© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 160/18 Gesetzgebungskompetenzen für die Regulierung von Stromnetzentgelten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 160/18 Seite 2 Gesetzgebungskompetenzen für die Regulierung von Stromnetzentgelten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 160/18 Abschluss der Arbeit: 28. Mai 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 160/18 Seite 3 1. Fragestellung Im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und in darauf beruhenden Verordnungen ist die Berechnung der Netzentgelte geregelt, die die Stromnetzbetreiber den Verbrauchern zur Refinanzierung ihrer Betriebskosten in Rechnung stellen. Einen Überblick zur bundesrechtlichen Regulierung der Stromnetzentgelte liefert der Sachstand WD 5 - 3000 - 074/18.1 Gefragt wird, ob die Länder von dieser bundeseinheitlichen Regelung abweichende Landesgesetze erlassen dürfen, um regionalen Unterschieden in der Kostenstruktur der Netzbetreiber zu begegnen. 2. System der konkurrierenden Gesetzgebung Der einschlägige Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ einschließlich der „Energiewirtschaft“ zählt zur konkurrierenden Gesetzgebung, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 Grundgesetz (GG). Nach Art. 72 Abs. 1 GG haben bei der konkurrierenden Gesetzgebung „die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung , solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat“; eine bundesrechtliche Regelung entfaltet Sperrwirkung. Für bestimmte Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung, darunter das Recht der Wirtschaft, stellt Art. 72 Abs. 2 GG eine zusätzliche Voraussetzung für die Bundesgesetzgebung auf: Der Bund hat hier nur das Gesetzgebungsrecht, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“ 3. Keine verbleibenden Spielräume für die Landesgesetzgebung Bei den letzten großen Novellierungen des EnWG hat der Bundesgesetzgeber jeweils die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung im gesamtstaatlichen Interesse angenommen (Art. 72 Abs. 2 GG), sowohl zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als auch zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit.2 Die Begründungen der Gesetzentwürfe stützen sich dabei mit fast identischem Wortlaut auf die Bedeutung, die Strom- und Gaswirtschaft als „Schlüsselbranchen“ für alle Abnehmer und für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zukomme. „Unterschiedliche Entwicklungen der Versorgungsstruktur und bei den Energiepreisen auf Grund unterschiedlichen Landesrechts wären dabei nicht hinnehmbar. Hinzu kommt, dass zahlreiche Energieversorgungsunternehmen länderübergreifend tätig sind.“3 Dieser Auffassung hat sich die Literatur, soweit ersichtlich, angeschlossen.4 1 Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Überblick zu den rechtlichen Vorgaben für die Regulierung der Stromnetznutzungsentgelte in Deutschland, 25. Mai 2018, Az. WD 5 - 3000 - 074/18. 2 BT-Drs. 13/7274, S. 12 f.; BT-Drs. 15/3917, S. 46 f. 3 BT-Drs. 15/3917, S. 47; ähnlich BT-Drs. 13/7274, S. 13. 4 Theobald/Werk, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 95. Lfg. 2017, § 54 EnWG Rn. 6; sehr knapp auch: Bauer/Seckelmann, Zentral, dezentral oder egal?, DÖV 2014, 951, 954; Sodan, Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes? – Rechtsprobleme des Konzessionierungsverfahrens nach dem EnWG, LKV 2013, 433, 435. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 160/18 Seite 4 Ist demnach davon auszugehen, dass eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das EnWG nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Art. 72 Abs. 2 GG besteht, so hängt die Frage nach verbleibenden Länderkompetenzen vom Umfang der Sperrwirkung dieser bundesrechtlichen Regelung ab.5 Solange und soweit der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, verbleibt kein Raum für Landesgesetze. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: „Maßgeblich für die Bestimmung ihrer Reichweite sind die gesetzliche Regelung selbst und der hinter ihr stehende Regelungszweck sowie die Gesetzgebungsgeschichte (…). Entscheidend ist, dass ein bestimmter Sachbereich tatsächlich umfassend und lückenlos geregelt ist oder nach dem aus Gesetzgebungsgeschichte und Materialien ablesbaren objektivierten Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte (…). Der abschließende Charakter einer Regelung bestimmt sich insofern nach einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes (…) und kann auch durch mehrere zusammenwirkende Gesetze erreicht werden (…).“6 Der gesetzgeberische Wille war ausweislich der Materialien zum EnWG auf eine abschließende Regelung gerichtet: Die Gesetzgebungskompetenz für das Energiewirtschaftsrecht sei „abschließend ausgeschöpft“. „Für zusätzliche Gesetzgebung durch die Länder gemäß Artikel 72 Abs. 1 GG bleibt auch weiterhin kein Raum.“7 Dafür sprechen – jedenfalls in dem hier untersuchten Bereich der Netzentgelte – auch die tatsächlich in dem Gesetz und den auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen enthaltenen Regelungen. Sie bilden ein komplexes System, bei dem die einzelnen Vorschriften ineinandergreifen und so die Berechnung der Netzentgelte ermöglichen. Sollten die Ergebnisse nach Auffassung eines Landes den dortigen Verhältnissen nicht hinreichend Rechnung tragen, ändert dies nichts an der Sperrwirkung des Bundesrechts: „Ist die Regelung abschließend, ist es dem Landesgesetzgeber verwehrt, die Materie ergänzend oder unter neuen Gesichtspunkten zu regeln; das Grundgesetz weist den Ländern nicht die Aufgabe zu, Entscheidungen des Bundesgesetzgebers nachzubessern (…).“8 *** 5 Vgl. zur Bedeutung der Verfassungskonformität des Bundesrechts für die Sperrwirkung nur Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 72 Rn. 31 m.w.N. 6 BVerfGE 138, 261, 280 Rn. 44. 7 BT-Drs. 15/3917, S. 47; so bereits BT-Drs. 13/7274, S. 13; so auch Theobald/Werk, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, § 54 EnWG Rn. 6. 8 BVerfGE 138, 261, 280 f. Rn. 44.