© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 165/20 Zeitliche Parameter für die Einteilung von Wahlkreisen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 165/20 Seite 2 Zeitliche Parameter für die Einteilung von Wahlkreisen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 165/20 Abschluss der Arbeit: 1. Juli 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 165/20 Seite 3 1. Allgemeine Fristen im Wahlrecht Für die Wahlen zur 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages ergeben sich aus dem Grundgesetz (GG) und aus dem Bundeswahlgesetz (BWahlG) mehrere Fristen bzw. Terminzeiträume. Da die Wahlperiode des 19. Deutschen Bundestages mit der konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 begonnen hat, muss nach Art. 39 Abs. 1 GG der Wahltermin innerhalb der Zeitspanne von Mittwoch, dem 25. August 2021 und Sonntag, dem 24. Oktober 2021 liegen. Unabhängig vom genauen späteren Wahltermin dürfen nach § 21 Abs. 3 S. 4 BWahlG die Wahlen für die Vertreterversammlungen frühestens ab dem 25. März 2020, die Wahlen für die Bewerberinnen und Bewerber selbst frühestens ab dem 25. Juni 2020 stattfinden. Aus diesen Fristen ergibt sich nach überwiegender Ansicht nicht zwingend, dass im Anschluss an die Vertreterversammlung keine Wahlrechtsreform mehr durchgeführt werden kann. Bis wann eine Wahlrechtsänderung erfolgen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, bei der es auf die jeweiligen Änderungen ankommt. Das Wahlrecht ist weit überwiegend einfachgesetzlich ausgestaltet. Die im einfachen Recht festgelegten Fristen und das einfachgesetzlich geregelte Wahlsystem kann der Gesetzgeber grundsätzlich ändern. Maßstab für die Änderung ist das Grundgesetz, insbesondere mit der Verpflichtung zu einer allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Zudem darf es gemäß Art. 21 Abs. 1 GG den Parteien den vorgesehenen Abläufen nach nicht gänzlich unmöglich sein, die Wahl vorzubereiten und ihre Wahlvorschläge fristgerecht einzureichen . 2. Neuzuschnitt der Wahlkreise Auch für die Wahlkreiseinteilung besteht nach derzeitigem Recht kein gesetzlicher Stichtag.1 Offenkundige verfassungsrechtliche Gründe für einen Stichtag sind nicht ersichtlich.2 Die Einteilung erfolgt durch Bundesgesetz. Die Zeit zwischen der Einbringung des Gesetzentwurfs und Verkündung im Bundesgesetzblatt lässt sich auf etwa eine Woche verkürzen.3 Aus dem Neuzuschnitt der Wahlkreise ergeben sich aber insbesondere folgende Konsequenzen für die Vorbereitung der Wahlvorschläge, aus deren Beachtung sich auch Bedingungen in zeitlicher Hinsicht ergeben können: 1. Die Notwendigkeit (neue) Kreiswahlleiter für die neuen Wahlkreise zu ernennen: Die „Kreiswahlleiter [werden] von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Stelle ernannt“ (§ 9 Abs. 1 BWahlG). 2. Aus den neuen Wahlkreisen ergeben sich neue Mitglieder in den Kreisversammlungen der Partei („Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers ist eine Versammlung 1 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 3 Rn. 24a. 2 Vgl. Hahlen a.a.O. 3 Hölscheidt/Menzenbach, DÖV 2008, 139 (143). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 165/20 Seite 4 der im Zeitpunkt ihres Zusammentritts im Wahlkreis zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Mitglieder der Partei“, § 21 Abs. 1 S. 2 BWahlG). Entsprechendes gilt für Wahlen durch (Kreis-)Vertreterversammlungen. 3. Möglicherweise ergibt sich auch Änderungsbedarf für einzelne Satzungen von Parteien (vgl. § 21 Abs. 5 BWahlG). Hierfür wäre ein Parteitag erforderlich (§ 9 Abs. 3 PartG). Ferner kann sich aus einzelnen Parteisatzungen noch die Notwendigkeit weiterer Anpassungsschritte ergeben . 4. Etwaig bereits erfolgte Wahlen von Wahlkreisbewerbern würden hinfällig. Diese Wahlen wären durch die neuen Mitgliederversammlungen in den neuen Wahlkreisen zu wiederholen. Ggf. wäre hierzu eine gesetzliche Übergangsregelung angezeigt. Dabei wäre auch der rechtsstaatliche Vertrauensschutz zu beachten. Dieser dürfte wohl eher unproblematisch sein. Einerseits dürften frühestmögliche Wahlen von Wahlkreisbewerbern eher untypisch sein. Andererseits hat das Hamburgische Verfassungsgericht eine Änderung des Wahlrechts auch weniger als ein Jahr vor der Wahl als zulässig erachtet: „Diese Grundsätze [u. a. Vertrauensschutz] sind aber jedenfalls dann nicht verletzt, wenn die Wahl durch die zu Wählenden bzw. die Parteien effektiv vorbereitet und durchgeführt werden konnte, insbesondere das Gesetzgebungsverfahren so rechtzeitig abgeschlossen ist, dass sich die Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidaten auf die neue Rechtslage einstellen können“.4 Eine Einstellung auf die neue Rechtslage kann auch dann erfolgen, wenn erneut Wahlkreiskandidaten aufgrund anderer Anforderungen an die Aufstellung bestimmt werden müssen.5 Eine andere Position dazu hat die Landesregierung des Freistaates Thüringen im Rahmen des Ergänzenden Berichts der Wahlkreiskommission für die 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages vertreten und verwies auf Gründe der Chancengleichheit der Parteien und der Wahlkreisbewerber sowie auf allgemeine Gründe der Rechtssicherheit. Diese erforderten, dass die Wahlkreiseinteilung vor dem frühestmöglichen Zeitraum der Wahl der Vertreterversammlung abgeschlossen sein müsse.6 Aus den vorgenannten vier Punkten ergibt sich wohl kein juristisch zwingender, erheblicher zeitlicher Vorlauf. Die Punkte 1-2 und 4 erfordern keinen zeitlichen Vorlauf bzw. eher einen in Tagen zu messenden Vorlauf; der Vorlauf für einen Parteitag zu obigem Punkt 3 kann je nach Parteistatut z. B. 8 Wochen betragen.7 4 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung, Wahlrechtsänderungen vor Parlamentswahlen , WD 3 - 3000 - 254/16, S. 4. 5 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 31. 6 BT-Drs. 18/7350, S. 7. 7 Vgl. Satzung SPD, Landesverband Brandenburg, Stand 15. Oktober 2016, § 11 – Einberufungsfrist für Landesparteitage . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 165/20 Seite 5 Gleichwohl ist der zeitliche und statistische Aufwand zu berücksichtigen, um die tatsächliche Aufteilung der Wahlkreise und die entsprechenden Begründungen zu erarbeiten. Aus der Arbeit der Wahlkreiskommissionen nach § 3 Abs. 2 BWahlG sei auf folgende zwei Beispiele hingewiesen : Die Wahlkreiskommission der 19. WP beschloss ihre Vorschläge zur Wahlkreiseinteilung rund 5 Monate nach ihrer konstituierenden Sitzung.8 Die Wahlkreiskommission der III. WP beschloss ihre Vorschläge bereits nach rund 3 Monaten .9 Zudem ist auch zu beachten, dass aus der Notwendigkeit einer zweiten Vertreterversammlung zusätzlicher Aufwand für die Parteien entstehen kann, beispielsweise für die Anmietung eines entsprechenden Raumes, in dem die Versammlung abgehalten werden kann. Der Aufwand für die erste Vertreterversammlung ist im Rahmen der Vorbereitung der Teilnahme an einer Wahl als üblich und planbar anzusehen. Wird eine neue Vertreterversammlung erforderlich, ist strikt auf den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu achten. 3. Kursorische Fristberechnung für den Wahlkreiszuschnitt Hinzuweisen ist auf eine weitere Frist nach geltendem Wahlrecht. Danach müssen Kreiswahlvorschläge spätestens am 69. Tag vor der Wahl bis 18 Uhr eingereicht werden (§ 19 BWahlG). Dabei handelt es sich um eine Ausschlussfrist, d. h. später eingehende Vorschläge werden nicht mehr berücksichtigt. Auch für „unabhängige“ Bewerber gilt eine Einreichungsfrist von 69 Tagen (§ 20 BWahlG). Parteibewerber können zudem durch eine Mitglieder- oder Vertreterversammlung der Partei bestimmt werden (§ 21 BWahlG). Hierdurch ergibt sich ein weiterer Vorlauf. Dieser bestimmt sich nach der Ladungsfrist, die das jeweilige Parteistatut für die entsprechende Versammlung vorsieht. Auch diese im einfachen Recht festgelegte Frist kann der Gesetzgeber grundsätzlich ändern. Maßstab für die Änderung ist das Grundgesetz. Sofern sich eine Wahlrechtsänderung nur auf das rechnerische Sitzzuteilungsverfahren bezieht, erscheint eine Umsetzung in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich unproblematisch, sofern sie lediglich zur Folge hat, dass sich die Verwaltung (vor allem die Wahlleitung) auf das neue Verfahren einstellen muss. Unter den hier dargestellten bisher geltenden zeitlichen Prämissen kann als Beispiel folgende Berechnung vorgenommen werden: Bei Bundestagswahlen z. B. am 19. September 2021 wäre der der spätmöglichste Termin für die Einreichung von Wahlvorschläge nach kursorischer Fristberechnung der 12. Juli 2021. Ein für den Wahlvorschlag notwendiger Parteitag wäre je nach Parteistatut wohl spätestens im Mai 2021 einzuberufen. Wollte man etwas zeitlichen Puffer einplanen, z. B. von 8 Wochen, wäre der Parteitag wohl schon im März 2021 einzuberufen. Insofern sollte ein Neuzuschnitt der Wahlkreise bis dahin abgeschlossen sein. 8 BT-Drs. 19/7500, S. 8. 9 BT-Drs. III/677, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 165/20 Seite 6 4. Bereits erfolgter Wahlkreisneuzuschnitt in der 19. Legislaturperiode Mit dem Vierundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. Juni 2020 wurden die Wahlkreise für die Wahlen zum Bundestag bereits neu zugeschnitten und an eine Veränderung der Bevölkerungsverteilung angepasst. Dem ging ein Bericht der Wahlkreiskommission für die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 BWahlG voraus.10 Die Änderung der Wahlkreise hat unter der Geltung des aktuellen Wahlrechts stattgefunden, also auch unter der Festlegung auf 299 Wahlkreise nach § 1 Abs. 2 BWahlG. Sofern diese gesetzliche Vorgabe geändert wird, muss auch ein neuer Zuschnitt der Wahlkreise vorgenommen werden. Die erst im Juni 2020 in Kraft getretene Änderung der Wahlkreise würde dann praktisch keine Wirkung entfalten . Dies wäre rechtlich jedoch nicht zu beanstanden. *** 10 BT-Drs. 19/7500.