© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 161/19 Zu den Anmelde- und Auskunftspflichten für Ausländervereine Grundrechtliche Aspekte und Vereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Schließlich wird die Vereinbarkeit der VereinsGDV, insbesondere von § 22 VereinsGDV, mit Art. 80 Abs. 1 GG geprüft. 2. Normeninhalt Ermächtigungsgrundlage für die VereinsGDV ist § 19 Vereinsgesetz (VereinsG)2. Das Vereinsgesetz dient der Gefahrenabwehr in Bezug auf Vereinigungen,3 insbesondere durch die Möglichkeit des Vereinsverbots. Nach § 19 Nr. 4 VereinsG kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausländervereine und ausländische Vereine einer Anmelde- und Auskunftspflicht unterwerfen, Vorschriften über Inhalt, Form und Verfahren der Anmeldung erlassen und die Auskunftspflicht näher regeln. Die entsprechenden Regelungen sind in den §§ 19 ff. VereinsGDV normiert. Die Definition des Ausländervereins ergibt sich aus § 14 Abs. 1 S. 1 VereinsG. Danach sind Ausländervereine solche Vereine, „deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind“. Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind, gelten nach § 14 Abs. 1 S. 2 VereinsG nicht als Ausländervereine. Nach § 19 VereinsGDV müssen Ausländervereine innerhalb von zwei Wochen nach ihrer Gründung bei der zuständigen Behörde angemeldet werden. Nach § 20 VereinsGDV haben Ausländervereine der zuständigen Behörde auf Verlangen Auskunft zu erteilen über ihre Tätigkeit sowie, wenn sie sich politisch betätigen, über Namen und Anschriften ihrer Mitglieder und über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel.4 Gemäß § 21 VereinsGDV gelten die §§ 19, 20 VereinsGDV entsprechend für ausländische Vereine, die im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes organisatorische Einrichtungen gründen oder unterhalten. 1 Vom 28. Juli 1966 (BGBl. I S. 457), zuletzt geändert durch Artikel 6 Absatz 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390). 2 Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 419). 3 Roggenkamp, in: Albrecht/Roggenkamp (Hrsg.), Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 1 Rn. 2. 4 Als politische Betätigung gilt jedes Tun, das auf das Erlangen, Ändern oder Bewahren von Einfluss auf die Gestaltung staatlicher oder gesellschaftlicher Einrichtungen und Daseinsformen gerichtet ist, siehe Samel, in: Bergmann/Dienelt/Samel, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 47 Rn. 7. Für die politische Betätigung von Ausländern gilt § 47 AufenthG, wonach diese unter bestimmten Voraussetzungen verboten werden kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 161/19 Seite 4 3. Grundrechtliche Aspekte Die Verfassungsmäßigkeit der §§ 19 ff. VereinsGDV wird – soweit ersichtlich – weit überwiegend nicht angezweifelt.5 Als problematisch angesehen wird vereinzelt die Tatsache, dass die Vorschriften nicht durch formelles Gesetz normiert wurden (dazu unter 4.).6 3.1. Art. 9 Abs. 1 und 3 GG Art. 9 Abs. 1 GG schützt die Vereinigungsfreiheit. Dem Grundrecht unterfällt auch der Schutz der Vereinsdaten, insbesondere von Namen und Anschriften von Vereinsmitgliedern.7 Ausländervereine fallen jedoch nicht in den persönlichen Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG, da es sich um ein sog. Deutschen-Grundrecht handelt.8 Dies betrifft auch deutsche Mitglieder eines Ausländervereins . Diese können nicht verlangen, so gestellt zu werden, als genieße der Verein den Schutz von Art. 9 Abs. 1 GG.9 Ausländervereine unterfallen allerdings dem Schutz der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG, wenn es sich um Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen , also um Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigungen, handelt.10 Zum Teil wird angenommen , dass solche Ausländerkoalitionen nach Art. 9 Abs. 3 GG von der Auskunftsverpflichtung 5 Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 14. November 1986, 1 CB 80/86; Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 14 Rn. 21; Ullrich, in: Albrecht/Roggenkamp (Hrsg.), Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 14 Rn. 59 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Vereinsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 14 Rn. 5; Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1. Aufl. 1999, S. 150. 6 So Schiffbauer, in: Reichert/Schimke/Dauernheim (Hrsg.), Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Kapitel 3 Rn. 419. 7 Merten, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 53; a.A. Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 14 Rn. 21, die davon ausgeht, dass Auskunftspflichten die Vereinigungsfreiheit nicht berühren. 8 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 9 Rn. 49; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 65. Die Frage, inwieweit Deutschen-Grundrechte für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gelten, ist hier irrelevant, da Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind, nach § 14 Abs. 1 S. 2 VereinsG nicht als Ausländervereine gelten. 9 BVerwG, Beschluss vom 14. November 1986, 1 CB 80/86, juris Rn. 18. 10 Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 81, 91. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 161/19 Seite 5 nach § 20 VereinsGDV ausgenommen seien.11 Das BVerwG hat diese Frage ausdrücklich offengelassen .12 Jedenfalls werden – soweit ersichtlich – keine verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die Vereinbarkeit der §§ 19 ff. VereinsDGV mit Art. 9 Abs. 3 GG geäußert.13 3.2. Art. 2 Abs. 1 GG Art. 2 Abs. 1 GG schützt unter anderem die informationelle Selbstbestimmung. Dem Träger des Grundrechts steht es grundsätzlich selbst zu, über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu entscheiden.14 Der Eingriff der §§ 19 ff. VereinsGDV in das Grundrecht wird als eher geringfügig betrachtet.15 Die Pflichten aus § 19 VereinsGDV unterschieden sich kaum von den Pflichten, die ein eingetragener Verein nach den §§ 59 ff. BGB habe.16 In Bezug auf die Auskunftspflicht nach § 20 VereinsGDV hat das BVerwG entschieden, dass die Norm dem legitimen Zweck der Gefahrenabwehr diene und verhältnismäßig sei.17 Es bestehe ein überwiegendes Allgemeininteresse , da politische Aktivitäten von Ausländern die Gefahr mit sich brächten, dass die Bundesrepublik in politische Auseinandersetzungen mit anderen Staaten verstrickt werde und hierdurch innen- oder außenpolitische Belange verletzt würden. Die Verfassungsmäßigkeit der Norm wird dementsprechend bejaht.18 4. Vereinbarkeit von § 22 VereinsGDV mit Art. 80 Abs. 1 GG § 22 VereinsGDV normiert, dass die bei den zuständigen Behörden nach §§ 19 bis 21 VereinsGDV gespeicherten Daten an das Bundesverwaltungsamt (BVA)19 zu übermitteln sind. Das BVA führt das zentrale Ausländervereinsregister. Fraglich ist, ob die Norm den Anforderungen von Art. 80 Abs. 1 GG an die gesetzgeberische Delegation von Rechtssetzungsaufgaben an die Exekutive gerecht wird. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Allerdings muss nach der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten und in ständiger Rechtsprechung 11 So ohne Begründung Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 14 Rn. 21. 12 BVerwG, Beschluss vom 14. November 1986, 1 CB 80/86, juris Rn. 8. 13 Siehe bereits Fn. 5. 14 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 2 Abs. 1 Rn. 175. 15 Groh, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 14 Rn. 21. 16 Ullrich, in: Albrecht/Roggenkamp (Hrsg.), Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 14 Rn. 59. 17 BVerwG, Beschluss vom 14. November 1986, 1 CB 80/86, juris Rn. 14. 18 So auch Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1. Aufl. 1999, S. 150. 19 Das BVA wurde auf der Grundlage von Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG durch das Gesetz über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes v. 28. 12. 1958 (BGBl. I 1959, 829) errichtet. Es nimmt Verwaltungsaufgaben wahr, die ihm durch Gesetz oder Rechtsverordnung oder im Erlasswege übertragen worden sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 161/19 Seite 6 ausgeprägten Wesentlichkeitslehre der Gesetzgeber staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren und alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen.20 Entscheidend für die Annahme der Wesentlichkeit ist für das BVerfG insbesondere die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme. Die Wesentlichkeit bestimmt sich demnach vor allem danach, inwieweit eine Maßnahme in Grundrechte des Einzelnen eingreift oder für die Verwirklichung von Grundrechten bedeutsam ist.21 Daneben werden für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Angelegenheit unter anderem herangezogen: der Umfang des Adressatenkreises, die Langzeitwirkung einer Regelung, gravierende finanzielle Auswirkungen, erhebliche Auswirkungen auf das Staatsgefüge, Konkretisierung offenen Verfassungsrechts, die Auswirkungen auf das Gemeinwesen sowie die Unmittelbarkeit und Finalität einer gesetzlichen Regelung.22 Gegen die Wesentlichkeit einer Angelegenheit können unter anderem das Erfordernis flexibler Regelungen, das Vorliegen entwicklungsoffener Sachverhalte, das Bedürfnis nach dezentraler Regelung und bundesstaatlicher Koordinierung, das Einräumen von Beteiligungsrechten für die von der Regelung Betroffenen sowie die Grenzen des Sachverstands des Parlaments sprechen.23 Wie bereits erwähnt wird der Grundrechtseingriff durch die §§ 19 ff. VereinsGDV als eher gering betrachtet.24 Auch andere Gründe für eine Wesentlichkeit sind nicht ersichtlich. Nach der Gesetzesbegründung wurde die Regelung durch Rechtsverordnung gewählt, um das VereinsG nicht durch technische Detailregelungen zu überfrachten. Zudem wurde eine Festlegung durch Gesetz als nicht zweckmäßig erachtet. Dem Verordnungsgeber sollte es überlassen werden, auf die tatsächlichen Entwicklungen zu reagieren, die Rechtsvorschriften der jeweiligen Lage anzupassen und sie unter Umständen wieder zu lockern.25 Bei diesen Überlegungen dürfte es sich um legitime Gründe des Gesetzgebers handeln, sich für eine Verordnungsermächtigung zu entscheiden. Der Gesetzgeber durfte somit die Normierung der VereinsGDV an die Bundesregierung delegieren. Die Ermächtigungsgrundlage dürfte auch den Anforderungen an die Bestimmtheit genügen. Der für die §§ 19 ff. VereinsGDV einschlägige § 19 Nr. 4 VereinsGDV legt fest, dass die Rechtsverordnung „Ausländervereine und ausländische Vereine einer Anmelde- und Auskunftspflicht unterwerfen, Vorschriften über Inhalt, Form und Verfahren der Anmeldung erlassen und die Auskunftspflicht näher regeln“ kann. Die Normierungsmöglichkeiten der Exekutive sind damit klar umrissen. Im Übrigen werden an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage bei geringer Eingriffsintensität ohnehin geringere Anforderungen gestellt.26 20 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 40, 237 (249); 49, 89 (126); 83, 130 (142, 151 f.); 95, 267 (307). 21 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113 m.w.N. 22 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 20 VI Rn. 107. 23 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 20 VI Rn. 107; siehe vertiefend dazu die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Reichweite der Wesentlichkeitslehre – Grenzfälle der Wesentlichkeit, WD 3 - 3000 - 043/15, S. 8 f. 24 Siehe Fn. 15. 25 BT-Drs. 4/430, S. 25, damals war die Ermächtigungsgrundlage noch in § 18 VereinsG normiert. 26 Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 41. Edition, Stand: 15. November 2018, Art. 80 Rn. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 161/19 Seite 7 § 22 VereinsGDV dürfte sich auch im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage bewegen. Diese ermächtigt dazu, Ausländervereine einer Anmelde- und Auskunftspflicht zu unterwerfen und die jeweiligen Verfahren zu regeln. Dies dürfte auch die Übermittlung der entsprechenden Daten an ein zentrales Register umfassen. Auch im Hinblick auf Betroffenenrechte ist ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 GG nicht erkennbar. Für die Datenübermittlung an das BVA gelten die allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorschriften, aus denen sich unter anderem Auskunfts- und Löschungsrechte ergeben können. Die Regelung von Betroffenenrechten in der Ermächtigungsgrundlage bzw. der darauf beruhenden Rechtsverordnung ist nicht erforderlich. ***