Deutscher Bundestag Gesetzliche Regelungen zur Netzneutralität Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 158/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 2 Gesetzliche Regelungen zur Netzneutralität Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 158/11 Abschluss der Arbeit: 12. Mai 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Fragestellung 5 3. Begriffsklärung 5 4. Gesetzgebungskompetenz des Bundes 6 4.1. Varianten der Umsetzung 6 4.1.1. Wettbewerbsrechtlicher Ansatz 6 4.1.2. Regulativer Ansatz 7 4.2. Bestimmung des Kompetenztitels 7 4.2.1. Recht der Wirtschaft – Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG 8 4.2.2. Recht der Telekommunikation – Art. 73 Nr. 7 GG 8 4.2.3. Gewährleistungsauftrag – Art. 87 f Abs. 1 GG 8 5. Zustimmungsbedürftigkeit 10 5.1. Zustimmungsbedürftigkeit gesetzlicher Regelungen 10 5.2. Zustimmungsbedürftigkeit von Rechtsverordnungen 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 4 1. Zusammenfassung Netzneutralität beschreibt den ungehinderten und diskriminierungsfreien Zugang zum Internet und dessen Nutzung. Hinsichtlich der Gewährleistung von Netzneutralität sind unterschiedliche regulative Maßnahmen denkbar. Wird Netzneutralität eher als Ergebnis eines funktionierenden Wettbewerbs der Diensteanbieter angestrebt, können Regelungen getroffen werden, die diesen Wettbewerb befördern , bspw. Begrenzung der Vertragslaufzeiten. Andererseits kann Netzneutralität wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Netznutzung auch als Wahrnehmung der Gewährleistungsverantwortung des Bundes im Bereich der Telekommunikation nach Art. 87 f Abs. 1 GG verstanden werden. Hierunter könnten etwa Regelungen über die Dienstequalität fallen. Derartige Regelungen bedürfen nach Art. 87 f Abs. 1 GG der Zustimmung des Bundesrats. Nach Art. 80 Abs. 2 GG sind Rechtsverordnungen, deren gesetzliche Grundlagen der Zustimmung des Bundesrats bedurften, ebenfalls zustimmungsbedürftig. Sofern Regelungen zur Netzneutralität im Rahmen der Gewährleistungsverantwortung des Bundes nach Art. 87 f Abs. 1 GG getroffen werden sollen, ist es für die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit unerheblich, ob dies durch Gesetz oder Rechtsverordnung erfolgt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 5 2. Fragestellung In den Gremien des Deutschen Bundestags wird derzeit intensiv über eine Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG)1 diskutiert. In diesem Zusammenhang sollen auch Regelungen zur Netzneutralität getroffen werden. Insoweit sind folgende Fragen zu klären: 1. Steht dem Bund auf diesem Gebiet die Gesetzgebungskompetenz zu? 2. Eröffnet ein solches Gesetz zur Netzneutralität die Zustimmungspflicht des Bundesrates nach Art. 87 f Abs. 1 GG? 3. Bezieht sich die vermeintliche Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates auch auf Rechtsverordnungen , die das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) – oder im Falle der Subdelegation die Bundesnetzagentur (BNetzA) – auf diesem Gebiet erlässt? 4. Verändert sich die Rechtslage bzgl. der Zustimmungspflicht, wenn die Regelungen zur Netzneutralität in einer TKG-Novelle eingearbeitet werden? 3. Begriffsklärung Netzneutralität beschreibt den ungehinderten und diskriminierungsfreien Zugang zum Internet und dessen Nutzung. Als solches ist die Netzneutralität ein Ideal, dessen Gewährleistung durch gesetzliche Regelungen erfolgen kann. Da seitens der Netzbetreiber im Zuge des technischen Fortschritts die Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Datenverkehr stetig wachsen, steht zu befürchten, dass diese die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen werden, um ihre Marktposition zu stärken. Als denkbare Beschränkungen kommen die Blockade von bestimmten Inhalten und die Einflussnahme auf die Übertragungspriorität von Datenströmen in Betracht. Beispielsweise können Internetdienstleistungen wie der E-Mail-Verkehr zugunsten datenintensiver Dienste wie der Internettelefonie nachrangig behandelt werden, um Datenstaus zu vermeiden. Dies könnte jedoch ebenso negative Entwicklungen zur Folge haben, wenn die Verbreitung von Informationen, Angeboten und Diensten im Internet beeinträchtigt wird und zu Kostensteigerungen zulasten der Konsumenten führt.2 1 Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 506) geändert worden ist. 2 Bullinger, Gyde Maria, Aktueller Begriff (014/10) : Netzneutralität, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 2010. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 6 4. Gesetzgebungskompetenz des Bundes Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes in Fragen der Netzneutralität ist eröffnet, wenn hierbei Regelungsbereiche berührt werden, die von der ausschließlichen Kompetenzzuweisung des Art. 73 GG oder der konkurrierenden Kompetenzzuweisung nach Art. 74 GG umfasst sind. Da verschiedene Ansätze zur Gewährleistung der Netzneutralität diskutiert werden, kann diese Frage nicht einheitlich beantwortet werden. Darum gilt es zunächst zu erörtern, welche normativen Instrumente zur Regulierung dieses Bereichs zur Verfügung stehen. In einem zweiten Schritt erfolgt die rechtliche Einordnung dieser Maßnahmen in den Kompetenzkatalog des Grundgesetzes . 4.1. Varianten der Umsetzung Im Wesentlichen werden zur Gewährleistung der Netzneutralität zwei unterschiedliche Regulierungsansätze diskutiert. Während es einige als ausreichend erachten, dass die Selbstreinigungskräfte des Marktes durch den Wettbewerb der Anbieter zu gerechten Ergebnissen führen, fordern andere die positive Normierung von Standards der Signalübermittlung.3 Der aktuelle Regierungsentwurf zur Änderung des TKG (TKG-E)4 bedient sich dabei verschiedener Instrumente und lässt sich daher nicht ausschließlich einem Ansatz zuordnen. In den Entwurf sind folgende Regelungen mit Bezug zur Netzneutralität eingeflossen: Nach § 43 a I Nr. 2, II TKG-E werden Netzanbieter verpflichtet gegenüber Endnutzern und Verbrauchern unter anderem Informationen über die Dienstqualität offenzulegen. Diese Vorschriften werden flankiert durch § 45 n TKG-E, der das BMWi ermächtigt, weitere Transparenzrichtlinien zu erlassen. Ferner sieht § 43 b TKG-E vor, die maximale Vertragslaufzeit gegenüber Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsnetze auf ein Jahr zu begrenzen. § 45 o TKG-E enthält eine Ermächtigungsgrundlage für das BMWi, um Dienstequalitäten und Dienstemerkmale durch Rechtsverordnung festzusetzen. Dabei kann das BMWi die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen jeweils an die BNetzA delegieren. 4.1.1. Wettbewerbsrechtlicher Ansatz Der wettbewerbsrechtliche Ansatz baut auf der Idee auf, dass Netzbetreiber, die die Netzneutralität beschneiden, allein durch den funktionierenden Wettbewerb mit anderen Anbietern am Markt sanktioniert werden. Dies allein würde genügen, um einen netzneutralen Zustand herzustellen. Insoweit beschränkt sich die Aufgabe des Gesetzgebers darauf, einen gerechten Wettbewerb zu garantieren, indem er wettbewerbswidrige Verhaltensweisen durch die Marktteilnehmer in Form 3 Spies, Axel/Ufer, Frederic, Netzneutralität 2011 – Wohin geht die Reise und wer stellt die Weichen?, MMR 2011, 13 (14). 4 abrufbar: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Gesetz/referentenentwurf-tkg- 2011,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf [Abruf: 09.05.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 7 eines Diskriminierungsverbotes ausschließt. Dies wird durch die wettbewerbsrechtlichen Eingriffsbefugnisse der BNetzA in Fällen der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 42 TKG umgesetzt.5 Auf diesem Ansatz aufbauende regulative Maßnahmen sind daher darauf gerichtet, die Wettbewerbsprozesse am Markt zu befeuern. Vornehmlich kann dies erreicht werden, indem der Markt transparenter gestaltet wird und der Handlungsspielraum der Protagonisten erweitert wird, die den Netzanbietern gegenüberstehen. Können die Verbraucher beispielsweise schneller ihre bestehenden Verträge kündigen, erhöht sich der Druck auf die Netzanbieter stetig leistungsstarke Tarife anzubieten. Ihre Entsprechung finden diese Gedanken im aktuellen Regierungsentwurf in Hinblick auf die Regelungen zu den verkürzten Vertragslaufzeiten, den Informationspflichten der Diensteanbieter und der Möglichkeit zum Erlass von Transparenzrichtlinien. 4.1.2. Regulativer Ansatz Die Anhänger eines regulativen Ansatzes fordern die gesetzliche Normierung von Standards der Signalübermittlung. Der insoweit radikalste Vorschlag sieht eine Gleichbehandlung aller Datensätze unabhängig von ihrer Größe, Inhalt und Herkunft vor. Dies bedeutet, dass Netzanbieter nach dem sogenannten best-effort-Prinzip keinen regulierenden Einfluss auf die Datenübertragung nehmen dürfen. Vielmehr sind sie verpflichtet, jedes Datenpaket gleichrangig und so effektiv wie möglich zu versenden.6 Alternativ hierzu stehen Überlegungen, einheitliche Standards für Netzdienstleistungen festzulegen , bei denen die Datenübertragung nicht per se gleichberechtigt erfolgt. Stattdessen wird eine Übertragungsqualität normiert, die der Netzanbieter gegenüber jedermann garantieren muss, welche aber nicht die Leistungsfähigkeit des Netzes vollständig ausreizt. Auf diese Weise werden den Netzanbietern Spielräume geboten, differenzierte Produktangebote zu schaffen, die auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen abgestimmt sind.7 Dieser Gedanke wurde in dem Regierungsentwurf aufgegriffen, indem er gemäß § 45 o TKG-E eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Festsetzung von Dienstequalitäten enthält. 4.2. Bestimmung des Kompetenztitels Nachfolgend werden die oben erörterten Regelungen einem Kompetenztitel des Bundes zugeordnet . Als solche kommen in Betracht: die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für 5 Greve, Holger, Tagung „Netzneutralität in der Informationsgesellschaft“ am 15. Dezember 2010 in Berlin, DÖV 2011, 317 (319). 6 Körber, Torsten, TKG-Novelle 2011 - Breitbandausbau im Spannungsfeld von Europäisierung, Regionalisierung und Netzneutralität, MMR 2010, 215 (220). 7 Körber (Fn. 6), MMR 2010, 215 (220). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 8 das Recht des Telekommunikationswesens nach Art. 73 Nr. 7 GG und die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach Art. 87 f Abs. 1 GG. 4.2.1. Recht der Wirtschaft – Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Die Intention der Regelungen innerhalb des wettbewerbsrechtlichen Ansatzes geht dahin, die Handlungsspielräume der Teilnehmer am Markt zu definieren. Demnach bestimmen sie die Art und Weise „des wirtschaftlichen Lebens und der Betätigung […], die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen “ und sind infolgedessen dem Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zuzurechnen .8 4.2.2. Recht der Telekommunikation – Art. 73 Nr. 7 GG Hiervon ist das Recht der Telekommunikation nach Art. 73 Nr. 7 GG abzugrenzen, das alle infrastrukturellen Regelung der Errichtung oder des Unterhalts eines Telekommunikationsnetzes umfasst. Hiervon sind folglich Regelungen erfasst, die den technischen Übermittlungsvorgang betreffen.9 Wie bereits dargelegt, trifft der regulative Ansatz Festsetzungen hinsichtlich der Art und Weise der Datenübertragung. Dabei handelt es sich um eine netzbezogene Regelung, da der Übermittlungsvorgang gerade der primäre Zweck eines Netzes ist. Dass die Regelung keine unmittelbar infrastrukturelle Anordnung im Sinne der Errichtung oder des Ausbaus eines Netzes trifft, dürfte unbeachtlich sein. Schließlich ist für den Nutzer eines Netzes erst die Durchleitung von Inhalten wertstiftend. Regelungen über die Art und Weise der Signalübermittlung konkretisieren daher die Grundbedingungen für die Funktion eines Netzes und haben somit infrastrukturelle Bedeutung . Auf die rechtliche Bewertung hat es dabei keinen Einfluss, ob ein allgemeiner Gleichbehandlungssatz oder lediglich Standards der Signalübermittlung normiert werden. Beide Ansätze heben sich schließlich nur durch quantitative, nicht aber qualitative Festsetzungen ab. Mithin unterfallen die Maßnahmen des regulativen Ansatzes dem Recht der Telekommunikation nach Art. 73 Nr. 7 GG. 4.2.3. Gewährleistungsauftrag – Art. 87 f Abs. 1 GG Jedoch könnte darüber hinaus die Gesetzgebungszuständigkeit gemäß Art. 87 f Abs. 1 GG eröffnet sein.10 Dies würde voraussetzen, dass die in Rede stehenden Regelungen die Gewährleistungsver- 8 BVerfGE 8, 143. 9 BVerfGE 12, 205 (226); Dreier, Horst, Grundgesetz Band II, Kommentar, 2. Auflage 2006, Art. 73, Rn. 31. 10 Möstl in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand 60. Ergänzungslieferung 2010, Art. 87 f, Rn. 89. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 9 antwortung des Bundes zur Erhaltung einer flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen berühren. Die Gewährleistungsverantwortung des Bundes im Bereich der Telekommunikation geht auf die Privatisierung im Post- und Telekommunikationssektor im Zuge der Reformen in den 90er Jahren zurück. Den Netzbetrieb und das Dienstleistungsangebot verwaltete bis dahin allein die Deutsche Bundespost TELEKOM im Wege der verfassungsrechtlich gebotenen Daseinsvorsorge. Während der Staat folglich bis dato über ein natürliches Monopol verfügte, wurde nunmehr ein privatwirtschaftlicher Markt eingeführt. Die Aufgabe des Staates wandelte sich daher von der Leistungsverwaltung hin zu einer Regulierungsverwaltung, die die Umsetzung der Infrastrukturziele und der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfreiheit garantieren sollte.11 Um ein Mindestniveau der Dienstequalität sicherzustellen, wurde der Gewährleistungsauftrag als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufgenommen. Staatszielbestimmungen verpflichten den Staat aktiv und verbindlich die Erfüllung der jeweiligen Vorgabe zu erreichen. In der Wahl der Mittel ist er jedoch frei, solange diese dem Zweck förderlich sind.12 Der Gewährleistungsauftrag ist an den Attributen der flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Verbraucher mit Dienstleistungen zu messen. Neben den ausdrücklich in der Norm erwähnten Dienstleistungen, erstreckt sich die Gewährleistungsverantwortung zudem reflexartig auf die zugrundeliegende Infrastruktur, da eine Trennung – wie bereits erörtert – nicht sinnvoll erscheint. Insoweit ist der Regelungsbereich des Art. 87 f Abs. 1 GG weiter als bei den beiden zuvor genannten Kompetenztiteln. Er schließt netzbezogene und dienstleistungsbezogene Regulierungsmaßnahmen ein. Da dem Staat insbesondere die Umsetzung des Wettbewerbsprinzips auf dem Telekommunikationsmarkt übertragen wurde, sind sämtliche netzregulative Maßnahmen der Art nach von der Norm erfasst.13 Von entscheidender Bedeutung ist nun die Frage, ob nur solche Regelungen dem Gewährleistungsauftrag zuzuordnen sind, die auf Wahrung eines Mindestversorgungsniveaus gerichtet sind oder ob alle – auch darüber hinausgehende – Maßnahmen innerhalb dieses Regelungsbereiches hiervon betroffen sind. Denn durch die Beschneidung der Netzneutralität, würde den Verbrauchern die Nutzung von Telekommunikationsdienstleistungen nicht per se verweigert. Sie bezöge sich lediglich auf die Qualität der angebotenen Dienstleistungen. Insoweit macht auch der Gesetzgeber deutlich, dass er den Gewährleistungsauftrag nach Art. 87 f Abs. 1 GG im Sinne der Bereitstellung einer Grundversorgung versteht und damit nicht der Ausbau einer optimalen Infrastruktur gemeint sei.14 Nach dem Wortlaut des Art. 87 f Abs.1 GG kommt der Bund seinem Gewährleistungsauftrag nach Maßgabe eines Gesetzes nach. Das bedeutet, dass es im Ermessen der Bundes steht, wie er die 11 Freund, Matthias, Infrastrukturgewährleistung in der Telekommunikation, NVwZ 2003, 408 (409). 12 Möstl (Fn. 10), Art. 87 f Rn. 62 ff.; BT-Drs. 12/7269, S. 5. 13 Möstl (Fn. 10), Art. 87 f Rn. 2. 14 BT-Drs. 12/6717, S.4; BT-Drs. 12/7269, S.5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 10 Anforderungen eines Mindestniveaus formuliert. Inhaltlich regelt die Staatszielbestimmung lediglich ein Verbot der Unterschreitung eines Mindestniveaus. Sie schreibt jedoch keine bestimmte Ausgestaltungshöhe vor. Dem Bund steht insoweit eine Einschätzungsprärogative zu.15 Außerdem kann die Gewährleistungsverantwortung als Konkretisierung des Sozialstaatsniveaus verstanden werden, durch die eine ausreichende Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Telekommunikationsdiensten gewährleistet werden soll. Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt der gesetzgeberischen Verantwortung, so dass allein der Gesetzgeber entscheidet, wie er das jeweilige Mindestniveau definieren will.16 Dabei sind die Regelungsanforderungen dynamisch, da sie sich auf die gegenwärtigen Entwicklungen auf dem Telekommunikationsmarkt beziehen. Negative Folgen dieser aus heutiger Sicht begrüßenswerten Entwicklungen können sich u.U. erst zu einem späteren Zeitpunkt realisieren. Dies gilt etwa für die Netzneutralität, die möglicherweise in der Zukunft beeinträchtigt sein könnte. Daher muss dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet sein, vorausschauend gesetzgeberisch einzugreifen , wenn sich Prozesse abzeichnen, die wahrscheinlich zu Beeinträchtigungen führen werden. Es wäre nicht zielführend ihn auf ein späteres Eingreifen zu verweisen, wenn sich die Versorgungslage bereits evident verschlechtert hat und sich herausstellt, dass die dann gegenwärtige Regelungsdichte dem Gewährleistungsauftrag nicht mehr gerecht wird. Sieht der Gesetzgeber das aus seiner Sicht zu gewährleistende Mindestniveau gefährdet, kann er folglich einschreiten. Mithin ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 87 f Abs. 1 GG eröffnet. Die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 87 f Abs. 1 GG ist gegenüber den voran diskutierten Kompetenzgrundlagen spezieller und jedenfalls für solche Regelungen einschlägig, die Dienstequalitäten betreffen (§ 45 o TKG-E). 5. Zustimmungsbedürftigkeit 5.1. Zustimmungsbedürftigkeit gesetzlicher Regelungen Die Zustimmungsbedürftigkeit von Regelungen zur Netzneutralität folgt aus Art. 87 f Abs. 1 GG. Wie bereits dargelegt, kann die Regelungsmaterie als Ausfluss des Gewährleistungsauftrags verstanden werden. Daher bedürfte der Erlass von Regelungen über die Netzneutralität der Zustimmung des Bundesrates. Ob diese Regelungen in einem eigenständigen Gesetz oder im Wege einer Novellierung des TKG umgesetzt werden, hat auf dieses Ergebnis keinen Einfluss. Die Ergänzung eines Gesetzes beurteilt sich nach denselben Maßstäben wie die Verabschiedung eines eigenständigen Gesetzes. 15 Möstl (Fn. 10), Art. 87 f, Rn. 65. 16 Möstl (Fn. 10), Art. 87 f, Rn. 66. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 158/11 Seite 11 5.2. Zustimmungsbedürftigkeit von Rechtsverordnungen Fraglich ist zudem, ob die Rechtsverordnungen, die das Bundeswirtschaftsministerium nach dem Regierungsentwurf zur Festsetzung von Transparenzrichtlinien bzw. der Dienstequalität erlassen kann, ebenso jeweils der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. In Art. 80 Abs. 2 GG sind die Rechtsverordnungen, deren Erlass zustimmungsbedürftig ist, abschließend aufgezählt. Dabei handelt es sich um Verkehrsverordnungen, rechtsgrundlagenbezogene Rechtsverordnungen und vollzugsbedingte Rechtsverordnungen.17 Die fraglichen Rechtsverordnungen könnten der Gruppe der Verkehrsverordnungen zuzuordnen sein, wenn sie die Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Einrichtungen der Telekommunikation regeln. Der Begriff der Grundsätze der Telekommunikation ist dabei äußerst vage. Diese sind wohl berührt, wenn Rechtsverordnungen Außenwirkung gegenüber Dritten entfalten.18 Die Festlegung von Transparenzgeboten als auch die Standardisierung von Dienstequalitäten treffen konkrete Rechtsfolgen gegenüber den Diensteanbietern als Regelungsadressaten und haben somit Außenwirkung. Folglich müssten sie als zustimmungsbedürftige Verkehrsverordnung zu qualifizieren sein. Jedenfalls handelt es sich bei den Rechtsverordnungen zur Netzneutralität um rechtsgrundlagenbezogene Rechtsverordnungen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie aufgrund von Gesetzen ergehen, die selbst durch die Zustimmung des Bundesrates zustande kamen. Demnach ergibt sich aus der zuvor hergeleiteten Zustimmungsbedürftigkeit der Regelungen über die Netzneutralität die Zustimmungsbedürftigkeit der fraglichen Rechtsverordnungen. 17 Brenner, Michael, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Band 2, 6. Auflage 2010, Art. 80 Rn. 81. 18 Brenner (Fn. 17), Art. 87 f, Rn.86.