© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 168/19 Neutralität von Regierungsmitgliedern im politischen Meinungskampf Ausgewählte europäische Staaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/19 Seite 2 Neutralität von Regierungsmitgliedern im politischen Meinungskampf Ausgewählte europäische Staaten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 168/19 Abschluss der Arbeit: 5. September 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/19 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand enthält einen Vergleich von ausgewählten Ländern, ob eine Pflicht zur Neutralität von Regierungsmitgliedern im politischen Meinungskampf besteht. Dies betrifft z. B. die Pflicht der Regierung, einseitige parteiergreifende Stellungnahmen zugunsten oder zulasten einzelner politischer Parteien zu unterlassen. Der Sachstand basiert auf Informationen, die die jeweiligen Länder übermittelt haben. 2. Belgien In Belgien gibt es keine Regelung, die Regierungsmitgliedern generell vorschreibt, im politischen Meinungskampf neutral zu bleiben. Gleichwohl ist zu erwähnen, dass Art. 14 ff. des Gesetzes über Wahlkampfausgaben1 die Kontrolle von Öffentlichkeitsarbeit vorsieht. Dafür überprüft eine „Kontroll-Kommission“ die Vorschläge der Föderalregierung und der Präsidenten der föderalen Kammern hinsichtlich geplanter Öffentlichkeitsarbeit . Die Kontroll-Kommission gibt vor der Veröffentlichung von Informationen eine verbindliche Stellungnahme ab. Dabei prüft die Kommission auch, ob die Öffentlichkeitsarbeit das persönliche Image einer oder mehrerer Mitglieder der Föderalregierung und der Präsidenten der Föderalkammern oder das Image einer politischen Partei verbessern könnte. Im Verwaltungsrecht gilt das allgemeine Prinzip der Unvoreingenommenheit. Wenn Regierungsmitglieder eine Entscheidung treffen müssen, die die Belange ihrer eigenen Partei berühren, sind sie daher dazu angehalten, Objektivität zu wahren. 3. Frankreich In Frankreich gibt es keine Regelung, die Regierungsmitgliedern Neutralität im politischen Meinungskampf vorschreibt. Es entspricht aber den Gepflogenheiten, dass Regierungsmitglieder es vermeiden, sich zu Angelegenheiten außerhalb ihres Fachbereichs zu äußern oder parteipolitische Erklärungen für oder gegen eine bestimmte Parteistruktur abzugeben. Bestimmungen zur Wahlkampffinanzierung verbieten es Regierungsmitgliedern, öffentliche Mittel zu verwenden, um die eigene Partei zu unterstützen oder gegen Oppositionsparteien vorzugehen. 4. Niederlande In den Niederlanden gibt es keine Regelung zur Neutralitätspflicht politischer Entscheidungsträger. Gleichwohl soll allgemeinen Grundsätzen entsprechend die Grenze zur Regierungsarbeit erkennbar 1 Loi du 4 juillet 1989 relative à la limitation et au contrôle des dépenses électorales engagées pour les élections des Chambres fédérales, ainsi qu’au financement et à la comptabilité ouverte des partis politiques. http://aceproject .org/ero-en/regions/europe/BE/belgium-expenses-law/view (Französisch/Niederländisch). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/19 Seite 4 bleiben, wenn Regierungsmitglieder als Parteimitglied oder Privatperson politischen Meinungskampf betreiben. Der „Government Communications Policy“2 zufolge (Grundsätze für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung) gilt: Das Material der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung muss sachgerechte, objektive und neutrale Informationen enthalten. In den Informationsmaterialien soll es um Inhalte gehen, nicht um die individuelle Außenwirkung einzelner Regierungsmitglieder. Minister und Staatssekretäre sind in diesen Informationsmaterialien daher nicht sichtbar. Nach den „Principles of Government communication“3 (Richtlinien für die Pressearbeit) soll die Pressearbeit der Zentralregierung von den Interessen politischer Parteien getrennt werden. Hintergrund ist, dass sowohl Öffentlichkeit als auch Medien zwischen einem Politiker als Regierungsmitglied und als Parteimitglied nur schwer unterscheiden können. Daher sollen sich Regierungsmitglieder zu bestimmten Anlässen von Regierungssprechern begleiten lassen. In solchen Fällen sollen sich Regierungssprecher und Parteisprecher miteinander abstimmen. 5. Österreich In Österreich gibt es keine Regelung, die eine politische Neutralitätspflicht für politische Entscheidungsträger gesetzlich vorschreibt. Auch in der verfügbaren Literatur zum österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz4 sind keine Anhaltspunkte zu dieser Thematik aufgelistet. 6. Spanien In Spanien gibt es keine Regelung, die eine allgemeine politische Neutralitätspflicht für Regierungsmitglieder definiert. Im Vorfeld von Wahlen ist es jedoch üblich, dass für Mitglieder der Regierung die Möglichkeit besteht, Parteiinteressen zu vertreten. In diesem Zeitraum nehmen Regierungsmitglieder an jeder Debatte und jedem Interview auch als Parteivertreter teil. Im Hinblick auf den Internetauftritt verschiedener staatlicher Stellen existieren Richtlinien, die meist auch auf ein Neutralitätsgebot eingehen. So sieht beispielsweise die Richtlinie des Justizministeriums 5 vor, dass institutionelle Kanäle sich grundsätzlich auf Informationen innerhalb 2 https://www.government.nl/topics/government-communications/government-communications-policy (Englisch). 3 https://www.government.nl/topics/government-communications/documents/directives/2017/03/01/the-principles -of-government-communication (Englisch). 4 Siehe hierzu Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht: B-VG, F-VG, Grundrechte, Verfassungsgerichtsbarkeit , Kurzkommentar, 4. Auflage 2007; Klecatsky, Die österreichische Bundesverfassung: Bundes-Verfassungsgesetz in der gegenwärtigen Fassung mit wichtigen Nebenverfassungsgesetzen, 10. Auflage 2002. 5 https://www.mjusticia.gob.es/cs/Satellite/Portal/1292427711102?blobheader=application%2Fpdf&blobheadername 1=Content-Disposition&blobheadervalue1=attachment%3B+filename%3DEstrategia_Web_y_Redes_Sociales .PDF (Spanisch). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/19 Seite 5 des Geschäftsbereichs des Ministeriums beschränken sollen. Diese sollen unparteiisch, objektiv und neutral sein. 7. Schweden In Schweden gibt es keine Regelung, die Regierungsmitgliedern politische Neutralität allgemein vorschreibt. Es existiert jedoch die „Communication Policy for the Government Offices“6 (Grundsätze für die Kommunikation von Regierungsstellen), die Ziele und Kernkriterien bei Kommunikation durch die Regierungsstellen festlegt. Danach müssen die Aussagen transparent, relevant, fakten- und themenbezogen sowie verständlich sein. Das begrenzt die Kommunikation auf das Regierungsgeschäft bzw. die Regierungspolitik. Die Minister dürfen die Kommunikationskanäle der Regierungsstellen nicht nutzen, um für ihre eigene politische Agenda zu werben oder die Opposition zu kritisieren. Auch dürfen Regierungsmitglieder keine Ressourcen der Regierung für parteipolitische Zwecke nutzen. Dies umfasst neben finanziellen Mitteln etwa auch den Einsatz von Personal. Die Regeltreue der Regierung überprüft das Verfassungskommittee7 des Parlaments. Mitglieder des Parlaments können dort Fehlverhalten melden. Das Verfassungskommittee veröffentlicht hierüber jährlich einen Bericht, der Gegenstand einer Parlamentsdebatte ist. 8. Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich gibt es keine Regelung, die Regierungsmitgliedern politische Neutralität allgemein vorschreibt. Die Minister sind jedoch an das „Ministerial Code“8 gebunden, der Verhaltensregeln für Regierungsmitglieder aufstellt. Danach sollen Minister die politische Unparteilichkeit des öffentlichen Dienstes wahren, und von keinem Beamten ein Handeln verlangen dürfen, das in Konflikt mit dem „Civil Service Code“9 (Verhaltensregeln im öffentlichen Dienst) geraten könnte. Nach dem Civil Service Code müssen Beamte ihre Pflichten mit Integrität und Ehrlichkeit sowie mit Objektivität und Unparteilichkeit ausführen. Sie sollen nicht ungerechtfertigterweise bestimmte Individuen oder Interessen bevorzugen oder benachteiligen. Regierungsmitglieder dürfen daher Beamte nicht dazu auffordern, parteipolitisch zu handeln. Sonderberater sind politische Beauftragte eines Ministers, die als Beamte auf Zeit eingestuft werden, sodass auch für sie der Civil Service Code gilt. In einem Verhaltenskodex für Sonderberater10 ist 6 https://www.government.se/49baf5/contentassets/733006124df143acbc8ae762aa61a42f/communication-policyfor -the-government-offices.pdf (Englisch). 7 https://www.riksdagen.se/en/committees/the-15-parliamentary-committees/committees/the-committee-on-theconstitution / (Englisch). 8 https://www.gov.uk/government/publications/ministerial-code (Englisch). 9 https://www.gov.uk/government/publications/civil-service-code (Englisch). 10 https://www.gov.uk/government/publications/special-advisers-code-of-conduct (Englisch). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 168/19 Seite 6 ebenfalls festgelegt, dass sie die politische Unparteilichkeit des öffentlichen Dienstes wahren sollen und nichts von Beamten verlangen dürfen, das deren Verpflichtungen aus dem Civil Service Code widerspricht. Ferner müssen Sonderberater, die z. B. an einem Wahlkampf für die Parlamentswahl teilnehmen oder in einer Parteizentrale helfen wollen, zuerst von ihrer Position als Sonderberater zurücktreten. Für Lokal- und Bürgermeisterwahlen dürfen sie lokale politische Tätigkeiten mit dem Einverständnis des jeweiligen Ministers und in Abstimmung mit den Bestimmungen des Verhaltenskodex für Sonderberater übernehmen. Es entspricht einer Gepflogenheit, dass sich die Minister vor Wahlen mit der Ankündigung neuer oder langfristiger Initiativen in ihrer Eigenschaft als Minister zurückhalten. Dies verbietet es Ministern aber nicht, in der Rolle als Politiker Wahlkampf hinsichtlich des eigenen Parteiprogramms zu führen. Der Ministerial Code bestimmt allerdings, dass Minister keine Ressourcen der Regierung für parteipolitische Zwecke nutzen dürfen: „Offizielle Einrichtungen und Ressourcen dürfen nicht für die Verbreitung von Material verwendet werden, das im Wesentlichen parteipolitisch ist. […] Es sollte besonders darauf geachtet werden, dass offizielle Konten in sozialen Medien nicht für parteipolitische Zwecke oder Wahlkreiszwecke verwendet werden.“11 *** 11 Inoffizielle deutsche Übersetzung des folgenden englischen Originals (Nr. 6.3 des Ministerial Codes): „Official facilities and resources may not be used for the dissemination of material which is essentially party political. […] Particular care should be taken to ensure that official social media accounts are not used for party political or constituency purposes.“