© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 – 155/14 Privatisierung von Aufgaben des Hochwasserschutzes und der Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 2 Privatisierung von Aufgaben des Hochwasserschutzes und der Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen Verfasser: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 – 155/14 Abschluss der Arbeit: 26. August 2014 Fachbereich: Verfassung und Verwaltung (WD 3) Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Inhaltliche Eingrenzung der Bereiche „Hochwasserschutz“ und „Wasserbewirtschaftungsziele“ 4 2.1. Hochwasserschutz 4 2.2. Wasserbewirtschaftungsziele 5 3. Grenzen der Privatisierung nach dem Grundgesetz 6 3.1. Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern nach Art. 83 ff. GG 6 3.2. Anordnung bundeseigener Verwaltung 6 3.3. Allgemeine Verfassungsprinzipien 7 4. Verfassungsrechtliche Bewertung der verschiedenen Privatisierungsformen 8 4.1. Materielle Privatisierung 8 4.2. Formelle Privatisierung 9 4.3. Funktionale Privatisierung 10 5. Aufgabenfinanzierung durch Umlage auf die Trinkwasserkunden der kommunalen Wasserversorgungsunternehmen 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 4 1. Einleitung In Deutschland ist die Wasserversorgung eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand. Die Verantwortung und Zuständigkeit liegt bei den Kommunen, die zur Erfüllung dieser Aufgabe verschiedene Organisations- und Rechtsformen nutzen.1 Sie können die Wasserversorgung eigenständig durchführen, innerhalb der kommunalen Zusammenarbeit Wasser- und Zweckverbände gründen oder unter Beibehaltung der Kommunalaufsicht diese Aufgabe an Dritte übertragen. Die Privatisierung im Bereich der Wasserwirtschaft gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung . So existieren öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Unternehmensformen gleichberechtigt nebeneinander. Allerdings hat in den letzten Jahren die Anzahl der privatrechtlich organisierten Unternehmen zugenommen. Mehr als 40% der Unternehmen sind heute privatrechtlich organisiert. Sie stellen über 60% des Wasseraufkommens bereit.2 Privatisierung im Allgemeinen bezeichnet die Veräußerung und Umwandlung öffentlichen Vermögens in Privateigentum.3 Dabei werden Aufgaben des öffentlichen Bereichs in unterschiedlich weitreichenden Formen auf den privaten Sektor übertragen. In dieser Ausarbeitung sollen die Grenzen der Privatisierung in der Wasserwirtschaft in Bezug auf die Bereiche des Hochwasserschutzes und der Wasserbewirtschaftungsziele untersucht werden . Dazu ist zunächst eine inhaltliche Eingrenzung vorzunehmen. Es sollen die Begriffsbestimmungen und Konkretisierungen des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) zugrunde gelegt werden. 2. Inhaltliche Eingrenzung der Bereiche „Hochwasserschutz“ und „Wasserbewirtschaftungsziele “ 2.1. Hochwasserschutz Der Bereich „Hochwasserschutz“ ist im Wasserhaushaltsgesetz in §§ 72 ff. geregelt. Als Hochwasser wird gemäß § 72 WHG eine zeitlich beschränkte Überschwemmung von normalerweise nicht mit Wasser bedecktem Land bezeichnet, welche insbesondere durch oberirdische Gewässer oder durch in Küstengebiete eindringendes Meerwasser erfolgt. Nach dem WHG umfasst der Hochwasserschutz insbesondere folgende Maßnahmen: Die zuständigen Behörden bewerten das Hochwasserrisiko und bestimmen danach die Gebiete mit signifikantem Hochwasserrisiko (Risikogebiete ) (§ 73 WHG). Sie erstellen hierzu Gefahren- und Risikokarten (§ 74 WHG). Auf deren Basis erarbeiten sie Risikomanagementpläne, die dazu dienen, die nachteiligen Folgen, die an oberirdischen Gewässern mindestens von einem Hochwasser mit mittlerer Wahrscheinlichkeit und beim Schutz von Küstengebieten mindestens von einem Extremereignis ausgehen, zu verringern (§ 75 WHG). Weitere Maßnahmen des Hochwasserschutzes im Sinne des WHG sind Vorga- 1 Umweltbundesamt, Publikationen, Flyer Wasserwirtschaft in Deutschland, 2014, S.2, abzurufen unter: http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/flyer-wasserwirtschaft-in-deutschland. 2 Umweltbundesamt, Publikationen, Flyer Wasserwirtschaft in Deutschland, 2014, S.2, abzurufen unter: http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/flyer-wasserwirtschaft-in-deutschland. 3 Bundeszentrale für politische Aufklärung, Das Politlexikon, abzurufen unter: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18066/privatisierung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 5 ben für die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten, d.h. Gebiete zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern und sonstige Gebiete, die bei Hochwasser eines oberirdischen Gewässers überschwemmt oder durchflossen oder die für Hochwasserentlastung oder Rückhaltung beansprucht werden (§ 76 WHG), und deren Erhaltung als Rückhalteflächen (§ 77 WHG) sowie besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete wie z.B. das Verbot der Ausweisung als Baugebiete (§ 78 WHG). § 79 WHG normiert u.a. eine Informationspflicht der Behörden über Risikogebiete, Gefahren- und Risikokarten. Vorsorgemaßnahmen, Verhaltensregeln und Hochwasserwarnungen richten sich nach Landesrecht. 2.2. Wasserbewirtschaftungsziele Allgemeine Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung (Wasserbewirtschaftungsziele) sind in § 6 WHG festgeschrieben. Dort heißt es: „(1) 1 Die Gewässer sind nachhaltig zu bewirtschaften, insbesondere mit dem Ziel, 1. ihre Funktions- und Leistungsfähigkeit als Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu erhalten und zu verbessern, insbesondere durch Schutz vor nachteiligen Veränderungen von Gewässereigenschaften, 2. Beeinträchtigungen auch im Hinblick auf den Wasserhaushalt der direkt von den Gewässern abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete zu vermeiden und unvermeidbare, nicht nur geringfügige Beeinträchtigungen so weit wie möglich auszugleichen, 3. sie zum Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch im Interesse Einzelner zu nutzen, 4. bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung zu erhalten oder zu schaffen, 5. möglichen Folgen des Klimawandels vorzubeugen, 6. an oberirdischen Gewässern so weit wie möglich natürliche und schadlose Abflussverhältnisse zu gewährleisten und insbesondere durch Rückhaltung des Wassers in der Fläche der Entstehung von nachteiligen Hochwasserfolgen vorzubeugen, 7. zum Schutz der Meeresumwelt beizutragen. 2 Die nachhaltige Gewässerbewirtschaftung hat ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu gewährleisten; dabei sind mögliche Verlagerungen nachteiliger Auswirkungen von einem Schutzgut auf ein anderes sowie die Erfordernisse des Klimaschutzes zu berücksichtigen. (2) Gewässer, die sich in einem natürlichen oder naturnahen Zustand befinden, sollen in diesem Zustand erhalten bleiben und nicht naturnah ausgebaute natürliche Gewässer sollen so weit wie möglich wieder in einen naturnahen Zustand zurückgeführt werden, wenn überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem nicht entgegenstehen.“ Für die einzelnen Gewässertypen legt das Wasserhaushaltsgesetz darüber hinaus noch besondere Bewirtschaftungsziele fest. Für Oberflächengewässer heißt es beispielsweise in § 27 WHG: (1) Oberirdische Gewässer sind, soweit sie nicht nach § 28 als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, so zu bewirtschaften, dass Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 6 1. eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und 2. ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden. (2) Oberirdische Gewässer, die nach § 28 als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden , sind so zu bewirtschaften, dass 1. eine Verschlechterung ihres ökologischen Potenzials und ihres chemischen Zustands vermieden wird und 2. ein gutes ökologisches Potenzial und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden.“ Das Aufstauen eines oberirdischen Gewässers oder das Entnehmen oder Ableiten von Wasser aus einem oberirdischen Gewässer ist nur zulässig, wenn die Abflussmenge erhalten bleibt, die für das Gewässer und andere hiermit verbundene Gewässer erforderlich ist, um den Zielen des § 6 Absatz 1 und der §§ 27 bis 31 zu entsprechen (Mindestwasserführung). Insgesamt bleibt in Bezug auf die Wasserbewirtschaftung festzuhalten, dass vorrangig ökologische Zielsetzungen zu beachten sind, aber auch die Erhaltung der Trinkwasserversorgung gewährleistet sein muss. 3. Grenzen der Privatisierung nach dem Grundgesetz Die Zulässigkeit von Privatisierungen auf den unter 2. beschriebenen Gebieten ist im Einzelfall an den Vorgaben des Grundgesetzes zu bestimmen. 3.1. Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern nach Art. 83 ff. GG Das Grundgesetz regelt in Art. 83 ff. GG die Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern. Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Die Regelung lässt die Grundaussage zu, dass staatliche Aufgaben nach dem Grundgesetz in erster Linie durch staatliche Behörden zu erfüllen sind.4 Daraus wird zunächst die Vermutung einer öffentlich-rechtlichen Organisation hergeleitet. Ein generelles Privatisierungsverbot ergibt sich daraus allerdings nicht. 3.2. Anordnung bundeseigener Verwaltung Die Erfüllung bestimmter Aufgaben ist darüber hinaus dem Bund in bundeseigener Verwaltung ausdrücklich zugewiesen. Aus dem Aufgaben- und Organisationsgehalt der Bestimmungen zur bundeseigenen Verwaltung können sich besondere Privatisierungsgrenzen ergeben.5 Eine solche grundgesetzliche Regelung zur bundeseigenen Verwaltung findet sich z.B. in Art. 89 Abs. 2 S. 1 GG, nach dem die Bundeswasserstraßen vom Bund durch eigene Behörden verwaltet werden. Aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass diese Aufgabe in bundeseigener Verwaltung geführt wird, wird gefolgert, dass eine vollständige Verlagerung in den privatwirtschaftlichen Be- 4 Kirchhof, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 70. Ergänzungslieferung, 2013, Art. 83 Rn. 98. 5 Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, 13 Aufl., 2014, Art. 84 R. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 7 reich ausgeschlossen sein dürfte.6 Die Privatisierung der Aufgabe „Bundeswasserstraßenverwaltung “ im Sinne einer vollständigen Verlagerung von Planung, Ausbau, Unterhalt sowie Finanzierung des Bundeswasserstraßennetzes und der damit verbundenen Verantwortung auf Private nach geltendem Verfassungsrecht wird als unzulässig erachtet.7 Der Staat darf sich insoweit seiner verfassungsrechtlich auferlegten Erfüllungsverantwortung nicht entledigen. Der hier in Rede stehende Bereich der Wasserbewirtschaftungsziele unterfällt aber bereits nicht der Verwaltungskompetenz des Bundes im Sinne Art. 89 Abs. 2 S. 1 GG. Er zählt zur Wasserwirtschaft , die nicht von dieser Vorschrift erfasst ist.8 Art. 89 GG bildet folglich für die Umsetzung der Wasserbewirtschaftungsziele keine Privatisierungsgrenze. Hochwasserschutz ist als Teilaufgabe der Bundeswasserstraßenverwaltung im Sinne von Art, 89 Abs. 2 S. 1 GG nur erfasst, sofern er in Bezug auf die Verkehrswegefunktion erfolgt.9 Dies konkretisiert einfachgesetzlich § 35 Abs. 1 Bundeswasserstraßengesetz (BWStrG). Danach kann die Wasser - und Schifffahrtsverwaltung des Bundes bereits Aufgaben im Bereich des Hochwasserschutzes erfüllen. Sie unterhält nämlich neben der ihr nach § 8 BWStrG obliegenden Unterhaltung, soweit möglich und zumutbar, bereits einen Wasserstands- und Hochwassermeldedienst im Benehmen mit den Ländern, um zu einer rechtzeitigen und zuverlässigen Hochwasserwarnung und -vorhersage beizutragen. Bei der hier zu prüfenden Privatisierung von Aufgaben des Hochwasserschutzes wäre Art. 89 Abs. 2 S. 1 GG als grundgesetzliche Privatisierungsgrenze im Ergebnis wohl nicht einschlägig, weil nach dieser Bestimmung nur die Privatisierung der gesamten Aufgabe der Bundeswasserstraßenverwaltung oder jedenfalls zentraler Aspekte dieser Aufgabe unzulässig wäre, nicht aber die Privatisierung eines Teilbereichs. Allerdings bedeutet dies nicht, dass damit grenzenlose Privatisierung der Aufgabe des Hochwasserschutzes möglich wäre. 3.3. Allgemeine Verfassungsprinzipien Vielmehr sind für die Beantwortung der Frage, ob die Aufgaben des Hochwasserschutzes und die Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen einer Privatisierung zugänglich sind, in jedem Fall die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung maßgeblich. Diese sind vom Bund und von den Ländern, sofern sie Aufgaben des Hochwasserschutzes und der Wasserwirtschaft wahrnehmen, gleichermaßen zu wahren. Zu den allgemeinen Privatisierungsgrenzen sind insbesondere die Staatszielbestimmungen, wie z.B. das Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) sowie die Grundrechte zu zählen.10 Eine weitere Grenze für Privatisierungen bietet der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG. 6 Maurer, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland, JURIDIC INTERNATIONAL XVI/2009, S.10.. 7 Gröpl, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 68. Ergänzungslieferung, 2012, Art. 89 Rn. 89. 8 Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., 2014, Art. 89 Rn. 3. 9 Siehe zum Ganzen , Kontrolle des Hochwasserschutzes durch eine Bundesbehörde, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 064/12, S. 11. 10 Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., 2014, Art. 83 Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 8 Dieser sieht vor, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den Beamten zu übertragen ist. Dies soll verhindern, dass hoheitliche Aufgaben im engeren Sinn privatisiert werden .11 Bei der Beurteilung, ob diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe bei einer Privatisierung im Einzelfall gewahrt bleiben, kommt es entscheidend darauf an, in welchem Umfang sich der Staat einer Aufgabe begibt. Hier ist zwischen verschiedenen Formen der Privatisierung zu differenzieren. 4. Verfassungsrechtliche Bewertung der verschiedenen Privatisierungsformen 4.1. Materielle Privatisierung Die weitreichendste Form der Privatisierung bildet die materielle Privatisierung (Aufgabenprivatisierung ). Hier hört der Staat auf, eine von ihm bislang in Anspruch genommene Kompetenz wahrzunehmen.12 Dem Staat von Verfassungs wegen zwingend vorbehalten sind Maßnahmen, die Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols sind, d. h. vor allem Polizei und Justiz, aber auch die klassische hoheitliche Eingriffsverwaltung.13 Der Staatsvorbehalt wird für den Kernbestand von Polizei, Gerichtswesen, Strafvollzug und Finanzwesen gesehen. Dagegen können Randbereiche und Serviceleistungen, etwa die Unterhaltung von Gebäuden, privaten Unternehmen überlassen werden.14 Der Hochwasserschutz dürfte im Lichte des Rechtsstaatsprinzips - zumindest in Teilen - als originär staatliche Aufgabe zu bewerten sein. Als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips obliegt die Wahrnehmung zentraler Aufgaben der inneren Sicherheit dem Staat.15 Soweit der Staat beim Hochwasserschutz im Bereich der Gefahrenabwehr und des Katastrophenschutzes tätig wird, ist das Ergreifen solcher Maßnahmen demzufolge obligatorische Staatsaufgabe. Die Koordination von akuten Hochwassermaßnahmen dürften daher wohl als zwingend vom Staat wahrzunehmende Aufgabe zu qualifizieren sein. Hinzu kommt deren Grundrechtsrelevanz, da es letztlich auch um den aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden staatlichen Schutzauftrag für Leben und körperlicher Unversehrtheit geht. Gerade im Hinblick auf klimatische Veränderungen werden Aufgaben des Hochwasserschutzes umso mehr als originär staatliche Aufgabe eingeordnet werden müssen, wenn sie den Schutzauftrag des Staates für die Bevölkerung betreffen. Bei Katastrophenfällen durch Hochwasser muss der Staat in vollen Umfang tätig werden können, so dass eine vollständige Aufgabenverlagerung auf Private in Form der materiellen Privatisierung ausgeschlossen erscheint . Aber auch die im Vorfeld zur Vermeidung von Hochwasserkatastrophen zu treffenden 11 Badura, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 58. Ergänzungslieferung, 2010, Art. 33 Rn. 43. 12 Gröpl, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 68. Ergänzungslieferung, 2012, Art. 89 Rn. 89. 13 Mayen, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Rechtliche: Grenzen und rechtliche Möglichkeiten, Die öffentliche Verwaltung, 2001, S. 112. 14 Maurer, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland, JURIDIC INTERNATIONAL XVI/2009 S.11. 15 Vgl. Maurer, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland, JURIDIC INTERNATIONAL XVI/2009, S.11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 9 Entscheidungen, wie z. B. über Risiko- und Überschwemmungsgebiete, dienen bereits im weitesten Sinne der Gefahrenabwehr. Einer materiellen Privatisierung dürften diese nicht zugänglich sein. Allerdings könnten vorbereitende Analysen in die Hand Privater gegeben werden. Grenzen der Privatisierung bei Maßnahmen gegen Überschwemmungen ergeben sich auch aus der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für künftige Generationen (Art. 20a GG). Gerade im Hinblick auf den Klimawandel und damit verbundener Verschlimmerung von Hochwasserlagen dürfte sich eine materielle Privatisierung des Hochwasserschutzes verbieten. Soweit die Wasserbewirtschaftung an ökologischen Zielsetzungen auszurichten ist, gilt entsprechendes auch für diesen Bereich. Die Umsetzung des Wasserbewirtschaftungszieles der Erhaltung bzw. Schaffung von Trinkwassernutzungsmöglichkeiten dürfte darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips einer materiellen Privatisierung ebenfalls unzugänglich sein. Der Staat muss im Rahmen der Daseinsvorsorge gewährleisten, dass jedermann in ausreichendem Maße und zu sozialverträglichen Konditionen z. B. Zugang zu Trinkwasser hat. Das Sozialstaatsprinzip fordert eine „Gewährleistungsverantwortung” und damit staatliche Regulierung . Der Staat darf sich daher nicht ganz zurückziehen. Eine Privatisierung darf die Grundversorgung des Bürgers nicht mangelhaft werden lassen.16 Wasser stellt nicht nur ein Wirtschaftsgut dar, sondern besitzt für Leben und Gesundheit der Menschen eine elementare Bedeutung, sodass der Staat nicht nur wegen des Sozialstaatsprinzip, sondern auch wegen des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG und seinem daraus resultierenden Schutzauftrag eine angemessene, ausreichende und flächendeckende Wasserversorgung gewährleisten muss.17 Bei einer materiellen Privatisierung wären erhebliche Folgen für die Trinkwasserqualität und damit für den Gesundheitsschutz und den Schutz der Ressource Wasser möglich.18 Das daraus resultierende Verbot der materiellen Privatisierung im Bereich der Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen bedeutet aber - ebenso wie für den Hochwasserschutz festgestellt - nicht, dass die Ausführung einzelner Maßnahmen durch Private gänzlich ausgeschlossen wäre. So könnten z.B. erforderliche Laboranalysen und bestimmte andere naturwissenschaftliche Untersuchungen durch Private vorgenommen werden. 4.2. Formelle Privatisierung Diese Form der Privatisierung wird auch Organisationsprivatisierung genannt, da bei ihr ein Verwaltungsträger eine ihm obliegende öffentlich-rechtliche Aufgabe in privatrechtlicher Form 16 Maurer, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland, JURIDIC INTERNATIONAL XVI/2009 S.12. 17 Maurer, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in Deutschland, JURIDIC INTERNATIONAL XVI/2009 S.12. 18 Antrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland, BT- Drs. 14/7177. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 10 wahrnimmt.19 Die jeweilige Aufgabe wird weiterhin vom Staat erfüllt, wenn auch in anderer, nämlich privatrechtlicher Organisationsform (insbesondere AG oder GmbH). Indem der Staat weiterhin seine Einwirkungsmöglichkeiten behält und lediglich in privatrechtlicher Organisationsform auftritt, wäre eine formelle Privatisierung. im Aufgabenbereich des Hochwasserschutzes und der Wasserbewirtschaftung verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. 4.3. Funktionale Privatisierung Die funktionale Privatisierung (Erfüllungsprivatisierung) ist ein Oberbegriff für die Einbindung von Privaten in die Erfüllung öffentlich-rechtlich organisierter Aufgaben.20 Kennzeichen ist, dass die Aufgabenzuständigkeit und -verantwortung bei dem Träger der öffentlichen Verwaltung bleibt, die Planung, der Vollzug (hier: Bau und Unterhaltung) oder die Finanzierung der Aufgabe ganz oder teilweise einem Privaten übertragen wird. Anwendungsfall ist die öffentlich-private Partnerschaft (kurz: ÖPP oder englisch: Public Private Partnership, kurz: PPP). Als Grundtypen der funktionalen Privatisierung lassen sich Betreibermodelle und das Konzessionsmodell (sowie eine Kombinationen dieser Modelle) identifizieren.21 Grundsätzlich erscheint eine funktionale Privatisierung der Bereiche Hochwasserschutz und Wasserbewirtschaftung möglich. Denn der Staat behält bei dieser Form der Privatisierung seine Einflussmöglichkeiten, da beispielsweise Hochwasserschutzanlagen und Regulierungsanlagen für die Wahrung der Mindestwasserführung in seinem Eigentum verbleiben. Soweit es um das Wasserbewirtschaftungsziel der Trinkwasserversorgung geht, ist die mittlerweile gängige Praxis anzuführen , dass vor allem Kommunen ihre Wasserwerke anteilig verkaufen, um einen Zuwachs an Liquidität zu erlangen. Dadurch soll der Wettbewerb vorzugsweise im Bereich des Trinkwassermarktes gefördert und die Finanzierung für innovative Technik und Leitungsausbau auf den Privaten übertragen werden. Befürworter der Privatisierung stellen vor allem eine Preissenkung der Produkte und Dienstleitungen sowie eine effizientere Arbeitsweise der privat geführten Unternehmen in den Vordergrund. Kritisch betrachtet wird die funktionale Privatisierung in den Punkten der steigenden Wasserpreise aufgrund der Mitfinanzierung betriebswirtschaftlicher Abläufe, eine eventuelle Verschlechterung von Qualität und Verfügbarkeit durch Gewinnmaximierungsinteressen sowie die fehlende kommunale Kontrolle bezüglich Instandhaltung , Reparatur und Investitionen.22 19 Gröpl, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 68. Ergänzungslieferung, 2012, Art. 89 Rn. 91. 20 Abschlussbericht des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 06. Juni 2011, Rn. 36; BMVBS, Machbarkeitsstudie- veröffentlichte Fassung, S. 22, abzurufen unter: www.wsv.de/aktuelles/anlagen/Machbarkeitsstudie_Wassertourismus.pdf. 21 Gröpl, in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 68. Ergänzungslieferung, 2012, Art. 89 Rn. 93. 22 Dümmer, Daseinsvorsorge und Privatisierung aus Sicht eines Umweltverbandes, 2008, S. 3, abzurufen unter: www.bund-nrw.de/fileadmin/privatisierung-wasserversorgung.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 11 Sofern der Staat seine Kontrolloption behält, um etwa im Falle der Gefahrenabwehr die notwendige Koordination herbeizuführen und seinen staatlichen Schutzpflichten nachzukommen, steht der funktionalen Privatisierung im Bereich des Hochwasserschutzes und der Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen aus verfassungsrechtlicher Sicht im Ergebnis nichts entgegen. Für Teilbereiche des Hochwasserschutzes und der Wasserbewirtschaftung wie beispielsweise der Neubau, Ersatz und die Instandhaltung von Hochwasserschutzanlagen sowie deren Betrieb und die technische Überwachung bei der Wasserbewirtschaftung könnten private Unternehmen eingesetzt werden (siehe zu weiteren Beispiel auch oben 4.1).23 5. Aufgabenfinanzierung durch Umlage auf die Trinkwasserkunden der kommunalen Wasserversorgungsunternehmen Es ist zu prüfen, ob die Kosten des Hochwasserschutzes und der Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen auf die Trinkwasserkunden umgelegt werden dürfen. Welchen Regularien die Trinkwasserpreisbildung unterliegt, hängt zunächst von der gewählten Organisationsform der Wasserversorgungsunternehmens ab. Die Trinkwasserversorgung in Deutschland obliegt den Städten und Gemeinden. Sie können eine öffentlich-rechtliche Organisationsform , wie beispielsweise eine Anstalt öffentlichen Rechts, einen Eigenbetrieb oder einen Zweckverband, oder eine privatrechtliche Organisationsform für ihr Wasserversorgungsunternehmen wählen.24 Bei einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform hat der Wasserversorger die Wahl und kann die Kundenbeziehung sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich ausgestalten : Bei einer öffentlich-rechtlichen Kundenbeziehung kann der Wasserversorger Gebühren, Beiträge und Kostenerstattungen für Hausanschlüsse erheben. Bei einer privatrechtlichen Kundenbeziehung bestimmt das Versorgungsunternehmen für seine Dienstleistung Wasserpreise, Baukostenzuschüsse und Hausanschlusskosten. Ist der Wasserversorger privatrechtlich organisiert , kann auch die Beziehung zum Kunden nur privatrechtlich ausgestaltet werden.25 Die gesetzlichen Grundlagen sind für öffentlich-rechtliche Entgelte („Gebühren“) in den jeweiligen Kommunalabgabengesetzen (KAG) der Länder und für privatrechtliche Entgelte („Preise“) in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) zu finden.26 Bei einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung erlässt der Wasserversorger einen Bescheid , mit dem er die Gebühren gemäß dem KAG des jeweigen Landes in Verbindung mit der jeweiligen Satzung oder Verordnung festsetzt. Sofern privatrechtlich ein Wasserversorgungsvertrag abgeschlossen wird, gilt nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBWasserV ein gesetzliches, einseitiges 23 Brackemann u.a., Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung, 2000, Umweltbundesamt, Publikationen, S. 44, abzurufen unter: http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/liberalisierung-deutschenwasserversorgung . 24 Verband kommunaler Unternehmen e.V., Kommunale Wasserwirtschaft, 2011, S.3, abzurufen unter: www.vku.de/fileadmin/get/?20655/VKU-FAQ-Bildschirmversion.pdf. 25 Verband kommunaler Unternehmen e.V., Kommunale Wasserwirtschaft, 2011, S.3, abzurufen unter: www.vku.de/fileadmin/get/?20655/VKU-FAQ-Bildschirmversion.pdf. 26 Verband kommunaler Unternehmen e.V., Kommunale Wasserwirtschaft, 2011, S.3, abzurufen unter: www.vku.de/fileadmin/get/?20655/VKU-FAQ-Bildschirmversion.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 155/14 Seite 12 Preisbestimmungsrecht des Unternehmens, welches gemäß § 315 Abs. 3 BGB der gerichtlichen Billigkeitskontrolle unterliegt.27 Grundsätzlich gelten die Grundsätze der Gleichbehandlung, Kostendeckung und Äquivalenz. Dem Versorger bleibt für die Leistungsbestimmung jedoch ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum, der der richterlichen Kontrolle unterliegt. Zu den Kosten, die ein Wasserversorgungsunternehmen mit den Wasserpreisen abdecken muss, gehören die Fixkosten (Personal, Bau und Unterhaltung des Leitungssystems und der Trinkwasseraufbereitungsanlagen , Bereitstellung von genügend Wasser für Zeiten des Spitzenverbrauchs etc.) und die wasserabgabeabhängigen, variablen Kosten.28 In Berlin beispielsweise finden sich detaillierte Regelungen zur Trinkwasserpreisbildung im Berliner Betreiber Gesetz (BerlBG) und der Wassertarifverordnung (WTVO).29 Nach § 16 Abs. 1 BerlBG erheben die Betreiber im Bereich ihrer Aufgaben nach § 3 Abs. 5 privatrechtliche Entgelte , die dem Äquivalenzprinzip und dem Grundsatz der Gleichbehandlung genügen müssen. Detaillierte Regelungen finden sich sodann in § 1 WTVO, wonach die betriebswirtschaftlich ansatzfähigen Kosten der Wasserversorgung und der Entwässerung gemäß § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe die Grundkosten und die kalkulatorischen Kosten sind. Grundkosten sind die betrieblichen Kosten und Abgaben, z.B. die Kosten für Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe und Personalkosten. Zu den kalkulatorischen Kosten zählen Abschreibungen sowie kalkulatorische Wagnisse und Zinsen. Ob die Finanzierung der Aufgaben des Hochwasserschutzes und der Umsetzung von Wasserwirtschaftungszielen grundsätzlich ganz oder teilweise auf Trinkwasserkunden der privatrechtlichen Gesellschaft abgewälzt werden kann und dies auch dann, wenn das Gebiet, in dem die Aufgaben und Pflichten des Hochwasserschutzes und die Umsetzung von Wasserbewirtschaftungszielen durch die privatrechtliche Gesellschaft wahrgenommen werden, nicht mit dem Trinkwasserversorgungs - und Absatzgebiet der privatrechtlichen Gesellschaft übereinstimmt, ist - soweit ersichtlich - rechtlich nicht speziell determiniert. Die durch die Erfüllung dieser Aufgaben anfallenden Kosten zählen allerdings nicht zu den soeben dargestellten allgemeinen Kalkulationsgrundlagen für die Trinkwasserpreise. ( ) 27 So etwa BGH, Urteil vom 13.06.2007, VIII ZR 36/06, Rn. 13. 28 Siehe etwa LG Halle, Urteil vom 25.04.2008, AZ. 5 O 74/06. 29 Grundlagen der Tarifkalkulation der Berliner Wasserbetriebe, 2007, S.3, abzurufen unter: http://www.bwb.de/content/language1/downloads/tarifkalkulation_broschuere.pdf.