Einzelfragen zur Beteiligung von Bürgern und ihren Interessenverbänden im Gesetzgebungsverfahren - Sachstand - © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 166/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Einzelfragen zur Beteiligung von Bürgern und ihren Interessenverbänden im Gesetzgebungsverfahren Sachstand WD 3 - 3000 - 166/09 Abschluss der Arbeit: 29. Mai 2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Beteiligung von Interessenverbänden 4 1.1. Regierungsebene 4 1.2. Ausschüsse des Deutschen Bundestages 4 1.3. Lobbyliste 5 2. Beratung durch unabhängige Gremien 5 2.1. Ethikrat 5 2.2. Beiräte 6 3. Wirkungsforschung 6 4. Nutzung interaktiver Medien 7 4.1. Deutscher Bundestag 7 4.1.1. Internetpräsenz 7 4.1.2. Öffentliche Petitionen 8 4.2. Mitglieder des Bundestages 8 - 4 - 1 Beteiligung von Interessenverbänden Verbände und Organisationen, die berechtigte Interessen von Gruppen der Gesellschaft vertreten, verfügen über ein erhebliches Maß an Sachkunde in dem betreffenden Bereich . Ihre Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren ist für den Gesetzgeber unentbehrlich , denn sie stellt sicher, dass er Belange der betroffenen Gruppen rechtzeitig erkennt und berücksichtigen kann. 1.1. Regierungsebene Bereits vor der Zuleitung eines Gesetzesentwurfes an den Deutschen Bundestag werden Organisationen und Gruppen, die voraussichtlich von dem geplanten Gesetz betroffen sein werden, zu den Beratungen in den Fachministerien hinzugezogen. Interessengruppierungen nehmen damit schon in diesem frühen Stadium Einfluss auf den Gesetzentwurf . 1.2. Ausschüsse des Deutschen Bundestages Auch im anschließenden parlamentarischen Verfahren werden beim Deutschen Bundestag die Vertreter der betroffenen Interessengruppen am Gesetzgebungsverfahren regelmäßig beteiligt. Zum einen arbeiten die Fachausschüsse in ständiger Fühlungnahme nicht nur mit der Bundesregierung, sondern auch mit den einschlägigen Verbänden und Organisationen zusammen. Sie können mit Mehrheitsbeschluss jederzeit Sachverständige oder Verbands - oder Gewerkschaftsvertreter zur Beratung in regelmäßig nichtöffentlicher Sitzung hinzuziehen oder deren schriftliche Äußerungen zum Gegenstand der Beratung machen. Daneben besteht nach § 70 der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) die als Minderheitsrecht ausgestaltete Möglichkeit einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen , Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen. Bei vom Plenum überwiesenen Vorlagen muss eine öffentliche Anhörung durchgeführt werden, wenn mindestens ein Viertel der Ausschussmitglieder dies verlangt. Die meisten öffentlichen Anhörungen werden daher von der Opposition initiiert. Die Auswahl der anzuhörenden Sachverständigen oder Interessenvertreter erfolgt durch die im Ausschuss vertretenen Fraktionen nach deren Stärke. - 5 - Die öffentliche Anhörung hat zusätzlich den Zweck, Aufmerksamkeit in Presse und Medien für das betreffende Vorhaben zu gewinnen und die politische Auseinandersetzung darüber anzuregen. Die Anhörung führt damit zu einer Verbreiterung der Diskussion und auf diesem Wege zu einer besseren Einbeziehung der Interessengruppen. Von der öffentlichen Anhörung wird vor allem bei politisch umstrittenen Gesetzgebungsvorhaben und Entwürfen von besonderer Bedeutung Gebrauch gemacht; sie entwickelt sich mehr und mehr zum Regelfall. Die Zahl der öffentlichen Anhörungen hat im Laufe der Zeit deutlich zugenommen. Betrug diese in der 9. Wahlperiode (1980 - 1983) noch 51, stieg sie in der 11. Wahlperiode (1987 - 1990) auf 235 und lag in der um ein Jahr verkürzten 15. Wahlperiode (2002 - 2005) bei 300. 1.3. Lobbyliste Verbände und Vereine haben die Möglichkeit, sich offiziell beim Deutschen Bundestag registrieren lassen, um von den Ausschüssen zu Anhörungen geladen werden zu können . Die “öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“ wird seit 1972 geführt und jährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht. Mit der Registrierung sind keine Rechte und Pflichten verbunden, insbesondere wird kein Anspruch auf Anhörung begründet (Anlage 2 Abs. 4 GOBT). Die Zahl der registrierten Verbände ist seit Erscheinen der ersten Lobbyliste kontinuierlich angewachsen. Derzeit umfasst das Register rund 2.100 Eintragungen. 2. Beratung durch unabhängige Gremien In Deutschland existiert keine dem “Conseil économique, social et environnemental“ entsprechende zentrale Institution zur Vertretung von Bürgerinteressen gegenüber Bundesregierung und Bundestag. Jedoch gibt es verschiedene institutionalisierte unabhängige Gremien, die Bundesregierung und Bundestag bei der Gesetzgebung beraten. 2.1. Ethikrat Der Deutsche Ethikrat, zu dessen 26 Mitgliedern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen gehören, verfolgt die ethischen, gesellschaftlichen , naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissen- - 6 - schaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben (§ 2 Ethikratgesetz - EthRG). Er wird als unabhängiger Sachverständigenrat sowohl im Auftrag als auch aus eigenem Entschluss für den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung tätig. Um die Unabhängigkeit des Gremiums zu wahren, dürfen die Mitglieder des Ethikrats während ihrer Mitgliedschaft nicht gleichzeitig in Parlament oder Regierung auf Bundes- oder Länderebene tätig sein. 2.2. Beiräte Eine weitere wichtige Institution sind die Beiräte, die bei verschiedenen Bundesministerien angesiedelt sind. Es handelt sich um unabhängige Gremien, die in beratender Funktion für die Minister oder Ministerien tätig werden. Sie tagen regelmäßig und erstellen Empfehlungen für Regierungshandeln und Gesetzgebung. Die wissenschaftlichen Beiräte sind mit Wissenschaftlern besetzt, die in den betreffenden Bereichen über Expertenwissen verfügen; es gibt es aber auch zahlreiche Beiräte, in denen darüber hinaus fachlich kompetente Personen Bürgerinteressen einbringen. Es handelt sich nicht um Vertreter von Verbänden, sondern um unabhängige Personen, die nicht weisungsgebunden sind. Beispiele sind der Mittelstandsbeirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, der sich mit der Lage und den Perspektiven kleiner und mittlerer Unternehmen befasst, sowie der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesiedelte Beirat „Für eine neue Kultur der Arbeit“, der es sich zum Ziel gemacht hat ein Aktionsprogramm zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erstellen. Die Beiräte dienen nicht nur dazu, der Politik ein wissenschaftliches Fundament zu verschaffen , sondern haben auch die Aufgabe, die einseitige Informationstätigkeit der Lobbyisten durch Aktivitäten zu ergänzen, die das Wohl nicht organisierter Gruppen im Auge haben. 3. Wirkungsforschung Eine allgemeine Prüfungs- und Evaluierungspflicht für Gesetze gibt es in Deutschland nicht. Ein wichtiges Instrument der Planung und Evaluierung von Gesetzen stellen die Berichte der Bundesregierung dar. Regierungsberichte werden in der Regel durch einen Mehrheitsbeschluss des Bundestages veranlasst. Häufig werden sie ausdrücklich mit dem - 7 - Ziel angefordert, genauere Kenntnis über Erfahrungen beim Vollzug und über die Wirksamkeit sowie über Nebenwirkungen von Gesetzen und Programmen zu erhalten. Sie enthalten meist eine Abschätzung der bisherigen und zu erwartenden Entwicklung und dienen damit als Arbeitsgrundlage für die Prüfung und Entwicklung gesetzgeberischer Maßnahmen. Berichte über die Umsetzung neu eingeführter Einzelbestimmungen werden zuweilen im Gesetz selbst angeordnet. Dies ist zum Beispiel bei den im Rahmen der jüngsten Arbeitsmarktreformen neu eingeführten arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) häufig der Fall. Berichte werden aber nicht nur zu bestimmten gesetzlichen Regelungen und Programmen erstellt, sondern auch zu Aufgabengebieten eines Ministeriums, wie beispielsweise der Agrarbericht. Zudem gibt es ressortübergreifende Berichte, die ein umfangreiches Politikfeld umfassen; Beispiele sind der Subventions- und Energiebericht. Etwa die Hälfte der Berichte erfolgt periodisch, das heißt in einem festgelegten Turnus von üblicherweise ein oder zwei Jahren. Interessenverbände sind in die Evaluierung der Gesetze nicht formell eingebunden, ihre Erfahrungen über die Wirkung gesetzgeberischer Maßnahmen auf die betroffenen Gruppen finden jedoch gleichwohl Eingang in die Berichterstattung. 4. Nutzung interaktiver Medien 4.1. Deutscher Bundestag 4.1.1. Internetpräsenz Der Deutsche Bundestag bietet auf seiner Website www.bundestag.de lediglich die Möglichkeit, mittels eines Kontaktformulars Fragen zu stellen oder Bemerkungen zu machen. Ein Forum oder Webblog gibt es nicht. Ein besonderes Kontaktformular hat die Kinderkommission des Deutschen Bundestags, die die Belange der Kinder im Bundestag vertritt, in ihrer Internetpräsenz eingerichtet: Über den „virtuellen Briefkasten“ (https://www.bundestag.de/interakt/kinder/index.jsp) können Kinder ihre Fragen an die Kommissionsmitglieder richten und ihre Probleme darstellen. Dem Ziel, Jugendliche und junge Wähler für Politik und Gesetzgebung zu interessieren, dient ein besonderer Internetauftritt des Deutschen Bundestages für Jugendliche: http://www.mitmischen.de. - 8 - 4.1.2. Öffentliche Petitionen Ein traditionelles Instrument zur Beteiligung auch des einzelnen Bürgers an der Gesetzgebung ist das Petitionsrecht nach Art. 17 des Grundgesetzes, das jedermann einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen die Möglichkeit gibt, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an den Deutschen Bundestag zu wenden. Seit September 2005 ermöglicht der Bundestag die Einreichung, Veröffentlichung, Mitzeichnung und Diskussion von Petitionen im Internet. Dieser Modellversuch „Öffentliche Petitionen“ war Ausgangspunkt für eine Beschäftigung des „Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag“ mit dem Einsatz des Internets im Petitionswesen . Die Ergebnisse der umfassenden Evaluation des Modellversuchs zeigten bei allen Beteiligten und Befragten eine positive Bewertung der für einen begrenzten Kreis von Petitionen dadurch erreichten größeren Transparenz und Öffentlichkeit, durch die ein Raum für den rationalen Austausch von Argumenten in Petitionsangelegenheiten geschaffen wurde. 4.2. Mitglieder des Bundestages Die Zahl von Parlamentarier-Blogs hat seit dem Bundestagswahlkampf 2005 rapide zugenommen. Eine Übersicht über entsprechende Aktivitäten von Mitgliedern des Bundestages auf den von diesen eigenverantwortlich gestalteten und unterhaltenen Internetauftritten liegt dem Deutschen Bundestag nicht vor. Neben individuellen Blogs in der eigenen Internetpräsenz beteiligen sich Abgeordnete und Kandidaten verstärkt als Blogger an Angeboten von unabhängigen Anbietern. Ein populäres Beispiel ist das privat betriebene Internetportal www.abgeordnetenwatch.de, auf dessen Plattform Bürger ihre Abgeordneten direkt befragen können und die Antworten für jedermann zugänglich veröffentlicht werden. gez.