© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Fragen zu den Auswirkungen des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 2 Fragen zu den Auswirkungen des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Abschluss der Arbeit: 26. Juni 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung WD 6: Arbeit und Soziales zu Ziffer 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Das Berliner Landesparlament hat am 4. Juni 2020 das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG)1 beschlossen. Das LADG sieht ein umfängliches Diskriminierungsverbot im Rahmen öffentlichrechtlichen Handels des Landes Berlin vor. Ziel des Gesetzes ist es, Schutzlücken, die durch den begrenzten Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)2 insbesondere im Bereich des öffentlich-rechtlichen Handelns ausgemacht werden, zu schließen und einen verbesserten Zugang zu Instrumenten des Diskriminierungsschutzes zu schaffen sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt als Leitprinzip zu verankern. Defizite bei der Umsetzung europäischer Vorgaben im Bereich des Antidiskriminierungsrechts sollen durch das Gesetz behoben werden.3 Die Polizei in Berlin wird insbesondere bei Großveranstaltungen und größeren Versammlungen regelmäßig von der Bundespolizei und Polizeibeamten anderer Bundesländer unterstützt. Geprüft werden soll, welche konkreten Auswirkungen das LADG auf Polizeidienstkräfte der Bundespolizei bzw. anderer Bundesländer hat, die Unterstützung in Berlin leisten. Zudem soll die Frage beantwortet werden, ob ein mögliches Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte sowohl im Empfänger- als auch im Entsendeland eingeleitet werden muss. 2. Überblick zu den wesentlichen Regelungsinhalten des LADG Das LADG enthält 14 Paragraphen in fünf Abschnitten. Gemäß § 2 LADG darf kein Mensch „im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung , einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status diskriminiert werden". Damit sieht das LADG gegenüber dem AGG einen um folgende Merkmale erweiterten Katalog von Diskriminierungsgründen vor: antisemitische Zuschreibung, chronische Erkrankung, Sprache und sozialer Status. In § 4 und § 5 LADG übernimmt das LADG die Diskriminierungsdefinitionen des § 3 AGG. § 6 LADG regelt ein Maßregelungsverbot; danach sind Benachteiligungen wegen der Inanspruchnahme von Rechten des LADG oder wegen der Weigerung, eine gegen das LADG verstoßende Anweisung auszuführen, verboten. 1 Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom 11. Juni 2020, GVBl. Berlin Nr. 29 vom 20. Juni 2020, 532 ff. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610). 3 Vgl. § 1 LADG und die Gesetzesbegründung, Vorlage – zur Beschlussfassung – Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom 12. Juni 2020, Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/996, 3 und 15 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 4 Das Diskriminierungsverbot aus § 2 LADG und das Maßregelungsverbot des § 6 LADG gelten gemäß § 3 LADG für die gesamte Berliner Verwaltung. Auch polizei- und ordnungsbehördliches Handeln wird vom Geltungsbereich erfasst. Bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot bzw. das Maßregelungsverbot kann die betroffene Person Schadensersatz oder Entschädigung beanspruchen, § 8 LADG. Der Schadensersatzanspruch für Vermögensschäden nach § 8 Abs. 1 LADG wird an die Bedingung geknüpft, dass gegen die Diskriminierung zuvor ein Rechtsbehelf eingelegt wurde (Vorrang des Primärrechtsschutzes ), § 8 Abs. 1 S. 2 LADG. Damit soll ein „Dulden und Liquidieren“ ausgeschlossen werden.4 § 8 Abs. 2 LADG sieht darüber hinaus einen Anspruch auf Entschädigung in Geld für durch die Diskriminierung erlittene Schäden vor, die keine Vermögensschäden sind (sog. immaterielle Schäden). Für diesen Entschädigungsanspruch gilt kein Vorrang des Primärrechtsschutzes . Die Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung sind verschuldensunabhängig ausgestaltet . Laut Gesetzesbegründung sind die Gerichte bei der Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruches „an die Forderung der Richtlinien (Artikel 15 der RL 2000/43/EG, Artikel 14 der RL 2004/113/EG) sowie der Rechtsprechung des EuGH nach einer wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ausgestalteten Sanktion gebunden. Darüber hinaus sollen die Schwere des Verstoßes und die Folgen für die diskriminierte Person berücksichtigt werden, so etwa psychische Beeinträchtigungen oder erlittene Traumata; ferner können besondere Aspekte und Folgen von Mehrfachdiskriminierungen mit einfließen.“5 Ausgleichspflichtig ist die öffentliche Stelle des Landes Berlin, in deren Verantwortungsbereich die Diskriminierung stattgefunden hat, § 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 LADG. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 8 Abs. 4 LADG ein Jahr. Die Ansprüche müssen vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden. Das LADG enthält zudem Regelungen, mit denen die Rechtsschutzmöglichkeiten erweitert und verbessert werden sollen: Zum einen sieht § 7 LADG eine Vermutungsregelung für die haftungsbegründende Kausalität vor. Diese hat folgenden Wortlaut: „Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 2 oder § 6 überwiegend wahrscheinlich machen, obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen.“ Damit wird ein zweistufiges Verfahren begründet: Die klagende Person muss zunächst Tatsachen glaubhaft machen, dass gegen das Diskriminierungsverbot bzw. das Maßregelungsverbot verstoßen wurde. Soweit die Glaubhaftmachung gelingt, obliegt es der öffentlichen Stelle, für das Gegenteil Beweis zu erbringen und den Verstoß zu widerlegen. 4 Gesetzesbegründung, Vorlage – zur Beschlussfassung – Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom 12. Juni 2020, Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/996, 31. 5 Gesetzesbegründung, Vorlage – zur Beschlussfassung – Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom 12. Juni 2020, Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/996, 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 5 Die Glaubhaftmachung ist eine besondere Form des Beweises im Prozessrecht, die einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit fordert, als der volle Beweis.6 Dieser allgemeine Grundsatz findet sich in verschiedenen Prozessordnungen, vgl. insbes. § 294 Zivilprozessordnung (ZPO)7, § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)8, § 93 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)9. Grundsätzlich bedarf es zum Nachweis einer Tatsache der vollen richterlichen Überzeugung.10 Dagegen reicht es für Glaubhaftmachung von Tatsachen, dass das Gericht ihr Vorliegen für überwiegend wahrscheinlich hält, d.h. es muss mehr für das Vorliegen der Tatsache als gegen sie sprechen.11 Die Glaubhaftmachung ist nur in den Fällen zulässig, in denen eine gesetzliche Regelung sie ausdrücklich vorschreibt.12 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass es sich bei § 7 LADG um keine ungewöhnliche Regelung handele, sondern eine solche Beweislastverteilung bereits zum Repertoire der Rechtsprechung zähle. So würden in Fällen, in denen bestimmte Motive oder Tatsachen regelmäßig der Wissens- und Einflusssphäre nur einer bestimmten Partei zugehörten, die Gerichte dieser Partei aus allgemeinen prozessualen Erwägungen erhöhte Darlegungs- und Beweisobliegenheiten auferlegen.13 Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Berliner Regelung den europäischen Vorgaben entspreche bzw. sogar für die öffentliche Stelle günstiger als das Europarecht sei, da Art. 9 der Richtlinie 2004/113/EG des Europäischen Rates14 bei der Glaubhaftmachung bereits die Vermutung einer Diskriminierung ausreichen lasse.15 Das LADG enthält keine spezielle Regelung für den Regress des Landes Berlin zur Erstattung seiner Aufwendungen (gezahlter Schadensersatz oder Entschädigung nach § 8 LADG) gegenüber denjenigen Bediensteten, die die Diskriminierung vorgenommen haben. Insofern dürfte das generell für die Bediensteten der Berliner Verwaltung geltende Recht maßgeblich sein (vgl. für Beamte 6 Vgl. Auszug aus Munzinger Online/Duden - Recht A – Z zum Begriff „Glaubhaftmachung“, 2. Auflage, Bibliographisches Institut GmbH, Berlin, 2010, (abgerufen von Deutscher Bundestag Bibliothek am 18.6.2020). 7 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633). 8 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Artikel 56 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652). 9 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724). 10 Prütting, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 294 Rn. 24. 11 Ebenda. 12 Prütting, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 294 Rn. 4. 13 Tischbrink/Wihl, Keine polizeilichen Hilfseinsätze mehr für die Hauptstadt?, verfassungsblog.de vom 8. Juni 2020, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/keine-polizeilichen-hilfseinsaetze-mehr-fuer-die-hauptstadt/ (letzter Abruf: 25. Juni 2020). 14 Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. 15 Körting, Mehr als reine Vermutung, Der Tagesspiegel vom 24. Juni 2020, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 6 § 48 Beamtenstatusgesetz i.V.m. § 72 Landesbeamtengesetz Berlin). Es wird berichtet, dass derzeit eine Dienstvereinbarung über Haftungsfragen mit dem Hauptpersonalrat der Berliner Polizei verhandelt wird.16 Weitere Regelungen, die die Rechtschutzmöglichkeiten verbessern sollen, sieht § 9 LADG vor. Dieser regelt zum einen eine antidiskriminierungsrechtliche Verbandsklage, die von nach § 10 LADG anerkannten Verbänden mit dem Ziel der Feststellung, dass Verwaltungsakte, Allgemeinverfügungen oder sonstiges Verwaltungshandeln gegen das Diskriminierungs- oder Maßregelungsverbot verstoßen, erhoben werden kann, sofern eine über die individuelle Betroffenheit hinausgehende Bedeutung vorliegt. Zum anderen regelt § 9 Abs. 3 LADG die Möglichkeit einer Prozessstandschaft durch anerkannte antidiskriminierungsrechtliche Verbände. Weitere Regelungen des LADG betreffen die Selbstverpflichtung des Senats zur Förderung einer Kultur der Wertschätzung und deren ständige Überprüfung (§ 12 LADG) und die Einrichtung einer Ombudsstelle (§ 13 und § 14 LADG). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass schon vor Inkrafttreten des LADG Behörden nicht diskriminieren durften und dürfen. Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) regelt Diskriminierungsverbote ; niemand darf aufgrund bestimmter Merkmale wie Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner Behinderung benachteiligt werden. Nach Art. 10 Berliner Landesverfassung ist zudem eine Benachteiligung anhand der sexuellen Identität verboten. Die Rechtswidrigkeit von ggfs. diskriminierenden polizeilichen Maßnahmen konnten Betroffene schon bisher vor dem Verwaltungsgericht bzw. durch Amtshaftungsklagen vor den Zivilgerichten klären lassen. Die wesentliche Neuerungen, die das LADG hier vorsieht, sind der spezielle Schadens- und Entschädigungsanspruch des § 8 LADG sowie die Vermutungsregelung des § 7 LADG. 3. Auswirkungen des LADG auf die Unterstützung der Berliner Polizei durch Beamte der Bundespolizei und anderer Bundesländer Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 LADG gilt das LADG nur für öffentliche Stellen des Landes Berlin. Allerdings kann sich die Verpflichtung zur Beachtung des LADG aus Bestimmungen ergeben , die die Unterstützung durch Dienstkräfte der Bundespolizei oder anderer Bundesländer regeln . Das Grundgesetz sieht in folgenden Fällen ausdrücklich vor, dass die Bundesländer Unterstützung durch die Bundespolizei oder Polizeien anderer Bundesländer anfordern können: Nach Art. 35 Abs. 2 S. 1 GG kann ein Land zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen der Bundespolizei zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Landespolizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Gemäß Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG kann ein Land auch zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall Polizeikräfte der Bundespolizei oder anderer Länder anfordern. Art. 91 Abs. 1 GG sieht die Anforderung der Bundespolizei oder von Polizei- 16 Nielebock, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 7 kräften anderer Länder durch ein Bundesland zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes vor. Art. 35 Abs. 1 GG normiert zudem, dass sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten. 3.1. Unterstützung durch die Bundespolizei Der Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung von Aufgaben eines Landes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der abschließenden Verwaltungskompetenzordnung der Art. 83 GG nur aufgrund ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ermächtigung zulässig.17 § 11 Bundespolizeigesetz (BPolG) konkretisiert die in Art. 35 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1 GG genannten besonderen Formen der Unterstützung18 eines Bundeslandes durch die Bundespolizei näher. Gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 BPolG richtet sich diese nach dem für das anfordernde Land geltenden Recht, also nach dem jeweiligen Landesrecht und dem sachlich einschlägigen Bundesrecht. Nach § 11 Abs. 2 S. 2 BPolG unterliegt die Bundespolizei bei Unterstützungseinsätzen den fachlichen Weisungen des Landes, während die Weisungsbefugnis im Hinblick auf Organisation und Dienstrecht beim Bund verbleibt.19 Flankiert wird § 11 BPolG durch die Regelung des § 8 Abs. 2 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG)20. Diese besagt, dass wenn Polizeidienstkräfte eines anderen Landes oder des Bundes auf Anforderung des Polizeipräsidenten Berlin sowie in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 GG tätig werden, „sie die gleichen Befugnisse wie die des Landes Berlin [haben]. Ihre Maßnahmen gelten als Maßnahmen des Polizeipräsidenten in Berlin; sie unterliegen insoweit dessen Weisungen .“21 Daraus folgt, dass Bundespolizisten bei Unterstützungseinsätzen in Berlin das Landesrecht von Berlin und damit bei der Durchführung von polizeilichen Maßnahmen grundsätzlich auch die Bestimmungen des LADG zu beachten haben. 17 BVerfG, Urteil vom 2. Juni 2015 – 2 BvE 7/11 –, juris Rn. 108 f. 18 Zur Frage der Einordnung als Amtshilfe, Organleihe oder Mandat vgl. Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 11 Rn. 27; Wehr, Bundespolizeigesetz, 2. Auflage 2015, § 11 Rn. 1 m.w.N.; bzgl. Art. 35 Abs. 2 S. 1 offengelassen bei BVerfG, Urteil vom 2. Juni 2015 – 2 BvE 7/11 –, juris Rn. 116. 19 Siehe dazu auch BVerfGE 139, 194 (Rn. 3); Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 11 Rn. 29. 20 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheitsund Ordnungsgesetz - ASOG Bln) in der Fassung vom 11. Oktober 2006, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.04.2020 (GVBl. S. 274). 21 Hervorhebungen nur hier. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 8 3.1.1. Erweiterte Haftung für diskriminierende Handlungen? 3.1.1.1. Haftung nach § 8 LADG? Maßnahmen landesfremder Polizeibeamter gelten nach § 8 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 ASOG als Maßnahmen des Polizeipräsidenten in Berlin. Auch Verstöße durch Bundespolizeibeamte bei einem Unterstützungseinsatz für das Land Berlin gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 2 LADG bzw. das Maßregelungsverbot gemäß § 6 LADG sind danach der Berliner Polizei zuzurechnen. Diese ist als öffentliche Stelle des Landes Berlin, in deren Verantwortungsbereich die Diskriminierung stattgefunden hat, verpflichtet, der diskriminierten Person Schadensersatz bzw. Entschädigung zu leisten, § 8 i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 LADG. Eine persönliche Haftung der handelnden – landeseigenen oder fremden – Beamten wird durch § 8 LADG nicht begründet. Die beweiserleichternde Vermutungsregelung des § 7 LADG kommt ebenfalls nur hinsichtlich der Ansprüche aus § 8 LADG gegenüber dem Land Berlin zur Anwendung. Nach Pressemeldungen haben sich der Bundesinnenminister und der Berliner Innensenator zudem nunmehr dies klarstellend darauf geeinigt , dass das Land Berlin „die Bundespolizei und deren Beamte in Folge von Diskriminierungen nach dem LADG nicht für Schadensersatzansprüche in Haftung nehmen wird.“22 3.1.1.2. Auswirkung des LADG auf weitere Haftungsansprüche? Neben einer Haftung nach § 8 LADG kommen als weitere Anspruchsgrundlagen der Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 34 S. 1 GG sowie landesrechtliche Schadensersatzansprüche aus §§ 59 ff. ASOG in Betracht. Nach § 839 Abs. 1 BGB hat ein Beamter, der vorsätzlich oder fahrlässig eine ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen . Der Anspruch aus § 839 BGB gegen den handelnden Beamten geht unter den Voraussetzungen des Art. 34 GG auf die staatliche Stelle über, für die der Beamte hoheitlich tätig wird. Es ist nicht ersichtlich, dass die Regelungen des LADG zu wesentlichen Änderungen im Rahmen des Amtshaftungsverfahrens führen werden. Wie unter 2. ausgeführt, dürfen Polizeibeamte keine diskriminierenden Handlungen vornehmen und haben nicht nur die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG zu beachten, sondern auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die aus den Grundrechten und Art. 3 GG folgenden Diskriminierungsverbote werden nach kursorischer Prüfung durch den Katalog des § 2 LADG konkretisiert. Insofern dürften sich aus dem LADG keine wesentlichen neuen Pflichten für die handelnden Polizeidienstkräfte ergeben. Für das Amtshaftungsverfahren nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG gelten zudem eigene Anspruchsvoraussetzungen.23 Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Beweisregelungen der Zivilprozessordnung; eine Glaubhaftmachung ist hier nicht vorgesehen. Bei der Vermutungsregelung des § 7 LADG handelt es sich um eine spezielle, landesrechtliche Ausnahmeregelung , die für Ansprüche des § 8 LADG zur Geltung kommt. Als solche kann sie keine Geltung für das bundesrechtliche Amtshaftungsverfahren beanspruchen. 22 Berliner Morgenpost vom 26. Juni 2020, Geisel und Seehofer einigen sich, S. 11 (Hervorhebungen nur hier). 23 Vgl. dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 34 Rn. 18 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 9 Auch für die landesrechtlichen Schadensersatzansprüche aus §§ 59 ff. ASOG sind keine wesentlichen Änderungen anzunehmen. § 59 Abs. 2 ASOG begründet einen Anspruch auf Schadensausgleich für den Fall, dass jemand durch eine rechtswidrige Maßnahme einen Schaden erleidet. Das LADG dürfte auch hier zu keinen wesentlichen neuen Pflichten führen, die Polizeibeamte zu beachten haben. Gemäß § 65 ASOG ist für Ansprüche auf Schadensausgleich der ordentliche Rechtsweg gegeben. Im Rahmen des Zivilprozesses gelten die allgemeinen Prozessregeln. Eine Glaubhaftmachung ist auch hier nicht vorgesehen. Die Vermutungsregelung des § 7 LADG kann aufgrund ihrer Spezialität nicht einfach auf andere Verfahren übertragen werden. 4. Unterstützung durch Landespolizeien Das Grundgesetz regelt die Formen der Kooperation zwischen den Bundesländern bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht abschließend. So können Unterstützungsleistungen der Polizeien der Bundesländer untereinander nicht nur nach Art. 35 Abs. 1 und 2, Art. 91 Abs. 1 GG, sondern auch in sonstigen Fällen und weiteren Formen erfolgen.24 Die Zulässigkeit und Einordnung der konkreten Unterstützungsleistung als Amtshilfe, Organleihe oder sonstige Kooperationsform bestimmt sich nach dem Recht der beteiligten Bundesländer, insbesondere dem Landespolizeirecht.25 Wie bei der Bundespolizei kommt für Unterstützungsleistungen von Polizeidienstkräften anderer Bundesländer für die Berliner Polizei § 8 Abs. 2 ASOG zur Anwendung. Daraus folgt, dass Polizeidienstkräfte aus anderen Bundesländern bei Unterstützungseinsätzen in Berlin das Landesrecht von Berlin und damit die Bestimmungen des LADG zu beachten haben und die Maßnahmen der landesfremden Beamten als Maßnahmen der Berliner Polizei gelten. Verstöße gegen das LADG führen aber – wie zur Bundespolizei bereits unter 3.1.1.1. ausgeführt – nur zu Ansprüchen gemäß § 8 LADG gegen das Land Berlin. Hinsichtlich der Auswirkung des LADG auf Amtshaftungsansprüche und weitere Haftungsansprüche kann auf die Ausführungen unter 3.1.1.2. verwiesen werden. Weitere Fragen der Haftung und des Regress richten sich neben dem Berliner Landesrecht auch nach dem Recht der unterstützenden Bundesländer sowie speziellen Verwaltungsabkommen26. Das Land Berlin hat aber laut Presseberichten mitgeteilt, dass es auch gegenüber anderen Bundesländern und deren Beamten keinen Regress nehmen wird, wenn diese bei der Unterstützung der Berlin Polizei gegen das LADG verstoßen und das Land Berlin infolgedessen Schadensersatz nach § 8 LADG leisten muss.27 24 Dederer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 35 Rn. 51; siehe dazu auch siehe auch Zähle, JuS 2014, 315 (317). 25 Vgl. bspw. § 10 Abs. 3 Gesetz über die Organisation der Bayerischen Polizei (Polizeiorganisationsgesetz – POG) vom 10. August 1976 (BayRS 2012-2-1-I), zuletzt geändert durch § 1 Abs. 29 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98). 26 Vgl. bspw. Art. 5 des Verwaltungsabkommen zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg über die gegenseitige Unterstützung durch Polizeikräfte vom 10. Mai 1996 (ABl./96, [Nr. 26]), 606. 27 Berliner Morgenpost vom 26. Juni 2020, Geisel und Seehofer einigen sich, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 10 5. Zum Disziplinarverfahren Beamtinnen und Beamte, die schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, begehen ein Dienstvergehen, das mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen geahndet werden kann. Das Disziplinarrecht des Bundes ist im Bundesdisziplinargesetz (BDG) geregelt. Die Bundesländer haben jeweils eigene Disziplinargesetze oder Disziplinarordnungen, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Für Bundesbeamte gilt, dass der Dienstvorgesetzte die Pflicht hat, ein Disziplinarverfahren einzuleiten und den Sachverhalt aufzuklären, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für ein solches Vergehen vorliegen, vgl. § 17 BDG.28 Die §§ 6 bis 10 BDG sehen fünf Disziplinarmaßnahmen vor, die je nach Schwere des Dienstvergehens nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochen werden können : Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung sowie Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Bei der Ausübung der behördlichen Disziplinarbefugnis sind „Dienstvorgesetzte“ als Disziplinarorgane nur solche Stellen, die die Disziplinierungsbefugnis besitzen, eine durch Disziplinarverfügung nach § 33 BDG verhängbare Disziplinarmaßnahme nach Art und Höhe auszusprechen.29 Im Disziplinarverfahren gelten die Zuständigkeitsregelungen des § 17 BDG. Erfolgt beispielsweise eine Abordnung eines Bundesbeamten zu einer Dienststelle außerhalb des Bundesdienstes, tritt der Beamte dann zwar in den neuen, z.B. landesgesetzlichen Pflichtenkreis ein, doch kann er der Disziplinargewalt des Dienstvorgesetzten im Abordnungsamt nicht unterfallen, weil dies die §§ 1 der jeweiligen Landesdisziplinargesetze ausschließen; das gilt auch umgekehrt, wenn ein Landes- oder Kommunalbeamter in den Bundesdienst abgeordnet wird, weil Nicht-Bundesbeamte nach § 1 BDG nicht der Bundes-Disziplinargewalt unterfallen. Für einen außerhalb des Bundesdienstes abgeordneten Bundesbeamten stellt seine Tätigkeit im Abordnungsamt lediglich eine besondere Form der Diensterfüllung gegenüber dem abordnenden Dienstherrn dar, weshalb er in diesem Falle wegen eines Dienstvergehens von diesem bundesrechtlich unter Beachtung des neuen Pflichtenkreises im Abordnungsamt so verfolgt wird, als wäre es bei seiner Stammbehörde begangen worden.30 § 11 BPolG und § 8 ASOG beinhalten keine Sonderregelungen dazu, welcher Dienstvorgesetzte bei Dienstvergehen von Bundespolizeidienstkräften im Rahmen der Unterstützung der Berliner Polizei ein Disziplinarverfahren einzuleiten hat. Nach allgemeiner Ansicht geht bei Unterstützungsleistungen nach § 11 BPolG die Dienstherrenschaft nicht auf den Entleiher über; dienst- 28 Ausführlich zu den Grundsätzen des Disziplinarverfahrens siehe den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Pflichtverletzung durch Beschäftige im öffentlichen Dienst, WD 6 - 3000 - 018/19 vom 20. Februar 2020. 29 Weiß, in: GKÖD Bd. II: Disziplinarrecht Lfg. 4/12 − VII.12, § 33 BDG, Rn. 52. 30 Weiß, in: GKÖD Bd. II: Disziplinarrecht Lfg. 5/14 − IX.14, § 17 BDG, Rn. 93. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/20, WD 6 - 3000 - 061/20 Seite 11 rechtlich verbleibt das entliehene Organ vielmehr beim um Unterstützung ersuchten Dienstherren , im Falle der Unterstützung durch die Bundespolizei also beim Bund.31 Daher verbleibt in diesen Fällen auch die Disziplinargewalt beim ausleihenden, eigentlichen Dienstherrn. Die spezielle Vermutungsregelung des § 7 LADG kommt nur im Verhältnis Land Berlin und dem auf Schadensersatz nach § 8 LADG Klagenden zur Anwendung, nicht aber im Rahmen eines Disziplinarverfahrens .32 Eine Schlechterstellung der Polizeibeamten bei möglichen disziplinarrechtlichen Auseinandersetzungen ist durch das LADG weder intendiert, noch kann eine solche daraus abgeleitet werden. So ist in § 3 Abs. 1 S. 2 LADG ausdrücklich geregelt, dass das LADG (mit Ausnahme des § 11 LADG – Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt) keine Anwendung auf die Durchführung von Dienstverhältnissen findet. *** 31 BVerfG, Urteil vom 2. Juni 2015 – 2 BvE 7/11 –, juris Rn. 116; Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes 2. Auflage 2019, § 11 Rn. 9 und 27 mit weiteren Nennungen. 32 Nielebock, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 1.