© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 166/20 Fragen zum Schengener Informationssystem (SIS II) Einreise- und Aufenthaltsverweigerungen aufgrund Art. 24 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1987/2006 (Gefahr für die öffentliche Ordnung und nationale Sicherheit) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation und Beschluss 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung , den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation wurde das Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II) eingerichtet. Auf Grundlage der Verordnung können Daten zu Drittstaatsangehörigen, d. h. solchen Personen, die weder Bürger der Europäischen Union (EU) noch Angehörige eines Drittstaates sind, mit deren Staat die EU ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen hat, zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben werden. Unter Ausschreibung ist ein in das SIS II eingegebener Datensatz zu verstehen, der den zuständigen Behörden die Identifizierung einer Person im Hinblick auf die Ergreifung spezifischer Maßnahmen ermöglicht, Art. 3 a) Verordnung (EG) 1987/2006. Für den Betrieb eines nationalen SIS II ist jeder Mitgliedstaat selbst verantwortlich, Art. 6 Verordnung (EG) 1987/2006. Eine Ausschreibung zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung darf nur auf der Grundlage einer individuellen Bewertung ergehen; Rechtsbehelfe gegen eine Ausschreibung richten sich nach dem jeweiligen nationalen Recht, Art. 24 Abs. 1 Verordnung (EG) 1987/2006. Eine solche Ausschreibung wird gemäß Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 dann in das SIS II eingegeben, wenn der Drittstaatsangehörige als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eingestuft wird. Dies ist ausweislich der Verordnung insbesondere der Fall bei Personen, – die in einem EU-Land wegen einer Straftat verurteilt worden sind, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist; – gegen die ein begründeter Verdacht besteht, eine schwere Straftat begangen zu haben, oder gegen die konkrete Hinweise bestehen, dass sie eine solche Tat planen. Der Sachstand beantwortet verschiedene Fragen zum praktischen Umgang mit Ausschreibungen zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung aufgrund einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit. 2. Fragstellung 2.1. Wie viele Personen (wie viele hiervon aus Mitgliedstaaten des Europarates) wurden auf der Grundlage der in SIS II genannten Ausschreibung „Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit“ durch staatliche Stellen an der Einreise nach Deutschland gehindert ? Die Bundespolizei erhebt statistische Daten (Anzahl der zurückgewiesenen Personen und die Gründe) nach Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) insgesamt. Eine differenziertere Erfassung der der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS II zu Grunde liegenden Tatbestände (hier: nach Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006) erfolgt dabei jedoch nicht. Insofern liegen die Daten im Sinne der Fragestellung nicht vor. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 166/20 Seite 4 Es können auch keine Angaben dazu gemacht werden, wie vielen Personen aufgrund einer Ausschreibung im SIS II gemäß Art. 24 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1987/2006 ein Visum verweigert wurde, da die Gründe der Ablehnung eines Visumantrags statistisch nicht erfasst werden. 2.2. Welches staatliche Organ hat diese Entscheidung getroffen? Entscheidungen über die Verweigerung der Einreise treffen die Bundespolizei und die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden. 2.3. Gibt es Kriterien oder Empfehlungen, um Handlungen, Verstöße und zugängliche Informationen bezüglich einer Person als „Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit “ einordnen zu können? Die Entscheidung über eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS II wird individuell anhand der Tatbestände des Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 getroffen. Das Bundesverfassungsgericht setzt für eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung aus Gründen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraus, dass die mit der Anwesenheit des Ausländers verbundene Gefahr eine gewisse Erheblichkeit haben muss. Die mit der Ausschreibung im Schengener Informationssystem verfolgten Belange sind mit den grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Person abzuwägen (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 1908/03). 2.4. Auf welcher Ebene werden diese Entscheidungen in Deutschland getroffen? Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung im SIS II nach Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 nimmt die Bundespolizei vor. 2.5. Welches Gesetz regelt in Deutschland die Auslösung der SIS II-Ausschreibung „Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit“? Dies ist in Deutschland im Bundespolizeigesetz geregelt; so obliegt es der Bundespolizei nach § 30 Abs. 5 des Bundespolizeigesetzes, Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung vorzunehmen. 2.6. Kommt Personen, die von einer SIS II-Ausschreibung betroffen sind, ein effektiver Rechtsschutz zu? Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt ist in Deutschland in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz verankert. Diese grundgesetzliche Garantie umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. Effektiver Rechtsschutz wird im Zusammenhang mit Ausschreibungen im SIS II zunächst durch das Auskunftsrecht gemäß Art. 41 Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 bzw. Art. 58 Beschluss des 2007/533/JI-Rates in Verbindung mit §§ 57 ff. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie das Recht auf Anrufung der oder des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit gemäß § 60 BDSG gewährleistet. Die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln ist in Art. 43 Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 fixiert. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 166/20 Seite 5 2.7. Vor welchem Gericht oder vor welcher staatlichen Stelle kann dieser Rechtsschutz begehrt werden? Rechtsschutz kann in Deutschland vor den zuständigen Verwaltungsgerichten begehrt werden (in der Regel ist das Verwaltungsgericht am Sitz der ausschreibenden Bundespolizeibehörde zuständig ). Für die Bearbeitung von Auskunftsersuchen ist grundsätzlich das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig. Die zur Bearbeitung eines Auskunftsersuchens erforderlichen Unterlagen können direkt an das BKA oder alternativ an den/die Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit übermittelt werden. Basierend auf bzw. in Verbindung mit einem Ersuchen um Auskunft besteht das Recht auf Löschung oder Berichtigung der gespeicherten Daten, welches ebenfalls gegenüber dem BKA bzw. der/dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit geltend zu machen ist. Gegen den in Erledigung des Auskunfts- bzw. Löschungsersuchens ergehenden Bescheid kann Widerspruch erhoben bzw. Klage beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht (Sitz der jeweiligen Behörde) eingereicht werden. Auch die Möglichkeit der Geltendmachung einstweiligen Rechtsschutzes steht betroffenen Personen zur Verfügung. Unabhängig von der Beschreitung des ordentlichen Rechtsweges kann eine betroffene Person gemäß § 60 BDSG jederzeit den oder die Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit anrufen. 2.8. Wie ist die statistische Verteilung zwischen stattgebenden und abweisenden Entscheidungen? Dazu liegen keine Daten vor, da keine statistische Erfassung im Sinne der Fragestellung geführt wird. 2.9. In wie viel Prozent der Fälle, in denen Personen einen Anspruch wegen einer unrechtmäßigen Ausschreibung gestellt haben, wurde eine Entschädigung (einschließlich immaterieller Schäden) zugesprochen? Dazu liegen keine Daten vor, da keine statistische Erfassung im Sinne der Fragestellung geführt wird. ***