© 2013 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 155/13 Bindungswirkung und nachträgliche Änderung von Eingemeindungsverträgen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 2 Bindungswirkung und nachträgliche Änderung von Eingemeindungsverträgen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 155/13 Abschluss der Arbeit: 5. September 2013 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Eingemeindungsverträge 4 2.1. Rechtsnatur 4 2.2. Umfang der Rechtsverbindlichkeit 4 2.2.1. Grundsatz: Vertragsbindung 4 2.2.2. Bindungswirkung einzelner Zusagen 5 2.2.3. Zeitliche Geltung 5 2.2.4. Ausnahme: Klausel unwirksam 6 2.2.5. Ausnahme: Wegfall der Geschäftsgrundlage 7 3. Rechtsschutz gegen von vertraglichen Zusagen abweichende gemeindliche Entscheidungen 9 3.1. Rechtsschutz der Bürger 9 3.2. Rechtsschutz der untergegangenen Gemeinde 10 4. Zusammenfassung 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 4 1. Einleitung Eingemeindungsverträge werden im Rahmen freiwilliger Gebietsneugliederungen zwischen der einzugliedernden und der aufnehmenden Gemeinde geschlossen. Sie enthalten oftmals Zusagen oder Versprechungen der aufnehmenden Gemeinde gegenüber der einzugliedernden Gemeinde als Gegenleistung für den erlittenen Verlust der kommunalen Selbstständigkeit. Die Gegenleistung besteht beispielsweise im Erhalt öffentlicher Einrichtungen auf dem Gebiet der untergehenden Gemeinde, z.B. der örtlichen freiwilligen Feuerwehr, einer Schule, einer Festhalle oder Sporteinrichtung.1 Will sich die (inzwischen fusionierte) aufnehmende Gemeinde durch Gemeinderatsbeschluss nach längerer Zeit von den zugesagten Versprechen lösen, stellt sich die Frage nach der Verbindlichkeit der Vereinbarung. Die Ausarbeitung untersucht die Rechtsnatur sowie den Umfang der Bindungswirkung von Eingemeindungsverträgen und den hierin enthaltenen Zusagen. Schließlich wird kurz auf Rechtschutzmöglichkeiten der untergegangenen Kommune gegen eine einseitige Auflösung der Verpflichtungen durch die aufnehmende Gemeinde eingegangen. 2. Eingemeindungsverträge 2.1. Rechtsnatur Im Rahmen eines Eingemeindungsvertrages treffen zwei Gemeinden Vereinbarungen über Einzelheiten der Aufnahme der einen in die andere Gemeinde. Sie handeln hierbei in ihrer Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts und stehen sich gleichberechtigt gegenüber. Verträge dieser Art werden als öffentlich-rechtliche, wegen des Gleichordnungsverhältnisses, als koordinationsrechtliche Verwaltungsverträge qualifiziert.2 2.2. Umfang der Rechtsverbindlichkeit 2.2.1. Grundsatz: Vertragsbindung Die Verpflichtungen aus Eingemeindungsverträgen unterliegen grundsätzlich den Regelungen des allgemeinen Vertragsrechts.3 Demnach gilt der Grundsatz der Vertragstreue. Hiernach sind Verträge grundsätzlich für beide Parteien rechtlich bindend; eine Vertragspartei kann sich nicht 1 Vgl. Kupfer, Eingemeindungsverträge – Bremsklotz oder tragfähige Basis gemeindlicher Entwicklung?, VBlBW 2/2006, 41 (42) mit weiteren Beispielen. 2 Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden- Württemberg, 2012, S. 85 f.; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 54 Rn. 60; Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (36). In Baden-Württemberg sind Eingemeindungsverträge sogar verfassungsrechtlich vorgesehen, vgl. Art. 74 Abs. 2 S. 1 LV BW (Landesverfassung von Baden-Württemberg v. 11.11.1953 (GBl. S. 173), zuletzt geändert durch Gesetz v. 7.2.2011 (GBl. S. 46). 3 OVG Münster, Urteil v. 14.1.1986 - 15 A 2098/84; NVwZ 1986, 1042 (2. Leitsatz). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 5 einseitig von den vertraglich übernommenen Verpflichtungen lösen. Die aufnehmende Gemeinde ist daher grundsätzlich an ihre Zusagen gebunden. 2.2.2. Bindungswirkung einzelner Zusagen Ob alle in einen Eingemeindungsvertrag aufgenommenen Aussagen rechtsverbindliche Zusagen sind oder es sich lediglich um politische Absichtserklärungen handelt, ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung vertraglicher Regelungen zu bestimmen. Hierbei ist auf den Wortlaut der einzelnen Regelung sowie den daraus zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen abzustellen .4 Haben die Parteien hinsichtlich einer Regelung rechtsgeschäftlichen Bindungswillen geäußert, handelt es sich um eine verbindliche Verpflichtung.5 Fehlt hingegen der rechtsverbindliche Charakter, können die Beschlussorgane der Gemeinde über die Einhaltung des Zugeständnisses frei entscheiden.6 Bei der Aufnahme kompensierender Versprechungen in den Eingemeindungsvertrag wird die einzugliedernde Gemeinde in der Regel ein Interesse daran haben, dass die aufnehmende Gemeinde auch nach Vollzug der Eingliederung als rechtliche „Schuldnerin“ an ihre Zusage gebunden ist.7 Gerade für den Fall, dass die aufnehmende Gemeinde den Inhalt der Versprechungen später nicht mehr als zweckmäßig erachtet, wird die einzugliedernde Gemeinde beabsichtigen , rechtsverbindliche und durchsetzbare Regelungen zu treffen.8 Dieser Umstände dürfte sich die aufnehmenden Gemeinde auch regelmäßig bewusst sein. Eine abschließende Beurteilung kann nur im Einzelfall erfolgen. In der Regel dürften die in Eingemeindungsverträgen getroffenen Zusagen aber eher rechtsverbindlichen Charakter besitzen.9 2.2.3. Zeitliche Geltung Fraglich ist auch der zeitliche Umfang dieser Verpflichtungen. Hier gilt das vertraglich Vereinbarte: So können Zusagen befristet, bedingt oder unter einem Wirtschaftlichkeitsvorbehalt in den Ver- 4 Vgl. Braun, Der Eingemeindungsvertrag, KommJur 2011, 8 (8); Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz , 7. Aufl. 2008, § 54 Rn. 34. 5 OVG Münster, Urteil v. 14.1.1986 - 15 A 2098/84, NVwZ 1986, 1042 (1043). 6 Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (35). 7 Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden- Württemberg, 2012, S. 108. 8 So auch OVG Bautzen, Beschluss v. 4.1.2008 - 4 BS 449/07; BeckRS 2008, 3650, S. 3. 9 Vgl. auch Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (36). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 6 tragstext aufgenommen worden sein. Fehlen Einschränkungen dieser Art, ist nach wohl überwiegender Ansicht grundsätzlich eine unbegrenzte Geltung der Verpflichtungen anzunehmen.10 2.2.4. Ausnahme: Klausel unwirksam Die vertragliche Bindung erstreckt sich jedoch nicht auf unwirksame Vertragsklauseln. Unwirksamkeit kann vorliegen, wenn eine getroffene Vereinbarung gegen die Rechtsordnung verstößt. Insbesondere muss der von der jeweiligen Gemeindeordnung vorgegebene Gestaltungsspielraum eingehalten werden.11 Hier ist eine Beurteilung des Einzelfalles vorzunehmen. Nach einer Auffassung werden Klauseln generell als nichtig angesehen, in denen die Gewährung von Leistungen versprochen wird, ohne dass die Möglichkeit einer flexiblen Reaktion auf die jeweilige Finanzkraft der Kommune vorgesehen ist.12 Danach wird die Nichtigkeit eines Versprechens angenommen, wenn dieses nicht unter eine Bedingung, eine Befristung oder einen allgemeinen Wirtschaftlichkeitsvorbehalt gestellt wurde. Ein derartiges Versprechen schränke die Entscheidungsfreiheit der zukünftigen Gemeindeorgane unzulässig ein.13 Es verstoße gegen den Grundsatz der kommunalen Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, wie er beispielweise in § 77 Abs. 2 GemO BW normiert ist, und sei daher gem. §§ 59 Abs. 1 VwVfG, 134 BGB nichtig.14 Nach anderer Ansicht ist ein Wirtschaftlichkeitsvorbehalt für getroffene Zusagen jedoch nicht erforderlich, sofern diese im Rahmen der gesetzlichen Gestaltungsfreiheit ausgehandelt wurden. So entschied das OVG Bautzen in einem Verfahren hinsichtlich der (vereinbarten) Fortführung einer Verwaltungsaußenstelle, dass auch „unwirtschaftliche“ Regelungen eingehalten werden 10 Braun, Der Eingemeindungsvertrag, KommJur 2011, 8 (10); Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen , DÖV 1977, 34 (38), VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04, BeckRS 2005, 24523, S. 4. Anderer Ansicht ist Kupfer, Eingemeindungsverträge – Bremsklotz oder tragfähige Basis gemeindlicher Entwicklung?, VBlBW 2/2006, 41 (43 f.), der in Verpflichtungen, die unabhängig von der jeweiligen Finanzkraft der Gemeinde gelten sollen, einen Verstoß gegen das Prinzip der sparsamen Haushaltswirtschaft (wie z.B. in § 77 Abs. 2 GemO BW normiert) sieht und daher die Unwirksamkeit der jeweiligen Vertragsklausel annimmt. Vgl. dazu unten 3.2. 11 Vgl. z.B. die §§ 8, 9 GemO BW (Gemeindeordnung von Baden-Württemberg v. 24.7.2000 (GBl. S. 581 ber. S. 698), zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.4.2013). 12 So Kupfer, Eingemeindungsverträge – Bremsklotz oder tragfähige Basis gemeindlicher Entwicklung?, VBlBW 2/2006, 41 (43 f.); Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (36 f.). 13 Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (36). 14 So Kupfer, Eingemeindungsverträge – Bremsklotz oder tragfähige Basis gemeindlicher Entwicklung?, VBlBW 2/2006, 41 (43) und im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteil v. 10.10.2007 - 3 K 102/06, BeckRS 2007, 27187, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 7 müssten.15 Eingemeindungsverträge würden gerade zu dem Zweck abgeschlossen, dass die aufnehmende Gemeinde getroffene Zusagen später nicht mehr als zweckmäßig erachtet.16 2.2.5. Ausnahme: Wegfall der Geschäftsgrundlage Eine Vertragsklausel bleibt auch dann wirksam, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, wie z.B. die finanzielle Situation der Kommune oder die Nachfrage nach einer öffentlichen Einrichtung , nachträglich verändern. Jedoch kann der von der Änderung belasteten Partei ggf. das Recht zustehen, den Vertrag anzupassen oder zu kündigen, sofern dies nicht zumutbar ist.17 Das ist dann der Fall, wenn sich wesentliche Verhältnisse, auf deren Grundlage der Vertrag geschlossen wurde, verändert haben und daher einer der Vertragsparteien das Festhalten an der Vereinbarung nicht mehr zugemutet werden kann. Dies ergibt sich aus § 60 VwVfG18 bzw. den Rechtsgrundsätzen zum „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ und der sog. „clausula rebus sic stantibus“.19 Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt vor, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss mit den eingetretenen Umständen nicht zu rechnen brauchten und davon auszugehen ist, dass sie den Vertrag bei Kenntnis der Umstände vernünftiger Weise nicht mit dem selben Inhalt abgeschlossen hätten.20 Diese veränderten Umstände müssen nach der Rechtsprechung zu einer für die belastete Vertragspartei nach Treu und Glauben nicht zumutbaren Situation führen, die mit „Recht und Gerechtigkeit unvereinbar“ ist.21 15 OVG Bautzen, Beschluss v. 4.1.2008 - 4 BS 449/07 -, BeckRS 2008, 35650, S. 3. 16 OVG Bautzen, Beschluss v. 4.1.2008 - 4 BS 449/07 -, BeckRS 2008, 35650, S. 3; VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523; so auch Braun, Der Eingemeindungsvertrag, KommJur 2011, 8 (11). Auch Schielke (Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden-Württemberg, 2012, S.124 m.w.N.) verneint hier die Unwirksamkeit derartiger Klauseln mit der Begründung, dass es sich bei § 77 Abs.2 GemO BW nicht um ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB handele. 17 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 4. 18 Streit herrscht über die Anwendbarkeit der §§ 54 ff. VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes v. 23.1.2003 (BGBl. I, S. 102), zuletzt geändert durch Gesetz v. 25.7.2013), bzw. der §§ 54 ff. des jeweiligen Landes-VwVfG auf Eingemeindungsverträge, siehe hierzu weiterführend: Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden-Württemberg, 2012, S. 68 m.w.N. 19 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 4, der darauf hinweist, dass § 60 VwVfG, der am 15.7.1977 in Kraft getreten ist, auch für Verträge gilt, die vor diesem Datum geschlossen wurden; Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden- Württemberg, 2012, S. 199. 20 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 4. 21 VGH Mannheim, 19.12.1995 - 10 S 1140/94 -, NVwZ 1996, 1230 (1230). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 8 Als wesentliche Änderung der Verhältnisse sieht das VG Sigmaringen hinsichtlich der Frage um den Erhalt einer Schule u.a. die Reduzierung der Schülerzahl um zwei Drittel seit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses an.22 Die – im Vergleich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses – verschlechterte finanzielle Situation einer Kommune reicht wohl alleine als Veränderung wesentlicher Umstände nicht aus.23 So stellte das VG Freiburg die Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses fest, durch den die örtliche Feuerwehr auf dem Gebiet der neu eingegliederten Gemeinde aufgelöst werden sollte.24 Die aufnehmende Gemeinde hatte argumentiert, dass sich die Kosten für die Aufrechterhaltung einer Feuerwehr gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses wesentlich erhöht, die eigene finanzielle Situation dagegen merklich verschlechtert habe. Das Gericht entschied, dass ein pauschaler Hinweis auf die hohe Verschuldung der Kommune nicht ausreiche. Das finanzielle Risiko sei bei Vertragsschluss kalkulierbar gewesen. Ein Vertragspartner habe mit seinen Ansprüchen nicht „für das Finanzgebaren des anderen“ einzustehen.25 Es könne nicht nachvollzogen werden, inwieweit sich die Umstände durch nicht beeinflussbare Faktoren oder eigenes unwirtschaftliches Haushalten geändert hätten. Jedenfalls handele es sich um im Rahmen des Vertragsschlusses bewusst übernommene Risiken, nicht um eine wesentliche Änderung maßgeblicher Umstände.26 Liegt eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse vor, muss sich diese geänderte Situation als für die belastete Vertragspartei unzumutbar darstellen. Unzumutbar ist das Festhalten an der Vereinbarung dann, wenn das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung so stark gestört ist, dass das gewöhnliche Vertragsrisiko weit überschritten ist und die betroffene Partei ihre Interessen nicht mehr „annähernd als gewahrt“ ansehen kann.27 Hiervon kann nach Rechtsprechung und Literatur wohl nicht ausgegangen werden, wenn sich eine Kommune alleine aufgrund finanzieller Prioritätensetzung von einem Versprechen lösen will, obwohl ihr grundsätzlich noch finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.28 Unzumutbarkeit könne daher erst dann angenommen werden, wenn die Kommune gezwungen werde, aufgrund 22 VG Sigmaringen, Urteil v. 10.10.2007 - 3 K 102/06, BeckRS 2007, 27187, S. 6. 23 Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, Rn. 210; Braun, Der Eingemeindungsvertrag, KommJur 2011, 8 (9). 24 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523. 25 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 5. 26 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 6. 27 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 4, VGH Mannheim, 19.12.1995 - 10 S 1140/94 -, NVwZ 1996, 1230 (1230); Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 60 Rn. 20. 28 So das VG Freiburg im Fall der Aufrechterhaltung der Feuerwehr, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 5 und Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden-Württemberg, 2012, S. 268. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 9 der Aufrechterhaltung der einen Einrichtung andere zu schließen, oder wenn die Nachfrage nach der Einrichtung erheblich abnehme.29 In der Rechtsfolge führt auch die Annahme der Unzumutbarkeit nicht zur sofortigen Entbindung von den vereinbarten Verpflichtungen. Vielmehr kommt einer Kommune in diesem Fall zunächst ein Recht auf Vertragsanpassung an die geänderten Umstände zu, also ggf. auf Milderung der übernommenen Verpflichtung.30 Sollte diese unmöglich sein, müsste sie versuchen, durch Gewährung anderer Vorteile im Rahmen ihrer Möglichkeiten, zum Beispiel durch Geldleistung, einen Ausgleich zu schaffen.31 So stellte das OVG Münster fest, dass die in einem Eingemeindungsvertrag übernommenen Förderungsverpflichtung der beklagten Kommune nicht mehr in voller vertraglich zunächst vereinbarter Höhe bestehe, nachdem sich die rechtliche Grundlage für die Förderungsfähigkeit dieser Maßnahme geändert hatte.32 3. Rechtsschutz gegen von vertraglichen Zusagen abweichende gemeindliche Entscheidungen 3.1. Rechtsschutz der Bürger Hier könnte zunächst an eine verwaltungsgerichtliche Klage durch einzelne oder mehrere Bürger zu denken sein, die direkt von den Folgen der nicht eingehaltenen Zusagen, beispielweise der Schließung eines Schwimmbades, betroffen sind. Nach der Rechtsprechung ergeben sich Rechte und Pflichten aus Eingemeindungsverträgen grundsätzlich nur für die beiden Vertragsparteien, also aufnehmende und einzugliedernde Gemeinde. Subjektiv-öffentlich, einklagbare Rechte einzelner Bürger enthält ein Eingemeindungsvertrag in der Regel nicht.33 Etwas anderes gilt nur, wenn der Vertrag zugunsten Dritter abgeschlossen wurde , also mit dem Ziel, Gemeindeeinwohner unmittelbar aus dem Vertrag zu berechtigen. Dies ist jedoch meistens nicht der Fall, bzw. oftmals ausdrücklich ausgeschlossen.34 29 Ausführlich hierzu: Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden-Württemberg, 2012, S. 268 f. 30 So BVerfG, Urteil v. 30.1.1973 - 2 BvH 1/72, NJW 1973, 609 (610 f.). 31 Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (38). 32 OVG Münster, Urteil v. 14.1.1986 - 15 A 2098/84 -, NVwZ 1986, 1042 (1045). 33 VGH München, Beschluss v. 7.12.1998 - 23 ZB 98.3037, BeckRS 1998, 25322, S. 3; VG Leipzig, Urteil v. 3.3.2010 - 6 K 1229/07 -, JurionRS 2010, 13697, S. 3. 34 Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (39). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 10 3.2. Rechtsschutz der untergegangenen Gemeinde Fraglich ist, wie die untergegangene Gemeinde ihre Rechte durchsetzen kann, wenn die (fusionierte ) Gemeinde anstrebt, sich per Gemeinderatsbeschluss von den getroffenen Zusagen zu lösen . Ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss wäre dann rechtmäßig, wenn die Gemeinde etwa aufgrund der Voraussetzungen des § 60 VwVfG einen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen wesentlich geänderter Verhältnisse hätte.35 Besteht ein derartiger Anspruch nicht, wäre ein Gemeinderatsbeschluss, der auf die Änderung vertraglich übernommener Verpflichtungen abzielt, rechtswidrig. Sofern dem Ortschaftsrat vertraglich selbständige Entscheidungsrechte in bestimmten Angelegenheiten eingeräumt wurden, wäre auch ein Ortschaftsratsbeschluss nicht der angezeigte Weg. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Rechtsaufsichtsbehörde36 über die Einhaltung der vertraglichen Obliegenheiten der gebundenen Gemeinde zu wachen.37 Hält diese ein Einschreiten für nicht geboten , stellt sich die Frage nach weitergehendem Rechtsschutz. Enthält der Eingemeindungsvertrag Regelungen über die Durchführung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren. so müssen diese zunächst durchgeführt werden. Nur wenn diese erfolglos bleiben, kommt ein gerichtliches Verfahren in Betracht.38 Zu untersuchen ist weiterhin, ob die untergegangene Gemeinde als Vertragspartei in der Lage ist, ihre sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte gerichtlich geltend zu machen. Hierfür müsste sie zunächst Verfahrensbeteiligte im Sinne des § 61 VwGO39 sein können. Nach der Rechtsprechung können auch untergegangene Gemeinden Verfahrensbeteiligte sein, wenn es um die Geltendmachung eigener Rechte, die mit der Eingliederung in engem Zusammenhang stehen, geht. Hierzu zählen auch Verfahren um die Einhaltung von Zusagen, die in dem Eingliederungsvertrag „als Gegenleistung dafür, dass die Gemeinde ihre Selbstständigkeit aufgibt,“ vereinbart wurden.40 Schwieriger stellt die Prozessfähigkeit im Sinne des § 62 VwGO dar, also die Frage danach, wer in einem Prozess für die untergegangene Gemeinde Verfahrenshandlungen vornehmen darf. 35 Vgl. hierzu Schielke, Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform Baden-Württemberg, 2012, S. 147. 36 Für Baden-Württemberg z. B. das Landratsamt, vgl. § 119 GemO BW. 37 Altenmüller, Verbindlichkeit von Zusagen in Gebietsänderungsverträgen, DÖV 1977, 34 (38). 38 Vgl. OVG Bautzen, Beschluss v. 4.1.2008 - 4 BS 449/07 -, BeckRS 2008, 35650, S. 2. 39 Verwaltungsgerichtsordnung v. 19.3.1991, BGBl I, S. 686. 40 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 3 m.w.N. Dies gilt gemäß dem VG Sigmaringen , Urteil v. 10.10.2007 - 3 K 102/06 -, BeckRS 2007, 27187, S.4 nur für die Konstellation, dass eine einzugliedernde in einer aufnehmenden Gemeinde untergeht. Bei der Neubildung einer Gemeinde bestehe keine Beteiligungsfähigkeit der ehemaligen Gemeinde. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 11 Grundsätzlich handeln für Behörden und Vereinigungen nach § 62 Abs. 3 VwGO ihre gesetzlichen Vertreter oder Vorstände. Zu der Frage, wer für eine untergegangene Gemeinde als Vertreter in Betracht kommt, kann der jeweilige Eingliederungsvertrag Bestimmungen enthalten, die einen bestimmten Vertreter benennen. Eine solche Benennung kann auch befristet erfolgen. In Baden-Württemberg schreibt die Gemeindeordnung vor, eine befristete Vertretung im Eingemeindungsvertrag zu benennen, § 9 Abs. 1 S. 4 GemO BW. Existiert eine Ortschaftsverfassung, dürfte der Ortschaftsrat als Streitvertreter benannt sein. Der genaue Zeitraum der befristeten Vertretung bleibt dabei den Vertragsparteien überlassen. Fraglich ist, ob eine ehemalige Kommune auch dann noch prozessfähig ist, wenn der befristete Zeitraum bereits überschritten ist. Nach einer Ansicht spreche jedenfalls in Baden-Württemberg die Vorgabe der Gemeindeordnung, eine Vertretung befristet zu benennen, dafür, eine auf diesen Zeitraum beschränkte Prozessfähigkeit anzunehmen. Die Interessen der aufgelösten Gemeinde verlören mit der Zeit ihre Bedeutung. Nach spätestens fünf bis zehn Jahren sei die Integration der aufgelösten in die aufnehmende Gemeinde als vollzogen zu betrachten.41 Nach der Rechtsprechung hingegen muss die Frage nach der Prozessfähigkeit je nach Einzelfall im Wege der „ergänzenden Vertragsauslegung“ beantwortet werden. Für den Fall, dass die Parteien die Befristung nicht für einen längeren Zeitraum vorgenommen haben, weil sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht damit rechneten, dass eine Vertretung über diesen vereinbarten Zeitpunkt hinaus notwendig sein würde und sie bei Kenntnis dieses Umstandes einen längere Frist vereinbart hätten, sei eine erweiterte Vertretungsmacht anzunehmen.42 4. Zusammenfassung Bei Eingemeindungsverträgen handelt es sich typischer Weise um öffentlich-rechtliche Verträge. Die Verbindlichkeit einzelner Vertragsklauseln ist nach dem Rechtsbindungswillen der Vertragsparteien durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln. Für Zusagen der aufnehmenden gegenüber der einzugliedernden Gemeinde, die als Kompensation für den Verlust der Rechtspersönlichkeit dienen soll, ist in der Regel Rechtsverbindlichkeit anzunehmen. Es gilt der Grundsatz der Vertragsbindung . Eine Partei kann sich nicht einseitig von der Verpflichtung lösen. Die Vertragsbindung erstreckt sich jedoch nicht auf unwirksame Vertragsklauseln. Zudem kann der aufnehmenden Kommune ein Anspruch auf Vertragsanpassung zustehen, wenn sich Umstände, auf deren Grundlage der Eingliederungsvertrag geschlossen wurde, wesentlich geändert haben und einer Partei das Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist. Über die Einhaltung der Vertragspflichten wacht grundsätzlich die Rechtsaufsichtsbehörde. Hält diese ein Einschreiten für nicht geboten, müssen zunächst ggf. im Eingemeindungsvertrag aufge- 41 Kupfer, Eingemeindungsverträge – Bremsklotz oder tragfähige Basis gemeindlicher Entwicklung?, VBlBW 2/2006, 41 (46). 42 VG Freiburg, Urteil v. 12.2.2005 - 7 K 1212/04 -, BeckRS 2005, 24523, S. 3 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 155/13 Seite 12 führte Wege der außergerichtlichen Streitbeilegung beschritten werden, bevor gerichtlicher Rechtsschutz gesucht werden kann. Nach der Rechtsprechung kann eine untergegangene Kommune in Verfahren, die die Geltendmachung der Rechte aus dem Eingemeindungsvertrag betreffen, Verfahrensbeteiligte sein. Der zeitliche Umfang der Prozessfähigkeit ist jedoch umstritten und im Ergebnis je nach Einzelfall zu beurteilen.