichkeiten einer teilweisen Aufgabenübertragung auf eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft Nach geltendem Verfassungsrecht ist eine Übertragung der Bundesfernstraßenverwaltung auf eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes auch nicht teilweise möglich. Die Übertragung einzelner Verwaltungsaufgaben scheitert ebenso an den in Art. 90 Abs. 2 GG festgelegten föderalen sowie organisationsrechtlichen Vorgaben wie eine gesamte Übertragung. Insoweit ergeben sich keine Unterschiede. Die aus Art. 90 Abs. 2 GG resultierende Kompetenz der Länder für den Gesetzesvollzug20 verbietet auch die Wegnahme einzelner Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche . Theoretisch denkbar wäre aus föderaler Sicht zwar eine Übertragung der in die Kompetenz des Bundes fallenden Aufgaben, nämlich des Weisungs- und Aufsichtsrechts im Rahmen der Bundesfernstraßenverwaltung . Eine solche Übertragung scheiterte nicht an den föderalen Anforderungen des Art. 90 Abs. 2 GG. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch eine private Organisation widerspräche jedoch den organisationsrechtlichen Vorgaben aus Art. 85 Abs. 3, 4 GG. Weisungsbefugt sind demnach die obersten Bundesbehörden, die Aufsicht führt die Bundesregierung. Beides ist nicht auf Private übertragbar. Ende der Bearbeitung 19 Vgl. Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Fn. 18), Grundgesetz, Kommentar, Art. 90 Rn. 10; Gröpl, in: Maunz/Dürig (Fn. 8), GG, Art. 90 Fn. 12. 20 Gröpl, in: Maunz/Dürig (Fn. 8), GG, Art. 90 Rn. 77.