© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 167/16 Einzelne Aufenthaltstitel für erwerbstätige und nicht erwerbstätige türkische Staatsangehörige Nachfrage zu WD 3 - 3000 - 159/16 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 167/16 Seite 2 Einzelne Aufenthaltstitel für erwerbstätige und nicht erwerbstätige türkische Staatsangehörige Nachfrage zu WD 3 – 3000 – 159/16 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 167/16 Abschluss der Arbeit: 22.06.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 167/16 Seite 3 1. Einleitung In der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 159/16 wurde die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger in Bezug auf bestimmte Aufenthaltszwecke (Ausübung einer Erwerbstätigkeit und Familiennachzug) behandelt.1 Auch die Möglichkeit, Drittstaatsangehörigen ohne Vorliegen eines besonderen, im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) näher geregelten Aufenthaltszwecks einen Aufenthaltstitel zu gewähren (z.B. Aufenthaltserlaubnis für wohlhabende Ausländer), wurde erörtert . Zu diesen Ausführungen haben sich Nachfragen ergeben, die sich auf einzelne Aufenthaltstitel für erwerbstätige und nicht erwerbstätige türkische Staatsangehörige beziehen (Blaue Karte EU, Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG) sowie die Voraussetzungen des Familiennachzugs betreffen. 2. Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz Die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung von türkischen Staatsangehörigen richtet sich nach dem für Drittstaatsangehörige geltenden Aufenthaltsgesetz sowie nach dem EU-Assoziationsrecht. Die Privilegierungen des EU-Assoziationsrechts greifen grundsätzlich nicht für die Ersteinreise bzw. für den Erstaufenthalt. Auch türkische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen müssen daher zunächst die allgemeinen Voraussetzungen des Aufenthaltsgesetzes für die Einreise und den Aufenthalt in der Bundesrepublik erfüllen. 2.1. Blaue Karte EU Für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sieht das Aufenthaltsgesetz verschiedene Rechtsgrundlagen vor. Zu unterscheiden ist dabei zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit. Soweit es um die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit geht, kommt neben der Arbeitserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung nach § 18 AufenthG die Erteilung der Blauen Karte EU nach § 19a AufenthG in Betracht. Die Erteilung der Blauen Karte EU setzt zunächst nach § 19a Abs. 1 AufenthG voraus, dass der Ausländer über einen Hochschulabschluss verfügt (Nr. 1), die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat (Nr. 2) und der Ausländer ein Mindestgehalt erhält (Nr. 3). Die Höhe des Mindestgehalts ist nach § 19a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu bestimmen. Insoweit gilt das Mindesteinkommen aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) Beschäftigungsverordnung (BeschVO), und zwar in Höhe von „zwei Dritteln der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung“ (zurzeit 49.600 Euro).2 Für Mangelberufe3 kommt 1 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zur aufenthaltsrechtlichen Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger (WD 3 - 3000 - 159/16). 2 Siehe dazu auch Sußmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht (11. Aufl., 2016), Rn. 26 f. zu § 19a AufenthG. In den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) BeschVO entfällt zudem das Zustimmungserfordernis der Bundesagentur für Arbeit. 3 In § 2 Abs. 2 S. 1 BeschVO wird Bezug genommen auf „Berufe, die zu den Gruppen 21, 221 oder 25 nach der Empfehlung der Kommission vom 29. Oktober 2009 über die Verwendung der Internationalen Standardklassifikation der Berufe (ABl. L 292 vom 10.11.2009, S. 31)“ gehören. Darunter fallen z.B. Ärzte und Fachkräfte für Informationstechnologie , vgl. die genannte Empfehlung der Kommission, abrufbar unter: http://www.zuwanderung.sachsen .de/download/Zuwanderung/ISCO-08.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 167/16 Seite 4 nach § 2 Abs. 2 S. 1 BeschVO eine niedrigere Gehaltsuntergrenze zur Anwendung, und zwar in Höhe von „52 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung“ (zurzeit 38.688 Euro). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann nach § 19a Abs. 2 Nr. 2 und 3 AufenthG ferner durch Rechtsverordnung regeln, dass und welche Berufe bei Vorliegen von fünfjähriger Berufserfahrung das Erfordernis eines Hochschulabschlusses ersetzen können und bei welchen Berufen die Blaue Karte EU zu versagen ist, da es sich um Mangelberufe im Herkunftsland handelt. Von dieser Möglichkeit hat der zuständige Verordnungsgeber allerdings bisher keinen Gebrauch gemacht. 2.2. Wohlhabende Nichterwerbstätige Die Vorschrift in § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG ermöglicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch für Zwecke, die nicht gesondert im Aufenthaltsgesetz geregelt sind. In der Kommentarliteratur wird insoweit u.a. auf die Gruppe der wohlhabenden Nichterwerbstätigen verwiesen, ohne jedoch die Erlaubniserteilung für diese Gruppe näher zu konkretisieren.4 Aus einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart aus dem Jahr 2010, der sich auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für eine amerikanische Rentnerin mit einer monatlichen Rente in Höhe von 1.107 $ bezieht, ergibt sich, dass jedenfalls diesem Gericht zufolge ein bestimmtes Mindestvermögen nicht erforderlich sein dürfte, wenn die Sicherung des Lebensunterhalts nach den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG gewährleistet ist. Das Verwaltungsgericht Stuttgart führt insoweit aus: „Ebenso wie der Antragsgegner, geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen insbesondere die des § § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen, so dass vorliegend voraussichtlich die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG tatbestandlich gegeben sind, so dass eine Ermessensentscheidung durch den Rechtsanwender erforderlich wird. Im angegriffenen Bescheid wird die negative Ausübung des Ermessens damit begründet, dass es der Antragstellerin an Vermögen fehle, so dass sie nicht aus dessen Erträgen leben könne. Dies begegnet rechtlichen Zweifeln, da als Vermögen wohl nicht nur ein bestehender eigener Kapitalstock in Betracht kommt, sondern auch als Vermögen Ansprüche auf wiederkehrende Zahlungen angesehen werden kann, die aus einem fremden Kapitalstock stammen.“5 4 Vgl. Maor, in: Kluth/Heusch, Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht (Stand: Februar 2016), Rn. 11 zu § 7 AufenthG: „Beispiele für die Anwendung des § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG sind etwa Fälle, in denen sich ein wohlhabender Ausländer in Deutschland niederlassen möchte, um hier von seinem Vermögen zu leben (…).“; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht (10. Aufl., 2013), Rn. 24 zu § 7 AufenthG: „Zu dieser Personengruppe (erg. der Nichterwerbstätigen) gehören z.B. Millionäre oder Pensionäre, die hier im eigenen Haus, einer Mietwohnung oder einer Seniorenresidenz ständig oder gelegentlich wohnen u. einen Teil ihres Lebens verbringen wollen.“; Hailbronner, Ausländerrecht (Loseblatt-Slg., Stand: August 2008), Rn. 18 zu § 7 AufenthG: „In Frage kommt danach z.B. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an nicht Erwerbstätige, die ihren Lebensunterhalt aus eigenem Vermögen bestreiten oder die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Drittausländer mit Wohnsitz in einem andere Staat, die in Deutschland eine Ferienwohnung unterhalten (…).“ 5 VG Stuttgart, Beschluss vom 10.06.2010, Az.: 2 K 1260/10, BeckRS 2010, 51425. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 167/16 Seite 5 2.3. Familiennachzug Wie in der in Bezug genommen Ausarbeitung ausgeführt, gehört zu den grundsätzlichen Voraussetzungen für den Familiennachzug zu einem Ausländer (auch zu türkischen Staatsangehörigen), dass der Ausländer, zu dem ein Familienangehöriger nachziehen möchte (Stammberechtigter), über einen bestimmten Aufenthaltstitel verfügt (z.B. eine Aufenthaltserlaubnis) und ihm ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht, § 29 Abs. 1 AufenthG.6 Nach § 27 Abs. 1a AufenthG wird ein Familiennachzug in den Fällen der sog. Scheinehe (Nr. 1) oder Zwangsehe (Nr. 2) nicht zugelassen. In den Fällen der Lebenspartnerschaft ist der Familiennachzug ausdrücklich möglich, § 27 Abs. 2 AufenthG. Im Übrigen sind für den Ehegattennachzug die besonderen Voraussetzungen des § 30 AufenthG zu beachten. Dabei sind gewisse Integrationsanforderungen zu beachten. Grundsätzlich müssen sich Ehegatten auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können, § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Darüber hinaus sind die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG zu beachten (z.B. Sicherung des Lebensunterhalts). Die zulässigen Aufenthaltstitel des Stammberechtigten für den Familiennachzug sind in § 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geregelt. Zu den zulässigen Aufenthaltstiteln gehören u.a. die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis muss nicht für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt worden sein. In Betracht kommt z.B. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG (abhängige Erwerbstätigkeit) oder nach § 21 AufenthG (selbständige Erwerbstätigkeit). 3. Einzelne Privilegierungen des EU-Assoziationsrechts Das EU-Assoziationsrecht begründet keine unmittelbaren Privilegierungen des Erstaufenthalts und des Familiennachzugs. Daher gelten insoweit die allgemeinen Anforderungen des Aufenthaltsgesetzes . Einzelne Privilegierungen können sich allerdings aus den sog. Stillstandsklauseln ergeben.7 Türkische Staatsangehörige, die einer selbständigen Tätigkeit in der Türkei nachgehen, können sich z.B. auf das Verschlechterungsverbot in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit in Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll8 berufen und die visumfreie Einreise ihrer Angestellten in die Bundesrepublik geltend machen. Eine visumfreie Einreise ist ferner für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen möglich (z.B. künstlerische Darbietungen).9 Für den Familiennachzug muss der stammberechtigte Ausländer nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aber über einen bestimmten Aufenthaltstitel verfügen (siehe Ziff. 2.3). Die visumfreie Einreise in die Bundesrepublik reicht insoweit nicht aus. Türkische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik einer selbständigen Tätigkeit nachgehen, können sich auf das Verschlechterungsverbot in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit in Art. 41 6 Vgl. Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 6 f. 7 Vgl. Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 10 ff. 8 Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12.09.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation vom 23.11.1970, BGBl. II 1972, 385. 9 Zu weiteren visumfreien Dienstleistungen siehe Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 167/16 Seite 6 Abs. 1 Zusatzprotokoll berufen. Dieses Verschlechterungsverbot wirkte sich nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Dogan10 auf die gesetzliche Ausgestaltung der Sprachanforderungen für den Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aus.11 Das Erfordernis der Sprachanforderungen wurde insofern gelockert, als nunmehr seine Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände zu prüfen ist. Diese Lockerung gilt nach § 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 AufenthG aber nicht nur für den Ehegattennachzug zu türkischen Staatsangehörigen, sondern allgemein für den Ehegattennachzug zu Drittstaatsangehörigen. Ende der Bearbeitung 10 EuGH, Rs. C-138/13. 11 Vgl. Wissenschaftliche Dienste (Fn. 1), 11.