© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 157/15 Öffentlichkeitsarbeit von Polizeibehörden in sozialen Medien Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 2 Öffentlichkeitsarbeit von Polizeibehörden in sozialen Medien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 157/15 Abschluss der Arbeit: 21. Juli 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Aufgabenstellung - Grundsätze 4 1.1. Aufgabenzuweisungen 4 1.2. Eingriffsermächtigungen und der Vorbehalt des Gesetzes 6 2. Polizeiliches Twittern als Eingriff 6 2.1. Behördliche Informationszuständigkeit und Twitter 7 2.2. (Über Twitter geäußerte) Aufforderungen 10 2.3. Überschreiten der Eingriffsintensitätsschwelle - Besonderheit Versammlungsrecht 11 2.3.1. Informelle Maßnahmen und Versammlungsrecht 11 2.3.2. Twittern als informelle Maßnahme 12 2.4. Überschreiten der Eingriffsintensitätsschwelle – Besonderheit Datenerhebung 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 4 1. Aufgabenstellung - Grundsätze Die eingangs gestellte Frage, ob Echtzeittwittern der Polizei mangels Ermächtigungsgrundlage illegal ist, kann – wie auch die folgenden Fragen1 – in dieser Allgemeinheit nicht beantwortet werden. Ob polizeiliches Echtzeittwittern illegal (also rechtswidrig) ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Weder ist offensichtlich, dass bereits aufgrund des Twitterns an sich (ohne Berücksichtigung des getwitterten Inhalts oder der Umstände, unter denen der jeweilige Inhalt getwittert wird) eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist, noch ist ersichtlich, dass bereits vorhandene Ermächtigungen (etwa in Versammlungs- und Landespolizeigesetzen, im Bundespolizeigesetz oder in der Strafprozessordnung) nicht auch für twitterndes Verhalten der Polizei als Grundlage herangezogen werden können. Da es (noch) keine juristischen Fachpublikationen oder Rechtsprechung gibt, die das Phänomen einer twitternden Polizei unmittelbar betreffen2, folgt eine Klärung der Fragestellung unter Rückgriff auf die auf allgemeinen Grundsätze des Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Vorab sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass sich die Polizei zur Durchführung ihrer Handlungen eines neuartigen Mittels (Twitter) bedient, nicht dazu führt, dass diese Handlungen als rechtlich relevantes Verhalten nicht (mehr) in traditionellen Kategorien eingeordnet werden können. Erscheinungsformen sind nicht deshalb besondere, weil sie neu sind3. Insoweit ist die Frage, welche Polizeigesetze für den Umgang mit sozialen Netzwerken heranzuziehen sind, dahingehend zu beantworten, dass für diesen Umgang nichts anderes gilt als für „herkömmliches“ Polizeiverhalten, für das grundsätzlich jedes dieses Verhalten betreffende Gesetz als Grundlage herangezogen werden kann. 1.1. Aufgabenzuweisungen Als Träger öffentlicher Gewalt handelt die Polizei – anders als Private – rechtlich nicht auf der Grundlage von Freiheiten, sondern auf der Grundlage von Kompetenzen; ihre Befugnis zur Aufgabenwahrnehmung wird durch gesetzliche Kompetenzzuweisungen überhaupt erst konstruiert4. Die beiden großen der Polizei zugewiesenen Aufgabenbereiche sind die (präventive) Gefahrenab- 1 Insoweit wird auf die speziell gestellten Fragen im Kontext dieser Abhandlung eingegangen werden. 2 Abgesehen von journalistischen Berichterstattungen (neben dem erwähnten Artikel in der Zeit online vgl. die Medienberichte in den Hessen Nachrichten vom 13.7.2015 – Polizei widerspricht Twitter-Kritikern: http://www.hronline.de/mobil/nachrichten/sd/55980615 sowie Peikert, Denise, Jurist hält Polizei-Twitterei für rechtswidrig, FAZ vom 12.7.2015, http://www.faz.net/gzg85kqh ) hat sich insbesondere der zitierte Felix Hanschmann soweit ersichtlich (noch) nicht in einer Fachpublikation zu dem Themenkomplex geäußert; weder auf seiner Website, bei google, juris oder beck sind derartige Äußerungen zu finden. Aus dem Zeit Artikel oder dem sich hierauf berufenden Artikel in der FAZ geht auch nicht hervor, in welchem Zusammenhang Hanschmann die zitierten Aussagen getätigt hat. 3 Vgl. Rachor, Frederik, Das Polizeihandeln, in: Lisken, Hans/Denninger, Erhard, Handbuch des Polizeirecht, 5. Auflage 2012, Abschnitt E Rn. 6. 4 So im Zusammenhang mit der Möglichkeit behördlicher Umweltberatung allgemein formuliert von Lübbe-Wolff, Gertrude, Rechtsprobleme behördlicher Umweltberatung, NJW 1987, 2705 (2706). Für die Aufgabenzuweisung der Polizei vgl. Schenke, Wolf-Rüdiger, Polizei und Ordnungsrecht, 8. Auflage 2013, Rn. 36 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 5 wehr (auch allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht genannt) und das (repressive) Strafverfolgungsrecht 5. Ersteres gehört (wenngleich auch der Bundesgesetzgeber für Teilbereiche aufgrund von Sonderzuweisungen oder unter dem Gesichtspunkt der Annexkompetenz6 eigene Regelungen erlassen hat7) in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 Abs. 1 GG)8. Die Aufgabe der repressiven Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist der Polizei durch Bundesgesetze ausdrücklich zugewiesen9. Diese Zuständigkeitsnormen richten sich nicht an die Bevölkerung, sondern an die Behörde, die Polizei selbst. Aufgabenzuweisungsnormen begründen für die zuständigen Stellen eine Kompetenz, die einen Handlungsauftrag einschließt10. Dies gilt für Handlungen, die die Behörden für die Erfüllung ihrer ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben ausführen, ohne Rechte von Privatpersonen zu berühren. Im Polizeirecht sind klassische Beispiele für derartige in Aufgabenerfüllung vorgenommene Handlungen die Streifenfahrt oder das Entfernen von auf der Straße liegengebliebenen Gegenständen nach einem Verkehrsunfall11. 5 Hierüber besteht Einigkeit, wenngleich in der Literatur umstritten ist, was im Einzelnen unter die jeweiligen Aufgabenkategorien fällt und ob im Hinblick auf polizeiliche Vorfeldbefugnisse weitere Kategorien zur Einordnung geschaffen werden sollten, vgl. hierzu statt vieler Denninger, Erhard, Polizeiaufgaben, in: Lisken, Hans/Denninger, Erhard (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, Abschnitt D Rn. 1 ff. 6 Vgl. hierzu grundlegend BVerfGE 8, 143 (149 f.). 7 Insbesondere unter dem Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG das Gesetz über die Bundespolizei, der nach § 1 Abs. 5 BPolG auch Aufgeben zur Gefahrenabwehr zugewiesen sind. Für weitere in die Bundeskompetenz fallende Materien vgl. Schenke, (Fn. 4), Rn. 25 ff. 8 Vgl. die Aufgabenzuweisungsnormen der einschlägigen Landespolizeigesetze: § 1 Abs. 1 Polizeigesetz (PolG) Baden- Württemberg; Art. 2 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz (PAG) Bayern; § 1 Abs. 1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) Berlin; § 1 Abs. 1 Brandenburgisches Polizeigesetz (BbgPolG); § 1 Abs. 1 Polizeigesetz (PolG) Bremen; § 3 Gesetz Hamburger Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG); § 1 Abs. 1 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG); § 2 Abs. 1 Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) Mecklenburg-Vorpommern; § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG); § 1 Abs. 1 Polizeigesetz (PolG) Nordrhein-Westfalen; § 1 Abs. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG) Rheinland-Pfalz; § 1 Abs. 2 Polizeigesetz (PolG) Saarland; § 1 Abs. 1 Polizeigesetz des Freistaates Sachsen (SächsPolG); § 1 Abs. 1 Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) Sachsen-Anhalt; § 163 Abs. 1 Landesverwaltungsgesetz (LVwG) Schleswig-Holstein; § 2 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz (PAG) Thüringen. Das Versammlungsrecht mit seinen gefahrenabwehrrechtlichen Bezügen fällt seit der Föderalismusreform und der Novellierung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG ebenfalls in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder. 9 Vgl. § 163 Abs. 1 StPO; § 152 GVG; § 53 Abs. 1 OWiG, alles Bundesgesetze, die im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen worden sind. 10 Grundlegend Ossenbühl, Fritz, Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986, S. 39: „Mit der Zuweisung der Aufgabe hat der Gesetzgeber entschieden, dass die Erfüllung der Aufgabe im öffentlichen Interesse liegt und dass die angestrebten Zwecke von den für zuständig erklärten Stellen erfüllt werden müssen“; vgl. auch Schenke, (Fn. 4), Rn. 36 f. 11 Für diese Beispiele bei der Trennung von polizeilicher Aufgabe und Befugnis Zähle, Kai, Originäre und übertragene Aufgaben der Polizei, JuS 2014, 315 (316). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 6 1.2. Eingriffsermächtigungen und der Vorbehalt des Gesetzes Sobald sich Handlungen der Polizei zu konkreten Aktionen verdichten, die geeignet sind, die Rechte von Privatpersonen zu verletzen, genügt diese bloße Aufgabenzuweisung nicht mehr. Für die Rechtmäßigkeit der Handlungen bedarf es dann einer konkreten Eingriffsermächtigung, die im Einzelnen die Voraussetzungen festlegt, bei deren Vorliegen die der Behörde gestellte Aufgabe mittels hoheitlicher Eingriffe in den Rechtskreis der Bürgerinnen und Bürger erfüllt werden kann12. Verfassungsrechtlich ergibt sich diese Notwendigkeit gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes13, nach dem jede Maßnahme der vollziehenden Gewalt , die mit einem Grundrechtseingriff verbunden ist, einer Ermächtigungsgrundlage bedarf, aus der sich in einer dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechenden Weise die Eingriffsvoraussetzungen und der Umfang der erlaubten Eingriffe ergibt14. 2. Polizeiliches Twittern als Eingriff Bei der Frage, ob für polizeiliches Handeln in Gestalt des Echtzeittwitterns eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist, kommt es also maßgeblich auf die Qualität dieses polizeilichen Handelns selbst, genauer darauf an, ob das Handeln geeignet ist, in Grundrechte von Privatpersonen einzugreifen . Unter einem Eingriff ist dabei jedes staatliche Handeln zu verstehen, dass dem Einzelnen ein grundrechtlich geschütztes Verhalten erschwert oder (teilweise) unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich (faktisch, informal), mit oder ohne Befehl und Zwang eintritt15. Angesichts der Weite dieser Definition 16 muss im jeweiligen Einzelfall festgestellt werden, ob in staatlichem Verhalten lediglich 12 Ossenbühl, (Fn. 8), S. 39. 13 Dieser wird im Grundgesetz zwar nicht ausdrücklich erwähnt, seine Geltung folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch aus Art. 20 Abs. 3 GG, vgl. BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126). 14 BVerfGE 65, 1 (44); 113, 29 (50). Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch , präzise und normenklar festgelegt werden, vgl. BVerfGE 65, 1 (44 ff.); 100, 313 (359 f., 372); 110, 33 (52); 113, 348 (375). Auch die daran anschließende Frage, in welchen Bereichen staatliches Handeln einer durch den parlamentarischen Gesetzgeber geschaffenen Rechtsgrundlage im förmlichen Gesetz bedarf, und in welchen Bereichen ein Gesetz im materiellen Sinne (bspw. eine Rechtsverordnung) genügt, kann nicht abstrakt-generell beantwortet werden. Deren Notwendigkeit lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Intensität der geplanten oder getroffenen Regelung ermitteln, vgl. BVerfGE 49, 89 (127). 15 Vgl. statt vieler Pieroth, Bodo/Schlink, Bernhard, Grundrechte Staatsrecht II, 28. Auflage 2012, Rn. 253. 16 Der weite Eingriffsbegriff entspricht modernem Grundrechtverständnis; der klassische, ursprünglich entwickelte Eingriffsbegriff versteht unter einem Eingriff einen rechtsförmigen Vorgang, „der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt.“ vgl. für diese Beschreibung BVerfGE 105, 179 (299 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 7 eine Belästigung, oder schon eine Beeinträchtigung liegt, die eine Ermächtigungsgrundlage erfordert 17. Dies soll nun im Hinblick auf die unterschiedlichen Umstände, unter denen die Polizei das Medium Twitter verwendet, versucht werden. Dabei bietet sich ein Rückgriff auf die umfassende Kasuistik zur (rechtlichen) Qualität polizeilichen Handelns an18. 2.1. Behördliche Informationszuständigkeit und Twitter Wie jede andere Behörde und als Teil der Verwaltung darf auch die Polizei die Öffentlichkeit informieren19. Soweit sie die Informationen im Zusammenhang mit den ihr zugewiesenen Aufgaben erteilt, bedarf sie hierfür grundsätzlich keiner Ermächtigungsgrundlage: Für Mitteilungen über die Aufgabenerfüllung und aus der Aufgabenerfüllung selbst folgt die Zulässigkeit bereits aus dem im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip angelegten Grundsatz der Publizität der Verwaltung20. Für Informationen zum Zweck der Aufgabenerfüllung – also solche, die die Polizei als Mittel zur (besseren) Erfüllung ihrer Aufgaben einsetzt – ergibt sich die Zulässigkeit unmittelbar aus den ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben21. Unter letztgenannte Informationstätigkeit fallen zum Beispiel Warnungen der Polizei vor öffentlichen Gefahren22 oder die öffentliche Suche nach Hinweisen 17 Für diese Abgrenzung existiert „keine allgemeingültige Formel“, sie ist im jeweiligen Einzelfall „anhand der Intensität der Wirkung auf das Grundrecht des Betroffenen vorzunehmen“, vgl. für diese Formulierung unter Hinweis auf einen „Bagatellvorbehalt“ Voßkuhle, Andreas/Kaiser, Anna-Bettina, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Grundrechtseingriff, JuS 2009, 313 (314); ähnlich für die im Einzelfall schwierig zu ziehende Grenze zwischen Beeinträchtigung und Belästigung Pieroth/Schlink, (Fn. 15), Rn. 257. 18 Vgl. hierzu grundsätzlich den umfassenden Überblick bei Rachor (Fn. 3), Rn. 2 ff. 19 Prägnant hierzu Christoph Gusy: „Wer eine Staatsaufgabe wahrnimmt, darf auch über ihre Wahrnehmung informieren “, Gusy, Christoph, Verwaltung durch Information. Empfehlungen und Warnungen als Mittel des Verwaltungshandelns , NJW 2000, 977 (978). 20 Lübbe-Wolff, (Fn. 4), 2707 m.w.N.; vgl. zum allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie BVerfGE 70, 324 (358); 103, 44 (63). Vgl. wörtlich BVerfGE 89, 155 (185); 97, 350 (369): Zur Demokratie „gehört auch, dass die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind, und ebenso, dass der wahlberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache kommunizieren kann“. 21 Lübbe-Wolff (Fn. 4), 2707; Aulehner spricht bei Informationen über die Aufgabe von „Öffentlichkeitsarbeit“, bei Informationen zur Aufgabenerfüllung von „Öffentlichkeitsaufklärung“, vgl. Aulehner, Josef, Polizeiliche Gefahrenund Informationsvorsorge, 1998, S. 252. 22 Diese fallen unter die der Polizei gesetzlich zugewiesenen Aufgabe der Gefahrenabwehr, vgl. hierzu oben, 1.1.; für die Beispiele Lübbe-Wolff (Fn. 4), 2707; Aulehner, (Fn. 21), 252. Anders als die Rechtsprechung dagegen Schoch, Friedrich, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2013, Rn. 104, der für hoheitliche Warnungen eine Ermächtigungsgrundlage fordert und hierfür auf die polizeiliche Generalklausel zurückgreifen will. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 8 für die Aufklärung von Straftaten23. Auch polizeiliche (Informations)Tätigkeiten, die im Vorfeld konkreter Gefahren stattfinden, sind von dieser Aufgabenzuweisung umfasst: Nach der Rechtsprechung gehört auch der Bereich der Gefahrenvorsorge zur gesetzlich zugewiesenen Aufgabe der Gefahrenabwehr24. Dass sich die Polizei zur Wahrnehmung dieser Informationszuständigkeiten neuerdings auch des Mediums Twitter bedient, kann zunächst keinen Einfluss auf die grundsätzliche Zulässigkeit dieses Handelns haben. „Die Öffentlichkeit“ ist insoweit kein statischer Begriff, sondern unterliegt zeitlichem Wandel, dem sich eben auch die staatlichen Behörden anpassen können – möglicherweise sogar anpassen müssen, um – wie von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gefordert – den Bezug zur Öffentlichkeit nicht zu verlieren25. Soweit also beispielsweise die Berliner Polizei auf „Polizei- BerlinEinsatz“ zeitnah darüber informiert, was sie an verschiedenen Einsatzorten – etwa im Rahmen einer 24 Stunden Schicht – im Einzelnen erlebt, informiert sie zunächst über ihre Aufgabenerfüllung und bedarf hierfür grundsätzlich keiner gesonderten Ermächtigungsgrundlage26. Sobald die Polizei allerdings im Rahmen dieser grundsätzlich allein aufgrund der Aufgabenzuweisung zulässigen Informationstätigkeit dazu übergeht, konkret individualisierbare Informationen über Privatpersonen ohne deren Einverständnis (über Twitter) zu verbreiten, verlässt sie diesen allein aufgrund der Aufgabenzuweisung zulässigen Bereich. Ihr zunächst reines Informationshandeln greift dann mindestens in das Grundrecht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung aus 23 Diese fallen unter die der Polizei gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Strafverfolgung, vgl. hierzu oben, 1.1. Für „Öffentlichkeitsaufklärung “ bereits umfassend Weinberger, Rolf-Peter, Polizeiliche Prävention durch Öffentlichkeitsarbeit , 1984; für die Aufgabenzuweisung der Strafverfolgung Dalbkermeyer, Birgit, Der Schutz der Beschuldigten vor identifizierenden und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden, 1994; Neuling, Christian- Alexander, Inquisition durch Information, 2005; vgl. für Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Strafverfolgungstätigkeit auch Lehr, Gernot, Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden, NStZ 2009, 40 und Ders., Pressearbeit und Persönlichkeitsrecht – Ein Spannungsverhältnis für die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz, NJW 2013, 728. 24 Vgl. BVerwG, NVwZ 2012, 757 (759); ähnlich BVerfGE 113, 348 (368). Teilweise anders wird dies in der Literatur gesehen, in der umstritten ist, ob die zunehmende Öffentlichkeitsarbeit der Polizei als Gefahrprävention noch von der allgemeinen, in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder erfolgten Aufgabenzuweisung gedeckt ist oder für diesen Bereich nicht eine neuartige, gesetzliche Aufgabenzuweisung geschaffen werden müsste; vgl. hierzu grundlegend Pitschas, Rainer, Polizeirecht im kooperativen Staat, DÖV 2002, 221 ff.; außerdem Pitschas, Rainer (Hrsg), Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft , 2002; Aulehner, (Fn. 21); für eine Dreiheit der Polizeiaufgaben in Gestalt von Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Prävention plädiert Denninger, (Fn. 5), Rn. 5. Siehe zur gesamten Diskussion auch Knemeyer, Franz- Ludwig, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage 2007, Rn. 15; Schoch, (Fn. 22), Rn. 12 ff.); Schenke (Fn. 4), Rn. 9 ff. 25 Insoweit reagieren die Polizeibehörden auch auf ihre eigene Darstellung in den neuen Medien, vgl. hierzu den Artikel von Schug, Caroline, „Broadcast Yourself“ – Eine qualitative Untersuchung zur Darstellung der Polizei bei Großereignissen, NK 2012, 11 ff. Für den Wandel der Selbstdarstellung der Polizei in der Öffentlichkeit sei auch auf die seit einigen Jahren im Fernsehen ausgestrahlten DokuSoaps verwiesen, hierzu Linssen, Ruth, Toto und Harry: Gesellschaftliche Vorstellungen von Polizei im Fernsehen?, Kriminalistik 2009, 259 ff. 26 Vgl. die bereits 1987 genannten Beispiele, nach denen die Polizei die Öffentlichkeit über Verkehrsunfälle oder Fahndungserfolge informiert, Lübbe-Wolff (Fn. 4), 2707. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 9 Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein (vgl. hierzu unten unter 2.4) und bedarf somit, um zulässig zu sein, einer über die bloße Aufgabenzuweisung hinausgehenden Ermächtigungsgrundlage27. Aber auch unterhalb dieser Eingriffsschwelle ist die Polizei hinsichtlich des Inhalts dessen, was sie im Rahmen ihre Informationszuständigkeit verbreitet, nicht frei. Im Zusammenhang mit durch die Bundesregierung veröffentlichten Warnungen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass sich Äußerungen im Rahmen einer sachlich geführten Informationstätigkeit bewegen müssen, keine diffamierenden oder verfälschenden Darstellungen enthalten dürfen28 und dem Gebot der Sachlichkeit und Richtigkeit unterliegen29. Im Zusammenhang mit wahlkampfbezogenen Äußerungen der Bundesregierung hat das Gericht jüngst wieder die Neutralitätspflicht staatlicher Organe betont30. Auch die an die Öffentlichkeit gegebenen (Selbst)Darstellungen der Polizei sind – und hieran ändert die Freigabe über Twitter nichts – staatliche Informationen. Die Polizei ist weiterhin als Teil der vollziehenden Gewalt rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet; insoweit unterliegt auch sie bei der Verbreitung von Informationen den Geboten der Neutralität, Sachlichkeit und Richtigkeit31. Diese allgemeinen Grundsätze finden gleichermaßen Anwendung, soweit die Polizei (über einen Twitter-Account) Auskünfte erteilt: Behörden sind aufgrund ihrer Gesetzesbindung verpflichtet, richtige Auskünfte zu erteilen32. Jedenfalls vermittelt der Schutzzweck der Auskunftserteilung durch die Polizei einen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass sie im Einzelfall nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft erteilt, also nicht bewusst die Unwahrheit sagt und im Übrigen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten lässt33. Insoweit kann (auch bei in 140 Zeichen erfolgenden twitternden Verhalten) das Gebot der Richtigkeit und Sachlichkeit verletzt sein oder die Polizei gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen, soweit sie über Twitter unsachliche Äußerungen über Protestformen tätigt. Derartige Verletzungen sind jedoch nicht per se durch die Art des Mediums bedingt, sondern können grundsätzlich immer auftreten, wenn die Polizei Informationen an die Öffentlichkeit gibt. Durch sie können Ausgleichsund Ersatzansprüche der Betroffenen ausgelöst werden, wenn unter Hinzutreten weitere Umstände 27 Aus welchen Gesetzen diese im Einzelnen gezogen werden können, wird im Folgenden (unter 2.4.) noch ausführlicher behandelt. Zur Abstufung zwischen Eingriff (Beeinträchtigung) und bloßer Belästigung siehe bereits oben unter 1.; vgl. konkret zum Überschreiten der Eingriffsschwelle bei Informationshandeln auch Gusy (Fn. 19), 982 ff. 28 Vgl. BVerfGE 105, 252 (272 f.); 105, 279 (295). 29 BVerfGE 105, 252 (276 f.). 30 Vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 16.12.2014 – 2 BvR 2/14 – juris, Rn. 26; 34. Grundlegende zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung im Wahlkampf BVerfGE 44, 125. 31 Vgl. für eine ausdrückliche Anwendung der diesbezüglichen Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung auf die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Zähle, (Fn. 11), 316. 32 Rachor, Frederik, Ausgleichs- und Ersatzansprüche des Bürgers, in: Lisken, Hans/Denninger, Erhard (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, Abschnitt M Rn. 22. 33 Rachor (Fn. 32), Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 10 des Einzelfalls ein anspruchsauslösendes Verhalten der Polizei festgestellt werden kann34. Die – bei der Nutzung von Twitter ebenso wie bei anderen Arten von Informationsverbreitung – bestehende Möglichkeit von Amtspflichtverletzungen durch die Polizei bedingt jedoch nicht ohne Weiteres, dass für die Nutzung von Twitter eine spezielle Ermächtigungsgrundlage eingeführt werden müsste. Vielmehr dürften, soweit sich die Polizei an ihre ohnehin bestehenden Amtspflichten hält, allein durch die Nutzung von Twitter die Bürgerinnen und Bürger in ihren Grundrechten nicht verletzt werden35. Die Frage des Überschreitens der Eingriffsschwelle ist in diesem Zusammenhang nicht relevant – denn für (amtspflichtverletzend) falsche Informationen kommt eine Ermächtigungsgrundlage von vornherein nicht in Betracht. 2.2. (Über Twitter geäußerte) Aufforderungen Soweit die Polizei Bürgerinnen und Bürger via Twitter zu einem bestimmten Verhalten auffordert, gilt ganz Ähnliches wie bei der Informationstätigkeit. Der (im Beispiel genannte) Aufruf, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, kann zunächst kein verbindliches Verwaltungshandeln (beispielsweise in Gestalt eines in allen Polizeigesetzen geregelten36 – Platzverweises) sein, da es bereits an einer allgemeingültigen Bekanntgabe fehlt37. Bei einer öffentlichen Bekanntgabe (vgl. § 41 Abs. 3 VwVfG) muss sichergestellt sein, dass die Kenntnisnahme jedermann ohne weiteren Aufwand möglich ist38. Bereits aus diesem Grund scheidet Twitter als mögliches Medium für eine öffentliche Bekanntgabe aus. Insoweit kommt für die rechtliche Einordnung der über Twitter geäußerten Aufforderung nur ein informelles Verwaltungshandeln in Betracht39. Auch in diesem Zusammenhang ist die Polizei als Teil der an Recht und Gesetz gebundenen öffentlichen Verwaltung jedoch nach allgemeinen Grundsätzen zur Einhaltung des Gebotes der Neutralität und Sachlichkeit verpflichtet. Soweit Betroffene durch eine auf diese Weise geäußerte Aufforderung der Polizei geduzt werden, kommen ebenfalls spezifische Amtspflichtverletzungen in Betracht, die gegebenenfalls geeignet sind, 34 Vgl. zum gesamten Komplex Rachor, (Fn. 32), Rn. 12 ff. 35 Insoweit ist nicht offensichtlich, dass speziell für die Nutzung von Twitter einer eigene Rechtsverordnung zu erlassen wäre. 36 Vgl. nur für Berlin § 29 ASOG. 37 Vgl. zur grds. Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Handlungsanweisung allgemein die Bekanntgabevorschrift des § 41 VwVfG, der nach den meisten Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder in diesen anwendbar ist, vgl. nur § 1 Abs. 1 VwVfG Bln. 38 Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 135. 39 Für Beispiele informellen Verwaltungshandelns in Gestalt der polizeilichen „Bitte“ vgl. Rachor, (Fn. 32), Rn. 26 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 11 Schadenersatzansprüche auszulösen40. Hierbei ist jedoch gleichermaßen auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Ob bei einer an einen nur schwer individualisierbaren Adressatenkreis „per Du“ geäußerten Aufforderung die Schwelle zur Ehr- und damit Amtspflichtverletzung bereits überschritten ist, lässt sich allgemein nicht feststellen. 2.3. Überschreiten der Eingriffsintensitätsschwelle - Besonderheit Versammlungsrecht Das im Vorangegangenen betrachtete Verhalten der Polizei auf Twitter, das anlasslos die Schwelle zur Eingriffsintensität in Grundrechte der Betroffenen (grundsätzlich kommt als betroffenes Grundrecht immer die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit in Betracht) nur schwerlich überschreitet, muss anders bewertet werden, wenn sich die Polizei im Zusammenhang mit konkreten Großereignissen, insbesondere Versammlungen, zur Verwirklichung ihres Verwaltungshandelns des Mediums Twitter bedient. Auch hier kann für die (rechtliche) Einordnung indes auf die zum Polizei- und Ordnungsrecht im Allgemeinen und Versammlungsrecht im Besonderen entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden41. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der von Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit als Ermächtigungsgrundlage für eingreifendes Verhalten der Polizei die Versammlungsgesetze den polizeilichen Eingriffsbefugnissen vorgehen42. Das Versammlungsrecht wiederum fällt seit der Föderalismusreform mit der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG gemäß Art. 70 Abs. 1 GG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder43. 2.3.1. Informelle Maßnahmen und Versammlungsrecht Im Versammlungsrecht spielen informelle Maßnahmen der Polizei traditionell eine große Rolle44. Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit als zentralem Element 40 Vgl. für Ehrverletzungen durch Hoheitsträger grundsätzlich Mauerer, Hartmut, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Auflage 2011, S. 425 Rn. 6 f.; siehe auch Rachor (Fn. 32), Rn. 97 f.; aus der Rechtsprechung für Beleidigungen durch Hoheitsträger VGH Kassel – 20.10.1987 – 9 OE 24/83 – NJW 1988, 1683; OVG Münster – 25.2.1988 – 20 A 2515/86 – NJW 1988, 2636 (Ehrverletzung durch einen Richter); VGH Mannheim – 9.10.1989 – 1 S 5/88 – NJW 1990, 1808 (beleidigende Äußerung nicht in offizieller Amtsfunktion getätigt); OLG Frankfurt – 27.11.1998 – 24 W 65/98 – DVBl. 1998, 871; VGH Mannheim – 14.10.1997 – 1 S 1705/97 – NVwZ 98, 413; auf die Problematik aufmerksam geworden ist wohl die Polizei in NRW, die einen „Runderlass der neuen Medien“ erlassen hat, nach dem Duzen in neuen Medien unterlassen werden soll, vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Polizei-in-NRWdarf -im-Internet-nicht-mehr-duzen-2525354.html. 41 Vgl. insbesondere den grundlegenden Brokdorf Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985, BVerfGE 69, 315. 42 BVerfG, NVwZ 2005, 80; BVerwGE 82, 34 (38) - Grundsatz der Polizeifestigkeit der Versammlung. 43 Vgl. Oeter, Stefan, Die Änderung im Bereich der Gesetzgebungskompetenz, in: Starck, Christian (Hrsg.), Föderalismusreform 2007, Rn. 61. 44 Rachor, (Fn. 3), Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 12 im politisch-demokratischen (Meinungsbildungs)Prozess45 und als elementarem Freiheitsgrundrecht 46 hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1985 die Notwendigkeit rechtzeitiger Kontaktaufnahme zwischen Veranstaltern und Polizei betont, bei der beide Seiten sich kennenlernen, Informationen austauschen und möglicherweise zu einer vertrauensvollen Kooperation finden, welche die Bewältigung auch unvorhergesehener Konfliktsituationen erleichtert47. Die Staatsmacht ist danach schon im Vorfeld von Versammlungen gehalten, sich - gegebenenfalls unter Bildung polizeifreier Räume - besonnen zurückzuhalten und übermäßige Reaktionen zu vermeiden48. Aus dem Freiheitsgehalt des Grundrechts ergibt sich außerdem, dass sich die Polizei aktiv für die friedliche Durchführung von Großdemonstrationen einsetzen soll, um dem späteren Scheitern der Veranstaltung durch ein etwaig notwendig werdendes Auflösungsgebot vorzubeugen49. Im Zusammenhang mit dieser gewünschten Kommunikation spricht das Gericht von „verfahrensrechtlichen Obliegenheiten“50, nach denen „gegenüber den Veranstaltern und Teilnehmern von Großdemonstrationen keine Anforderungen gestellt werden dürfen, welche den Charakter von Demonstrationen als prinzipiell staatsfreie unreglementierte Beiträge zur politischen Meinungsbildung und Willensbildung sowie die Selbstbestimmung der Veranstalter über Art und Inhalt der Demonstrationen aushöhlen würden.“51 2.3.2. Twittern als informelle Maßnahme Diese Grundsätze können insoweit auf twitterndes Verhalten der Polizei bei Großveranstaltungen übertragen werden, als auch hier darauf zu achten ist, dass sich die verfassten Nachrichten sachlich richtig gestalten und nicht durch ihre Masse oder durch unrichtige Angaben bewirken, dass eine eigentlich friedlich verlaufende Demonstration durch übertriebene, ja inhaltlich falsche Mitteilungen der Polizei einen diffamierenden Charakter erhält, der dazu führt, dass sich eigentlich zur Teilnahme bereite Bürgerinnen und Bürger von der Teilnahme distanzieren. Die Problematik ist im Versammlungsrecht im Zusammenhang mit übertriebener Polizeipräsenz relevant: Grundsätzlich kann die bloße polizeiliche Präsenz als nicht eingreifendes Verwaltungshandeln qualifiziert werden, dass von der Aufgabenzuweisung der Gefahrenabwehr gedeckt sein kann und insoweit keiner spezifischen Ermächtigungsgrundalge bedarf52. Sobald die Präsenz starker Polizeikräfte jedoch das äußere Erscheinungsbild einer Demonstration beeinträchtigt und psychische 45 Vgl. statt vieler Schulze-Fielitz, Helmut, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 8 Rn. 16. 46 Schulze-Fielitz, (Fn. 45), Rn. 15. 47 BVerfGE 69, 316 (356). 48 BVerfGE 69, 315 (355). 49 BVerfGE 69, 315 (356). 50 BVerfGE 69, 316 (357). 51 BVerfGE 69, 316 (356). 52 Vgl. Rachor (Fn. 3), Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 13 Barrieren zur Teilnahme an einer Demonstration errichtet, greift sie in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ein53 und bedarf insoweit einer Ermächtigungsgrundlage54. Ähnlich wie übertriebene Polizeipräsenz ist denkbar, dass die Polizei mit umfangreichen oder fälschlich Straftaten zuordnenden Hashtags das gesamte Erscheinungsbild einer Demonstration negativ zu beeinflussen vermag. Hierbei ist jedoch zu unterscheiden: (Bewusst) falsche, provozierende Angaben zu Vorgängen bei einer Demonstration können von keiner Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein, da die Polizei als Teil der rechtsstaatlichen Verwaltung – wie dargelegt – zu neutralem und sachlichem Verhalten verpflichtet ist. Dagegen können inhaltlich korrekte Mitteilungen über eine Demonstration von einer in Polizeioder Versammlungsgesetzgen geregelten Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein, obwohl sie das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berühren. So ist denkbar, dass die von der Polizei auf der Versammlung empfundene Stimmung geeignet ist, die öffentliche Sicherheit zu gefährden und sie, als im Vergleich zur Auflösung geringere Maßnahme, demnach versucht, über Twittermitteilungen deeskalierend auf den Versammlungsverlauf einzuwirken. Derartige Maßnahmen könnten bereits von der (in den jeweiligen Landesgesetzen normierten) polizeilichen Generalklausel gedeckt sein55. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Brokdorf Beschluss ausdrücklich noch keinen Eingriff in die Versammlungsfreiheit darin gesehen hat, dass die Polizei von Veranstaltern und Teilnehmern verlangt, unfriedliches Verhalten zu unterlassen und die Beeinträchtigung von Drittinteressen zu minimalisieren.56 Dass dieses polizeiliche Verlangen nicht mehr auf die 1985 übliche Weise, sondern twitternd geäußert wird, führt wohl nicht zu einer qualitativ anderen Bewertung. 2.4. Überschreiten der Eingriffsintensitätsschwelle – Besonderheit Datenerhebung Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden57. Das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht garantierte Recht am eigenen Bild58 gewährleistet dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Anfertigung und Verwendung von Fotografien 53 Rachor (Fn. 3), Rn. 15, mit Hinweis auf OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188. 54 Diese kann trotz Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts auch aus den allgemeinen Polizeigesetzgen gezogen werden, soweit diese „Minusmaßnahmen“ enthalten, die im Versammlungsgesetz selbst nicht vorhanden sind, vgl. BVerwGE 129, 142 (juris, Rn. 30). 55 Zur Anwendbarkeit der polizeilichen Generalklausel vgl. oben Fn. 55. 56 BVerfGE 69, 316 (356). 57 BVerfGE 65, 1 (41 f.). 58 Vgl. BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 87, 334 (340); 97, 228 (268 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 14 oder Aufzeichnungen seiner Person durch andere geht59. Soweit die Polizei in ihrer staatlichen Funktion Fotos von Privatpersonen ohne deren Einwilligung anfertigt und verbreitet, greift sie in dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Unabhängig von der Erscheinungsform auf Twitter handelt es sich um eine staatliche Bildaufnahme, die, soweit auf ihr Personen erkennbar sind, eine Erhebung personenbezogener Daten und damit einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist60. Hieraus, also aus dem Vorliegen eines Eingriffs, folgt jedoch noch nicht automatisch, dass die Polizei derlei Fotos über Twitter nicht verbreiten darf. Das Vorliegen eines Eingriffs, also der Umstand , dass das Verhalten der Polizei dazu geeignet ist, Grundrechte der Betroffenen zu verletzen, bedeutet zunächst nur, dass für dieses spezielle Verhalten nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist. Insbesondere soweit die Polizei auf Versammlungen Fotos von Demonstranten anfertigt, liegt bereits bei der Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vor, da die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind61. In den meisten Bundesländern ist dies nur nach der Ermächtigungsgrundlage des Versammlungsgesetzes (§ 19a i.V.m. § 12a VersG) zulässig62. Das Erheben von Fotos durch die Polizei außerhalb von Versammlungen dürfte sich in den meisten Fällen nach den jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen zur Datenerhebung in den einzelnen Landespolizeigesetzen richten63. Für die insbesondere für den Grenzschutz (§ 2 BPolG), die Sicherung auf dem Gebiet der Bahnanlagen (§ 3 BPolG), die Luftsicherheit (§ 4 BPolG) und den Schutz von Bundesorganen (§ 5 BPolG) zuständige Bundespolizei finden sich Ermächtigungsgrundlagen für die Erhebung personenbezogener Daten in den §§ 21 ff. BPolG. Für Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen64 dürfte insbesondere § 26 Abs. 1 BPolG relevant sein. Danach kann die Bundespolizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen an der Grenze oder in einer Anlage oder Einrichtung der Eisenbahn des Bundes, einer dem Luftverkehr 59 BVerfGE 101, 361 (381). 60 Für Bildaufnahmen auf Versammlungen ausdrücklich BVerfGE 122, 342 (368 f.); vgl. auch Koranyi, Johannes/Singelnstein , Tobias, Rechtliche Grenzen für polizeiliche Bildaufnahmen von Versammlungen, NJW 2011, 124 (124). 61 BVerfGE 122, 342 (368). 62 Seit der durch die Föderalismusreform auf die Länder übergegangenen Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht haben Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt eigene Landesversammlungsgesetze erlassen, Berlin hat lediglich die Möglichkeit der Bildaufnahmen bei Versammlungen neu geregelt. In den übrigen Ländern gilt gemäß Art. 125a GG das Bundesversammlungsgesetz weiter. 63 Für die Gefahrenabwehr sind zentral die Länder gesetzgebungszuständig, vgl. bereits oben unter 1.1., zu den einzelnen Landespolizeigesetzen siehe Fn. 8. 64 Die keine Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind, für diese gehen die versammlungsrechtlichen Regelungen als Spezialgesetz vor (Polizeifestigkeit der Versammlung, vgl. hierzu bereits oben unter 2.3., insbesondere S. 11 Fn. 43 und S. 13 Fn. 55); dies wird in § 26 Abs. 4 BPolG auch (deklaratorisch) festgestellt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 157/15 Seite 15 dienenden Anlage, dem Amtssitz eines Bundesorgans oder an einer Grenzübergangsstelle personenbezogene Daten auch durch Anfertigungen von Bild- und Tonaufzeichnungen erheben, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei oder im Zusammenhang mit einer solchen Veranstaltung oder Ansammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit an diesen Orten entstehen. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BPolG kann die Erhebung auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind. Anlasslos, also ohne das Vorliegen eines konkreten Gefahrverdachts65, wird das Erheben von Fotos durch die Polizei im Rahmen ihrer Zuständigkeit als Gefahrenabwehrbehörde indes in jedem Fall rechtswidrig sein; der Umstand, dass das Erheben durch Twitter vorgenommen wird, ändert an der dahingehend qualitativen Einordnung nichts. Im Zusammenhang mit der sich aus der StPO ergebenden Strafverfolgungsbefugnis66 sei noch die Ermächtigungsgrundlage des § 131 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO erwähnt. Danach ist die Polizei als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug befugt, bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung und soweit die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 oder 2 StPO vorliegen eine Öffentlichkeitsfahndung zu veranlassen. Da die Veröffentlichung von Fotos der zur Festnahme ausgeschriebenen Person in Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet, Steckbrief oder auf Plakaten erfolgen67 dürfte sie gleichermaßen über Twitter zulässig sein; bei Vorliegen der Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage ist das Veröffentlichen zwecks Erreichen möglichst vieler Personen zulässig. Ende der Bearbeitung 65 Vgl. für die materiellen Kriterien, wann die Erhebungsschwelle überschritten sein kann, Schenke, Ralf P., in: Schenke, Ralf P./Graulich, Kurt/Ruthig, Josef (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 26 BPolG, Rn. 26. 66 Vgl. für diese Zuständigkeit oben, 1.1. Fn. 9. 67 Vgl. Niesler, Lars, in: Graf, Jürgen Peter (Hrsg.), Beckscher Online Kommentar zur StPO, Edition 21 2015, § 131 Rn. 5.