© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 168/20 Verfahren der Einteilung von Wahlkreisen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 2 Verfahren der Einteilung von Wahlkreisen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 168/20 Abschluss der Arbeit: 15. Juli 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Verfahren der Einteilung von Wahlkreisen 4 2.1. Rechtsgrundlage und Grundsätze 4 2.2. Wahlkreiskommission 6 2.3. Berichte der Wahlkreiskommission 7 2.4. Beteiligte bei der Einteilung der Bundestagswahlkreise 8 2.5. Vollständiger Neuzuschnitt der Wahlkreise 9 3. Wahlkreiseinteilungen in der Vergangenheit 9 4. Zeitliche Abläufe der Wahlkreiseinteilung seit 1990 10 5. Tabelle – Wahlkreisfestlegung und Wahltag von 1990 bis 2017 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Sachstand thematisiert unterschiedliche Aspekte der Einteilung von Wahlkreisen für die Bundestagswahl. Er gibt einen Überblick über das Verfahren der Wahlkreiseinteilung und eine Zusammenfassung der Verfahren der Änderungen der Wahlkreiszuschnitte der letzten 30 Jahre. 2. Verfahren der Einteilung von Wahlkreisen 2.1. Rechtsgrundlage und Grundsätze Das Verfahren und die Grundsätze zur Einteilung der Wahlkreise sind im Wesentlichen in § 3 Bundeswahlgesetz (BWahlG)1 geregelt. „§ 3 BWahlG – Wahlkreiskommission und Wahlkreiseinteilung (1) Bei der Wahlkreiseinteilung sind folgende Grundsätze zu beachten: 1. die Ländergrenzen sind einzuhalten. 2. Die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern muß deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen. Sie wird mit demselben Berechnungsverfahren ermittelt, das nach § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 für die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten angewandt wird. 3. Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 15 vom Hundert nach oben oder unten abweichen; beträgt die Abweichung mehr als 25 vom Hundert, ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen. 4. Der Wahlkreis soll ein zusammenhängendes Gebiet bilden. 5. Die Grenzen der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte sollen nach Möglichkeit eingehalten werden. Bei Ermittlung der Bevölkerungszahlen bleiben Ausländer (§ 2 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ) unberücksichtigt. (2) Der Bundespräsident ernennt eine ständige Wahlkreiskommission. Sie besteht aus dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts und fünf weiteren Mitgliedern. 1 Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.7.1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 9 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 5 (3) Die Wahlkreiskommission hat die Aufgabe, über Änderungen der Bevölkerungszahlen im Wahlgebiet zu berichten und darzulegen, ob und welche Änderungen der Wahlkreiseinteilung sie im Hinblick darauf für erforderlich hält. Sie kann in ihrem Bericht auch aus anderen Gründen Änderungsvorschläge machen. Bei ihren Vorschlägen zur Wahlkreiseinteilung hat sie die in Absatz 1 genannten Grundsätze zu beachten; ergeben sich nach der Berechnung in Absatz 1 Nr. 2 mehrere mögliche Wahlkreiszuteilungen, erarbeitet sie hierzu Vorschläge. (4) Der Bericht der Wahlkreiskommission ist dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat innerhalb von fünfzehn Monaten nach Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages zu erstatten. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat leitet ihn unverzüglich dem Deutschen Bundestag zu und veröffentlicht einen Hinweis auf die Veröffentlichung als Bundestagsdrucksache im Bundesanzeiger. Auf Ersuchen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat hat die Wahlkreiskommission einen ergänzenden Bericht zu erstatten; für diesen Fall gilt Satz 2 entsprechend. (5) Werden Landesgrenzen nach den gesetzlichen Vorschriften über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes geändert, so ändern sich entsprechend auch die Grenzen der betroffenen Wahlkreise. Werden im aufnehmenden Land zwei oder mehrere Wahlkreise berührt oder wird eine Exklave eines Landes gebildet, so bestimmt sich die Wahlkreiszugehörigkeit des neuen Landesteiles nach der Wahlkreiszugehörigkeit der Gemeinde, des Gemeindebezirks oder des gemeindefreien Gebietes, denen er zugeschlagen wird. Änderungen von Landesgrenzen, die nach Ablauf des 32. Monats nach Beginn der Wahlperiode vorgenommen werden, wirken sich auf die Wahlkreiseinteilung erst in der nächsten Wahlperiode aus.“2 Gemäß § 2 Abs. 2 BWahlG ergibt sich die Wahlkreiseinteilung zur Bundestagswahl aus der Anlage zum BWahlG. Diese ist dabei Bestandteil des Gesetzes, sodass die Änderungen der Wahlkreiseinteilung abgesehen von den Fällen des § 3 Abs. 5 BWahlG eines Bundesgesetzes bedürfen.3 Die in § 3 Abs. 1 BWahlG genannten Grundsätze wurden durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter konkretisiert. So wurde 2012 festgestellt, dass § 3 Abs. 1 Nr. 3 BWahlG nicht so zu verstehen sei, dass die Bevölkerungszahl in den Wahlkreisen nur im vorgegebenen Maße abweichen darf, sondern dass auf die Zahl der Wahlberechtigten abzustellen sei. Insbesondere Minderjährige sind insoweit nicht in die Berechnung einzubeziehen.4 Andernfalls könnte durch die Einteilung der Wahlkreise der Grundsatz der Wahlgleichheit beeinträchtigt werden.5 Der Grundsatz der Wahlgleichheit verpflichtet den Gesetzgeber auch, die Wahlkreiseinteilung 2 Hervorhebung nur hier. 3 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 1, 10. 4 BVerfG, Beschluss vom 31.1.2012 – 2 BvC 3/11, NVwZ 2012, 622. 5 BVerfG, Beschluss vom 31.1.2012 – 2 BvC 3/11, NVwZ 2012, 622, 623, Rn. 57. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 6 regelmäßig zu überprüfen und bei zu hohen Abweichungen der Anzahl der Wahlbevölkerung anzupassen.6 Das Bundesverfassungsgericht erklärte zudem auch: „Insbesondere bei der Einteilung des Wahlgebiets in gleich große Wahlkreise steht dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu.“7 Den Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber selbst in § 3 Abs. 1 BWahlG in verfassungsrechtlich zulässiger Weise konkretisiert.8 Zu den genannten Grundsätzen „(…) kommt hinzu, dass jeder Wahlkreis nach dem Gedanken einer territorialen Verankerung des im Wahlkreis gewählten Abgeordneten zugleich ein zusammengehörendes und abgerundetes Ganzes bilden soll (§ BWG § 3 BWG § 3 Absatz I 1 Nrn. BWG § 3 Absatz 1 Nummer 4 und BWG § 3 Absatz 1 Nummer 5 BWG) und dass sich die historisch verwurzelten Verwaltungsgrenzen nach Möglichkeit mit den Wahlkreisgrenzen decken sollen. Die durch die Erststimme geknüpfte engere persönliche Beziehung der Wahlkreisabgeordneten zu dem Wahlkreis, in dem sie gewählt worden sind, bedarf zudem einer gewissen Kontinuität der räumlichen Gestalt des Wahlkreises.“9 2.2. Wahlkreiskommission Nach § 3 Abs. 2 BWahlG ernennt der Bundespräsident eine ständige Wahlkreiskommission (WKK). Sie besteht aus dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts und fünf weiteren Mitgliedern. Der Präsident des Statistischen Bundesamtes ist dabei das einzige Mitglied, das für die Dauer seines Hauptamtes bestellt ist.10 Das Vorschlagsrecht für die einzelnen Mitglieder der Kommission liegt beim Bundesverwaltungsgericht bzw. in der Vergangenheit bei den Bundesländern, wobei vorrangig Bundesländer vertreten waren, die über eine Vielzahl an Wahlkreisen verfügen. Bayern und Nordrhein-Westfalen waren daher fast immer 6 BVerfG, Beschluss vom 31.1.2012 – 2 BvC 3/11, NVwZ 2012, 622, 623, Rn. 60. 7 BVerfG, Beschluss vom 31.1.2012 – 2 BvC 3/11, NVwZ 2012, 622, 624, Rn. 62 (Hervorhebung nur hier). Siehe auch: BVerfG, Urteil vom 10.4.1997 – 2 BvF 1/95; BVerfGE 95, 335, 364. 8 BVerfG, Beschluss vom 18.7.2001 – 2 BvR 1252-57/99, NVwZ 2002, 71, 72; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 1, 10 und 3. 9 BVerfG, Beschluss vom 31.1.2012 – 2 BvC 3/11, NVwZ 2012, 622, 624, Rn. 64 (Hervorhebung nur hier). 10 Schorn, KommP Wahlen 2011, 58; Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 34. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 7 in der Wahlkreiskommission vertreten.11 Zumeist handelt es sich dabei um Wahlrechtsexperten aus den Innenministerien.12 Die WKK ist ein weisungsfreies, parteipolitisch unabhängiges Sachverständigengremium.13 Ihre Aufgaben sind mit der Berichterstattung (siehe Punkt 2.3.) in § 3 Abs. 3 und 4 BWahlG beschrieben. Die Wahlkreiskommission gibt sich nach ihrer Berufung eine Geschäftsordnung.14 2.3. Berichte der Wahlkreiskommission Ein der gesetzlichen Wahlkreiseinteilung vorgelagerter Vorgang ist der nach § 3 Abs. 3 BWahlG zu erstellende Bericht der Wahlkreiskommission, der dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 BWahlG innerhalb von 15 Monaten nach Beginn der Wahlperiode des Bundestages zu erstatten ist. Darin hat die WKK insbesondere über Änderungen der Bevölkerungszahlen im Wahlgebiet zu berichten und darzulegen, ob bzw. welche Änderungen der Wahlkreiseinteilung sie im Hinblick darauf für erforderlich hält (§ 3 Abs. 3 Satz 1 BWahlG). Die genaue Vorgehensweise der WKK und die zugrunde gelegten Prämissen und Methoden, aber auch Alternativen, ergeben sich aus den jeweiligen Berichten. Die Vorschläge der WKK haben allerdings keine bindende Wirkung. Sie können zwar vom Bundestag übernommen werden, dies ist aber nicht verpflichtend.15 Vielmehr dient der Bericht vor allem als Grundlage für die parlamentarischen Beratungen zur Wahlkreiseinteilung und für mögliche Gesetzesinitiativen.16 Die WKK wird insoweit nur als „unabhängiges Hilfsorgan der Exekutive“17 tätig. Des Öfteren wurden bei der Wahlkreisneueinteilung in der Vergangenheit daher Empfehlungen und Vorschläge nicht übernommen oder abgeändert.18 Schon wegen der normierten Frist für den Bericht basiert er auf Daten, die zum Zeitpunkt der eigentlichen Wahl nicht aktuell sind. Zusätzlich zu diesem Bericht hat die WKK gemäß § 3 Abs. 4 Satz 3 BWahlG auf Ersuchen des BMI einen ergänzenden Bericht zu erstatten. In diesem können auch neuere statistische Daten berücksichtigt werden. 11 Vgl. Schorn, KommP Wahlen 2011, 58. 12 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 34. 13 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 35; Seifert, Bundeswahlrecht , Kommentar, 3. Aufl. 1976, § 3 BWG, Rn. 1. 14 Vgl. Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 36. 15 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 40. 16 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 35; Seifert, Bundeswahlrecht , Kommentar, 3. Aufl. 1976, § 3 BWG, Rn. 1. 17 Seifert, Bundeswahlrecht, Kommentar, 3. Aufl. 1976, § 3 BWG, Rn. 1; siehe auch Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 35. 18 Siehe nur die kurze Darstellung in Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 43. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 8 2.4. Beteiligte bei der Einteilung der Bundestagswahlkreise Die Einteilung der Bundestagswahlkreise erfolgt durch Bundesgesetz (siehe § 2 Abs. 2 BWahlG i.V.m. der Anlage zum BWahlG) und fällt damit in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, also von Bundestag und Bundesrat.19 Aufgrund der Bedeutung der Wahlkreiseinteilung muss der Bundesgesetzgeber diese zwingend durch Gesetz selbst vornehmen und darf sie nicht der Bundesregierung oder einem Bundesminister überlassen.20 Die (endgültige) Entscheidung über die Einteilung der Wahlkreise ist daher von ihm vorzunehmen. Eine – gesetzlich verankerte – automatische Änderung der Wahlkreise ist nur in § 3 Abs. 5 BWahlG für den Fall der Änderung von Landesgrenzen vorgesehen. Ein Gesetzentwurf für die Neueinteilung der Bundestagswahlkreise kann nicht nur aus der Mitte des Bundestages, sondern auch vom Bundesrat oder der Bundesregierung vorgelegt und eingebracht werden.21 Laut der Darstellung in der Literatur sei es bis zur Bundestagswahl 2002 gängige Praxis gewesen, dass der Bundestag nach Kenntnisnahme und Diskussion des WKK-Berichts im Innenausschuss einen Grundsatzbeschluss zur Wahlkreiseinteilung gefasst und die Bundesregierung um die Vorlage eines diese Entscheidung konkretisierenden Gesetzentwurfs ersucht habe.22 Die Bundesregierung habe sich dabei grundsätzlich an den entsprechenden Grundsatzbeschluss gehalten. Der Gesetzentwurf selbst sei dann jedoch zumeist von den Regierungsfraktionen, also aus der Mitte des Bundestages eingebracht worden. In der 16. bis 18. Wahlperiode wurde das BMI, nach Diskussion des Berichts der Wahlkommission in den Regierungsfraktionen und nach Änderungswünschen , um die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs nebst Formulierungshilfe gebeten, der sodann durch die Regierungsfraktionen in den Bundestag eingebracht wurde.23 Daneben ist als Beteiligte am Verfahren der Wahlkreisneueinteilung auf Bundesebene insbesondere die bereits (unter Punkt 2.2.) erwähnte Wahlkreiskommission zu nennen, deren Berichte als Grundlage für die parlamentarische Diskussion dienen.24 Von besonderer Bedeutung sind auch die Vorarbeiten und Entwürfe zur Wahlkreiseinteilung durch das BMI als zuständiges Ressort für die Bundestagswahlen sowie die Unterlagen des Statistischen Bundesamtes.25 19 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 1, 10. 20 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 1, 10. 21 Vgl. auch Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 40. 22 Dazu und zum Folgenden Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 40. 23 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 40. 24 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 35. 25 Siehe Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 9 Schließlich ist zu erwähnen, dass nach Art. 2 des Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des BWahlG26 das BMI dazu ermächtigt ist (wie auch zuvor), die Abgrenzung von Wahlkreisen aufgrund kommunaler Gebiets- oder Namensänderungen neu zu beschreiben und im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Nach dieser Norm darf das BMI jedoch die Abgrenzung der Wahlkreise nur neu beschreiben und keine Veränderungen an den Abgrenzungen vornehmen.27 2.5. Vollständiger Neuzuschnitt der Wahlkreise Bislang haben sich die Vorschläge der Wahlkreiskommission stark an der auch durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Anforderung nach einer Wahlkreiskontinuität28 orientiert. Dies wird bei einer deutlichen Abweichung der Anzahl der Wahlkreise nicht möglich sein, sodass auch die Vorgehensweise der WKK angepasst werden muss.29 Insofern werden von der Literatur Methoden der mathematischen Optimierung vorgetragen, mit denen die Berechnung der Wahlkreise vorgenommen werden könnte.30 Die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben – jenseits der Wahlkreiskontinuität – liegt den Modellen zugrunde. „Die Reduzierung der Wahlkreise muss nach einem objektiven und damit für alle Parteien fairen Verfahren erfolgen. Für den Neuzuschnitt der Wahlkreise sollte die unparteiische Mathematik bemüht werden; nur sie verhindert das Tauziehen der Parteien um die Neugestaltung jedes einzelnen Wahlkreises. Also den politischen Kampf, ob dieser oder jener Straßenzug noch dazugehören soll.“31 3. Wahlkreiseinteilungen in der Vergangenheit Die Anzahl der Wahlkreise hat sich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mehrfach geändert. Von 242 (1949, 1953), 247 (1957, 1961), 248 (1965-1987) bis hin zu 328 (1990-1998) und schließlich seither 299 Wahlkreisen.32 Die Änderungen gingen maßgeblich auf die Wiedereingliederung des Saarlandes 1957 und die Wiedervereinigung Deutschlands zurück. 1999 wurde dann 26 BGBl. I v. 29.7.2020, S. 1473. 27 Hahlen, in: Schreiber (Hrsg.), Bundeswahlgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2017, § 3, Rn. 1. 28 BVerfG, Urteil vom 10.4.1997 – 2 BvF 1/95, BVerfGE 95, 335, 364; BVerfG, Beschluss vom 31.1.2012 – 2 BvC 3/11, BVerfGE 130, 212, 229. 29 Goderbauer/Lübbecke, ZParl 2019, 3, 4. 30 Goderbauer/Lübbecke, ZParl 2019, 3, 5 ff. 31 Hesse, So könnte der Bundestag schrumpfen, Spiegel-Online vom 21.1.2019, abrufbar unter: https://www.spiegel .de/politik/deutschland/wahlrecht-wie-der-bundestag-kleiner-werden-koennte-a-1248504.html (zuletzt aufgerufen am 15.7.2020). 32 Goderbauer/Lübbecke, ZParl 2019, 3, 9; Bundeswahlleiter, Wahlkreise, abrufbar unter: https://www.bundeswahlleiter .de/service/glossar/w/wahlkreise.html (zuletzt aufgerufen am 15.7.2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 10 die Anzahl der Wahlkreise reduziert mit dem Ziel, eine Verkleinerung des Bundestages zu erreichen .33 Die Verringerung der Wahlkreise, die zur Bundestagswahl 2002 realisiert wurde, wurde bereits mit dem 13. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 15.11.1996 beschlossen.34 Zugleich wurden die heute geltenden Grundsätze der Einteilung der Wahlkreise in § 3 Abs. 1 BWahlG beschlossen. Der Gesetzgebungsprozess zu diesen neuen Regelungen war bemerkenswert kurz und dauerte von der Einbringung des Gesetzentwurfs bis zur dritten Lesung nur knapp drei Wochen.35 4. Zeitliche Abläufe der Wahlkreiseinteilung seit 1990 Die Bundestagswahl zum 12. Deutschen Bundestag fand als erste Wahl für das wiedervereinte Deutschland am 2.12.1990 statt. Die davor notwendige Änderung des Wahlgesetzes einschließlich der Erhöhung der Wahlkreise durch Hinzutreten der Wahlkreise in den neuen Bundesländern wurde erst am 29.8.1990 verkündet, also gut drei Monate vor der Wahl.36 Die Einteilung der Wahlkreise in den neuen Bundesländern und Berlin erfolgte demnach auch erst kurzfristig vor der Wahl. Das Statistische Amt der ehemaligen DDR und das Statistische Bundesamt waren maßgeblich an dem Zuschnitt beteiligt.37 Vor der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag am 16.10.1994 legte die Wahlkreiskommission ihren Bericht am 6.2.1992 vor. Nach Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 28.10.199238 erfolgte die gesetzliche Festlegung der Wahlkreise mit dem Elften Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 21.7.1993.39 Am 29.6.1995 fasste der Bundestag den Beschluss, die Zahl der Abgeordneten auf unter 600 zu reduzieren. Die Details dazu sollten durch eine Reformkommission erarbeitet werden. Diese Reformkommission erstattete zwischen dem 8.5.1996 und dem 14.7.1997 vier Berichte, an deren Ende die Empfehlung zur Reduzierung der Wahlkreise auf 299 sowie deren Verteilung auf die Länder und der genaue Zuschnitt stand.40 Bereits am 17.1.1996 erstattete die Wahlkreiskommission ihren Bericht. Die durch Reformkommission und Wahlkreiskommission unterbreiteten Reduzierungs- 33 Zu dieser Reform ausführlich: Schreiber, ZRP 1997, 105 ff. 34 Vgl. Art. 1 Nr. 1, BGBl. I, S. 1712. 35 Schreiber, ZRP 1997, 105. 36 Gesetz zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie dem Änderungsvertrag vom 20. August 1990, vom 29.8.1990, BGBl. II Nr. 31, S. 813. 37 Schorn, KommP Wahlen 2011, 58, m.w.N. 38 BT-Drs. 12/3560. 39 Elftes Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, BGBl. I, S. 1217. 40 Vgl. dazu näher: Schorn, KommP Wahlen 2011, 58, 64 f. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 11 vorschläge wurden am 15.11.1996 in einem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes umgesetzt,41 jedoch im Wesentlichen erst mit der Geltung für die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag. Die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag am 27.9.1998 erfolgte nach nur einigen Änderungen von Wahlkreiszuschnitten, welche ebenso mit dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes geregelt wurden. Für die Wahl des 15. Deutschen Bundestages am 27.9.2002 erfolgte bereits zum Ende der 13. Wahlperiode ein Neuzuschnitt der Wahlkreise auf 299 nach den Empfehlungen der Reformkommission. Das am 1.7.1998 verkündete Wahlkreisneueinteilungsgesetz trat am Tag der konstituierenden Sitzung des 14. Deutschen Bundestages in Kraft.42 Aufgrund geänderter Bevölkerungszahlen empfahl die Wahlkreiskommission auch hier mit Bericht von 24.11.1999 und ergänzendem Bericht vom 12.7.2000 weitere Änderungen gegenüber dem Wahlkreisneueinteilungsgesetz, die mit dem Sechzehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes43 vom 27.4.2001 auch teilweise durch den Bundestag umgesetzt wurden. Die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag erfolgte am 18.9.2005. Der Bericht der Wahlkreiskommission lag am 28.11.2003 vor. Die Änderung des Wahlkreiszuschnitts erfolgte durch das Siebzehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 11.3.2004.44 Am 27.9.2009 erfolgten die Wahlen zum 17. Deutschen Bundestag. Die Wahlkreiskommission legte einen Bericht am 29.11.2006 vor und schloss einen ergänzenden Bericht am 10.7.2007 an. Diesem Bericht schloss sich der Gesetzgeber im Wesentlichen an und erließ die entsprechenden Änderungen mit dem Gesetz zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17.3.2008.45 Der 18. Deutsche Bundestag wurde am 22.9.2013 gewählt. Der Bericht der Wahlkreiskommission erfolgte zuvor am 21.1.2011. Mit dem Zwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes46 vom 12.4.2012 erfolgte ein gewisser Neuzuschnitt der Wahlkreise. Weitere Wahlrechtsänderungen in dieser Wahlperiode ließen die Wahlkreiszuschnitte unberührt. Der Wahlkreiszuschnitt für die am 24.9.2017 stattgefundene Wahl zum 19. Deutschen Bundestag erfolgte nach dem Bericht der Wahlkreiskommission aus dem Januar 2015 und dem ergänzenden Bericht vom 15.1.2016. Am 3.5.2016 wurde der Wahlkreiszuschnitt mit dem Dreiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes47 festgelegt. 41 BGBl. I, S. 1712. 42 BGBl. I, S. 1698. 43 BGBl. I, S. 701. 44 BGBl. I, S. 674. 45 BGBl. I, S. 394. Vgl. auch: Schorn, KommP Wahlen 2011, 58, 66. 46 BGBl. I, S. 518. 47 BGBl. I, S. 1062. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/20 Seite 12 Für die Wahl des 20. Deutschen Bundestages – dessen Wahltag bislang noch nicht festgelegt wurde – erfolgte bereits im Januar 2019 ein Bericht der Wahlkreiskommission und am 25.6.2020 die Verkündung des Vierundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, einschließlich eines geänderten Wahlkreiszuschnitts. Weitere Änderungen des Wahlkreiszuschnitts scheinen aufgrund der aktuellen Debatten noch möglich. 5. Tabelle – Wahlkreisfestlegung und Wahltag von 1990 bis 2017 Wahl zum Festlegung der Wahlkreise durch Änderung des Bundeswahlgesetzes vom Wahltag 12. Deutschen Bundestag 29.8.1990 2.12.1990 13. Deutschen Bundestag 21.7.1993 16.10.1994 14. Deutschen Bundestag 15.11.1996 27.9.1998 15. Deutschen Bundestag 1.7.1998 (Wahlkreisneueinteilungsgesetz), 27.4.2001 27.9.2002 16. Deutschen Bundestag 11.3.2004 18.9.2005 17. Deutschen Bundestag 17.3.2008 27.9.2009 18. Deutschen Bundestag 12.4.2012 22.9.2013 19. Deutschen Bundestag 3.5.2016 24.9.2017 ***