© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 155/15 Gesetzentwürfe zur Sterbebegleitung Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 2 Gesetzentwürfe zur Sterbebegleitung Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 155/15 Abschluss der Arbeit: 5. August 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung - Künast et al. (BT-Drucks 18/5375) - 4 2.1. Regelungsinhalt 4 2.2. Verfassungsrechtliche Bedenken – Geschriebene Bundesgesetzgebungskompetenz 4 2.2.1. Bundeskompetenz für das Strafrecht – Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG? 5 2.2.1.1. § 4 Abs. 1 und § 5 des Gesetzentwurfs 6 2.2.1.2. § 9 und § 6 Abs. 2 des Gesetzentwurfs 6 2.2.2. Bundeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG? 7 2.2.3. Bundeskompetenz nach Art. 31 GG? 8 2.2.4. Strafrechtskompetenz auch für landesrechtliche Regelungen? 8 2.3. Ungeschriebene Bundesgesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs? 9 2.3.1. BVerfGE 98, 265 – Bayerisches Schwangerenhilfeergänzungsgesetz 10 2.3.2. Übertragbarkeit auf das Sterbehilfekonzept? 11 2.4. Materielle verfassungsrechtliche Bedenken 13 2.4.1. Widerspruch zwischen Gesetzestitel, Zweckbestimmung und Gesetzesinhalt 13 2.4.2. Gewerbsmäßigkeit und ärztliche Berufstätigkeit 14 3. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz) - Hintze et al. (BT-Drucks 18/5374) - 15 3.1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes – Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Bürgerliches Recht) 16 3.2. Unzulässigkeit hinsichtlich landesrechtlicher Berufsregelungen 18 4. Fazit 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 4 1. Einleitung Im Zusammenhang mit den insgesamt vier vorgelegten Gesetzentwürfen zur Sterbehilfe sollen die Entwürfe von Künast et al. (BT-Drucks 18/5373) und Hintze et al. (BT-Drucks 18/5374) auf verfassungsrechtliche Bedenken überprüft werden. 2. Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung - Künast et al. (BT-Drucks 18/5375) - 2.1. Regelungsinhalt Als einziger der vier zur Sterbehilfedebatte eingebrachten Gesetzentwürfe sieht der Vorschlag von Künast et al. die Neuschaffung eines selbstständigen, mehrere Normen umfassenden und ausschließlich diesen Regelungsbereich betreffenden Gesetzes vor1. Anders als der Titel („Gesetz über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“) suggeriert, stellt jedoch auch2 dieser Entwurf Verhaltensweisen unter Strafe, die nach bisheriger Rechtslage nicht strafbewehrt sind3: Der Entwurf droht zunächst für – derzeit straflose – Verhaltensformen unmittelbar eine Freiheitsstrafe (bis zu drei Jahren für „Gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung“, § 4 Abs. 14 und bis zu zwei Jahren für „Gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“, § 5) oder Geldstrafe an und stellt für die Zulässigkeit der Hilfe zur Selbsttötung neue, ebenfalls strafbewehrte (vgl. § 9 Abs. 1) Verhaltenspflichten auf (vgl. §§ 3, 7 und 8). Neben diesen Ge- und Verboten enthält der Entwurf Normen über die eigene Zielbestimmung (§§ 1, 2), eine spezifisch für Ärzte formulierte Kollisionsregelung (§ 6), Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von Rechtsverordnungen für das Bundesministerium für Gesundheit (§ 10) sowie durch dieses Ministerium auszuführende Evaluationsvorgaben (§ 11). 2.2. Verfassungsrechtliche Bedenken – Geschriebene Bundesgesetzgebungskompetenz Der Entwurf wirft insoweit formell verfassungsrechtliche Fragen auf, als zweifelhaft ist, ob der Bund für die Gesamtheit der aufgestellten Regelungen gesetzgebungsbefugt ist. 1 Die drei anderen Gesetzentwürfe beschränken sich darauf, spezielle die Sterbehilfe betreffende Normen in das (bereits vorhandene) StGB (BT-Drucks 18/5373, S. 5; BT-Drucks 18/5376, S. 3) oder BGB (§ 1921a BGB BT- Drucks 18/5374, S. 5) einzufügen. 2 Wie auch die Entwürfe BT-Drucks 18/5373 und BT-Drucks 18/5376. 3 Für die „Tatbestandslosigkeit des Suizids“ und den auch hieraus folgenden „Grundsatz der Straflosigkeit der Suizidteilnahme“ vgl. den umfassenden Überblick inklusive historischen Hintergründen bei Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 7 ff.; 14 ff. 4 Im Folgenden nicht anders bezeichnete Normen sind solche des Entwurfs BT-Drucks 18/5375. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 5 2.2.1. Bundeskompetenz für das Strafrecht – Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG? Nach Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht. Seit der Föderalismusreform I ist der Bund nicht mehr an die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG5 gebunden; auch ein Abweichungsrecht der Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG besteht nicht. Zum Regelungsbereich des Strafrechts gehört die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen6. Die Gesamtheit der Rechtsnormen, die für eine rechtswidrige Tat eine Strafe, Buße oder Maßregel der Besserung und Sicherung festsetzen, ist danach dem Strafrecht zuzuordnen7. Unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafrecht fällt außerdem das Ordnungswidrigkeitenrecht8. Andere Formen der Sanktionen wie insbesondere standesrechtliche Sanktionen der öffentlichrechtlich in Kammern organisierten Berufsvertretungen der freien Berufe – vorliegend insbesondere sich für die Ärzte ergebende Sanktionen – fallen (wenngleich gelegentlich auch als Strafen verstanden) gemeinhin nicht unter den Kompetenzbereich des Strafrechts im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG9. Aus dieser eher formalen Beschreibung des Regelungsbereichs des Strafrechts folgt indes nicht, dass der Bund sich gewissermaßen durch (beliebige) Sanktionsandrohungen seine Gesetzgebungskompetenz selbst schaffen kann: „Da die Kriminalstrafe mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden ist, kann der Bundesgesetzgeber im Rahmen dieser Kompetenz nicht Normen beliebigen Inhalts aufstellen, sondern nur die Normen, die ‚das ethische Minimum kennzeichnen, ohne das die soziale Gemeinschaft nicht bestehen kann‘“10. Zum konkreten Inhalt, also der Materie, die der Bundesgesetzgeber strafrechtlich regeln kann, stellt das Bundesverfassungsgericht in frühen Entscheidungen auf das Merkmal des „Traditionellen“ 5 Vgl. den Wortlaut der Fassung vom 27.10.1994, gültig bis 31.8.2006 – Art. 72 Abs. 2: Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. 6 BVerfGE 109, 190 (212); 134, 33 (55 f.). 7 BVerfGE 109, 190 (212 f.). 8 BVerfGE 27, 18; 29, 16; 31, 141 (144). Zur Unterscheidung: Zum Kernbereich des Strafrechts gehören alle bedeutsamen Unrechtstatbestände, während das Ordnungswidrigkeitenrecht Fälle mit geringerem Unrechtsgehalt erfasst, Sannwald, Rüdiger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennek (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 34. 9 Oeter, Stefan, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 18. 10 Maunz, Theodor, in: Ders./Dürig, Günter (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 73. Erg. Liefg. 2014, Art. 74 Rn. 64 mit Hinweis auf Graf Dohna, Beziehungen und Begrenzungen von Strafrecht und Verwaltungsrecht, VerwArch. Bd. 30, S. 233 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 6 und „Herkömmlichen“ ab11. Soweit ein Regelungsbereich ohnehin dem Strafgesetzbuch zuzuordnen ist, kann sich der Bundesgesetzgeber auch bei der weiteren Gestaltung an diesen Inhalt halten. 2.2.1.1. § 4 Abs. 1 und § 5 des Gesetzentwurfs Hinsichtlich der im Entwurf vorgesehenen Straftatbestände der § 4 Abs. 1 und § 5, die (ohne spezifische Verhaltenspflichten aufzustellen) gewerbliche Suizidbeihilfe unter Strafe stellen, dürfte sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes unproblematisch aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Strafrecht) ergeben12. Systematisch lassen sie sich in den Bereich des Lebensschutzes einordnen, der herkömmlich im StGB geregelt ist (vgl. den Bezug zur aktiven Sterbehilfe – der nach § 216 StGB strafbaren Tötung auf Verlangen)13. Dass es dem Strafgesetzgeber aufgrund des hohen Wertes des durch Suizidbeihilfe (abstrakt) bedrohten Rechtsguts Leben verfassungsrechtlich nicht verwehrt ist, ein Verbot der Suizidbeihilfe zu erlassen, ist in der Literatur wohl weitgehend anerkannt14. 2.2.1.2. § 9 und § 6 Abs. 2 des Gesetzentwurfs Eine aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG folgende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass des § 9 Abs. 1 ist bereits weniger offensichtlich. Diese Norm unterscheidet sich insoweit von den beiden anderen Strafnormen, als sie nicht lediglich bisher straflose Verhaltensformen unter Strafe stellt, sondern als Sanktionsnorm für Verhaltensformen fungiert, unter denen die organisierte oder geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung erlaubt bleiben soll. § 9 Abs. 1 ist also nicht isoliert zu verstehen , sondern im Zusammenspiel mit den ebenfalls durch das Gesetz vorgesehenen, für die Zulässigkeit geschäftsmäßiger Sterbehilfe neuartigen Gebotsnormen15. Nach den formulierten Zielbestimmungen will das Gesetz insgesamt die Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung bestimmen (§ 1 Nr. 1) und Regeln für Organisationen aufstellen, deren Zweck es ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten (§ 1 Nr. 4). § 2 stellt weiterhin insbesondere in Abs. 2 fest, dass die Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich straflos ist. 11 Vgl. BVerfGE 13, 367 (372); 23, 113, (124 f.). 12 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Strafrechtsnormen materielle verfassungsrechtliche Bedenken – insbesondere im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot wecken. Diese Frage betrifft jedoch die materielle Verfassungsgemäßheit der Norm, nicht die formelle. 13 Insoweit erklärt sich auch, dass die beiden Gesetzentwürfe BT-Drucks 18/5373 und BT-Drucks 18/5376 die Strafbarkeit gewerblicher Suizidbeihilfe als einen § 217 StGB einführen wollen. 14 Vgl. nur Schulze-Fielitz, Helmuth, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Band I, 3. Aufl. 2013, Art. 2, Rn. 85 m.w.N.; Henking, Tanja, Der ärztlich assistierte Suizid und die Diskussion um das Verbot der Sterbehilfeorganisationen , JR 2015, 174 (180); zusammengefasst für die Zulässigkeit Gavela (Fn. 3), S. 236. Für einen guten Überblick zu den Gründen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines strafrechtlich sanktionierten Beihilfeverbotes vgl. ebenfalls Gavela, (Fn. 3), S. 227 ff. 15 Insbesondere § 3 Abs. 2 i.V.m. § 7 Beratungspflicht; § 3 Abs. 3 Karenzzeit zwischen Beratungsgespräch und Hilfeleistung ; § 8 Dokumentationspflicht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 7 Es fragt sich, auf welche Kompetenznormen der Bundesgesetzgeber den Erlass dieser Regelungen stützen könnte. Grundsätzlich schließt die Kompetenz zur Regelung des Strafrechts auch den Erlass von Regelungen zur Begründung von Straffreiheit ein16. Vorliegend wird jedoch nicht schlichtweg eine Straffreiheit formuliert (die im Übrigen derzeit ohnehin besteht), sondern es werden neuartige Verhaltensgebote aufgestellt, deren Einhaltung allein strafrechtliche Sanktionen für die Handelnden ausschließt. Insbesondere soweit die im Zusammenhang mit der geschäftsmäßigen oder organisierten Hilfe formulierten Verhaltensgebote zur Selbsttötung Ärzte betreffen, stellen sich im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder Kollisionsprobleme. Eng mit diesem Problembereich verknüpft ist die Frage, ob die in § 1 Nr. 3, § 6 Abs. 2 formulierten ausdrücklichen Erlaubnisse für Ärzte, Hilfe zur Selbsttötung leisten zu dürfen, in Verbindung mit der ausdrücklichen Unwirksamkeitserklärung entgegenstehender berufsständischer Regelungen formell verfassungsgemäß durch den Bundesgesetzgeber erlassen werden könnten. Denn nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit nicht dem Bund ausdrücklich Gesetzgebungsbefugnisse zugewiesen werden. Mangels ausdrücklicher Bundeskompetenzzuweisung fallen Regelungen, die die Berufsausübung von Ärzten betreffen, in die Gesetzgebungskompetenz der Länder17. 2.2.2. Bundeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG? Die Gesetzesbegründung nennt zusätzlich Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG als Grundlage für die Bundesgesetzgebungskompetenz 18. Die soeben aufgeführten Verhaltensregelungen können jedoch nicht unter diesen Bundesgesetzgebungstitel gefasst werden19. Der in dieser Norm genannte Begriff der Zulassung zu ärztlichen Heilberufen umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „die Vorschriften, die sich auf Erteilung, Zurücknahme und Verlust der Approbation oder auf die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs beziehen“20. Auch soweit der Bundesgesetzgeber nach dieser Kompetenznorm die Festlegung der Widerrufstatbestände für die Approbation wohl dahingehend beschränken könnte, dass Verstöße gegen bestimmte landesrechtliche Berufsausübungsregelungen (wie die Untersagung der Suizidbeihilfe) nicht den Widerruf der Approbation rechtfertigen, würden landesrechtliche Berufsausübungsregelungen hierdurch nicht sanktionslos21. Mit anderen Worten kann sich der Bund nicht zulässigerweise auf die ihm im Rahmen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zugewiesene Kompetenznorm 16 Oeter (Fn. 9), Art. 74 Rn. 19; vgl. auch BVerfGE 2, 213 (220 ff.). 17 Vgl. zu diesem Problembereich bereits ausführlich Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, Verfassungsgemäßheit der in den Berufsordnungen der Ärztekammern normierten Verbote der Beihilfe zum Suizid, (WD 3 - 3000 - 215/14, 2014) S. 3 ff.; Einzelfragen zur Suizidbeihilfe durch Ärzte, (WD 3 – 3000 - 303/14, 2014), S. 3 ff. 18 BT-Drucks 18/5375, S. 8. 19 Vgl. hierzu bereits ausführlich Gutachten WD 3 - 3000 - 303/14 (Fn. 17), S. 3 ff. 20 BVerfGE 33, 125 (154 f.). 21 Vgl. Gutachten WD 3 - 3000 - 303/14 (Fn. 17), S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 8 berufen, wenn er Ärzten in einer Regelung die Suizidassistenz unter bestimmten, gesetzlich näher beschriebenen Voraussetzungen (vorliegend in § 3, § 7 Abs. 1, § 8) erlaubt und die Nichteinhaltung dieser Voraussetzungen mit Strafe bedroht (§ 9 Abs. 1)22. Auch die in § 6 Abs. 2 vorgesehene Kollisionsnorm betrifft insoweit Berufsregelungen der Länder und kann nicht auf die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gestützt werden. Auf Grundlage dieses Artikels könnte der Bund lediglich ausdrücklich untersagen, dass die durch Ärzte geleistete Suizidbeihilfe Grundlage für einen Approbationsentzug sein darf; hierüber hinausgehende Verhaltenspflichten oder das Untersagen berufs- (standesrechtlicher) Sanktionen ließen sich auf diesen Kompetenztitel nicht stützen. 2.2.3. Bundeskompetenz nach Art. 31 GG? In diesem Zusammenhang führt auch der in der Begründung zum Entwurf formulierte Hinweis, die Gesetzgebungskompetenz zu § 6 Abs. 2 ergebe sich „zudem aus Artikel 31 Grundgesetz“23, nicht weiter. Art. 31 GG ist keine Kompetenz- sondern eine Kollisionsnorm, die bestimmt, welches Recht gilt, wenn ein kompetenzgemäßes und auch sonst verfassungsgemäßes Bundes- und Landesrecht je denselben Sachverhalt regeln24. Die Kompetenzfrage ist der Kollisionsfrage vorgelagert25, insoweit kann sich aus Art. 31 GG keine Kompetenzzuweisung für den Bundesgesetzgeber ergeben. Insbesondere kann ein formell verfassungswidriges (da nicht kompetenzgemäß erlassenes) Bundesgesetz keine landesrechtlichen Normen brechen.26 2.2.4. Strafrechtskompetenz auch für landesrechtliche Regelungen? Allerdings kann der Bund – und insoweit sei erneut die für das Strafrecht bestehende Gesetzgebungskompetenz in Bezug genommen – für die Definition des Straftatbestandes an landesrechtlich begründete Gebote oder Verbote anknüpfen. Die konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz für das Strafrecht umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch solche Materien, die nach der eigentlichen grundgesetzlichen Kompetenznorm den Ländern zugewiesen sind27. Der Bund kann, wenn er ein (bisher strafloses) Verhalten als strafwürdig erachtet, 22 Ähnlich Gutachten WD 3 - 3000 - 303/14 (Fn. 17), S. 6. 23 BT-Drucks 18/5375, S. 8. 24 BVerfGE 26, 116 (135); 36, 342 (363); 96, 345 (364); 98, 145 (159). 25 BVerfGE 121, 233 (239) mit Hinweis auf BVerfGE 36, 342 (364); aus dem Schrifttum s. nur Dreier, Horst, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar Bd. II, 3. Aufl. 2013, Art. 31 Rn. 23. 26 Vgl. hierzu auch Pieroth, Bodo, in: Jarass, Hans/Pieroth, Bodo, Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 31 Rn. 3: Die Anwendung des Art. 31 GG setzt voraus, dass das in Frage stehende Gesetz nicht gegen das Grundgesetz verstößt, soweit in den Art. 70 ff. GG Rechtsfolgen für das Landesrecht geregelt sind, gehen sie als leges speciales dem Art. 31 GG vor. 27 BVerfGE 13, 367 (373); 23, 113 (124 f.); 26, 246 (258); 75, 330 (334). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 9 Straftatbestände schaffen, ohne hierbei an die ihm sonst durch die Zuständigkeitskataloge gezogenen Grenzen gebunden zu sein28; er kann den Umfang der Strafverfolgung menschlichen Verhaltens und damit zugleich den Tätigkeitsbereich der Länder beschränken.29 Soweit diese bundesrechtlichen Regelungen abschließend sind, verhindern sie ergänzendes oder abweichendes Landesrecht, das auf den Schutz desselben Rechtsguts gerichtet ist30. Dies wird in Art. 4 Abs. 2 EGStGB einfachgesetzlich bestätigt31. Diese Möglichkeit besteht jedoch nur, sofern nicht der Bundesgesetzgeber in Wirklichkeit die der Länderkompetenz unterliegende Materie selbst sachlich regelt32. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Möglichkeit des Bundes, Landesrecht mit einer Kriminalstrafe zu bewehren, nur deshalb als zulässig an, „weil dadurch die Kompetenz der Länder zur inhaltlichen Ausgestaltung des so geschützten Landesrechts nicht beeinträchtigt wird und erst recht nicht ausgehöhlt werden kann.“33 Diese Gefahr des Aushöhlens der eigentlich dem Landesgesetzgeber zustehenden Kompetenz für das Festschreiben von Berufsausübungsregelungen – insbesondere im Hinblick auf die konkret in § 6 Abs. 2 erfolgende Unwirksamkeitsbeschreibung landesrechtlich entgegenstehender Berufsausübungsregelungen – liegt vorliegend nahe. Dass der Bund aus einer sich allein aus den bereits in den Aufzählungen des Art. 74 Abs. 1 GG ergebenden Kompetenz das Gesetz formell verfassungsgemäß erlassen könnte, ist mithin zweifelhaft. 2.3. Ungeschriebene Bundesgesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs? Wenngleich die Kataloge der Bundeszuständigkeiten in Art. 73 f. GG die dem Bund ausdrücklich zugewiesenen sonstigen Gesetzgebungskompetenzen grundsätzlich abschließend normieren und im Übrigen die Regelzuständigkeit bei den Ländern belassen34, kommt ausnahmsweise eine Bundeskompetenz Kraft Sachzusammenhangs in Betracht35, wenn „eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine andere Materie mitgeregelt 28 BVerfGE 23, 113 (124 f.); 98, 265 (312). 29 BVerfGE 2, 213 (220). 30 Vgl. BVerfG, NVwZ 2010, 247; BVerfG, NJW 2015, 44 (45). 31 Vgl. BVerfGE 98, 265 (312); BVerfG, NJW 2015, 44 (45). 32 BVerfGE 13, 367 (373); 23, 113 (125); 26, 246 (258); 110, 141 (174). 33 BVerfGE 23, 113 (124 f.). 34 Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK zum Grundgesetz, Stand 2015 Edition 25, Art. 70 Rn. 22. 35 Die in diesem Zusammenhang auch oft genannte Annexkompetenz ist nur ein Unterfall der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, vgl. Pieroth, Bodo, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 70 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 10 wird, wenn also das Übergreifen in einen an sich den Ländern übertragenen Kompetenzbereich für die Regelung der zugewiesenen Materie unerlässlich ist.“36 2.3.1. BVerfGE 98, 265 – Bayerisches Schwangerenhilfeergänzungsgesetz Eine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs für die punktuelle Inanspruchnahme der Landeskompetenz zur ärztlichen Berufsausübung hat das Bundesverfassungsgericht 1998 im Zusammenhang mit seiner Entscheidung zur Verfassungsgemäßheit des bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes festgestellt37. Nach den beiden das Vorgehen des Bundesgesetzgebers im Zusammenhang mit der Abschaffung einer Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs als verfassungswidrig erklärenden Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen 38 schuf der Bund das heute noch gültige Fristenlösungskonzept zur Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs39. Bayern erließ im Anschluss an diese bundesrechtlichen Novellierungen (berufsausübungsregelnde) Landesnormen, die den Schwangerschaftsabbruch im eigenen Bundesland nur unter strengeren, über die Bundesnormen hinausgehenden Voraussetzungen für zulässig erklärten40. Auf die Verfassungsbeschwerde von in Bayern zugelassenen Ärzten hin erklärte das Bundesverfassungsgericht diese vom Bundeskonzept abweichenden landesrechtlichen Normen teilweise für verfassungswidrig41. Dabei wurde insbesondere im Zusammenhang mit den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Beratungspflichten der Ärzte entschieden, dass diese Pflichten im Rahmen des gesetzlichen Schutzkonzeptes als bundesrechtliche Vorschriften zugleich die Grenzen des ärztlichen Berufsrechts umreißen dürften42. In der weiteren Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach den Erlass und das damit verbundene bundeskompetenzrechtliche Ersetzen auch eigentlich in Landesgesetzgebungskompetenz fallender Regelungen für zulässig erklärt43. 36 Vgl. BVerfGE 106, 62 (115); 110, 33 (48). 37 BVerfGE 98, 265 – Schwangerenhilfe. 38 Vgl. hierzu im Einzelnen BVerfGE 39, 1; 88, 203. 39 Vgl. hierzu im Einzelnen die Beschreibung der gesamten Gesetzgebungs- und Verfassungsgerichtsentscheidungsgeschichte in BVerfGE 98, 265 (268 ff.). 40 Vgl. im Einzelnen die Darstellung bei BVerfGE 98, 265 (277 ff.). 41 BVerfGE 98, 265 (266). 42 BVerfGE 98, 265 (321). 43 BVerfGE 98, 265 (313 f.) für die Nichtigkeit der landesrechtlichen, über die Bundesregelung hinausgehenden Einnahmequotierung; (316 f.) zur Sperrwirkung der bundesrechtlich verfügten Höhe der Vergütung für den Schwangerschaftsabbruch; (325 ff.) für die Regelung des Gesprächs zwischen Arzt und Schwangeren im Strafrecht und damit verbundener Verdrängung des den Ländern überantworteten Berufsrechts unter Bezugnahme auf den bayerischen Ärzten (gegen das vorgesehene Bundeskonzept) drohende berufsrechtliche Sanktionen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 11 2.3.2. Übertragbarkeit auf das Sterbehilfekonzept? Die aufgezeigten Grundsätze scheinen zunächst insoweit mit dem vorliegenden Gesetzgebungskonzept vergleichbar, als jeweils das Leben durch ein Konzept staatlicher Ge- und Verbotsnormen geschützt werden soll. Grundrechte fungieren nicht nur als Abwehrrechte, sondern aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergeben sich auch Schutzpflichten des Staates. Insbesondere Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG ist nicht lediglich ein subjektives Abwehrrecht, sondern stellt zugleich eine objektivrechtliche Wertentscheidung der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gilt und verfassungsrechtliche Schutzpflichten begründet44. Im Gegensatz zum Inhalt der Abwehrrechte ist der Umfang staatlicher Schutzpflichten jedoch grundsätzlich unbestimmt45. Wie dargelegt (vgl. oben S. 6) dürfte aufgrund der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates für das Leben die Einführung einer Strafrechtsnorm, die (gewerbliche) Sterbehilfe unter Strafe stellt, verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein46. Insoweit könnte angedacht werden, die in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen aufgestellten Grundsätze zur Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs auf das vorgesehen Sterbehilfekonzept zu übertragen: Wenn der Bundesgesetzgeber einerseits im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz auf der Ebene des Strafrechts Normen erlassen dürfte, könnte es kompetenzrechtlich ebenso zulässig sein, aufgrund derselben Zuständigkeit auch unterhalb des Strafrechts ein Schutzkonzept einzuführen47. Die hierin liegende Annahme, dass es für die Erfüllung der Schutzpflicht keinen Unterschied macht, ob der Bundesgesetzgeber zunächst eine neue Strafnorm fasst, die er dann abschafft, um dem Schutzzweck unterhalb des Strafrechts gerecht zu werden, oder ob er eine bereits bestehende Strafnorm auf diese Weise außer Kraft setzt, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Der Unterschied in der Möglichkeit des Erlasses liegt vielmehr in der Frage, ob der Gesetzgeber nach den Umständen verpflichtet ist, das gefährdete Rechtsgut (mit strafrechtlichen Sanktionen) zu schützen, oder lediglich dazu berechtigt48. So hat das Bundesverfassungsgericht als Begründung für die ausnahmsweise in der Kompetenz des Bundesgesetzgebers liegende Regelung auch berufsrechtlicher Normen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen ausdrücklich darauf verwiesen, dass der Bundesgesetzgeber zur Vermeidung der Verletzung des Untermaßverbotes zu 44 BVerfGE 39, 1 (41 f.); 46, 160 (164); 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57); 56, 54 (73, 78, 80). 45 BVerfGE 46, 160 (164); 96, 56 (64). 46 Wohl herrschende Meinung vgl. nur Jarass, Hans, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 2 Rn. 100 m.w.N. 47 Diese Auffassung klingt in der Gesetzesbegründung an, die insbesondere § 6 Abs. 2 als notwendigen Bestandteil eines Schutzkonzeptes für die betroffenen sterbewilligen Menschen und die sie betreuenden Ärzte bezeichnet, vgl. BT-Drucks 18/5375, S. 12. 48 Vgl. hierzu ausführlich Gavela, (Fn. 3), S. 230 ff.; vgl. für die Unterscheidung im Zusammenhang mit der Frage, ob § 216 StGB – die Tötung auf Verlangen – abgeschafft werden dürfte: Landau, Herbert, „Heiligkeit des Lebens und Selbstbestimmung im Sterben“, ZRP 2005, 50 (51 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 12 einer Regelung verpflichtet sei49. Die Zurücknahme der Strafandrohung sei nur zulässig, wenn der Bundesgesetzgeber diese Zurücknahme durch ein wirksames Schutzkonzept ersetze50. Die Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs beruht also gerade auf der Verpflichtung des Staates zum Erlass schützender Normen, nicht bloß auf seiner Berechtigung. Eine solche die Gesetzgebungskompetenz begründende staatliche Schutzverpflichtung ist im Zusammenhang mit der Pönalisierung von Sterbehilfe zweifelhaft51. Dass aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Verpflichtung des Staates folgt, den Einzelnen vor sich selbst zu schützen, wird wohl mehrheitlich bezweifelt52 und insbesondere im Vergleich zur vom Bundesverfassungsgericht aus den objektiven Schutzpflichten des Staates für den Schwangerschaftsabbruch abgeleiteten Verpflichtung mit guten Gründen abgelehnt53. Wenngleich die Vorstellung, dass es (ohne die Außerkraftsetzung der standesrechtlichen Sanktionsnormen ) innerhalb Deutschlands zu einem Sterbetourismus von Bundesland zu Bundesland kommen könnte, und es mithin im Hinblick auf einen wünschenswerten innerstaatlichen Rechtsfrieden durchaus relevant scheint, bundeseinheitliche Regelungen auch innerhalb des ärztlichen Standesrechts zu schaffen54, vermag das isolierte Bedürfnis nach bundesweitem Rechtsfrieden eine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs wohl noch nicht zu begründen55. Auch soweit die landesrechtlichen, die ärztliche Suizidbeihilfe standesrechtlich untersagenden Normen wohl (materiell) verfassungswidrig sind, da sie in unzulässiger Weise in Art. 12 und Art 4 GG eingreifen56: 49 BVerfGE 98, 265 (314): „Da es um die Eindämmung vermuteter Schutzdefizite in bezug auf das ungeborene menschliche Leben geht, ist, sofern auf die Strafdrohung verzichtet wird, die entsprechende Gefahrenabwehr unabweisbare Aufgabe des Bundesgesetzgebers, wenn er eine verfassungswidrige Schutzlücke vermeiden will“. 50 BVerfGE 98, 265 (313 f.), zuvor schon BVerfGE 88, 203 (304 f.): Die Absicht des Gesetzgebers, die Strafdrohung für Schwangerschaftsabbrüche zurückzunehmen, sei nur dann verfassungsgemäß, wenn an die Stelle des ursprünglichen strafrechtlichen Lebensschutzes ein anderes wirksames Konzept des Lebensschutzes träte. Das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von einem aus der Verfassung abgeleiteten Junktim zwischen der Zulässigkeit der Aufhebung strafrechtlicher Vorschriften und der gleichzeitigen Normierung eines alternativen Schutzkonzeptes für das ungeborene Leben, das daher eine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs für solche Einzelregelungen begründe, die zur Verwirklichung seines Konzepts unerlässlich seien und bei denen auf eine gemeinsame Regelung der Länder nicht gewartet werden könne. 51 Vgl. nur Landau, (Fn. 48), S. 51 f. mit weiteren Nachweisen zu einem großen Teil in der Literatur, der davon ausgeht, dass sogar die Bestrafung der aktiven Tötung auf Verlangen in § 216 StGB verfassungsrechtlich zwar gerechtfertigt, nicht jedoch geboten ist. 52 Vgl. Jarass, Hans, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 2 Rn. 100 m.w.N. 53 Vgl. hierzu im Einzelnen Gavela (Fn. 3), S. 231. 54 Für ein bundeseinheitliches Regelungskonzept, mit dem der Bundesgesetzgeber beabsichtigte, Rechtseinheit und Rechtsfrieden in Deutschland herzustellen vgl. BVerfGE 98, 265 (327). 55 Henking (Fn. 14), (181) geht davon aus, dass derartige materielle Zulässigkeitsregelungen keinen Einfluss auf das standesrechtliche Verbot haben könnten. 56 Vgl. zu dieser Verfassungswidrigkeit bereits das Gutachten WD 3 - 3000 - 215/14 (Fn. 17), S. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 13 Der Bundesgesetzgeber könnte diese Normen wohl nicht durch ein seinerseits kompetenzwidrig und damit verfassungswidrig erlassenes Gesetz ersetzen57. 2.4. Materielle verfassungsrechtliche Bedenken Zur grundsätzlichen materiellen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe einführenden Gesetzes58 gibt die Dissertation von Kallia Gavela einen umfassenden Überblick59. Eine strafrechtliche Sanktionen anordnende Verbotsnorm muss insbesondere dem für Strafgesetze in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Bestimmtheitsgebot entsprechen. Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet , „wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.“60 Dadurch soll zum einen sichergestellt werden, dass jeder vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bewehrt ist. Zum anderen soll gewährleistet werden, dass der Gesetzgeber abstrakt und sodann die Gerichte konkret über die Strafbarkeit eines Verhaltens entscheiden.61 Rechtsprechung und Literatur betonen jedoch, dass das Gebot der Bestimmtheit „nicht übersteigert werden darf“.62 Einschränkungen ergäben sich schon aus dem abstrakt-generellen Charakter von Strafvorschriften und deren begrenzter sprachlicher Leistungsfähigkeit .63 2.4.1. Widerspruch zwischen Gesetzestitel, Zweckbestimmung und Gesetzesinhalt Die Bedenken im Hinblick auf die widersprüchlichen Formulierungen des Entwurfs dürften noch nicht zu einer materiellen Verfassungswidrigkeit führen. Dass entgegen dem eindeutigen Titel „Gesetz über die Straffreiheit der Hilfe zu Selbsttötung“ tatsächlich Verhaltensformen unter Strafe gestellt werden sollen, die bisher nicht strafbewehrt sind, führt insoweit lediglich zu Irritationen, 57 So auch Henking, (Fn. 14), (181). 58 Vgl. grundsätzlich für die materiellen verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen Strafnormen entsprechen müssen, Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, Zur Verfassungsgemäßheit nach Personengruppen differenzierter Strafmaßregelungen (WD 3 - 3000 - 147/15 – 2015), S. 3 ff. 59 Vgl. Gavela (Fn. 3), insbesondere zur Rechtfertigung des in der Strafandrohung liegenden Eingriffs allgemein durch einen legitimen Zweck S. 234 ff.; speziell für die Einführung von Straftatbeständen für Suizidhilfeorganisationen S. 251 ff. 60 BVerfGE 126, 170 (195), unter Bezugnahme auf BVerfGE 75, 329 (340 f.). 61 Siehe Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 103 Rn. 67, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 62 BVerfG, NJW 1977, 1815 (1815); siehe auch Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 103 Rn. 66. 63 Radtke/Hagemeier, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK zum Grundgesetz, Stand 2015 Edition 25, Art. 103 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 14 zieht jedoch keine Rechtsverbindlichkeit nach sich, da aus einem Gesetzestitel keine rechtsverbindlichen Folgen zu ziehen sind. Die Widersprüchlichkeit setzt sich zwar insoweit innerhalb des Gesetzentwurfs fort, als § 2 Abs. 2 festschreibt, dass die Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich straflos ist, wenngleich im Folgenden in den §§ 4 und 5 eine Form der Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt wird. Diesbezüglich schränkt sich jedoch die Straflosigkeit formulierende Norm des § 2 Abs. 2 selbst durch die Beifügung des „grundsätzlich“ ein; zum anderen gilt auch hier (wie im Zusammenhang mit dem an sich widersprüchlichen Titel des Gesetzes), dass der Festschreibung der grundsätzlichen Straflosigkeit keine Bindungswirkung zukommt und diese Norm insoweit nur deklaratorische, keine eingreifende Wirkung hat. Die strengeren Maßstäbe des Bestimmtheitsgebotes gelten insbesondere im Hinblick auf eingreifende Normen, mit denen Grundrechte der Betroffenen unmittelbar eingeschränkt werden sollen; lediglich deklaratorische, Ziel- und Zweck bestimmende Normen vermögen grundsätzlich die Bestimmtheit eines Entwurfs nicht auszuschließen. 2.4.2. Gewerbsmäßigkeit und ärztliche Berufstätigkeit Verfassungsrechtliche Bedenken weckt der Entwurf jedoch im Hinblick auf die unter Strafe zu stellende gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung und auf das eigentlich vorgesehene Gesetzgebungsziel , Ärzte ausdrücklich im Rahmen ihrer Tätigkeit Hilfe zur Selbsttötung leisten lassen zu wollen. Die Gewerbsmäßigkeit ist zunächst strafbegründendes Merkmal des Entwurfs64. Dieser definiert in § 4 Abs. 1 zwar selbst, was unter strafbegründender Gewerbsmäßigkeit zu verstehen sein soll65 und stimmt in dieser Definition mit dem in der Strafrechtslehre und Rechtsprechung allgemein anerkannten Gewerbsmäßigkeitsbegriff überein66. Aus dieser Definition wird jedoch nicht deutlich, ob Ärzte, die im Rahmen ihrer beratenden Berufstätigkeit Patienten Hilfe zur Selbsttötung leisten, gewerbsmäßig handeln oder nicht. Auch soweit die Gebührenordnung nicht vorsieht, dass die Suizidbegleitung als eigenständige Leistung abgerechnet wird, ließe sich diese wohl im ärztlichen Alltag nur schwerlich von den allgemeinen ärztlichen Leistungen und Beratungen, die im Zusammenhang mit den Entscheidungen am Lebensende stehen, trennen. Insoweit, und gerade wenn palliativmedizinisch tätig werdende Ärzte regelmäßig aus einem ohnehin bestehenden (und nach der Gebührenordnung) vergüteten 64 Im StGB ist dies so wohl nur für die §§ 180a, 181a Abs. 2 vorgesehen, vgl. Sternberg-Lieben/Bosch, in: Schönke/ Schröder, StGB Kommentar, 24. Aufl. 2014, Vor §§ 52 ff. Rn. 96. In der Regel fungiert die Gewerbsmäßig als eine Qualifikation oder besondere Begehungsform einer Straftat, die auch unabhängig von der Gewerbsmäßigkeit mit Strafe bewehrt ist. 65 „Soweit die Absicht besteht, sich oder einem Dritten durch wiederholte Hilfehandlungen eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen“. 66 Diese Definition entspricht der strafrechtlich allgemein anerkannten, vom Reichsgericht in RGSt 54, 230 (231); 58, 19 (20) entwickelten und vom BGH übernommenen, vgl. jüngst BGH NStZ 2015, 396 (398). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 15 Behandlungsverhältnis dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten und die Medikamente zu verschreiben, liegt es nahe, dass sie eben auch für diese Tätigkeit eine Vergütung erhalten. Vorsätzlich wäre dieses Handeln wohl auch; zudem ist davon auszugehen, dass beispielsweise für Palliativmedizin spezialisierte Ärzte wiederholt sterbehilfeberatende Leistungen an Patienten abgeben und die Einnahmequelle somit auch von einiger Dauer und einigem Umfang ist. Insoweit wird vertreten, dass sich bereits durch die allgemeine ärztliche Vergütung ein gewerbsmäßiges Handeln einer dann auch daran anschließenden (strafbaren) Suizidhilfe der Ärzte ergeben könnte67. Andere wollen jedenfalls dann eine Aufwandsentschädigung für Ärzte als nicht gewerbsmäßig ansehen, wenn sie im konkreten Fall wegen der geringen Höhe im Verhältnis zur Haupteinnahmequelle keinerlei Relevanz für den Lebensunterhalt mehr hat68. Insoweit bringt auch die Gesetzesbegründung keine Klarheit. Nach dieser handeln „Einzelpersonen – gleichgültig ob Arzt oder nicht – oder Sterbehilfeorganisationen (…) bei der Hilfe zur Selbsttötung gewerbsmäßig, wenn sie sich für diese Hilfe entlohnen lassen und nicht ausschließlich kostendeckend arbeiten. Ein etwaiger Überschuss muss abgeführt werden.“69 Nach dieser Begründung ist nicht auszuschließen, dass Ärzte, die seit langer Zeit ihre Patienten betreuen und beraten, sobald das Gespräch auf die Möglichkeit des Suizids kommt, aus dem allgemeinen Abrechnungssystem treten müssten, um umsonst zu arbeiten und nicht in die Gefahr der Gewerbsmäßigkeit zu kommen 70. Vor diesem Hintergrund würden Ärzte jedoch nicht mehr in ihrer Funktion als Ärzte, sondern wie jede andere Privatperson Sterbehilfe leisten; was nunmehr in eindeutigem Widerspruch dazu steht, dass der Gesetzentwurf Ärzten als Beistand der Sterbenskranken gerade in ihrer ärztlichen Funktion die Sterbehilfe erlauben will. Insoweit stellen sich einige Fragen hinsichtlich der Vorhersehbarkeit strafbaren Handelns für Ärzte, die zweifelhaft erscheinen lassen, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Strafandrohungen dem Bestimmtheitsgebot genügen. 3. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz ) - Hintze et al. (BT-Drucks 18/5374) - Als einziger der vier zur Sterbehilfe vorliegenden Gesetzentwürfe sieht dieser Entwurf keine (neu zu schaffende) Strafbarkeitsnorm vor71, sondern formuliert für die Zulässigkeit der Sterbehilfe Verhaltenspflichten im BGB, die jedoch nicht sanktionsbewehrt sind. Als Ziel und Grund für den 67 Rosenau, Henning/Sorge, Igor, Gewerbsmäßige Suizidförderung als strafwürdiges Unrecht? Kritische Anmerkungen zum Regierungsentwurf über die Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB-E), NK 2013, 108 (116) mit Hinweis auf Schreiber, NStZ 2006, 473 (478). 68 Vgl. Gavela, (Fn. 3), S. 268. 69 BT-Drucks 18/5375, S. 11. 70 Dass Ärzte als Freiberufler kein Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung führen, ändert nichts daran, dass ihre Einnahmen als gewerbsmäßig im Sinne des StGB eingeordnet werden könnten. 71 Auch soweit grundsätzlich der Regelung im BGB die zusätzliche Schaffung einer strafrechtlichen Norm nicht entgegenstünde, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung eindeutig, dass die Beihilfe zum Suizid straflos bleiben soll, vgl. nur BT-Drucks 18/5374, S. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 16 Erlass der Regelung nennt auch dieser Entwurf die zu schaffende Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten: Ärzten soll das Leisten von Sterbehilfe ausdrücklich ermöglicht werden72. 3.1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes – Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Bürgerliches Recht) Der Kompetenztitel „bürgerliches Recht“ lässt sich – ähnlich wie der Kompetenztitel für das Strafrecht – nicht trennscharf definieren73. Angesichts einer rechtsgeschichtlichen Entwicklung, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht, kommt nach dem Bundesverfassungsgericht dem Merkmal des „Traditionellen“ und „Herkömmlichen“ auch74 bei der Auslegung dieses Kompetenztitels wesentliche Bedeutung zu.75 Vereinfachend lässt sich das bürgerliche Recht als Gesamtheit derjenigen Normen beschreiben, die die den Personen als Privatpersonen zukommende rechtliche Stellung und die Verhältnisse, in denen sie als Privatpersonen zueinander stehen, regeln 76. Hierzu zählen auch Regelungen des Privatrechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient, etwa im Hinblick auf Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag und auf Haftungsfragen77. Grundsätzlich ist wohl nicht ausgeschlossen, dass der Bundesgesetzgeber die konkreteren Umstände für Sterbehilfe im Rahmen des Zivilrechts regeln könnte. Die Möglich- und Notwendigkeit, Suizidassistenz außerhalb des Strafrechts zu regeln, wird auch in der Literatur vertreten. Gavela spricht von einer Ausdehnung oder gar Verlagerung des Sterbehilfediskurses auf das Gebiet des Zivilrechts seit Mitte der 1990er Jahre78; teilweise wird ein „freiheitliches, vom Selbstbestimmungsgedanken getragenes Sterbehilferecht“ gefordert, das nach einer intradisziplinären Anlage verlangt, in der Strafrecht sich von seiner dominierenden Rolle auf „bescheidenere, flankierende Schutzfunktionen zurückziehen muss“79. Dieser Ansicht nach ist Grund und Grenze von Sterbehilfe das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen80. Erst 2013 hat der Bundesgesetzgeber mit Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 insbesondere den Behandlungsvertrag mit den §§ 630a ff. BGB aufgrund bundesrechtlicher Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG neu in das Bürgerliche 72 BT-Drucks 18/5374, S. 3: Um Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten herzustellen und die Selbstbestimmung von unheilbar erkrankten Patienten zu stärken, ist das BGB um eine Regelung zu ergänzen, die es Ärzten ausdrücklich ermöglicht, dem Wunsch des Patienten nach Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung entsprechen zu können. 73 Vgl. für die Regelungsmöglichkeit im Zivilrecht bereits WD 3 - 3000 - 303/14 (Fn. 17), S. 5 f. 74 Wie bei der Kompetenz für das Strafrecht, vgl. hierzu oben, S. 6. 75 BVerfGE 42, 20 (29). 76 Ähnlich BVerfGE 42, 20 (30). 77 Vgl. WD 3 - 3000 - 303/14 (Fn. 17), S. 6. 78 Gavela, (Fn. 3), S. 213 m.w.N. 79 Saliger, Frank, Sterbehilfe ohne Strafrecht?, KritV 2001, 382, (439). 80 Saliger (Fn. 79) (438). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 17 Gesetzbuch eingefügt81. Innerhalb dieser Regelungen spielt auch der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille des Patienten eine maßgebliche Rolle (vgl. § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Gesetzentwurf Hintze et al. sieht demgegenüber vor, in das BGB einen neuen Abschnitt 4 im Vierten Buch des BGB – Familienrecht einzuführen, der nach dem „Abschnitt 3 – Vormundschaft, Rechtliche Betreuung, Pflegschaft“ mit dem Titel „Selbstbestimmung des Patienten“82 überschrieben werden soll. Der Entwurf selbst begründet diesen Regelungsstandort damit, dass der Regelungsbereich demjenigen der Patientenverfügung ähnelt, die 2009 in diesen Abschnitt eingefügt wurde.83 Dies trifft insoweit zu, als auch im Rahmen der Diskussion über die Einführung des Patientenverfügungsgesetzes die Fragen der (Zulässigkeit) der Sterbehilfe eine zentrale Rolle spielten.84 Dass die Patientenverfügung im Rahmen der zivilrechtlichen Gesetzgebungskompetenz – Familienrecht – Betreuungsrecht eingefügt wurde, hat jedoch einen anderen systematischen Hintergrund. Es geht in diesem Bereich immer um nicht mehr einwilligungsfähige Personen, die aus diesem Grund in das Gebiet des Betreuungs- oder Vorsorgevollmachtsrecht fallen, das traditionell dem Familienrecht als Teilgebiet des Zivilrechts zugeordnet wird. Aus dem Umstand, dass eine vergleichbare Lage aufgrund der streckenweise am Lebensende zum Tragen kommenden Patientenverfügung mit dem noch voll einwilligungsfähigen Patienten besteht, kann aber wohl nicht geschlossen werden, dass diese Thematik zum Familienrecht gehört. Die Gesetzesbegründung von Hintze et al. lehnt die Einfügung der Sterbehilfenorm in den neu geschaffenen Titel zum Behandlungsvertrag in den §§ 630a ff. BGB jedoch ausdrücklich ab. Da die ärztliche Suizidassistenz Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Patienten sei und die eigenverantwortliche Regelung höchstpersönlicher Angelegenheiten betreffe, solle sie in das Vierte Buch nach der Patientenverfügung eingefügt werden, um die Gesetzessystematik zu wahren85. Denn Gegenstand eines Behandlungsvertrages sei typischerweise die fachgerechte Diagnose und die Vornahme der medizinischen, auf Erhalt des Gesundheitszustandes gerichteten Behandlung, die den Gesundheitszustand verbessern solle; bei der ärztlichen Suizidassistenz handele es sich jedoch weder um eine kurative noch um eine palliative Behandlung. Diese könne nur auf der 81 BT-Drucks 17/10488, S. 12. 82 BT-Drucks 18/5373, S. 5. 83 Vgl. den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drucks 16/8442. 84 Vgl. nur die Ausführungen zur Beibehaltung der strafrechtlichen Grenzen zulässiger Sterbehilfe im Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts BT-Drucks 16/8442, S. 7 f.; 9 f.; 16. Aus diesem Gesetzentwurf ergeben sich auch Aussagen über das Zusammenspiel zwischen ärztlichen Berufsregelungen und Verhaltensanforderungen im BGB, vgl. S. 19 zur Dokumentationspflicht. 85 BT-Drucks 18/5374, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 18 Grundlage der Gewissensentscheidung eines Arztes durchgeführt werden und somit nicht einklagbarer Gegenstand einer Vertragsverpflichtung sein86. Ob dieser Schluss so zwingend ist, kann dahinstehen. Angesichts der Betroffenheit des Selbstbestimmungsrechts des sterbewilligen Patienten – wohl häufig im Rahmen eines zuvor bereits mit dem Arzt bestehenden Behandlungsverhältnisses – scheint es jedenfalls durchaus möglich, die ärztliche Sterbehilfe betreffenden Regelungen auch im Bereich des Bürgerlichen Rechts festzuschreiben . Der konkrete systematische Standort innerhalb des Gesetzes ist dabei – jedenfalls unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nicht von Relevanz87. 3.2. Unzulässigkeit hinsichtlich landesrechtlicher Berufsregelungen Die Regelung auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Bürgerliches Recht) wird jedoch insoweit problematisch, als sie landesrechtliche Berufsregelungen berührt. Insbesondere in § 1921a Abs. 2 BGB-E stellt der Gesetzentwurf konkrete Verhaltensanforderungen an Ärzte, die Sterbebegleitung leisten (inhaltlich konkretisierte Beratungspflicht; medizinische Feststellung der Unumkehrbarkeit und Bestätigung durch verpflichtende Konsultierung eines zweiten Arztes)88. In der Begründung stellt der Entwurf weiterhin fest, dass die einzufügende Rechtsnorm Vorrang vor dem Kammerrecht habe89 und das landesrechtliche Standesrecht die Möglichkeit der Sterbehilfe nicht einschränken dürfe, da es unvereinbar mit der Berufs- und Gewissensfreiheit sei90. Auch soweit diese Aussage hinsichtlich der (materiellen) Unzulässigkeit des standesrechtlichen Verbotes zutreffen mag91, liegt in dieser materiellen Verfassungswidrigkeit keine Begründung dafür, dass der Bund die Regelung landesrechtlicher Berufsausübung kompetenzgerecht überlagern könnte92. Hinsichtlich der bundesrechtlichen Zuständigkeit dürfte insoweit nichts anderes gelten, als das für den Entwurf Künast et al. Ausgeführte: Eine in Landesrecht eingreifende Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs kommt im Bereich der Sterbehilfe mangels bundesrechtlicher Verpflichtung zum Erlass eines Schutzkonzeptes nicht in Betracht93. 86 BT-Drucks 18/5374, S. 11. 87 Vgl. im Zusammenhang mit der dogmatischen Einordnung eines Strafrechtstatbestandes auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, deren (möglicherweise systemwidrige) Stellung im Rahmen des StGB jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Konsequenzen hat Gavela, (Fn. 3), S. 252. 88 BT-Drucks 18/5373, S. 5. 89 BT-Drucks 18/5373, S. 11. 90 BT-Drucks 18/5373, S. 8 mit Hinweis auf VG Berlin, Urteil vom 30.3.2012. 91 Vgl. zu dieser Fragestellung bereits umfassend die Gutachten WD 3 – 215/14 (Fn. 17) und WD 3 – 303/14 (Fn. 17). 92 Vgl. Insoweit bereits oben, S. 13. 93 Vgl. oben S. 11. Der Gedanke einer ungeschriebenen Kompetenz kraft Sachzusammenhangs wäre im Bereich einer lediglich zivilrechtlichen Regelung, die keine Sanktionsmöglichkeiten vorsieht, wohl noch abwegiger, da weiter entfernt von einem verfassungsrechtlichen Schutzkonzept. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/15 Seite 19 Nichts anderes dürfte sich daraus ergeben, dass die Gesetzesbegründung zu den §§ 630a ff. BGB ausdrückliche Bezugnahmen zur durch das Bundesgesetz erfolgenden Einflussnahme auf landesrechtliche ärztliche Berufsregelungen enthält94. Ob das Einfügen der Regelungen insoweit formell verfassungsgemäß ist, war noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Das Festschreiben der Regelungen unterscheidet sich zudem insoweit von dem vorliegenden beabsichtigten Eingreifen in landesrechtliche Regelungen, als die landesrechtlichen Berufsregelungen im Fall der §§ 630a ff. BGB inhaltlich mit dem bundesrechtlich festgeschriebenen übereinstimmen. Relevant würde eine Kompetenzkollision wohl erst werden, wenn sich die Länder im Einzelnen entscheiden würden, von den §§ 630a ff. BGB abweichende Berufsständische Regelungen zu fassen. 4. Fazit Die Untersuchung hat gezeigt, dass verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Bundesgesetzgebungskompetenz bestehen. Beide Entwürfe greifen in ihrer Ausgestaltung in landesrechtliche Berufsausübungsregelungen für Ärzte ein. Hierzu besteht für den Bundesgesetzgeber wohl weder aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht, noch für das Zivilrecht oder aus ungeschriebenen Gründen kraft Sachzusammenhangs eine verfassungsrechtliche Grundlage. Soweit die Regelungen landesrechtliche Kompetenzen nicht berühren, dürfte der Bundesgesetzgeber wohl auf Grundlage seiner Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht die Sterbehilfe unter Strafe stellen. Der Entwurf Künast et al. weckt insoweit jedoch verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot, da nicht ohne weiteres ersichtlich ist, ob Ärzte im Rahmen ihrer vergüteten Berufstätigkeit gewerbsmäßig und damit strafbar im Sinne des § 4 Abs. 1 des Entwurfs handeln würden. Soweit die im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehene Regelung des Entwurfes Hintze et al. landesrechtliche Berufsausübungsregelungen unberührt lässt, dürfte der Bundesgesetzgeber die Materie wohl auch auf Grundlage seiner Zivilrechtskompetenz im BGB regeln; eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Sterbehilfe unter Strafe zu stellen, besteht wohl nicht. Der Umstand einer systematisch fragwürdigen Einordnung innerhalb des Familienrechts hat dabei wohl keine verfassungsrechtlichen Konsequenzen. Ende der Bearbeitung 94 Einerseits wird darauf hingewiesen, dass sämtliche der in den §§ 630a ff. BGB dargelegten Pflichten bereits unter anderem durch die Berufsordnung der Ärzte geregelt seien; methodisch handele es sich deshalb „um rein formale Änderungen der Gesetzesgrundlage ohne eine inhaltliche Änderung“, vgl. BT-Drucks 17/10488, S. 13 sowie Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates in derselben Drucksache, S. 36. Siehe auch S. 14, hinsichtlich der Beratungspflicht, dass „die Aufklärung des Patienten auch in der Berufsordnung der Ärzte niedergeschrieben ist (mit Hinweis auf die Musterbundesberufsordnung) und eine „gesetzliche Fixierung der Aufklärungspflicht einen geringeren Erfüllungsaufwand für die Patienten zur Folge haben dürfte. Hinsichtlich der auch in der Musterberufsordnung vorgesehenen Aufbewahrungspflicht vgl. S. 26; hinsichtlich vom Bundesrat vorgeschlagener Verhandlungsvereinbarungen führt dieser Gesetzentwurf aus, dass diese nur durch die jeweiligen landesrechtlichen Landeskrankenhaus - und Psychiatriegesetze erlassen werden könnten, nicht aber im Zivilrecht, vgl. BT-Drucks 17/10488, S. 53.