Deutscher Bundestag Alkoholverbot im öffentlichen Personenverkehr Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 160/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 2 Alkoholverbot im öffentlichen Personenverkehr Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 160/11 Abschluss der Arbeit: 9. Mai 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Hinblick auf ein Verbot des Alkoholkonsums in öffentlichen Verkehrsmitteln 4 2.1. Ausschließliche Kompetenz für den Luftverkehr sowie für Eisenbahnen des Bundes 4 2.2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für weitere Verkehrsmittel 5 3. Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG 6 4. Zustimmungsbedürftigkeit eines Bundesgesetzes zum Alkoholverbot? 6 5. Vereinbarkeit eines Alkoholverbots im öffentlichen Personenverkehr mit Artikel 2 Abs. 1 GG 7 5.1. Eingriff in den Schutzbereich 7 5.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7 6. Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Speisewagenbetreiber gemäß Artikel 12 GG 9 7. Ergebnis 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 4 1. Einführung In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Belästigungen von Fahrgästen und Personal vor allem in den Zügen des öffentlichen Personenverkehrs durch alkoholisierte Reisende. Dies war bereits im Dezember 2009 Anlass für die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, ein bundeseinheitliches Verbot des Alkoholkonsums in Zügen des öffentlichen Personennahverkehrs zu fordern.1 Im Folgenden wird geprüft, ob der Verzehr von Alkohol im öffentlichen Personenverkehr ebenso wie bereits der Konsum von Zigaretten bundesgesetzlich verboten werden dürfte. 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Hinblick auf ein Verbot des Alkoholkonsums in öffentlichen Verkehrsmitteln Dem Bund müsste eine Kompetenz zum Erlass eines Verbots zum Konsum von Alkohol in öffentlichen Verkehrsmitteln zustehen. 2.1. Ausschließliche Kompetenz für den Luftverkehr sowie für Eisenbahnen des Bundes Gemäß Artikel 73 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 6a GG besitzt der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr sowie für den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes). Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich des Luftverkehrs im Sinne des Artikel 73 Nr. 6 GG ist umfassend und erfasst neben dem Flugverkehr im eigentlichen Sinne alle mit dem Flugwesen unmittelbar in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten und Anlagen.2 Die Regelung der Beförderungsbedingungen – und damit die Einführung eines Verzehrverbots – wäre von dieser Kompetenznorm erfasst. Der Begriff „Verkehr“ in Artikel 73 Abs. 1 Nr. 6a GG betrifft die unmittelbaren Leistungen der Eisenbahn, das Verkehrsangebot sowie die Leistungs- und Versorgungspflichten. Hierunter fallen 1 Vgl. die Empfehlung unter TOP 10 der 189. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 4. Dezember 2009 in Bremen, den Bericht "Bewältigung des polizeilichen Einsatzgeschehens bei Fußballspielen" an die Verkehrsbetriebe zu übermitteln. In diesem „Sachstandsbericht des Bundespolizeipräsidiums über die zwischen Bundespolizei, DFB, DFL, NASS und der DB AG auf der Fachebene fortentwickelten Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit auf den Reisewegen – einschließlich der besonderen Bestrebungen zur Reduzierung des Alkoholkonsums im ÖPV/ÖPNV“ wird sich für ein unternehmerisches Verbot des Alkoholkonsums in Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs ausgesprochen, um Verunreinigungen und Belästigungen durch alkoholisierte Personen insb. auf dem Weg zu Fußballspielen zu reduzieren. Der Bericht ist im Internet abrufbar unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/imk2007/beschluesse/101119anlage04.pdf?start&ts=1294041 208&file=101119anlage04.pdf (Stand: 4. Mai 2011). 2 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Auflage 2011, Artikel 73 Rn. 64; Umbach in: Umbach/Clemens: Grundgesetz – Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd. 2, 2002, Art. 73 Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 5 auch Verkehrsregeln, Benutzungsbedingungen und Fahrpläne.3 Die Einführung eines Verzehrverbots für Alkoholika in Eisenbahnen beträfe die Benutzungsbedingungen des Eisenbahnverkehrs . Eine entsprechende Regelung stünde damit in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes. 2.2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für weitere Verkehrsmittel Nach der Föderalismusreform I unverändert verbleibt dem Bund auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Hochsee- und Küstenschifffahrt, die Binnenschifffahrt, den Straßenverkehr , das Kraftfahrwesen und die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind mit Ausnahme der Bergbahnen (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 21 bis Nr. 23 GG). Eine bundesgesetzliche Regelung zum Alkoholverbot in Taxen und Kraftomnibussen im Linienund Gelegenheitsverkehr könnte sich auf Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 stützen. Diese Kompetenznorm überträgt dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Kraftfahrwesen, das von der Herstellung bis zur Benutzung von Kraftfahrzeugen entstehende Rechts- und Wirtschaftsfragen umfasst.4 Zur Benutzung der Kraftfahrzeuge gehört auch die Regelung von Benutzungsbedingungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs.5 Dem Bund steht ferner gemäß Artikel 74 Abs. 1 Nr. 23 die konkurrierende Gesetzgebung für den Bereich der Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, zu. Auch Regelungen für Privatbahnen werden von diesem Kompetenztitel erfasst.6 Die Kompetenz ist im engen Zusammenhang mit Artikel 73 Nr. 6a GG zu sehen, wobei die Begriffe im Wesentlichen einen identischen Inhalt haben.7 Daraus ergibt sich, dass der Bund wohl auch die Benutzungsbedingungen für Privatbahnen und sonstige Bahnen, die nicht im Eigentum des Bundes stehen, regeln und damit ein Alkoholverbot erlassen kann. Eine Regelungsbefugnis des Bundesgesetzgebers für ein Alkoholverbot auf Schiffen im öffentlichen Personenverkehr ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 21 GG. Diese Norm weist dem Bund die konkurrierende Zuständigkeit sowohl für die Binnen- als auch für die Küstenschifffahrt zu. Als Annex zu dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist ihm auch die Einführung eines Alkoholverbots auf Schiffen des öffentlichen Personenverkehrs gestattet.8 3 Sannwald (Fn. 2), Artikel 73 Rn. 72; Umbach (Fn. 2), Art. 73 Rn. 54. 4 Sannwald (Fn. 2), Artikel 74 Rn. 290, Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz Band 2, 6. Auflage 2010, Artikel 74, Rn. 199. 5 Vgl. § 39 "Personenbeförderungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 5. April 2011 (BGBl. I S. 554) geändert worden ist". 6 Degenhart in: Sachs – Grundgesetz Kommentar, 5. Aufl. 2009, Art. 74 Rn. 98; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 74 Rn. 59; Oeter (Fn. 4), Art. 74 Rn. 159 m.w.N.; A.A. noch Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 23. Ergänzungslieferung 1996, Artikel 74 Rn. 247. 7 Sannwald (Fn. 2), Artikel 74 Rn. 302. 8 So auch zu einem Rauchverbot Rossi/Lenski: Föderale Regelungsbefugnisse für öffentliche Rauchverbote, NJW 2006, 2657, 2659. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 6 Im Ergebnis besteht daher die Kompetenz des Bundes zur Regelung eines Alkoholverbots für die in den angeführten Kompetenztiteln genannten öffentlichen Verkehrsmittel. Wegen der Ausnahme der Bergbahnen in Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG kommt eine umfassende Regelung eines Alkoholverbots in allen öffentlichen Verkehrsmitteln jedoch nicht in Betracht. 3. Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG Gem. Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf dem Gebiet des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG das Gesetzgebungsrecht , wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Eine bundesgesetzliche Regelung zum Alkoholverbot auch im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs auf der Straße könnte zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich sein. Taxifahrten, Fahrten mit Kraftomnibussen im Linien- und Gelegenheitsverkehr finden in erheblichem Umfang auch über Ländergrenzen hinweg statt. Unterschiedliche Regelungen in den Ländern könnten somit dazu führen, dass während eines Betriebsvorgangs unterschiedliche Rechtsnormen zur Anwendung kommen, wenn beispielsweise während einer Länder überschreitenden Fahrt in einem Land der Alkoholkonsum erlaubt und in einem anderen untersagt ist. Dem Bund steht, sofern man dieser Argumentation folgt, die Gesetzgebungskompetenz für ein Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Ausnahme der Bergbahnen zu. 4. Zustimmungsbedürftigkeit eines Bundesgesetzes zum Alkoholverbot? Gemäß Artikel 50 GG wirken die Bundesländer durch den Bundesrat unter anderem an der Gesetzgebung des Bundes mit. Eine Mitwirkungsbefugnis ist die Zustimmung zu Bundesgesetzen. Das Erfordernis einer Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz ist nach dem Grundgesetz die Ausnahme.9 Der Zustimmung bedürfen Gesetze, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich vorschreibt (Enumerationsprinzip).10 Ungeschriebene Zustimmungserfordernisse gibt es nicht.11 Eine Zustimmungsbedürftigkeit wird auch nicht dadurch begründet, dass in Länderinteressen eingegriffen wird.12 In Betracht käme eine Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesgesetz nach Artikel 87e Abs. 5 Satz 2 GG. Demnach bedürfen Bundesgesetze unter anderem der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie „Auswirkungen auf den Schienenpersonennahverkehr haben“. Dieser Tatbestand ist 9 BVerfGE 31, 363 [381]; 105, 313 [339]; BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2010, Az. 2 BvL 8/07, 2 BvL 9/07, Rn. 146. 10 Bundesverfassungsgericht, Gutachten vom 22. 11. 1951, BVerfGE 1, 76 [79]; BVerfGE 48, 127 [129]. 11 Zwei in diesem Zusammenhang von einigen Autoren aufgeführte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen keine „ungeschriebenen“ Zustimmungstatbestände, sondern vielmehr die Auslegung ausdrücklich die Zustimmungsbedürftigkeit anordnender Verfassungsbestimmungen; so überzeugend: Schmidt, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, Jus 1999, S. 861 [862]. 12 Schmidt, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, JuS 1999, S. 861 [862]; Bryde, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage, 2003, Bd. 3, Artikel 77, Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 7 unbestimmt.13 In weiter Auslegung würde er das Personenbeförderungsgesetz ebenso umfassen wie etwa das Bauplanungsrecht. Einige Stimmen plädieren daher für eine engere Auslegung, die den Regelungszweck des Artikel 87e Abs. 5 GG berücksichtigt. Die entsprechenden Gesetze seien zustimmungsbedürftig, weil die Länder für diese Verkehrsleistungen aufgrund der Regionalisierung die Aufgaben- und Finanzverantwortung tragen.14 Im Ergebnis könnte ein Bundesgesetz zur Einführung eines Alkoholverzehrverbots im öffentlichen Personenverkehr demzufolge zustimmungsbedürftig sein. 5. Vereinbarkeit eines Alkoholverbots im öffentlichen Personenverkehr mit Artikel 2 Abs. 1 GG Ein Verbot des Verzehrs von Alkohol könnte gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG der Benutzer dieser Verkehrsmittel verstoßen. 5.1. Eingriff in den Schutzbereich Artikel 2 Abs. 1 GG schützt die allgemeine Handlungsfreiheit. Es ist das „Grundrecht eines jeden Bürgers, nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und materiell verfassungsgemäß sind.“15 Das Verbot des Alkoholverzehrs, das die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel belastet, müsste demnach formell und materiell verfassungsgemäß sein. 5.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Wie bereits unter Punkt 3 erläutert, steht dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zum Erlass eines Alkoholverbots in öffentlichen Verkehrsmitteln zu. Gegebenenfalls müsste der Bundesrat dem Erlass des Gesetzes zustimmen (vgl. Punkt 4). Weitere Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit eines entsprechenden Gesetzes liegen nicht vor. Das Alkoholverbot müsste ferner verhältnismäßig sein, also zum Erreichen eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Als legitim zu verfolgendes Ziel käme der Schutz der Rechte Dritter in Betracht. Anders als beim Passivrauchen geht von dem Alkoholkonsum als solchem keine unmittelbare Gefährdung der Mitreisenden aus. Vielmehr wirkt sich die Alkoholisierung bei jedem einzelnen Konsumenten unterschiedlich aus, führt bei einigen Personen zu Aggressivität, bei anderen zu Schläfrigkeit. Soweit stark alkoholisierte Reisende zu lautem Verhalten, Pöbeleien und teilweise auch zu Be- 13 So auch Uerpmann in: von Münch/Kunig (Fn. 12), Art. 87e Rn. 21; Windthorst in: Sachs (Fn. 6), Artikel 87e Rn. 72. 14 So Windhorst (Fn. 13); Uerpmann (Fn. 13) hält nur spezifische, insbesondere beabsichtigte Auswirkungen eines Gesetzes auf den Schienenpersonennahverkehr für beachtlich. 15 BVerfGE 29, 420/408. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 8 leidigungen und tätlichen Übergriffen neigen, käme der Schutz der Mitreisenden vor diesen Übergriffen aber zunächst als legitimes Ziel in Betracht. Das Verbot des Verzehrs von Alkohol müsste geeignet sein, diese Belästigungen der Mitreisenden zu verhindern. Wie bereits erläutert, geht die Beeinträchtigung der Mitreisenden anders als beim Passivrauchen nicht vom Alkoholverzehr als solchem aus, sondern von dessen Auswirkungen auf die Konsumenten. Personen, die sich bereits vor Betreten des Beförderungsmittels (stark) alkoholisiert haben, werden durch das Verbot aber nicht von der Beförderung ausgeschlossen. Das Verbot kann nur eine weitere Steigerung der Alkoholisierung während der Fahrt vermeiden. Nach den Erfahrungen einer privaten Regionalbahn scheint ein Verbot des Verzehrs von Alkohol allerdings zumindest zu einem Rückgang von Übergriffen, Randalen und Sachbeschädigungen führen zu können.16 Dieses Verzehrverbot wird in der Regionalbahn mit einem erheblichen Personalaufwand durchgesetzt. Daher scheint das Verbot zumindest nicht von vorneherein ungeeignet zu sein, um die Belästigung durch stark alkoholisierte Personen zumindest zu vermindern. Das Verzehrverbot müsste ferner erforderlich sein, also das mildeste Mittel für die Unterbindung der Belästigung Dritter. Zum einen wäre auch die unternehmerische Durchsetzung des Hausrechts der betroffenen Unternehmen, die zum Teil bereits jetzt den Verzehr alkoholischer Getränke verbieten, möglich.17 Die bisherige Erfahrung zeigt aber, dass diese Durchsetzung nur mangelhaft verfolgt wurde; die Deutsche Bahn als größtes bundesweit betroffenes Beförderungsunternehmen lehnt bisher ein Verzehrverbot in ihren Eisenbahnen zumindest im Fernverkehr ab.18 Zum anderen stellt sich die Frage, ob ein generelles Verzehrverbot in sämtlichen Verkehrsmitteln des Personenverkehrs zu allen Tageszeiten an allen Wochentagen notwendig ist. Ein Großteil der Auseinandersetzungen mit stark alkoholisierten Reisenden findet an den Wochenenden vor allem in den Zügen des Regionalverkehrs sowie des Nahverkehrs statt. Hier wäre es möglich, dass die Ordnungsbehörden anlassbezogen Allgemeinverfügungen zum Verbot des Mitführens alkoholischer Getränke sowie deren Konsum in den Zügen erlassen. Entsprechende Allgemeinverfügungen wurden bereits in der Vergangenheit von der Bundespolizei erlassen und haben sich nach deren Einschätzung bei entsprechender Gefahrenprognose als geeignet erwiesen, gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern bzw. zumindest erheblich einzudämmen.19 Angesichts des ganz überwiegenden Teils der Reisenden, die während der Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln Alkohol verzehren ohne auffällig zu werden, wäre dies jedenfalls ein geeignetes und milderes Mittel gegenüber einem allgemein erlassenen Verzehrverbot. Mangels Erforderlichkeit wäre ein entsprechendes Verzehrverbot wohl nicht verhältnismäßig. 16 „Sicherheit in Zügen – Innenminister drängen auf Alkoholverbot im Nahverkehr“ in Der Spiegel, 2. Dezember 2009, im Internet abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,664668,00.html 17 Die Hausordnung der Deutschen Bahn verbietet bereits jetzt den übermäßigen Verzehr alkoholischer Getränke (http://www.bahnhof.de/site/shared/de/dateianhaenge/bahnhofsplaene/hausordnung.pdf) ebenso wie bspw. die Hausordnung der Berliner Verkehrsbetriebe (http://www.bvg.de/index.php/de/737250/name/Hausordnung.html). Die Dortmunder Verkehrsbetriebe sprechen ein grundsätzliches Verbot jeglichen Alkoholverzehrs auch für Züge aus (http://dortmund.bus-undbahn .de/337.html). 18 So eine Sprecherin der Deutschen Bahn, vgl. „Polizei fordert Alkoholverbot in der Deutschen Bahn“, Süddeutsche Zeitung vom 19.10.2009, im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/reise/deutsche-bahnpolizei -fordert-alkoholverbot-in-der-bahn-1.28066. 19 Vgl. Sachstandsbericht des Bundespolizeipräsidiums (Fn. 1), S. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 9 Ferner könnte das Verzehrverbot auch nicht angemessen sein, da es unzumutbar in die Rechte der einzelnen Reisenden eingreift. Zwar ist die Belästigung der Mitreisenden bis hin zu tätlichen Auseinandersetzungen durch alkoholisierte Reisende ein starker Eingriff in deren Rechte. Andererseits tritt diese Aggressivität nur bei wenigen Alkoholkonsumenten und nur bei übermäßigem Verzehr auf. Anders als beim Passivrauchen führt also nicht jeder Alkoholkonsum unmittelbar zu einer Beeinträchtigung der Mitreisenden. Ein generelles Verzehrverbot für sämtliche Reisende – die Deutsche Bahn hat im Jahr 2010 allein täglich 7,49 Millionen Personen befördert20 – scheint angesichts der nur an wenigen Tagen und in wenigen Zügen gehäuft auftretenden Belästigungen durch stark alkoholisierte Reisende eine unzumutbare Beeinträchtigung der Freiheit der Reisenden , Alkohol in Maßen auch in öffentlichen Verkehrsmitteln zu verzehren. Das Verbot des Verzehrs von Alkohol in öffentlichen Verkehrsmitteln wäre wohl mangels Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht mit Artikel 2 Abs. 1 GG vereinbar. 6. Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Speisewagenbetreiber gemäß Artikel 12 GG Soweit der Verzehr auch in den Speisewagen der Eisenbahn oder der Ausschank an Passagiere im Flugverkehr verboten werden sollte, wäre dieses ferner an dem Schutz der Berufsfreiheit der Speisewagenbetreiber bzw. des Caterers der Luftfahrtgesellschaft gemäß Artikel 12 GG zu prüfen. Als Beruf im Sinne des Artikel 12 GG bezeichnet man jede (erlaubte) Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.21 Der Begriff ist weit auszulegen.22 Der Betrieb eines Restaurants oder Bistros in einem Speisewagen der Deutschen Bahn oder anderer Eisenbahnen fällt jedenfalls in diesen Schutzbereich. Auch der Betrieb eines Catering-Unternehmens für Luftfahrtgesellschaften fällt darunter. Das Verbot, alkoholhaltige Getränke auszuschenken, stellt als Berufsausübungsregel einen Eingriff in den Schutzbereich des Artikel 12 GG dar. Ein entsprechender Eingriff müsste auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen und wiederum verhältnismäßig sein. Das Alkoholverbot soll gesetzlich geregelt werden. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist im Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die vom ihm entwickelte sog. Drei-Stufen-Theorie anzuwenden. Diese teilt Eingriffe in die Berufsfreiheit in drei Kategorien ein. Berufsausübungsregeln führen zur geringsten Beeinträchtigung der Berufsfreiheit.23 Bei Berufsausübungsregeln bestimmt der Gesetzgeber die Art und Weise der Berufstätigkeit. Wegen der geringen Eingriffsintensität sind sie bereits zulässig , wenn sie auf Grund vernünftiger Allgemeinwohlerwägungen zweckmäßig erscheinen24. 20 Deutsche Bahn – DB Mobility Logistics, Daten und Fakten 2010, S. 12. 21 BVerfGE 7, 377, 397; 54, 301, 313. 22 BVerfGE 14, 19, 22. 23 Umbach in: Umbach/Clemens: Grundgesetz – Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd. 1, 2002, Art. 12 Rn. 83. 24 BVerfGE 7, 377, 405 f; 65, 116, 125; 93, 362, 369. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 10 Nach diesen Maßstäben müsste das Verbot des Alkoholverkaufs in den Speisewagen und im Luftverkehr einem vernünftigen Grund des Allgemeinwohls dienen: dem Schutz der Mitreisenden vor Belästigungen durch alkoholisierte Mitreisende. Allerdings ist fraglich, ob das Verbot des Verzehrs und des Ausschanks von Alkohol geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen. Wie bereits ausgeführt , führt der Verzehr von Alkohol als solchem noch nicht unmittelbar zu einer Beeinträchtigung der Mitreisenden, vielmehr manifestieren sich nur bei manchen Personen die Auswirkungen des übermäßigen Verzehrs als Belästigungen Dritter. Ferner müsste das Verbot erforderlich zum Erreichen des Ziels sein. Gerade in den überschaubaren Räumen der Speisewagen sowie der Fluggastkabinen in Flugzeugen wird das Personal im Blick haben, ob sich einzelne Personen übermäßig alkoholisieren und es danach zu einer Belästigung der Mitreisenden im Einzelfall kommt. Gegen diese Belästigungen könnten sie als Inhaber des Hausrechts einschreiten, was wohl auch in der Praxis unternommen wird. Auf den Ausschank und Verkauf alkoholischer Getränke an Personen außerhalb des Speisewagens finden die bereits unter Punkt 5 angestellten Erwägungen Anwendung. Als milderes Mittel käme jedenfalls ein Verkaufsverbot zu bestimmten Zeiten oder Strecken durch den anlassbezogenen Erlass von Allgemeinverfügungen durch die Ordnungsbehörden in Betracht. Ferner stellt sich die Frage, ob ein Verbot des Alkoholkonsums in Speisewagen zumutbar wäre, obwohl wohl der übermäßige Alkoholkonsum einiger Reisender ganz überwiegend nicht in den Speisewagen, sondern in den normalen Abteil- und Großraumwagen mit mitgebrachten Getränken stattfindet. Ein generelles gesetzliches Verbot des Ausschanks und Verzehrs von Alkohol in Speisewagen und Flugzeugen würde im Ergebnis wohl eine unzulässige, da unverhältnismäßige Berufsausübungsregel darstellen. 7. Ergebnis Ein bundesgesetzliches Verbot des Verzehrs alkoholischer Getränke in den Verkehrsmitteln des öffentlichen Personenverkehrs mit Ausnahme der Bergbahnen wäre wohl nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Bundesgesetzgeber wäre zwar auf der Grundlage der Artikel 73. Abs. 1 Nr. 6 und 6a, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 21 bis Nr. 23 in Verbindung mit Artikel 72 GG zum Erlass eines entsprechenden Gesetzes zuständig. Ein entsprechendes Gesetz wäre wohl zustimmungspflichtig. Materiell stößt ein entsprechendes Gesetz allerdings auf erhebliche Bedenken. In die allgemeine Handlungsfreiheit der Reisenden gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG, die Alkohol verzehren möchten, würde wohl in unzulässiger Weise eingegriffen. Anders als beim Schutz vor den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Passivrauchen wirkt sich der Verzehr von Alkohol nicht unmittelbar auf die anderen Reisenden aus; es geht vielmehr um die Auswirkungen übermäßigen Verzehrs auf das Verhalten einzelner Reisender. Wenn ein Verzehrverbot von Alkohol wohl auch nicht von vorneherein ungeeignet erscheint, die Belästigung anderer Reisenden durch alkoholisierte Mitreisende zu vermindern, erscheint es doch nicht als erforderlich. Der größte Teil der Belästigungen durch alkoholisierte Fahrgäste steht im Zusammenhang mit Großereignissen an Wochenenden bzw. Feiertagen. Aus diesen Anlässen können die Ordnungsbehörden durch Allgemeinverfügung das Mitbringen und den Verzehr alkoholischer Getränke in Zügen verbieten. Davon wären dann nicht sämtliche andere Reisende auf anderen Strecken, insbesondere auch des Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 160/11 Seite 11 Fernverkehrs, betroffen. Darüberhinaus wäre eine entsprechende Einschränkung der Gesamtheit aller Reisenden wegen des unerwünschten Verhaltens einiger alkoholisierter Personen wohl nicht zumutbar. Ein Verbot des Verkaufs und Verzehrs alkoholischer Getränke in den Speisewagen von Eisenbahnen sowie in Flugzeugen verstieße ferner wohl gegen das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit der Betreiber der Speisewagen bzw. der Caterer gemäß Artikel 12 GG, da es sich um eine nicht erforderliche und zumutbare Berufsausübungsregelung handelte.