Der Einsatz der Streitkräfte im Innern in ausgewählten europäischen Staaten - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 166/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Der Einsatz der Streitkräfte im Innern in ausgewählten europäischen Staaten Ausarbeitung WD 3 - 166/07 Abschluss der Arbeit: 02.05.2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Belgien 3 3. Dänemark 4 4. Frankreich 4 5. Großbritannien 5 6. Niederlande 6 7. Österreich 7 8. Polen 8 9. Tschechien 9 10. Schweiz 9 - 3 - 1. Einleitung Die vorliegende Arbeit stellt die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen des Streitkräfteeinsatzes im Innern in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz dar. In den einzelnen Verfassungen1 finden sich unterschiedlich detaillierte Regelungen zum Einsatz der Streitkräfte. 2. Belgien Die Verfassung Belgiens2 bestimmt im Art. 182, dass die Rekrutierung der Armee, die Rechte und Pflichten von Militärpersonen durch ein Gesetz bestimmt werden. Nach Art. 167 Absatz 1 ist der König der Befehlshaber der Streitkräfte; er stellt zudem den Kriegszustand sowie das Ende der Kampfhandlungen fest. Weitere verfassungsrechtliche Normen über den Einsatz der Streitkräfte in Inneren gehen aus der belgischen Verfassung nicht hervor. Die Gesetzgebung bezüglich des Einsatzes der Armee unterscheidet zwischen Einsätzen in Kriegs- und in Friedenszeiten.3 In Friedenszeiten dürfen die Streitkräfte im Innern zum Zwecke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zu humanitären Operationen eingesetzt werden. Der Einsatz der Streitkräfte zum Zwecke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist definiert als „Operationen, in deren Rahmen das Militär auf nationalem Territorium eingesetzt wird, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.“4 Die Entscheidung zum Einsatz des Militärs kann von der Regierung, dem Verteidigungsminister oder den kommunalen Behörden, die zur Anforderung der Armee ermächtigt sind5, insbesondere der Provinzgouverneure und der Bürgermeister, getroffen werden. Wenn die Streitkräfte bei humanitären Operationen eingesetzt werden, „beteiligen sie sich an Unterstützungsmaßnahmen mit dem Ziel, der Bevölkerung in einer Notlage Hilfe zu leisten.“6 Die Entscheidung zur Durchführung dieser Hilfsoperationen im Inland 1 Im Folgenden sind alle Verfassungsnormen entnommen aus: Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, Textausgabe, 6. erweiterte Auflage, Stand 1. Januar 2005, DTV, München. 2 Die koordinierte Verfassung Belgiens vom 17. Februar 1994, zuletzt geändert am 17. Dezember 2002. 3 Artikel 3, „Loi du 20 mai 1994 relative à la mise en oeuvre des forces armées, à la mise en condition , ainsi qu’aux périodes et positions dans lesquelles le miltaire peut se trouver“. 4 Artikel 2, „Arrêté royal du 6 juillet 1994 potant determination des forces d’engagement opérationnel et des activités préparatoires en vue de la mise en oeuvre des forces armées“. 5 Artikel 1, Absatz 2, „Arrêté royal du 6 juillet 1994“. 6 Artikel 3 § 1.2 b), „Loi du 20 mai 1994“, geändert durch „Loi du 27 mars 2003“. - 4 - wird vom Verteidigungsminister oder den kommunalen Behörden, die zur Anforderung der Armee ermächtigt sind, getroffen. 3. Dänemark Die dänische Verfassung7 sieht den Einsatz von Streitkräften auch bei inneren Unruhen vor. In § 80 ist bestimmt, dass die „bewaffnete Macht“ bei Volksaufläufen erst einschreiten darf, „nachdem die Menge dreimal im Namen von König und Gesetz vergebens zum Auseinandergehen aufgefordert worden ist“. Der Einsatz der dänischen Streitkräfte im Inneren zur Unterstützung der Zivilbehörden erfolgt auf verschiedenen Rechtsgrundlagen.8 Die Unterstützung fällt in zwei Kategorien . Die erste Kategorie umfasst Aufgaben, die Teil der Routinetätigkeiten der Streitkräfte sind. Diese Tätigkeiten umfassen beispielsweise Such- und Rettungsdienste, Seeüberwachung , Eisaufklärung, Umweltüberwachung sowie Umweltschutz. Die zweite Kategorie bezieht sich auf die Unterstützung bei besonderen Ereignissen, die in der Regel auf Ersuchen von Zivilbehörden geleistet wird. Besondere Ereignisse sind beispielsweise Ambulanzdienstleistungen, die bei Schneestürmen von Kampffahrzeugen erbracht werden, sowie die Bereitstellung von Schiffen, Hubschraubern usw. für Polizei - und Zolldienststellen. In manchen Fällen wird die Unterstützung im Rahmen besonderer Vereinbarungen zwischen den Streitkräften und den zuständigen Behörden gewährt. In anderen Fällen ist die Verpflichtung zur Gewährung von Unterstützung gesetzlich festgelegt. 4. Frankreich Die Verfassung der französischen Republik9 sieht in Art. 34 Absatz 3 vor, dass die Grundsätze für „die allgemeine Organisation der Landesverteidigung“ durch Gesetz bestimmt werden. Nach Art. 16 trifft der Präsident bei Bedrohung der Republik10 nach förmlicher Beratung mit dem Premierminister, den Präsidenten der Kammern und dem Verfassungsrat „die durch diese Umstände erforderlichen Maßnahmen“. Weitere Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte in Inneren sind in der französischen Verfassung nicht enthalten. 7 Vom 5. Juni 1953. 8 9 Vom 4. Oktober 1958, zuletzt geändert am 1. März 2005. 10 Im Wortlaut: „die Institutionen der Republik, die Unabhängigkeit der Nation die Integrität ihres Staatsgebietes oder die Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen schwer oder unmittelbar bedroht sind und wenn die ordnungsgemäße Tätigkeit der verfassungsmäßigen öffentlichen Gewalten unterbrochen ist…“ - 5 - 5. Großbritannien Laut des 1998 vom britischen Verteidigungsministerium herausgegebenen „Strategic Defence Review“ (SDR)11 kommt den britischen Streitkräften unter anderem die Aufgabe der „peacetime security“ zu. Dazu gehören vor allem die Unterstützung von Terrorismusbekämpfung und Evakuierungsoperationen.12 In Großbritannien ist grundsätzlich die britische Regierung zum Einsatz der Streitkräfte befugt. Ungeachtet dessen herrscht hinsichtlich des Einsatzes von Streitkräften im Inland bezüglich der Militärhilfe für Zivilbehörden (MACA)13 eine Rechtspraxis, die sich im Laufe mehrerer Jahrzehnte infolge von Gesetzen14 sowie der Festschreibung von Bestimmungen für die Streitkräfte15 herausgebildet hat. Im Zentrum dieser Rechtsauffassung steht die absolute Vorrangstellung der Zivilbehörden bezüglich des Einsatzes. Darüber hinaus müssen alle Operationen innerhalb des gesetzlichen Rahmens des Zivilund Militärrechts durchgeführt werden. Jeder Antrag auf Militärhilfe für Zivilbehörden muss seitens des zuständigen Ministeriums an das Verteidigungsministerium gerichtet werden und bedarf in jedem Fall der Zustimmung des Ministeriums, sofern nicht Menschenleben unmittelbar gefährdet sind (Gefahr in Verzug). Bezüglich der Militärhilfe für Zivilbehörden sind drei Kategorien zu unterscheiden: 1. Die militärische Unterstützung für andere Ressorts16 umfasst Einsätze von Militärpersonal bei dringenden Aufgaben, die von nationaler Bedeutung sind, oder zur Aufrechterhaltung der Versorgung und unbedingt erforderlicher öffentlicher Dienste, auch bei deren Unterbrechung durch Arbeitskämpfe oder Streiks, dienen. In § 2 des britischen Notstandsgesetzes von 1964 sind die gesetzlichen Bestimmungen zu finden, die in der Regel für die Genehmigung von MAGD-Einsätzen herangezogen werden. So fiel zum Beispiel der Einsatz der Streitkräfte während der durch die Maul- und Klauenseuche hervorgerufenen Krise im Jahr 2000 unter die MAGD-Kategorie. 2. Die militärische Unterstützung für die Zivilgewalt17 umfasst die Gewährung (gegebenenfalls bewaffneter) militärischer Unterstützung für die Zivilgewalt zur Auf- 11 Von 08.07.1998, zitiert in: , Die Reformen der Streitkräfte der USA, Frankreich, Großbritannien und der Niederlande, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung , 1998. 12 , Die Reformen der Streitkräfte der USA, Frankreich, Großbritannien und der Niederlande , Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung, 1998, S. 24. 13 (Military Aid to the Civil Authorities). 14 § 2 des britischen Notstandsgesetzes von 1964 (Emergency Powers Act 1964) sowie des britischen Gesetzes zur Regelung des zivilen Notstands von 2004 (Civil Contingencies Act 2004). 15 Z.B. das “Manual of Military Law: Part II”, das “Manual of Air Force Law” und die “Queens Regulations for the Royal Navy”. 16 “Military Aid to other Government Departments” (MAGD). 17 “Military Aid to the Civil Power” (MACP). - 6 - rechterhaltung von Recht, Ordnung und der öffentlichen Sicherheit unter Rückgriff auf Spezialeinheiten oder spezielles Gerät in Situationen, in denen die Mittel der Zivilgewalt nicht ausreichen. Beispiele für MACP sind Anti-Terror- Operationen, der Schutz der Fischerei und die Kampfmittelbeseitigung. Den Bestimmungen des Civil Contingencies Act 200418 zufolge, können auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene Notfallbefugnisse erteilt werden, wenn die Versorgung der Bevölkerung und die Verteilung lebensnotwendiger Güter erheblich gefährdet sind; dies schließt die Genehmigung des Einsatzes der Streitkräfte ein. 3. Die militärische Unterstützung für die Zivilgemeinschaft19 umfasst die Gewährung waffenloser militärischer Unterstützung für Zivilbehörden20 bzw. allgemein für die Zivilgemeinschaft bei der Durchführung bestimmter Projekte, die von erheblichem sozialem Wert sind. Weitere Einzelheiten zu dem Einsatz der Streitkräfte im Inland sind der Veröffentlichung „Operations in the UK: the Defence Contribution to Resilience“ des britischen Verteidigungsministeriums vom Dezember 2004 zu entnehmen.21 6. Niederlande Die Verfassung des Königreichs der Niederlande22 sieht in Art. 97 Absatz 1 vor, dass Streitkräfte dem Schutz der Interessen des Königreichs und der Ausübung und Förderung der internationalen Rechtsordnung dienen. Zudem wird in den Art. 99 a darauf verwiesen, dass „Bestimmungen über die Auferlegung von Verpflichtungen im Bereich der zivilen Verteidigung“ durch ein Gesetz aufgestellt werden können. Zudem wird nach Art. 103 Absatz 1 durch ein Gesetz bestimmt, in „welchen Fällen zu Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit mit königlichem Erlass ein durch ein Gesetz als solcher zu bezeichnender Ausnahmezustand erklärt werden kann; das Gesetz regelt die Folgen.“ Weitere verfassungsrechtliche Normen über den Einsatz der Streitkräfte in Inneren sind in der niederländischen Verfassung nicht enthalten. Die Verteidigungsaufgabe der Streitkräfte enthält drei Kernfunktion:23 1. Die Behauptung des eigenen Territoriums inklusive die niederländischen Antillen und Aruba, 18 Mit diesem Gesetz wurden die Bestimmungen der Notstandsgesetze von 1920 und 1964 mit Ausnahme des § 2 aufgehoben. 19 “Military Aid to the Civil Community” (MACC). 20 Z. B. Katastrophenhilfe, Such- und Rettungsdienst. 21 Abrufbar unter: http://www.ukresilience.info/publications/defencecontrib.pdf. 22 Vom 24. August 1815, in der Fassung der Neubekanntmachung vom 17. Februar 1983, zuletzt geändert am 7. Februar 2002. 23 Laut Angaben des Verteidigungsministeriums der Niederlande im Internet. - 7 - 2. den Schutz und die Förderung der Internationalen Rechtsordnung und Stabilität und 3. die Unterstützung der zivilen Behörden bei Strafverfolgung, Katastrophenbekämpfung und humanitärer Hilfe, national wie international. Die Streitkräfte leisten den zivilen Behörden, wie beispielsweise Ministerien, den Provinzen und Stadtverwaltungen Hilfe und Unterstützung. Sie unterstehen in diesen Fällen deren Autorität. Die Unterstützung der zivilen Behörden basiert auf den Artikeln 58-60 des „Policy Act“ 24 und Artikel 18 des „Act on Disaster and serious Accidents“.25 In den letzten Jahren fanden diese Bestimmungen Anwendung in Fällen der Gefahr durch Fluten , der Behebung von Flutschäden, Straßensperren, Hilfe während der Maul- und Klauenseuche und Sprengstoffentschärfung.26 Die Bedeutung der dritten Funktion hat sich zudem durch die Gefahr durch Terrorismus erhöht. 7. Österreich Das Österreichische Bundesverfassungsgesetz27 regelt die Aufgaben des Bundesheeres in Art. 79. Dem Bundesheer obliegt demnach als Hauptaufgabe die militärische Landesverteidigung .28 Hinzu kommen jedoch Assistenzleistungen gemäß Art. 79 Absatz 2 B-VG, wonach das Bundesheer, soweit die gesetzmäßige zivile Gewalt seine Mitwirkung in Anspruch nimmt, auch zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfreiheit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner und zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren im allgemeinen bestimmt ist. Zudem ist das Bundesheer zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfangs verpflichtet. Welche Behörden und Organe die Mitwirkung des Bundesheeres zu den genannten Zwecken unmittelbar in Anspruch nehmen können, bestimmt das Wehrgesetz gemäß Art. 79 Absatz 4 B-VG. § 2 Absatz 1 des Wehrgesetzes wiederholt die Bestimmungen der Verfassung29 zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren.30 § 2 Absatz 5 Wehrgesetz bestimmt zudem, dass zur Heranziehung des Bundesheeres zu Assistenzeinsätzen alle Behörden und Organe 24 “Politiewet“. 25 „Wet rampen en de zware ongewallen“. 26 Besselink, The Legal and Constitutional Position of the Netherlands Armed Forces and International Military Cooperation, in Nolte (ed.) European Military Lay Systems, Berlijn 2003, S. 9. 27 Vom 10. November 1920 in der Fassung vom 7. Dezember 1929. Zuletzt geändert am 28. Juni 2002 (B-VG). 28 Artikel 79 Absatz 1 B-VG. 29 Art. 79 B-VG. 30 § 2 Absatz 1 lit b („Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit und der demokratischen Freiheiten der Einwohner sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt“) und c („die Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges“). - 8 - des Bundes, der Länder und Gemeinden innerhalb ihres jeweiligen Wirkungsbereiches berechtigt sind, sofern sie eine ihnen zukommende Aufgabe nach § 2 Abs. 1 lit. b oder c Wehrgesetz nur unter Mitwirkung des Bundesheeres erfüllen können. Ist jedoch für einen Assistenzeinsatz nach § 2 Absatz 1 lit. b Wehrgesetz eine Heranziehung von mehr als 100 Soldaten erforderlich, so obliegt sie zum einen der Bundesregierung oder zum anderen, sofern die Heranziehung zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden , unmittelbar drohenden Schadens für die Allgemeinheit unverzüglich erforderlich ist, dem Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Landesverteidigung. 8. Polen Die polnische Verfassung31 sieht in Art. 26 Absatz 1 als Aufgabe der Streitkräfte den „Schutz der Unabhängigkeit des Staates und der Integrität seines Territoriums sowie der Gewährleistung der Sicherheit und Unversehrtheit seiner Grenzen“ vor. Gemäß Art. 134 Absatz 1 ist der Staatspräsident der oberste Vorgesetzte der Streitkräfte, für die „Kriegszeit ernennt er auf Vorschlag des Vorsitzenden des Ministerrates den Obersten Befehlshaber der Streitkräfte gemäß Art. 134 Absatz 5. Näheres ist durch Gesetz bestimmt . Weitere verfassungsrechtliche Normen über den Einsatz der Streitkräfte in Inneren sind in der polnischen Verfassung nicht enthalten. Die polnische Verfassung sieht drei Ausnahmezustände vor, die ausgerufen werden können, wenn die üblichen verfassungsrechtlichen Maßnahmen zur Abwehr bestimmter Gefahren nicht ausreichen: Kriegszustand, Notstand oder Katastrophenzustand.32 Während des Kriegszustands33, in dem die Verteidigung des Staates geboten ist, können Streitkräfte jederzeit eingesetzt werden.34 Bei einem Notstand kann der Präsident der Republik auf Ersuchen des Premierministers den Einsatz von Einheiten der Streitkräfte beschließen, um die Funktionsfähigkeit des Staates wiederherzustellen, wenn andere Kräfte und Mittel hierzu nicht ausreichen.35 Bei einem Katastrophenzustand36 kann der Verteidigungsminister dem Zivilgouverneur der Provinz, in der dieser Ausnahmezustand erklärt wurde, Einheiten der Streitkräfte zur Verfügung stellen, die zur Bekämpfung der Folgen einer Naturkatastrophe eingesetzt werden können.37 Nach Art. 3 des Gesetzes über die allgemeine Pflicht zur Verteidigung der Republik Polen von 1967 können die Streitkräfte zur Bekämpfung von Natur- 31 Vom 2. April 1997. 32 Artikel 228 der Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997. 33 Artikel 229 der Verfassung der Republik Polen. 34 Gesetz über den Kriegszustand von 2002 mit späteren Änderungen. 35 Art. 11 des Gesetzes über den Notstand von 2002 einschließlich späterer Änderungen. 36 Artikel 232 der polnischen Verfassung. 37 Gesetz über Naturkatastrophen von 2002 einschließlich späterer Änderung. - 9 - katastrophen und zur Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen sowie bei Anti- Terror-Operationen, Rettungsmaßnahmen und zur Beseitigung von Kampfmitteln und anderen gefährlichen Militärobjekten bzw. deren Neutralisierung in einem bestimmten Gebiet eingesetzt werden. Die Streitkräfte können ebenfalls bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eingesetzt werden, wenn das Gesetz den Einsatz bewaffneter Polizeieinheiten vorsieht und diese als nicht ausreichend erachtet werden oder nicht über geeignete Mittel zur Gefahrenabwehr verfügen. Den Bestimmungen des Gesetzes zufolge tritt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, die den Einsatz von bewaffneten Polizeieinheiten rechtfertigt, vor allem dann ein, wenn Leben, Gesundheit oder Freiheit von Bürgern allgemein bedroht sind, eine unmittelbare Gefahr für Eigentum oder Gebäude und Einrichtungen, die für die Verteidigung und Sicherheit des Staates von besonderer Bedeutung sind, die Gefahr eines terroristischen Angriffs auf Einrichtungen, die für die Verteidigung und Sicherheit des Staates von besonderer Bedeutung sind, oder die Gefahr eines terroristischen Angriffs besteht, die Menschenleben gefährden kann.38 9. Tschechien Die Verfassung der Republik Tschechien39 sieht in Art. 43 Absatz 3 die Entsendung von Streitkräften in Ausland sowie die Stationierung ausländischer Streitkräfte auf tschechischem Boden vor. Das Parlament entscheidet nach Art. 43 Absatz 1 „über eine Kriegserklärung , wenn die tschechische Republik angegriffen wird oder wenn es nötig ist zur Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen über kollektive Selbstverteidigung gegen eine Aggression“. Weitere Aufgaben der tschechischen Streitkräfte, insbesondere über den Einsatz im Inneren , sind in der Verfassung nicht enthalten. 10. Schweiz Das geltende Verfassungsrecht erlaubt der Armee Einsätze in Teilbereichen der inneren Sicherheit. Artikel 58 Absatz 2 der Bundesverfassung40 nennt die Unterstützung der zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung von außerordentlichen Lagen ausdrücklich als Teilaufgaben der Armee und ermächtigt den Gesetzgeber, der Armee weitere Aufgaben zuzuweisen. Dieser verfassungsrechtliche Auftrag der Armee wird im Militärgesetz41 (Art. 1 Abs. 3 MG) dahingehend konkretisiert, dass die Armee zivile Behörden nur dann unterstützt, 38 Art. 18 des Polizeigesetzes von 1990 einschließlich späterer Änderungen. 39 Vom Dezember 1992, zuletzt geändert am 14. November 2002 40 Vom 18. April 1999. 41 Vom 3. Februar 1995, Fundstelle: AS 1995, 4093. - 10 - wenn deren Mittel bei der Bewältigung von außerordentlichen Lagen nicht mehr ausreichen . Mit dieser Einschränkung ist das Prinzip der Subsidiarität verbunden. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Einsatz der Armee Sache des Bundes ist und die Ausübung der eigentlichen Polizeihoheit im Grundsatz seit jeher als originäre Kompetenz der Kantone gilt. Das Militärgesetz bestimmt in Artikel 67 Absatz 1, dass die Truppen den zivilen Behörden auf deren Verlangen zur Wahrung der Lufthoheit, zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen Sachen, zum Einsatz im Rahmen der koordinierten Dienste, zur Bewältigung von Katastrophen und zur Erfüllung anderer Aufgaben nationaler Bedeutung Hilfe leisten können. Für diese Zwecke wird die Hilfe nur soweit geleistet, als die Aufgabe im öffentlichen Interesse liegt und es den zivilen Behörden nicht mehr möglich ist, ihre Aufgaben in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht zu bewältigen (Art. 67 Absatz 2 Militärgesetz). Nach Art. 70 Absatz 1 MG sind der Bundesrat und das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerung und Sport bei Katastrophen im Inland zuständig für das Aufgebot und die Zuweisung an die zivilen Behörden . Werden mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten oder dauert der Einsatz länger als drei Wochen, so muss das Parlament den Einsatz in der nächsten Session genehmigen (Art. 70 Absatz 2 MG). Den Kantonen fehlen in der Regel, das hat das Projekt Usis (Überprüfung des Systems der inneren Sicherheit der Schweiz) deutlich gemacht, die finanziellen Mittel, um dem gestiegenen Bedürfnis nach Sicherheit durch Aufstockung der Polizeikorps gerecht zu werden, was zu einem vermehrten subsidiären Engagement des Bundes geführt hat. Als eigene Ordnungskräfte stehen dem Bund grundsätzlich die Armee und das Grenzwachtkorps zur Verfügung.42 42 Vgl. die Antwort des Bundesrates auf die Interpellation 04.3007 von Josef Lang, Militarisierung der inneren Sicherheit. Veröffentlicht in: http://www.parlament.ch/afs/data/d/gesch/ 2004/d_gesch_20043007.htm.