© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 163/20 Unterstützung der Social Media-Auftritte von Politikern durch Ministerien Verfassungs- und parteienrechtliche Grenzen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 2 Unterstützung der Social Media-Auftritte von Politikern durch Ministerien Verfassungs- und parteienrechtliche Grenzen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 163/20 Abschluss der Arbeit: 9. Juli 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 3 1. Fragestellung und Einleitung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Möglichkeit geldwerter Unterstützungsleistungen von Politikern durch Ministerien. Dabei werden insbesondere die rechtlichen Vorgaben für den Fall einer Finanzierung von Werbung und Maßnahmen, die der Förderung der höheren Wahrnehmbarkeit von Politikerprofilen in sozialen Medien dienen, erläutert. Gemeint sind insofern Maßnahmen, die dazu führen, dass das Profil oder ein Post in einem sozialen Netzwerk von mehr Nutzern gesehen wird, zum Beispiel in dem ihnen dieses/dieser bevorzugt bzw. überhaupt angezeigt wird. Für diese Herausstellung von Posts bzw. Profilen verlangen die Betreiber der sozialen Netzwerke regelmäßig ein Entgelt. Auch die Betreuung von bestimmten Politikerprofilen durch Mitarbeiter eines Ministeriums kann eine entsprechende Förderung darstellen. Ebenso könnte das Weiterverbreiten von Nachrichten über die eigenen Accounts eines Ministeriums durch Teilen, Retweeten oder Liken, die Reichweite der Nachrichten und Profile erhöhen. Ausgegangen wird im Folgenden von der Konstellation, dass ein Abgeordneter zugleich Mitglied der Regierung ist und dessen Aktivitäten in sozialen Medien unterstützt werden. Für die rechtliche Einordnung wird sowohl auf das Grundgesetz (GG), das Parteienrecht als auch das Recht der Abgeordneten zurückgegriffen. 2. Amtliche Informationen über soziale Medien Die Nutzung sozialer Medien kann der amtlichen Kommunikation, etwa eines Ministeriums, eines Ministers oder einer Staatssekretärin dienen. Die Nutzung sozialer Medien zur Information und Kommunikation ist staatlichen Organen oder Repräsentanten nicht grundsätzlich verwehrt.1 Insofern könnten für die amtliche Kommunikation auch Accounts unterstützt werden, die unter dem Namen des jeweiligen Regierungsmitglieds eingerichtet sind, aber der amtlichen Kommunikation dienen. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist aber dann unzulässig, wenn der informative Gehalt deutlich hinter einem werbenden Auftritt zurücktritt und ein auffälliger Anstieg der Öffentlichkeitsarbeit zeitlich kurz vor einer Wahl festzustellen ist.2 Eine reine Wahlwerbung ist nicht zulässig. 3. Abgrenzung amtlicher und privater Kommunikation von Regierungsmitgliedern Bei Social Media-Accounts von Regierungsmitgliedern kann sich mithin auch die Frage stellen, ob diese Teil der privaten oder hoheitlichen Kommunikation sind. So deuten beispielsweise ausdrückliche Hinweise auf die Amtsträgereigenschaft auf eine staatliche Öffentlichkeitsarbeit hin.3 Auch die Umstände oder Inhalte der Äußerung können mitunter zu einer Einordnung als hoheitliche 1 Zu möglichen datenschutzrechtlichen Einschränkungen vgl. Richtlinie des LfDI Baden-Württemberg zur Nutzung von Sozialen Netzwerken durch öffentliche Stellen (2017, überarbeitet 2020), abrufbar unter: https://www.baden -wuerttemberg.datenschutz.de/wp-content/uploads/2020/02/DE_Richtlinie-zur-Nutzung-sozialer-Netzwerke -durch-%C3%B6ff.-Stellen-20200205.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.7.2020). 2 BVerfG, Urteil vom 2.3.1977 – 2 BvE 1/76, BVerfGE 44, 125, 149 ff.; Lenski, DÖV 2014, 585, 588. 3 Vgl. BerlVerfGH, Urteil vom 20.2.2019 – VerfGH 80/18, Rn. 44; Harding, NJW 2019, 1910, 1913; Kalscheuer, KommJur 2018, 121, 123; Oebbecke, NVwZ 2007, 30, 31. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 4 Kommunikation führen.4 Regierungsmitglieder dürfen die Angaben zu ihrem Amt auch außerhalb eines staatlichen Kontextes nutzen, etwa als Tätigkeitsbezeichnung im Rahmen des Impressums eines Accounts.5 Solange darüber hinaus jedoch keine eindeutige Kennzeichnung des Accounts als „privat“ erfolgt, führen diese Angaben dazu, dass im Zweifel eine staatliche Kommunikation zu vermuten ist.6 Die Bundesregierung stufte kürzlich den Twitter-Account des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Marco Wanderwitz, als privat ein.7 Dieser hat folgendes Impressum: „MdB @cducsubt. Staatssekretär @BMWi_Bund. Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Anwalt. Alle Tweets von mir und meine Meinung.“8 Diese Einschätzung ist auch darauf zurückzuführen, dass das BMWi eigene Kanäle in den sozialen Medien betreibt und der genannte nicht dazugehört.9 Ähnlich entschied auch das Verwaltungsgericht Weimar zum Twitter-Account des Thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, den dieser laut Impressum privat als „Mensch“ betreibt.10 Im Ergebnis muss bei Social Media-Profilen von Regierungsmitgliedern und Parlamentarischen Staatssekretären stets durch Auslegung ermittelt werden, ob es sich bei diesen um ein Mittel zur amtlichen oder zur privaten Kommunikation handelt. Notwendig ist eine Zuordnung eines Profils bzw. Accounts zur jeweiligen Kommunikationsart. Eine Unterscheidung nach einzelnen Posts oder Tweets wäre im Sinne der Rechtsklarheit nicht möglich. Davon abhängig ist sodann die Möglichkeit der Unterstützung von diesen Accounts durch Ministerien zu beurteilen. 4 Kalscheuer, KommJur 2018, 121, 123; Harding, NJW 2019, 1910, 1913; Oebbecke, NVwZ 2007, 30, 31. 5 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 85; VGH Kassel, Urteil vom 22.9.2005 – 8 UE 609/05, NVwZ 2006, 610, 611; Harding, NJW 2019, 1910, 1913; Oebbecke, NVwZ 2007, 30, 31. 6 Harding, NJW 2019, 1910, 1914. Ebenso Neumann im Interview „Die Willkür muss ein Ende haben“ vom 6.7.2020, abrufbar unter: https://netzpolitik.org/2020/interview-zu-social-media-accounts-von-amtstraegern-und-behoerden -die-willkuer-muss-ein-ende-haben/ (zuletzt aufgerufen am 8.7.2020). 7 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Joana Cotar (…), Social Media-Blockierungen des Parlamentarischen Staatssekretärs bei dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Marco Wanderwitz, vom 30.4.2020, BT-Drs. 19/18885, S. 3. 8 https://twitter.com/wanderwitz?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor (zuletzt aufgerufen am 2.7.2020). 9 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Joana Cotar (…), Social Media-Blockierungen des Parlamentarischen Staatssekretärs bei dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Marco Wanderwitz, vom 30.4.2020, BT-Drs. 19/18885, S. 3 und 4. 10 Vgl. Kommentar von Bodo Ramelow vom 7.7.2020 um 15:19 Uhr, abrufbar unter: https://netzpolitik.org/2020/interview -zu-social-media-accounts-von-amtstraegern-und-behoerden-die-willkuer-muss-ein-ende-haben/ (zuletzt aufgerufen am 8.7.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 5 4. Verfassungsrechtliches Neutralitätsgebot Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot. Daraus lassen sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts Maßgaben für das Handeln von Staatsorganen ableiten, also auch für die Bundesregierung. 4.1. Chancengleichheit der Parteien und Demokratieprinzip Das Bundesverwaltungsgericht erklärte: „Das Neutralitätsgebot folgt aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Deren Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken (…). Das gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen.“11 Dabei ist nicht entscheidend, dass es sich zwingend um eine Partei handelt, die bevorzugt oder benachteiligt wird. Es können auch einzelne ihrer Vertreter sein, oder Personen/Vereinigungen, die mit den Parteien im politischen Wettstreit stehen, also zum Beispiel auch parteilose Bewerber um ein Mandat.12 Auch aus dem Demokratieprinzip lassen sich weitere Vorgaben für das Handeln von Ministerien ableiten. „Die freie Bildung der öffentlichen Meinung ist Ausdruck des demokratischen Staatswesens (Art. 20 Abs. 1 GG), in dem sich die Willensbildung des Volkes frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich ,staatsfrei‘ vollzieht. Der Willensbildungsprozess im demokratischen Gemeinwesen muss sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen (…). Einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion ist deshalb eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verwehrt.“13 Sowohl aus dem Demokratieprinzip als auch aus der verfassungsrechtlich garantierten Chancengleichheit der Parteien lassen sich insofern Schlüsse ziehen, die gegen die Unterstützung von privaten Accounts von Regierungsmitgliedern und Parlamentarischen Staatssekretären in sozialen Netzwerken sprechen. Insbesondere könnte so zugunsten einer Partei bzw. eines Politikers in die politische Meinungsbildung eingegriffen werden. 11 BVerwG, Urteil vom 13.9.2017 – 10 C 6.16, Rn. 24 m.w.N. Hervorhebung nur hier. Vgl. auch BVerfG, Urteil vom 16.12.2014 – 2 BvE 2/14, BVerfGE 138, 102 (Rn. 27 ff., 38 ff.). 12 Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2017 – 10 C 6.16, Rn. 25. 13 BVerwG, Urteil vom 13.9.2017 – 10 C 6.16, Rn. 28. Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 6 4.2. Aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat die verfassungsrechtliche Bewertung von Äußerungen von Regierungsmitgliedern, einschließlich der Darstellung deren persönlicher politischer Meinung, zuletzt in einem Urteil zu Äußerungen von Horst Seehofer als Bundesinnenminister klargestellt.14 Diese Rechtsprechung steht in einer Reihe mit vergleichbaren Entscheidungen15 und ist damit als gefestigt anzusehen. „Die Willensbildung des Volkes und die Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich zwar in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung. So sehr vom Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Wählers ausgehen, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion aber verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen und in ihrem Vorfeld einzuwirken , um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern (…). Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten (…). Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstoßen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (…).“16 „Die der Bundesregierung gemeinsam mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen obliegende Aufgabe der Staatsleitung (…) schließt als integralen Bestandteil die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (…). Diese ist nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen (…). Sie umfasst die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (…). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die der Bundesregierung zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes ermöglichen, die das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der Parteien und einer Umkehrung des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen beinhaltet (…).“17 14 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19. 15 BVerfG, Urteil vom 2.3.1977 – 2 BvE 1/76, BVerfGE 44, 125 ff.; BVerfG, Urteil vom 16.12.2014 – 2 BvE 2/14, BVerfGE 138, 102 ff.; BVerfG, Urteil vom 27.2.2018 – 2 BvE 1/16, BVerfGE 148, 11 ff. 16 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 47. Hervorhebung nur hier. 17 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 49 f. Hervorhebung nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 7 „Es ist der Bundesregierung, auch wenn sie von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (…). Demgemäß endet die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt. Daher ist die über die Wahrnehmung der Amtsgeschäfte hinausgehende Präsentation einzelner Regierungsmitglieder ,als Person‘ grundsätzlich kein tauglicher Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung.“18 Zudem stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass dieser Maßstab auch für jedes Mitglied der Bundesregierung bzw. die zugehörigen Ressorts im Einzelnen gilt.19 Darüber hinaus ging es auf die Trennung der Sphären der handelnden Personen – in ihrer Funktion als Regierungsmitglied bzw. als Politiker – ein. „Dass eine strikte Trennung der Sphären des ,Bundesministers‘, des ,Parteipolitikers‘ und der politisch handelnden ,Privatperson‘ nicht möglich ist, führt deshalb nicht zur Unanwendbarkeit des Neutralitätsgebots im ministeriellen Tätigkeitsbereich (…). Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liegt daher vor, wenn Regierungsmitglieder sich am politischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen (…). Demgemäß verstößt eine parteiergreifende Äußerung eines Bundesministers im politischen Meinungskampf gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und verletzt die Integrität des freien und offenen Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amts fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen (…).“20 Die genannten, mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen umfassen ausdrücklich auch den Einsatz von Sach- und Finanzmitteln: „Gleiches gilt für den äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen.“21 18 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 51. Hervorhebung nur hier. 19 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 53. 20 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 55 f. Hervorhebung nur hier. 21 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 59. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 8 Zudem gelten die Maßstäbe unabhängig davon, auf welche Art und in welchem Medium die Äußerungen der Regierungsmitglieder getätigt werden. Schließlich „(…) wird die verfassungsrechtlich gewährleistete gleichberechtigte Teilnahme der Parteien an der politischen Willensbildung auch dann verletzt, wenn der politische Meinungskampf im Netz ausgetragen wird und staatliche Organe sich daran parteiergreifend beteiligen.“22 Mithin bekräftigen bereits diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Unterstützung von Werbung oder Maßnahmen, die die Wahrnehmbarkeit von privaten Social Media-Profilen von Politikern fördert, nicht mit dem Neutralitätsgebot bzw. dem Grundsatz der Chancengleichheit vereinbar ist. Die Möglichkeit von öffentlicher Kommunikation über die sozialen Medien durch die Ministerien ist davon unberührt. Diese muss sich dann inhaltlich und von der Art und Weise der Äußerungen jedoch strikt an die verfassungsrechtlichen Vorgaben halten. 5. Parteienrecht 5.1. Grenzen der Parteienfinanzierung Politische Parteien in Deutschland finanzieren sich neben Mitgliedsbeiträgen, Spenden und eigener wirtschaftlicher Betätigung auch aus staatlichen Mitteln (§§ 18 f. Parteiengesetz – PartG). Es besteht der Grundsatz, dass hierüber hinausgehend keine (verdeckte) staatliche Parteienfinanzierung stattfinden soll.23 Daher verbietet § 25 Abs. 2 Nr. 1 PartG politischen Parteien, „Spenden von öffentlich -rechtlichen Körperschaften“ anzunehmen. Die Spende eines Bundesministeriums wäre daher unzulässig, denn dieses ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Spenden sind nicht nur Geldleistungen sondern auch „geldwerte Zuwendungen aller Art“ (§ 27 Abs. 1 S. 3 und 4 PartG). Dies schließt Sach-, Werk- und Dienstleistungen ein,24 wie z. B. die unentgeltliche Bereitstellung von Personal oder vorhandenen Organisationsstrukturen.25 Unzulässig wäre es daher, wenn ein Bundesministerium Produkte erarbeitet, die ausschließlich einer politischen Partei dienen sollen. Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein Bundesministerium sozusagen als Dienstleister für eine Partei ein Gutachten erstellt.26 Auch die gezielte Werbung eines Ministeriums für einzelne Politiker oder die Unterstützung von Werbeleistungen dieser für sich selbst müsste demnach als unzulässige Parteienfinanzierung gelten. 22 BVerfG, Urteil vom 9.6.2020 – 2 BvE 1/19, Rn. 65. 23 BVerfG, Urteil vom 9.4.1992 – 2 BvE 2/89, BVerfGE 85, 264, 320 f.; VG Berlin, Urteil vom 26.11.2004 – 2 A 146/03, Rn. 19; „Bericht der Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung“, BT-Drs. 14/6710, 19.7.2001, S. 34; Jochum, in: Ipsen, Parteiengesetz, 2. Auflage 2018, § 25, Rn. 20, 31; Kersten, in: Kersten/Rixen, Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, 2009, § 25, Rn. 58, 87. 24 Jochum, in: Ipsen, Parteiengesetz, 2. Auflage 2018, § 27, Rn. 17. 25 BVerfG, Urteil vom 9.4.1992 – 2 BvE 2/89, BVerfGE 85, 264, 321 f.; in der gerichtlichen Praxis stellte sich die Frage bislang fast ausschließlich im Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit, siehe Lenski, DÖV 2014, 585, 587. 26 Vgl. VG Berlin, Urteil vom 26.11.2004 – 2 A 146/03. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 163/20 Seite 9 5.2. Zweckentfremdung öffentlicher Mittel Verwendet ein Ministerium öffentliche Mittel für Zwecke, die amtlichen Funktionen dienen, bestimmungsgemäß, ist dies haushaltsrechtlich grundsätzlich unproblematisch. Verwendet das Ministerium die öffentlichen Mittel hingegen für parteipolitische Arbeit oder politischen Meinungskampf , liegt regelmäßig ein Verstoß gegen haushaltsrechtliche Prinzipien vor.27 Für die Abgrenzung ist wie bei der Parteienfinanzierung (oben Punkt 5.1) und dem Neutralitätsgebot (oben Punkt 2) darauf abzustellen, welchem der beiden Bereiche die Mittelverwendung primär zuzuordnen ist.28 6. Abgeordnetenrecht 6.1. Grenzen Nach § 44b Nr. 3 Abgeordnetengesetz (AbgG), § 4 Abs. 4 Anlage 1 zur Geschäftsordnung des Bundestages – Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (Anlage 1 GO-BT), findet für „Spenden an ein Mitglied des Bundestages […] § 25 Abs. 2 und 4 des Gesetzes über die politischen Parteien entsprechende Anwendung“. Damit gilt das (oben unter Punkt 5.1) zu Parteien Gesagte für Abgeordnete entsprechend. 6.2. Rechtsfolgen Nach § 44b Nr. 3 AbgG, § 4 Abs. 7 Anlage 1 GO-BT entscheidet der Bundestagspräsident „im Benehmen mit dem Präsidium über die Verwendung […] rechtswidrig angenommener Spenden“. Ferner kann das Präsidium nach § 8 Abs. 2 Anlage 1 GO-BT einen Verstoß gegen die Verhaltensregeln feststellen: „Die Feststellung des Präsidiums, dass ein Mitglied des Bundestages seine Pflichten nach den Verhaltensregeln verletzt hat, wird unbeschadet weiterer Sanktionen nach § 44a des Abgeordnetengesetzes als Drucksache veröffentlicht.“ Weitere Sanktionen nach § 44a AbgG scheiden aus, da der grundsätzlich einschlägige § 44a Abs. 3 AbgG für Spenden nicht gilt.29 *** 27 Vgl. Bayerischer Oberster Rechnungshof, Beratende Äußerung zu Gutachtens- und Beratungsaufträgen der Staatskanzlei zur Erforschung der öffentlichen Meinung, Januar 2011, S. 7 mit weiteren Nachweisen, https://www.orh.bayern.de/media/com_form2content/documents/c7/a311/f43/11-01-28_Beratende_Auesserung _Meinungsumfragen.pdf. Siehe auch: Lenski, DÖV 2014, 585, 589. 28 Vgl. Bayerischer Oberster Rechnungshof, ebenda, S. 27. 29 Raue, in: Austermann/Schmahl, Abgeordnetengesetz, 2016, § 44a, Rn. 82.