© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 162/20 Das bankenunionale Fragerecht als Mittel zur Erfüllung der Pflichten aus dem PSPP-Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Public Sector Purchase Program (PSPP), gerichtet hatten.1 Das Gericht stellt fest, dass die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag die Beschwerdeführer in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt haben, indem sie nicht dagegen vorgegangen sind, dass die EZB in den für die Einführung und Durchführung des PSPP erlassenen Beschlüssen die Verhältnismäßigkeit der beschlossenen Maßnahmen weder geprüft noch dargelegt hat. Aus dem Urteil ergeben sich verschiedene Pflichten für den Deutschen Bundestag, die Bundesregierung sowie die Bundesbank. Gefragt wird, ob das den nationalen Parlamenten zustehende Fragerecht an die EZB nach der Verordnung über die Einrichtung der europäischen Bankenaufsicht (SSM-VO)2 zur Erfüllung der vom Bundesverfassungsgericht im PSPP-Urteil eingeforderten Integrationsverantwortung eingesetzt werden kann. 2. Pflichten aus dem PSPP-Urteil Das PSPP-Urteil des Bundesverfassungsgerichts formuliert in seinen Urteilsgründen verschiedene Pflichten für deutsche Staatsorgane.3 Diesen Pflichten des Bundestages, der Bundesregierung sowie der Bundesbank liegt das Konzept der Integrationsverantwortung zugrunde, welches das Bundesverfassungsgericht in vorangegangenen Entscheidungen entwickelt hat.4 Dieses Konzept bezweckt, den „Balanceakt“ der deutschen Verfassungsorgane zwischen der im Grundgesetz angelegten Förderung der europäischen Integration und der Wahrung der Identität der deutschen Verfassung zu verrechtlichen.5 1 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15. 2 Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank. 3 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 -, Rn. 229 ff. 4 Siehe hierzu auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank zum Staatsanleihekaufprogramm, WD 3 - 3000 - 121/20, S. 5 ff. 5 Voßkuhle, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 85a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 162/20 Seite 4 Hinsichtlich der Pflichten von Bundesregierung und Bundestag führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Da sich das PSPP insoweit als ultra-vires-Akt [ein Akt, mit welchem die Organe der EU außerhalb ihrer Befugnisse handeln] darstellt, als die EZB seine Verhältnismäßigkeit nicht dargelegt hat, sind Bundesregierung und Bundestag aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken. […] Bundesregierung und Bundestag müssen ihre Rechtsauffassung gegenüber der EZB deutlich machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände sorgen.“6 Zusätzlich enthält das Urteil die Pflicht der deutschen Bundesbank aufgrund ihrer Integrationsverantwortung aus dem Staatsanleihekaufprogramm der EZB schrittweise auszusteigen, soweit nicht der EZB-Rat binnen drei Monaten in einem neuen Beschluss „nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen.“7 Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass die EZB zu prüfen und abzuwägen habe, ob die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stünden. Die EZB habe zudem das Ergebnis ihrer Abwägung nachvollziehbar darzulegen. Bei einem Abwägungs- und Darlegungsausfall verstoße die EZB gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 Vertrag über die Europäische Union (EUV) mit der Folge, dass die PSPP-Beschlüsse nicht von der währungspolitischen Kompetenz der EZB aus Art. 127 Abs. 1 S. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gedeckt seien.8 Das Urteil wird so interpretiert, dass dem Bundesverfassungsgericht vorschwebe, dass der EZB-Rat seine ursprünglichen Beschlüsse gewissermaßen „korrigiert“ bzw. „erläutert“.9 Das PSPP- Urteil enthält gleichwohl keine Verpflichtung der EZB, selbst in irgendeiner Weise tätig zu werden, Rechenschaft abzulegen oder einen solchen neuen Beschluss zu fassen.10 Gemäß § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz werden durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts nur deutsche Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden gebunden. 6 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 -, Rn. 232 (Hervorhebungen nur hier). 7 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 -, Rn. 235. 8 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 -, Rn. 235. 9 Vgl. Classen, Stellungnahme zum Urteil des BVerfG v. 5. Mai 2020 für den Europaausschuss des Deutschen Bundestages, S. 11 f., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/697486/68acf7d191966b75d78bc7db9c92f6e1/Classen-data.pdf; Mayer, Das PSPP-Urteil des BVerfG vom 5. Mai 2020 – Thesen und Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung, Deutscher Bundestag, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Montag, 25. Mai 2020, S. 25 f., abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/697586/cdf8025132586d197288f57569776bff/mayer-data.pdf. 10 Siehe hierzu auch die Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Parlamentarisches Fragerecht gegenüber EZB und Bundesbank?, WD 3 - 3000 - 128/20 vom 19. Mai 2020. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 162/20 Seite 5 Am Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird kritisiert, dass eine Divergenz zwischen Tenor, Begründung und richterlichen Nachdeutungen in den Medien bestehe und unklar bleibe, was u.a. der Bundestag unter Beachtung der nach wie vor bestehenden vertraglichen Verpflichtungen und insbesondere der Unabhängigkeit der EZB zu tun habe. Nach dem Tenor des Urteils habe der Bundestag eigentlich nichts weiter zu veranlassen, da dieser lediglich eine Feststellung enthalte.11 Zum Teil wird aber auch vertreten, dass es sich bei den Entscheidungsgründen insoweit um eine Vollstreckungsanordnung handele, die die Organe binde.12 3. Umsetzung des Urteils durch Ausübung des bankenunionalen Fragerechts Zur Klärung, ob und wenn ja, inwieweit der eingeforderten Integrationsverantwortung des Bundestages durch das Fragerecht nach der SSM-VO Genüge getan werden kann, ist zunächst dieses Fragerecht darzustellen und sodann auf dessen Geeignetheit zur Erfüllung der Pflichten aus dem PSPP-Urteil einzugehen. 3.1. Fragerecht nach der SSM-VO Die SSM-VO etabliert auf Ebene des Unionsrechts einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus über die Banken innerhalb der Eurozone („Single Supervisory Mechanism“ – SSM), bei welchem die nationalen Aufsichtsbehörden und die EZB auf unterschiedliche Weise zusammenwirken und gemeinsam die Aufsicht ausüben.13 Ziel dieses Aufsichtsmechanismus ist es, einen Beitrag zur Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Union und jedem einzelnen Mitgliedstaat zu leisten, Art. 1 Abs. 1 SSM-VO. Dabei übernehmen nationale Aufsichtsbehörden und die EZB die Aufsicht über unterschiedliche Institute innerhalb der Eurozone ; die Zuständigkeiten sind zwischen diesen nach Maßgabe der SSM-VO und der sog. SSM- Rahmen-VO14 verteilt. Die SSM-VO sieht verschiedene Transparenz- und Rechenschaftspflichten vor, die die EZB gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission wahrzunehmen hat. Darüber hinaus regelt sie auch Pflichten gegenüber den nationalen Parlamenten. Insbesondere können 11 Mayer, (Fn. 9), S. 24 f. 12 Walter, Schriftliche Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Anhörung zu den Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 (2 BvR 859/15 u.a.) zu den Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank, S. 3 f., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/697524/89551bb27b81da991fd9538c480afccd /walter2-data.pdf. 13 Vgl. hierzu bereits die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Parlamentarisches Fragerecht im Bereich der Bankenaufsicht, WD 3 - 3000 - 297/18, S. 3 f., abrufbar unter https://www.bundestag .de/resource/blob/578790/e3ebc42445662bc9cca923ec8230ed13/WD-3-297-18-pdf-data.pdf. 14 Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung ), abrufbar in deutscher Sprache unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0468&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 162/20 Seite 6 gemäß Art. 21 Abs. 2 SSM-VO die nationalen Parlamente der teilnehmenden Mitgliedstaaten die EZB im Rahmen ihrer eigenen Verfahren ersuchen, schriftlich auf ihre an die EZB gerichteten Bemerkungen oder Fragen zu den Aufgaben der EZB nach der SSM-VO zu antworten. Das Fragerecht der nationalen Parlamente ist gemäß Art. 21 Abs. 2 SSM-VO auf die Aufgaben der EZB nach der SSM-VO beschränkt. Dabei handelt es sich um die übertragenen besonderen Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute, vgl. Art. 1 Abs. 1 SSM-VO. Ausweislich des Erwägungsgrundes 56 der SSM-VO steht es der EZB frei, ob sie diese Fragen beantwortet.15 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die geld- bzw. währungspolitischen Aufgaben der EZB zur Erhaltung der Preisstabilität und die Ausübung von Aufsichtsaufgaben nach Maßgabe der SSM-VO innerhalb der EZB organisatorisch vollständig voneinander getrennt sein sollen, um Interessenkonflikte zu vermeiden und zu gewährleisten, dass jede Funktion gemäß den jeweiligen Zielen ausgeübt wird.16 Die EZB stellt daher sicher, dass der EZB-Rat seine geldpolitischen und seine aufsichtlichen Funktionen in vollkommen getrennter Weise wahrnimmt. Für die Aufgaben der Bankaufsicht hat die EZB intern einen besonderen Beschlusskörper, das sog. Aufsichtsgremium geschaffen, welches für die Vorbereitung von Beschlüssen in aufsichtlichen Angelegenheiten zuständig 17 und ein zentrales Gremium für die Ausübung der Aufsichtsaufgaben ist.18 3.2. Geeignetheit zur Erfüllung der Pflichten aus dem PSPP-Urteil Mit der Frage, welche Verpflichtungen sich für den Bundestag aus dem Urteil ergeben und welche Vorschläge es für die konkrete Umsetzung des Urteils gibt, setzt sich die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank zum Staatsanleihekauf , WD 3 - 3000 - 121/20 vom 29. Mai 2020 Anlage auseinander. In der Ausarbeitung werden verschiedene Handlungsvorschläge zusammengestellt, die von den Sachverständigen, die am 25. Mai 2020 im Ausschuss für die Angelegenheiten der EU des Deutschen Bundestages angehört wurden, dem Bundestag unterbreitet worden sind. 15 Vgl. hierzu bereits die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (Fn. 13), S. 7 f.; ausführlich zum Fragerecht nach der SSM-VO Ausarbeitung des Fachbereichs Europa, Fragerecht mitgliedstaatlicher Parlamente nach der SSM-Verordnung und der SRM-Verordnung, PE 6 - 3000 - 80/18. 16 Erwägungsgrund 65 der SSM-VO. 17 Vgl. insbesondere Erwägungsgrund 67 der SSM-VO. 18 Vgl. insbesondere Erwägungsgrund 69 der SSM-VO. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 162/20 Seite 7 Weitere Umsetzungsvorschläge sind den verschiedenen Anträgen zu entnehmen, über die der Bundestag in seiner 170. Sitzung am 2. Juli 2020 zu entscheiden hatte.19 Die hier zu behandelnde Frage wurde von den Sachverständigen nicht angesprochen und ist in den Anträgen nicht enthalten. Auch in der Literatur finden sich bisher keine Erörterungen zu dieser Frage. Festzuhalten ist zunächst, dass dem Bundestag zur Erfüllung der Pflicht des „Hinwirkens auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB“ ein gewisser Spielraum zusteht.20 Bei seinem Handeln hat der Bundestag die Unabhängigkeit der EZB zu beachten (Art. 130 AEUV, Art. 88 GG).21 Die Inanspruchnahme des Fragerechts durch den Bundestag, das ihm gemäß Art. 21 Abs. 2 SSM- VO zukommt, stellt die Unabhängigkeit der EZB nicht in Frage und ist als solches ein zulässiges Instrument. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilsgründen festgestellt, dass das PSPP u. a. Auswirkungen auf den Bankensektor habe.22 Diese Auswirkungen habe die EZB bei ihrer Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP zu berücksichtigen und abzuwägen. Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs mit der Stabilität des Bankensektors erscheint es möglich, dass der Bundestag über das Vehikel des Fragerechts nach der SSM-VO Aussagen der EZB zu ihren Einschätzungen zu den wirtschaftspolitischen Auswirkungen des PSPP auf den Bankensektor erhalten kann. Das Fragerecht aus der SSM-VO könnte so als Sprachrohr fungieren, über das die durch die EZB durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP kommuniziert und dargelegt wird. Gegen die Geeignetheit des bankenunionalen Fragerechts bestehen jedoch mehrere Bedenken. Zunächst ist zu beachten, dass die EZB auf die Frage nach der SSM-VO antworten kann aber nicht muss. Der Bundestag hingegen hat aufgrund des PSPP-Urteils auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB hinzuwirken und seine Rechtsauffassung dieser gegenüber mitzuteilen oder auf andere Weise für vertragskonforme Zustände sorgen. Im Falle einer fehlenden Antwort wäre das Vorgehen des Bundestages nicht ausreichend. Vor allem aber fordert das Bundesverfassungsgericht die Darlegung einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP und nicht nur eine Einschätzung bzgl. der wirtschaftspolitischen 19 Vgl. BT-Drs. 19/20552, 19/20553, 19/20616 und 19/20621. 20 Vgl. Mayer, (Fn. 9), S. 22; Wegener, Stellungnahme für den Europa-Ausschuss des Bundestages zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 (2 BvR 859/15) in Sachen Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank, S. 10, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/697490/19e094bd52ec5e0f4b22625644177275/wegener-data.pdf 21 Siehe auch Calliess, Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 (2 BvR 859/15) in Sachen Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank, S. 9, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/697584/69ec62de394a6348f992c1e092fa9f4b/callies-data.pdf; Mayer (Fn. 9), S. 23. 22 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5 Mai 2020 - 2 BvR 859/15 -, Rn. 172. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 162/20 Seite 8 Auswirkungen auf den Bankensektor. Selbst wenn die EZB auf die Frage nach der SSM-VO (freiwillig ) antworten würde, dürften angesichts der Beschränkung dieses Fragerechts auf die bankenaufsichtlichen Aufgaben der EZB aus der SSM-VO die mitgeteilten Informationen nicht sämtliche Aspekte erfassen, welche im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung des Staatsanleihekaufprogrammes PSPP zu berücksichtigen wären.23 Zudem bleibt zu bedenken, dass laut PSPP-Urteil die Bundesbank nur dann nicht zum Austritt aus dem PSPP verpflichtet ist, wenn der EZB-Rat in einem neuen Beschluss die Verhältnismäßigkeit des PSPP nachvollziehbar darlegt. Zwar wird zum Teil angezweifelt, ob es tatsächlich zwingend eines formellen Beschlusses des EZB-Rates bedarf oder ob auch andere Äußerungsformen als ausreichend erachtet werden können.24 Selbst wenn der Ansicht gefolgt wird, die auch niedrigschwelligere Äußerungsformen ausreichen lässt, erscheint eine Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage nach der SSM-VO aufgrund der organisatorischen Struktur der EZB (Trennung von Bankenaufsicht und geld- und währungspolitischen Aufgaben) ungeeignet, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Über eine Frage, die auf Grundlage der SSM-VO gestellt wird, hat eine Stelle zu entscheiden, die mit den PSPP-Beschlüssen nicht befasst und hiervon organisatorisch vollständig getrennt war. Diese Stelle wäre somit auch nicht zuständig, die eigentlichen Erwägungen bei Erlass dieser Beschlüsse zu „korrigieren“ bzw. zu „erläutern“. *** 23 Zu den nicht abschließenden, allerdings umfangreichen und nicht zwingend auf die Stabilität von Banken beschränkten Aspekte der Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - BvR 859/15 -, Rn. 170 bis Rn. 177. 24 Vgl. dazu Calliess (Fn. 21), S. 9; Mayer (Fn. 9), S. 25 f.; Wegner (Fn. 20), S. 14; für einen formellen Beschluss: Classen, (Fn. 9), S. 11 f.; Walter, (Fn. 12), S. 3 f.