© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 170/19 Suspensives Vetorecht im Gesetzgebungsprozess Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 170/19 Seite 2 Suspensives Vetorecht im Gesetzgebungsprozess Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 170/19 Abschluss der Arbeit: 03.07.2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 170/19 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung thematisiert die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein suspensives Vetorecht eines „Rates für „Generationengerechtigkeit“ (im Folgenden „Rat“) im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene. 2. Suspensives Veto eines Rates für Generationengerechtigkeit Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in einem Sondergutachten im Juni 2019 mit dem Titel: „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“ unter anderem vorgeschlagen, einen Rat für Generationengerechtigkeit einzurichten.1 Als Kernaufgabe des Rates benennt das Sondergutachten die Berücksichtigung der Interessen junger und künftiger Generationen im Gesetzgebungsverfahren sicherzustellen. Maßstab hierfür sei insbesondere die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie.2 Der zu schaffende Rat soll institutionell ein Organ sein, das regulär in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden ist und dem eine Beratungs- und Kontrollfunktion zukommt. Vorgeschlagen wird hierzu eine Ausgestaltung als verfassungsrechtlich legitimierte Institution, die parteipolitisch neutral erscheint.3 Besetzt werden soll der Rat in erster Linie mit Personen, die sich durch einen entsprechenden Sachverstand in Bezug auf die Generationengerechtigkeit auszeichnen. Die Auswahl soll dem Bundestag und dem Bundesrat obliegen.4 Dem Rat sollen verschiedene Kompetenzen eingeräumt werden. Das Sondergutachten nennt hierzu etwa die Möglichkeit, auf eigene Initiative in Stellungsnahmen über die Auswirkungen gegenwärtiger politischer Entscheidungen auf die künftigen Menschen aufmerksam zu machen. Ferner sollen dem Rat alle nachhaltigkeitsrelevanten Gesetzentwürfe zugeleitet werden, um die Möglichkeit zu haben, zu diesen innerhalb einer angemessenen Frist Stellung zu nehmen. Als stärkste Kompetenz soll dem Rat auch ein suspensives Vetorecht zukommen. So soll er bei schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich der Generationengerechtigkeit ein aufschiebendes Vetorecht in Bezug auf Gesetzentwürfe haben. Das aufschiebende Veto würde zu einer Verzögerung im Gesetzgebungsverfahren führen. Vorgeschlagen wird eine Aussetzung über drei Monate. Das Veto soll eine breite öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen und politischen Druck auf die Entscheidungsträger erzeugen. Nach den vorgeschlagenen drei Monaten könnten die Bundestagsabgeordneten erneut über das Gesetz abstimmen.5 1 Die Ausführungen finden sich auf den S. 179 ff. des SRU-Gutachtens. Das Gutachten ist abrufbar unter: https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/02_Sondergutachten/2016_2020/2019_06_SG_Legitimation _von_Umweltpolitik.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (Stand: 02.07.2019). 2 Vgl. SRU-Gutachten S. 180 f. 3 Vgl. SRU-Gutachten S. 180. 4 Vgl. SRU-Gutachten S. 182. 5 Vgl. zum Ganzen insbesondere auch zu den prozeduralen Voraussetzungen des suspensiven Vetos: SRU-Gutachten S. 181 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 170/19 Seite 4 3. Verfassungsrechtliche Einordnung Bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Anforderungen ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Vorschlägen im SRU-Gutachten um einen Rahmenvorschlag handelt, der im Falle seiner Umsetzung noch gesetzgeberisch ausgestaltet werden müsste. Eine abschließende verfassungsrechtliche Prüfung ist daher nicht möglich. 3.1. Einbettung in das Gesetzgebungsverfahren Das Gesetzgebungsverfahren ist in verschiedenen Vorschriften des Grundgesetzes geregelt. So enthält Art. 76 GG insbesondere Vorgaben für das Initiativrecht; Art. 77 GG regelt Grundzüge des Verfahrens und der beteiligten Verfassungsorgane; Art. 78 GG beinhaltet die Voraussetzungen für das Zustandekommen der Bundesgesetze und Art. 82 GG schließt den verfassungsrechtlichen Rahmen mit den Vorgaben für die Verkündung und das Inkrafttreten der Gesetze ab. Die Verfahrensregelungen sind nicht abschließend. Insbesondere das jeweilige Verfahren innerhalb der Verfassungsorgane obliegt deren Geschäftsordnungsautonomie.6 Vorgaben für den Verfahrensablauf enthält insbesondere Art. 77 GG. Die Vorschrift benennt vor allem die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure und regelt deren Verhältnis innerhalb des Verfahrens.7 Die Schaffung eines mit einem suspensiven Veto ausgestatteten Rates würde die Verfahrensstruktur, wie sie Art. 77 GG vorgibt, modifizieren. Die Ausführungen im Gutachten legen nahe, dass der Rat ein Veto gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz einlegen könnte und der Bundestag nach Zeitablauf von drei Monaten „erneut abstimmen“ müsste. Eine solche erneute Abstimmung sieht Art. 77 Abs. 4 GG bisher lediglich bei Einspruchsgesetzen vor. Die Verankerung eines solchen Verfahrensschrittes und auch einer neuen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institution bedürfte einer Verankerung in der Verfassung. Dies legt auch das SRU- Gutachten nahe, wenn es die Einrichtung einer „verfassungsrechtlich legitimierten Institution“ vorschlägt. 3.2. Mögliche Einbettung in das Initiativerecht der Bundesregierung Ohne eine Änderung der Verfassung wäre die Einrichtung eines entsprechenden Rates allenfalls im Vorfeld des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens denkbar. Ähnlich der Beteiligung des Nationalen Normenkontrollrates könnte auch ein „Rat für Generationengerechtigkeit“ an der Erarbeitung von Regierungsentwürfen beteiligt werden, noch bevor diese in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden. Zumindest möglich erscheint dabei auch ein suspensives Vetorecht, dass damit dem Widerspruchsrecht des Finanzministers nach § 26 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GO-BReg) ähneln würde. Dennoch bestünde weiterhin die Möglichkeit, dass der „blockierte“ Entwurf aus der Mitte des Bundestages nach Art. 76 Abs. 1 GG eingebracht würde, und 6 Vgl. Kersten, in: Maunz/Dürig, Werkstand: 86. EL Januar 2019, Art. 76 GG Rn. 15 f. 7 Masing/Risse, in: von Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, Art. 77 GG Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 170/19 Seite 5 das suspensive Veto somit umgangen werden könnte.8 Wollte man diese Möglichkeit ausschließen, bedürfte es ebenfalls einer Änderung der verfassungsrechtlichen Verfahrensregelungen. 3.3. Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Aus dem Demokratieprinzip folgt das Erfordernis einer hinreichenden demokratischen Legitimation aller an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligten Organe.9 Unmittelbar legitimiert ist aufgrund seiner direkt gewählten Mitlieder der Bundestag. Aufgrund dieser Stellung ist es ihm möglich, legitimationsspendend zu wirken. So wählt er etwa die Regierungsspitze und verschafft damit auch der Exekutive eine hinreichende demokratische Legitimation. Bei der Schaffung selbständiger, mit eigenen Befugnissen ausgestatteter Organe oder Institutionen verlangt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls eine Legitimation durch das Parlament, die diesem in seiner Gesamtheit zuzurechnen ist. Eine solche Zurechnung erzeugt etwa eine Wahl durch das Parlament, nicht jedoch eine Benennung durch Fraktionen.10 Ein Rat für Generationengerechtigkeit würde wie oben dargestellt über die Ausübung eines suspensiven Vetorechts unmittelbar in das Gesetzgebungsverfahren eingreifen und folglich auch Staatsgewalt ausüben. Seine Mitglieder müssten demnach ebenfalls hinreichend demokratisch legitimiert sein. Eine solche Legitimierung könnte aufgrund einer Wahl erfolgen, wie sie auch im SRU-Gutachten vorgeschlagen wird. Eine teilweise Wahl durch den Bundesrat erscheint dabei mit Blick auf die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls vertretbar. Weiterhin geht das SRU-Gutachten davon aus, dass die Beteiligung eines Rates für Generationengerechtigkeit zwar in einem Spannungsverhältnis zum System der parlamentarischen Demokratie stehe, das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 GG aufgrund der Letztentscheidungsbefugnis des Bundestages aber gewahrt bliebe.11 Dieser Ansatz erscheint jedenfalls solange vertretbar, wie das suspensive Vetorecht die einzige „echte“ Befugnis des Rates im Gesetzgebungsverfahren bleibt. Sollten bei einer gesetzlichen Ausgestaltung weitere Befugnisse erwogen werden, zu denen etwa Änderungsbefugnisse oder Initiativrechte zählen würden, bedürfte dies einer erneuten Gesamtabwägung . *** 8 Vgl. für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Übernahme von Regierungsentwürfen durch Fraktionen im Bundestag Brosius-Gersdorf, in: Dreier, 3. Auflage 2015, Art. 76 GG Rn. 58 ff. 9 Vgl. Dreier, in: Dreier, 3. Auflage 2015, Art. 20 GG Rn. 109 ff. 10 BVerfGE 77, 1 (41). 11 Vgl. SRU-Gutachten S. 181.