© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 171/16 Zur strategischen Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung in Bezug auf Unionsbürger nach § 6 Abs. 3 Bundesnachrichtendienstgesetz-Entwurf Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 2 Zur strategischen Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung in Bezug auf Unionsbürger nach § 6 Abs. 3 Bundesnachrichtengesetz-Entwurf Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 171/16 Abschluss der Arbeit: 06.07.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung 4 2.1. Geltende Rechtslage 4 2.2. Regelungsgehalte des § 6 BNDG-E 5 3. Geltung der betroffenen Grundrechten 7 3.1. Unionsbürger als Grundrechtsträger 7 3.2. Räumliche Geltung der Grundrechte 8 3.2.1. Extraterritoriale Bezüge 8 3.2.2. Abstrakte Geltungsfrage und grundrechtliche Schutzbereiche 8 4. Grundrechte als Prüfungsmaßstab 11 4.1. Allgemeine Anforderungen an die Grundrechtsprüfung 11 4.2. Einzelne Regelungsaspekte des § 6 Abs. 3 BNDG-E 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 4 1. Einleitung Der Entwurf des Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BNDG-E) sieht in § 6 BNDG-E eine strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung anhand von Suchbegriffen vor.1 Die Aufklärungstätigkeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) erfolgt dabei mit technischen Mitteln vom Inland aus und bezieht sich auf die Telekommunikation von Ausländern im Ausland, § 6 Abs. 1 BNDG-E. Ziel der strategischen Aufklärung ist nicht die anlassbezogene Ermittlung von individuellen Sachverhalten, vielmehr geht es um die allgemeine Aufklärung von „internationalen und übergeordneten, für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland bedeutsame Themen“ wie zum Beispiel den „internationalen Terrorismus , Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen“, die „internationale organisierte Kriminalität sowie politische Lageentwicklung in bestimmten Ländern“.2 Die strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung umfasst in § 6 Abs. 3 BNDG-E auch die „gezielte Erfassung von Einrichtungen der Europäischen Union, von öffentlichen Stellen ihrer Mitgliedstaaten oder von Unionsbürgerinnen oder Unionsbürgern“. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur „Anwendungserweiterung “ der Grundrechte im Kontext des Unionsrechts3 wird die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 3 BNDG-E gestellt. Insofern ist zu prüfen, ob und inwieweit die Grundrechte auch gegenüber Unionsbürgern gelten. Darüber hinaus besteht in Bezug auf Sachverhalte mit extraterritorialen Bezügen ein grundsätzlicher Streit über die Geltung der Grundrechte. Je nach Entscheidung dieser grundrechtsdogmatischen Vorfrage kommen die Grundrechte überhaupt erst zur Anwendung oder sie fallen als Prüfungsmaßstäbe aus. Welche verfassungsrechtlichen Fragen sich bei einer Anwendung der Grundrechte auf die im BNDG-E vorgesehene Ausland-Ausland- Fernmeldeüberwachung sodann stellen, kann aufgrund der sehr kurzen Bearbeitungszeit nur anhand von einzelnen Regelungsaspekten des § 6 Abs. 3 BNDG-E skizziert werden. 2. Strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung 2.1. Geltende Rechtslage Eine Ermächtigungsgrundlage zur strategischen Fernmeldeaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) ist in § 5 Artikel 10-Gesetz (G 10) geregelt. Nach § 5 Abs. 1 S. 1 G 10 darf die Überwachung und Aufzeichnung internationaler Telekommunikationsverkehre auf Antrag des BND angeordnet werden. Die Überwachung ist dabei nach § 5 Abs. 1 S. 3 G 10 nur zulässig zur Sammlung von Informationen über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um besondere Gefahren zu erkennen und ihnen zu begegnen, z.B. die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland (Nr. 1) oder der Begehung internationaler terroristischer Anschläge 1 Siehe den Entwurf des Bundeskanzleramtes über ein Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 28.06.2016, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen /2016/06/2016-06-28-entwurf-bnd-gesetz.pdf;jsessionid =583768F465B463EDE828DD286C28561B.s1t1?__blob=publicationFile&v=1. 2 Gesetzentwurf des Bundeskanzleramtes (Fn. 1), 1. 3 BVerfGE 129, 78. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 5 mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland (Nr. 2). Bei der Sammlung von Informationen sind nach § 5 Abs. 2 G 10 bestimmte Grenzen zu beachten: Die Verwendung von Suchbegriffen dürfen keine Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen (Nr. 1) oder die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen. Weitere Beschränkungen für die strategische Fernmeldeüberwachung ergeben sich aus den §§ 5a ff. G 10, die sich u.a. auf besondere datenschutzrechtliche Aspekte, z.B. Kennzeichnungs- und Löschungspflichten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (§ 6 G 10), die Anforderungen an die Anordnung der Überwachung (einschließlich der Kapazitätsgrenzen , § 10 G 10) sowie auf Mitteilungspflichten an die Betroffenen (§ 12 G 10) und die Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium (§ 14 G 10) und die G 10-Kommission (§ 15 G 10) beziehen. Die ausführlichen Regelungen zur strategischen Fernmeldeaufklärung sind der besonderen Eingriffsintensität in Bezug auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses in Art. 10 GG geschuldet, die bei einer heimlichen und verdachtslosen Überwachung von Telekommunikationsvorgängen vorliegt. Die strategische Fernmeldeaufklärung nach § 5 G 10 bezieht sich auf internationale Telekommunikationsbeziehungen . Eine Beschränkung auf Kommunikation zwischen deutschen Staatsangehörigen ist damit nicht verbunden. Auch die räumlichen Bezüge des § 5 G 10 sind nicht weiter konkretisiert , so dass Telekommunikationsverkehre zwischen Deutschland und dem Ausland und umgekehrt ebenso vom Wortlaut erfasst sein könnten wie Telekommunikationsverkehre im Ausland ohne räumlichen Bezug zu Deutschland. In der Praxis wird die Vorschrift des § 5 G 10 jedoch auf die reine Auslandskommunikation nicht angewendet. Nach einer engen Interpretation des Begriffs der internationalen Telekommunikationsbeziehungen sollen nur Telekommunikationsverkehre von oder nach Deutschland erfasst werden.4 Damit erfasst § 5 G 10 die strategische Aufklärung der reinen Auslandskommunikation zwischen Ausländern (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung ) nicht. Auch die reine Auslandskommunikation von deutschen Staatsangehörigen wäre danach nicht vom Anwendungsbereich des § 5 G 10 umfasst, also z.B. die Telekommunikation zwischen Deutschen in Frankreich. 2.2. Regelungsgehalte des § 6 BNDG-E Das Fehlen von besonderen Rechtsgrundlagen für die Ausland-Ausland-Fernmeldeüberwachung ist u.a. im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages kritisiert worden. Die nunmehr in § 6 BNDG-E vorgesehene Regelung enthält in seinem Abs. 1 die allgemeinen Voraussetzungen für die Informationserhebung und -verarbeitung (einschließlich personenbezogener Daten) im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung vom Inland aus geregelt. Dabei müssen die betroffenen Daten nach § 6 Abs. 1 S. 1 BNDG-E erforderlich sein, um 4 Vgl. Bäcker, Erhebung, Bevorratung und Übermittlung von Telekommunikationsdaten durch die Nachrichtendienste des Bundes (Stellungnahme zur Anhörung des NSA-Untersuchungsausschusses am 22. Mai 2014), abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/280844/35ec929cf03c4f60bc70fc8ef404c5cc/mat_a_sv-2-3-pdf-data.pdf, 10 f.; Caspar, Strategische Auslandsüberwachung – Jenseits der Grenze des Rechtsstaats, PinG 2014, 1 f.: „Es verwundert insofern, dass die Anwendungspraxis von § 5 G 10 offenbar von einem engen Begriffsverständnis ausgeht und den Telekommunikationsverkehr ohne Deutschlandbezug ausklammert. Der Regelung unterfallen danach nur Telekommunikationen , ‚die von oder nach Deutschland geführt werden‘, nicht aber die reine Auslandsüberwachung.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 6 „1. frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erkennen und diesen begegnen zu können, 2. die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren oder 3. sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung über Vorgänge zu gewinnen, die in Bezug auf Art und Umfang durch das Bundeskanzleramt im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium der Verteidigung, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bestimmt werden.“ Zudem darf die Datenerhebung nur aus denjenigen Telekommunikationsnetzen erfolgen, die das Bundeskanzleramt zuvor durch Anordnung bestimmt hat, § 6 Abs. 1 S. 2 BNDG-E. In § 6 Abs. 2 BNDG-E werden besondere Anforderungen für die Erhebung von Inhaltsdaten aufgestellt . Diese darf nur anhand von Suchbegriffen erfolgen (§ 6 Abs. 2 S. 1 BNDG-E). Zudem müssen die Suchbegriffe zur Aufklärung der in § 6 Abs. 1 S. 1 BNDG-E genannten Gefahren „bestimmt und geeignet“ sein und mit den außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland in Einklang stehen. Gegenüber den allgemeinen und auf alle Ausländer anwendbaren Regelungen in § 6 Abs. 1 und 2 BNDG-E enthält die hier fragliche Regelung in § 6 Abs. 3 BNDG-E eine Sonderregelung in Bezug auf Einrichtungen der Europäischen Union, öffentliche Stellen ihrer Mitgliedstaaten und Unionsbürger . Soweit es um deren gezielte Erfassung durch Suchbegriffe geht, ist diese nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig, und zwar um Gefahren zu erkennen und zu begegnen, die Voraussetzung für die strategische Fernmeldeaufklärung nach § 5 G 10 oder um qualifizierte Informationen zu den Schutzgütern des § 6 Abs. 1 BNDG-E zu gewinnen („besondere Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“). Gegenüber Unionsbürgern kommt nach § 6 Abs. 3 S. 2 BNDG-E ferner eine gezielte Erfassung durch Suchbegriffe in Betracht, „wenn dies erforderlich ist zur Erkennung und Begegnung von Straftaten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes“. Mit dem Verweis werden die in § 3 Abs. 1 G 10 näher konkretisierten Straftaten z.B. des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats erfasst. Man könnte meinen, durch die erhöhten Anforderungen bei der gezielten Erfassung nach § 6 Abs. 3 BNDG-E würden Unionsbürger nicht nur gegenüber Drittstaatsangehörigen privilegiert, sondern auch deutschen Staatsangehörigen (weitgehend) gleichgestellt. Letzteres legen insbesondere die Verweise auf die Voraussetzungen des Artikel 10-Gesetzes nahe. Insoweit ist aber Folgendes zu berücksichtigen: Die Verwendung von Suchbegriffen zur gezielten Erfassung ist nach § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 G 10 bei deutschen Staatsangehörigen insoweit ausgeschlossen, als die Suchbegriffe „Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen“. Soweit sich die identifizierenden Suchbegriffe mit den Suchbegriffen im Sinne des § 6 Abs. 3 BNDG-E überschneiden, liegt daher keine Angleichung im Verhältnis zu deutschen Staatsangehörigen vor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 7 Die Vorschrift in § 5 Abs. 2 S. 3 G 10 ist auch insoweit von Bedeutung, als sie nur deutsche Staatsangehörige von der Anwendung der identifizierenden Suchbegriffen ausnimmt, nicht aber Ausländer. Darin wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gesehen.5 3. Geltung der betroffenen Grundrechten Wie einleitend erwähnt, muss zunächst die grundrechtsdogmatische Frage geklärt werden, ob die Grundrechte für die Regelung der Ausland-Ausland-Aufklärung überhaupt gelten. Betroffen wäre in erster Linie das Grundrecht aus Art. 10 GG zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses, das den elektronischen Kommunikationsverkehrs vor staatlicher Überwachung schützt. Darüber hinaus würden sich gleichheitsrechtliche Fragen stellen (Art. 3 Abs. 1 GG), soweit die strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland zwischen Ausländern einerseits und unter Beteiligung von deutschen Staatsangehörigen andererseits unterschiedlich geregelt ist. 3.1. Unionsbürger als Grundrechtsträger Die Geltung der Grundrechte ist allerdings nicht schon in Bezug auf die möglichen Grundrechtsträger fraglich. Zum einen handelt es sich bei den hier betroffenen Grundrechten aus Art. 10 GG und Art. 3 Abs. 1 GG um sog. Jedermannsgrundrechte, die eine Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs auf deutsche Staatsangehörige nicht vorsehen. Somit könnten die von der Regelung in § 6 Abs. 3 BNDG-E betroffenen Unionsbürger ohne weitere Berufung auf vorrangiges Unionsrecht die „normale“ Grundrechtsberechtigung als natürlichen Personen geltend machen. Nicht ausgeschlossen ist ferner, dass die gezielte Erfassung von Unionsbürgern auch die Tätigkeit von juristischen Personen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union betrifft, z.B. indem geschäftliche Kommunikationsinhalte erfasst werden. Für die Grundrechtsberechtigung von juristischen Personen kommt es zunächst auf die wesensmäßige Anwendbarkeit der betroffenen Grundrechte auf juristische Personen an (Art. 19 Abs. 3), was bei den Grundrechten aus Art. 10 GG und Art. 3 Abs. 1 GG zu bejahen ist. Die in Art. 19 Abs. 3 GG zudem vorgesehene Beschränkung der Grundrechtsberechtigung auf inländische juristische Personen gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für juristische Personen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht,6 so dass auch insofern eine Grundrechtsberechtigung nicht ausgeschlossen ist. 5 Vgl. Huber, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes (2014), Rn. 46 zu § 5 Artikel 10-Gesetz m.w.N. 6 Vgl. BVerfGE 129, 78: „Die Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt eine aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 8 3.2. Räumliche Geltung der Grundrechte 3.2.1. Extraterritoriale Bezüge Die Geltung der Grundrechte ist aber aufgrund der hier einschlägigen besonderen extraterritorialen Bezüge umstritten.7 Konkret berührt die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach § 6 BND-G allein Kommunikationsvorgänge, die nicht auf deutschem Territorium stattfinden. Man könnte daher erwägen, dass solche extraterritorialen Beeinträchtigungen außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Grundrechte liegen.8 Eine gewisse Plausibilität einer solchen räumlichen Geltungsbeschränkung folgt daraus, dass deutsche Grundrechtsstandards als solche offensichtlich keine weltweite Geltung beanspruchen können. Die vorliegende Konstellation betrifft aber nicht eine allgemeine räumliche Geltungserstreckung der Grundrechte über das Bundesgebiet hinaus, sondern sie knüpft mit der Bezugnahme auf die Tätigkeit des BND an die Ausübung von deutscher Hoheitsgewalt an. Im Einzelnen kann es zu schwierigen Grundrechtsfragen kommen, wenn deutsche Hoheitsgewalt im Ausland ausgeübt wird, z.B. im Rahmen von Einsätzen der Bundeswehr .9 Vorliegend beschränkt sich der extraterritoriale Bezug auf den Eintritt der belastenden Wirkungen im Ausland, namentlich auf den im Ausland stattfindenden Kommunikationsvorgang. Die staatliche Hoheitsgewalt hingegen wird im Inland ausgeübt. Nach § 6 Abs. 1 BNDG-E erfolgt die Informationserhebung „vom Inland aus mit technischen Mitteln“. 3.2.2. Abstrakte Geltungsfrage und grundrechtliche Schutzbereiche Die räumliche Geltung der Grundrechte wird als abstrakte Geltungsfrage mit Bezug zur allgemeinen Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG erörtert sowie als Frage nach der Reichweite der konkret betroffenen grundrechtlichen Schutzbereiche behandelt. Beide Aspekte dürften nebeneinander einschlägig sein. Zum einen kann man fragen, ob die Grundrechte als solche überhaupt extraterritoriale Wirkungen entfalten können. Darüber hinaus kommen räumliche Beschränkungen in Betracht, die auf einem besonderen Inlandsbezug des grundrechtlichen Schutzbereichs beruhen: Beispielsweise setzt die Anwendung des Asylgrundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG voraus, dass die Asylsuchenden das Bundesgebiet erreichen. Darüber hinaus wird diskutiert, dass die Grundrechte, auch wenn ihnen grundsätzlich eine extraterritoriale Wirkung zukommt, gewissen Einschränkungen unterliegen. Diese Einschränkungen werden u.a. völkerrechtlich mit der Achtung der fremden Hoheitsgewalt begründet.10 Ferner 7 Ausführlich dazu Schaller, Kommunikationsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (SWP-Studie, 2016), 18 ff. 8 So die vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragene Auffassung der Bundesregierung in BVerfGE 100, 313, 339: „Aus den allgemeinen Grundsätzen über die Grundrechtsgeltung im Ausland lasse sich der Schluss ziehen, dass die Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes gemäß § 3 G 10 nicht unter die Bindung des Art. 10 GG falle, soweit sie Fernmeldeverkehre im Ausland erfasse. Die Geltung des Grundgesetzes sei räumlich auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt.“ 9 Ausführlich dazu v. Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz – Rechtsgrundlagen zum Schutz von Grund- und Menschenrechten, in: Weingärtner (Hrsg.), Streitkräfte und Menschenrechte (2008), 61, 70 ff. 10 Vgl. Durner, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: Januar 2010), Rn. 65 zu Art. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 9 könnte man erwägen, dass bei nachrichtendienstlichen Tätigkeiten gewisse Einschränkungen des grundrechtlichen Schutzniveaus aus dem Wesen und den Besonderheiten der nachrichtendienstlichen Tätigkeit folgen. Im Einzelnen kann einer solcher Ansatz aber zu problematischen grundrechtsdogmatischen Konstruktionen führen, z.B. wenn einerseits die extraterritoriale Grundrechtsgeltung bejaht, den Grundrechten andererseits aber ihre subjektive Abwehrdimension abgesprochen wird.11 Unabhängig von den im Einzelnen unterschiedlichen dogmatischen Konstruktionen wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur die extraterritoriale Geltung der Grundrechte im Ergebnis überwiegend bejaht.12 Beispielhaft sei auf einzelne Stimmen in Bezug auf die umfassende Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG und den räumlichen Schutzbereich des hier einschlägigen Art. 10 GG verwiesen: „Da Art. 1 Abs. 3 indessen nicht danach differenziert, wo deutsche Staatsgewalt handelt oder die Wirkung ihres Handelns eintritt und überdies eine Beschränkung der extraterritorialen Geltung des Art. 10 auch nicht von Art. 25 gefordert wird, unterliegt deutsche Staatsgewalt auch bei extraterritorialem Handeln dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis; allerdings muss das konkrete Handeln auch immer als Handeln deutscher Staatsgewalt darstellbar sein (…).“13 „In räumlicher Hinsicht ist der Schutzbereich des Art. 10 GG nicht auf das Inland beschränkt (…). Demnach dürfte sein Schutz auch auf ausländische Staatsangehörige im Ausland zu erstrecken sein, weil diese von den Überwachungsmaßnahmen ebenso betroffen sind wie deutsche Staatsbürger im Ausland (…).“14 11 Siehe dazu die Ausführungen der SPD-Bundestagsfraktion in dem Papier „Rechtsstaat wahren – Sicherheit gewährleisten !“ (Juni 2015), abrufbar unter: http://www.spdfraktion.de/system/files/documents/2015-06-16-eckpunkte_reform _strafma-r-endfassung.pdf, 7: „Eine Reform der Rechtsgrundlagen muss unserer Verfassung Rechnung tragen. Die Fernmeldeaufklärung durch den BND greift auch dann in das Grundrecht der Telekommunikationsfreiheit des Art. 10 GG ein, wenn nur Ausländer im Ausland betroffen sind. (…) Die Erfassung reiner Ausland-Auslands- Kommunikation durch den BND - egal ob im Inland oder im Ausland - ist von einer grundlegend anderen Sachund Interessenlage gekennzeichnet als eine Inlandserfassung. Art. 10 GG darf deshalb in Abwägung mit den zu schützenden hochrangigen Rechtsgütern nicht eindimensional als auch im Ausland geltendes subjektives Abwehrrecht missverstanden werden. Es kann über Art. 1 Abs. 3 GG nur einen objektiv-rechtlichen Schutzauftrag entfalten.“ 12 Zur abweichenden Auffassung siehe Hochreiter, Die heimliche Überwachung internationaler Telekommunikation (2002), 130: „Eine Ausdehnung der räumlichen Reichweite des Fernmeldegeheimnisses auch auf die Telekommunikation von Ausländern im Ausland lässt sich nicht zwingend feststellen.“ 13 Baldus, in: Epping/Hillgruber, Beck`scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: März 2015), Rn. 21 zu Art. 10. Siehe auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, (6. Aufl., 202), Rn. 53 zu Art. 1; Krieger, Die Reichweite der Grundrechtsbindung bei nachrichtendienstlichem Handeln, Berliner Online-Beiträge zum Völker- und Verfassungsrecht, Beitrag Nr. 1/08, abrufbar unter: http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentlichesrecht /lehrende/kriegerh/dokumente/berliner_online_beitraege_krieger08_01.pdf, 3 ff. 14 Roggan, G-10-Gesetz (1. Aufl., 2012), Rn. 1 zur Einleitung. Siehe auch Hermes, in: Dreier, GG (3. Aufl., 2013), Rn. 42 zu Art. 10; Bäcker (Fn. 4), 18 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 10 Wird im Rahmen des Art. 10 GG gleichwohl ein besonderer Inlandsbezug gefordert,15 so könnte man hierfür bei der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach § 6 BNDG-E darauf verweisen, dass die staatliche Hoheitsgewalt ausschließlich im Inland ausgeübt wird: Sowohl die Überwachung der Telekommunikationsnetze also auch die weitere Verarbeitung der Daten erfolgt vom Inland aus. Dass jedenfalls ein solcher Inlandsbezug für die Anwendbarkeit des räumlichen Schutzbereichs von Art. 10 GG ausreichen dürfte, ist auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelegt. Zur räumlichen Geltung des Art. 10 GG stellte das Bundesverfassungsgericht zunächst die folgenden allgemeinen Erwägungen an: „Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage nach der räumlichen Geltung von Art. 10 GG ist Art. 1 Abs. 3 GG, der den Geltungsumfang der Grundrechte im Allgemeinen bestimmt. Aus dem Umstand, dass diese Vorschrift eine umfassende Bindung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte vorsieht, ergibt sich allerdings noch keine abschließende Festlegung der räumlichen Geltungsreichweite der Grundrechte . Das Grundgesetz begnügt sich nicht damit, die innere Ordnung des deutschen Staates festzulegen, sondern bestimmt auch in Grundzügen sein Verhältnis zur Staatengemeinschaft. Insofern geht es von der Notwendigkeit einer Abgrenzung und Abstimmung mit anderen Staaten und Rechtsordnungen aus. Zum einen ist der Umfang der Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane bei der Reichweite grundrechtlicher Bindungen zu berücksichtigen (…). Zum anderen muss das Verfassungsrecht mit dem Völkerrecht abgestimmt werden. Dieses schließt freilich eine Geltung von Grundrechten bei Sachverhalten mit Auslandsbezügen nicht prinzipiell aus. Ihre Reichweite ist vielmehr unter Berücksichtigung von Art. 25 GG aus dem Grundgesetz selbst zu ermitteln. Dabei können je nach den einschlägigen Verfassungsnormen Modifikationen und Differenzierungen zulässig oder geboten sein (…).16 Sodann zog das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit eines besonderen Inlandsbezuges in Art. 10 GG in Betracht, sah diesen bei der streitbefangenen strategischen Fernmeldeüberwachung nach dem Artikel 10-Gesetz aber als gegeben an: „Dabei wird bereits durch die Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen des Bundesnachrichtendienstes eine technisch-informationelle Beziehung zu den jeweiligen Kommunikationsteilnehmern und ein - den Eigenarten von Daten und Informationen entsprechender - Gebietskontakt hergestellt. Auch die Auswertung der so erfassten Telekommunikationsvorgänge durch den Bundesnachrichtendienst findet auf deutschem Boden statt. Unter diesen Umständen ist aber auch eine Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland derart verknüpft, dass die Bindung durch Art. 10 GG selbst dann eingreift, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte.“17 15 Siehe dazu die vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragene Auffassung der Bundesregierung in BVerfGE 100, 313, 338 f. 16 BVerfGE 100, 313, 362 f. (Hervorhebungen nicht im Original). 17 BVerfGE 100, 313, 363 f. (Hervorhebungen nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 11 Die Frage nach der Grundrechtsgeltung in Bezug auf die Kommunikation zwischen Ausländern im Ausland war vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht zu entscheiden: „Über geheimdienstliche Tätigkeiten, die nicht dem G 10 unterliegen, ist hier ebenso wenig zu entscheiden wie über die Frage, was für ausländische Kommunikationsteilnehmer im Ausland gilt.“18 Der Vorbehalt in Bezug auf ausländische Kommunikationsteilnehmer im Ausland lässt verschiedene Deutungen zu. Man könnte meinen, das Bundesverfassungsgericht habe diese Konstellation von der Geltung des Art. 10 GG ausnehmen wollen. Betrachtet man aber die gesamte Argumentation in dieser Entscheidung zur räumlichen Grundrechtsgeltung, liegt es näher anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht aus Art. 10 GG auch auf die Kommunikation von Ausländern im Ausland anwenden würde. Die vom Bundesverfassungsgericht erwähnte mögliche Beschränkung der Grundrechtsgeltung aus völkerrechtlichen Gründen würde bei der hier fraglichen staatlichen Tätigkeit vom Inland aus gerade nicht greifen. Vielmehr obliegt es allein der auf deutschem Staatsgebiet ausgeübten Hoheitsgewalt, die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung und die damit verbundenen Belastungswirkungen zu steuern. 4. Grundrechte als Prüfungsmaßstab 4.1. Allgemeine Anforderungen an die Grundrechtsprüfung Bei einer Anwendung der Grundrechte auf die Ausland-Ausland-Fernmeldeüberwachung nach § 6 BNDG-E wären zahlreiche Regelungsaspekte zu berücksichtigen. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von einschränkenden Gesetzen nach Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG müsste u.a. die konkrete Eingriffsintensität durch die Fernmeldeaufklärung ermittelt werden. Die Beurteilung der Eingriffsintensität wiederum hängt davon ab, wie in den jeweiligen Verfahrensstadien der Fernmeldeaufklärung der Umgang mit den personenbezogenen Daten geregelt ist; angefangen von der Anordnung und dem Ausmaß der Datenerhebungen (Stichwort: Kapazitätsgrenzen) über die Auswertung (Stichwort: Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung), Speicherung und Übermittlung der Daten an andere inländische oder ausländische Behörden (Problem der Zweckbindung) bis hin zur Mitteilung der Maßnahmen gegenüber den Betroffenen. Die Frage nach der Eingriffsintensität setzt ferner Einschätzungen zur technisch möglichen Verwertbarkeit der erhobenen Daten voraus. So kann auch die Erhebung von sog. Verkehrs- oder Metadaten eine besondere Eingriffsintensität aufweisen, da sie z.B. die Erstellung von Bewegungsprofilen ermöglicht. Zu berücksichtigen wäre zudem der Regelungskontext im Artikel 10-Gesetz. Mit dem § 5 G 10 liegt bereits ein Regelungsmodell zur strategischen Fernmeldeaufklärung vor, das ein bestimmtes grundrechtliches Schutzniveau einfachgesetzlich festlegt und teilweise auch Gegenstand einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht war.19 Soweit das im Artikel 10-Gesetz enthaltene Schutzniveau bei der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BNDG-E unterschritten wird, ist dies bei der grundrechtlichen Prüfung zu berücksichtigen, sei es wegen der vom Bundesverfassungsgericht 18 BVerfGE 100, 313, 364. 19 BVerfGE 100, 313. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 12 vorgenommen Wertungen im Rahmen der Prüfung des Art. 10 GG oder wegen der Überprüfung möglicher gleichheitsrechtlich relevanter Ungleichbehandlungen nach Art. 3 Abs. 1 GG. Anhaltspunkte für die Ausrichtung des vorliegenden Gesetzentwurfs auf diese normativen Vorgaben bestehen allerdings nicht. Schon das in der Begründung des BNDG-E beschriebene Gesetzgebungsziel weist keinen expliziten Grundrechtsbezug auf, sondern wird wie folgt beschrieben: „Als Konsequenz aus der aktuellen rechtspolitischen Debatte sollen im Interesse der Rechtssicherheit – nicht zuletzt für die mit der Aufgabe der strategischen Fernmeldeaufklärung betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BND – die bestehende Rechtslage präzisiert und spezielle rechtliche Grundlagen für die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung sowie eine diesbezügliche Kooperation mit ausländischen öffentlichen Stellen anderer Staaten geschaffen werden.“20 Auch die Begründungen zu den einzelnen Regelungsgehalten des BNDG-E zeigen keine expliziten Bezugnahmen zur Wahrung von grundrechtlichen Vorgaben. Schließlich wird im BNDG-E kein Gebrauch vom Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG gemacht.21 Dies spricht dafür, dass die Regelungen zur Ausland-Ausland-Fernmeldeüberwachung wohl nicht an grundrechtlichen Vorgaben ausgerichtet wurden. Dies wiederum könnte auf der Annahme beruhen, eine Geltung der Grundrechte im Kontext der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung würde ausscheiden.22 4.2. Einzelne Regelungsaspekte des § 6 Abs. 3 BNDG-E Grundrechtich relevant wäre beispielsweise die Frage, ob die Anwendung von Suchbegriffen zur gezielten Erfassung von Unionsbürgern nach § 6 Abs. 3 BNDG-E angesichts der erheblichen Eingriffsintensität verhältnismäßig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ausschluss von identifizierenden Suchbegriffen bei der strategischen Fernmeldeüberwachung nach dem Artikel 10-Gesetz (damals geregelt in § 3 G 10) als entscheidendes Argument für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit angesehen: „Die Zahl der erfassten Telekommunikationsbeziehungen ist zwar nicht gering, verglichen mit der Gesamtzahl aller oder auch nur der internationalen Fernmeldekontakte aber vergleichsweise niedrig. Dabei kommt insbesondere dem in § 3 Abs. 2 Satz 2 G 10 enthaltenen Verbot der gezielten Überwachung bestimmter individueller Anschlüsse Bedeutung zu. Ohne ein solches Verbot wäre die Verhältnismäßigkeit angesichts der Verdachtslosigkeit der Eingriffe, der Breite der erfassten Fernmeldekontakte und der Identifizierbarkeit der Beteiligten nicht gewahrt.“23 20 Gesetzentwurf des Bundeskanzleramtes (Fn. 1), 1 f. 21 Zur Beachtung des Zitiergebots im geltenden BNDG siehe aber § 2a S. 5 BNDG. 22 So Geiger in der Süddeutschen Zeitung vom 30.06.2016 in dem Artikel „Ein bisschen mehr Transparenz“: „Allerdings beharrt die Bundesregierung offenbar weiter darauf, dass das im Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Telekommunikationsgeheimnis für solche Ausland-zu-Ausland-Gespräche nicht gilt.“ 23 BVerfGE 100, 313, 384. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 13 Es wäre begründungsbedürftig, warum gegenüber Unionsbürgern insoweit ein grundsätzlich anderer Maßstab gelten sollte. Ferner erscheint problematisch, dass die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BNDG-E – anders als in § 12 Abs. 2 G 10 – keine Regelungen über die Mitteilung der Maßnahmen an die Betroffenen vorsieht, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz wäre. Ein Ausschluss der Mittelung über beschränkende Maßnahmen ist nach Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Insbesondere muss „an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane“ treten. Das nach § 16 BNDG-E einzurichtende Unabhängige Gremium nimmt nach § 9 BNDG-E gewisse Kontrollaufgaben wahr. So unterrichtet das Bundeskanzleramt das Unabhängige Gremium gemäß § 9 Abs. 4 BNDG-E über die von ihm getroffenen Anordnungen vor deren Vollzug. Das Unabhängige Gremium wiederum prüft die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Anordnungen. Dies gilt nach § 9 Abs. 5 BNDG-E auch für bestimmte Anordnungen nach § 6 Abs. 2 BNDG-E. Keine Unterrichtungspflichten bestehen aber bei Anordnungen, die die gezielte Erfassung u.a. von Unionsbürgern nach § 6 Abs. 3 BNDG-E betreffen. Insoweit verweist § 9 Abs. 5 S. 3 BNDG-E auf die Befugnis des Unabhängigen Gremiums, „die Einhaltung der Vorgaben des § 6 Absatz 3 jederzeit stichprobenartig zu kontrollieren“. Unabhängig davon, dass Anordnungen nach § 6 Abs. 3 BNDG-E nur stichprobenartigen zu kontrollieren sind, stellt das zuständige Unabhängige Gremium kein Gremium im Sinne des Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG dar. Es wird nicht – wie in Art. 10 Abs. 2 GG vorgesehen – von der Volksvertretung bestellt, sondern durch die Bundesregierung ernannt, § 16 Abs. 2 BNDG-E. Stellt man für die Kontrolle im Sinne des Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG allein auf allgemeinen Kontrollrechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums ab (§ 9 Abs. 5 S. 4 BNDG-E: „Die Kontrollrechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums bleiben unberührt.“), erscheint zweifelhaft, ob damit die vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG aufgestellten Maßstäbe gewahrt würden, zumal eine engmaschige Einbeziehung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei konkreten Anordnungen nach dem BNDG-E gerade nicht vorgesehen ist. Zu den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Das bedeutet, dass in Ausführung dieser Vorschrift das Gesetz eine Nachprüfung vorsehen muss, die materiell und verfahrensmäßig der gerichtlichen Kontrolle gleichwertig, insbesondere mindestens ebenso wirkungsvoll ist, auch wenn der Betroffene keine Gelegenheit hat, in diesem ‚Ersatzverfahren‘ mitzuwirken. Bei dieser Auslegung verlangt Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG, dass das zu seiner Ausführung ergehende Gesetz unter den von der Volksvertretung zu bestellenden Organen und Hilfsorganen ein Organ vorsehen muss, das in richterlicher Unabhängigkeit und für alle an der Vorbereitung, verwaltungsmäßigen Entscheidung und Durchführung der Überwachung Beteiligten verbindlich über die Zulässigkeit der Überwachungsmaßnahme und über die Frage, ob der Betroffene zu benachrichtigen ist, entscheidet und die Überwachungsmaßnahme untersagt, wenn es an den rechtlichen Voraussetzungen dazu fehlt.“24 24 Vgl. BVerfGE 30, 1, 23 (Hervorhebungen nicht im Original). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 171/16 Seite 14 Schließlich erscheint der Ausschluss der Auslandskommunikation zwischen Deutschen von der strategischen Fernmeldeaufklärung nach § 6 Abs. 4 BNDG-E problematisch. In der Gesetzesbegründung wird auf die Anwendbarkeit des G 10 für deutsche Staatsangehörige verwiesen.25 Aus der oben dargestellten Anwendungspraxis26 folgt aber, dass die strategische Fernmeldeaufklärung nach § 5 G 10 allein die Kommunikation von oder nach Deutschland erfassen soll. Demnach würde die reine Auslandskommunikation zwischen Deutschen auch vom Artikel 10-Gesetz nicht erfasst werden. Eine solche Ungleichbehandlung der Kommunikationsverkehre zwischen Ausländern (einschließlich Unionsbürgern) im Ausland einerseits und Deutschen im Ausland andererseits wäre nach Maßgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftig. Ende der Bearbeitung 25 Gesetzentwurf des Bundeskanzleramtes (Fn. 1), 37. 26 Siehe oben Ziff. 2.1.