© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 154/19 Mitwirkungs- und Änderungsmöglichkeiten des Bundestages in Bezug auf Rechtsverordnungen Die Sechste Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 154/19 Seite 2 Mitwirkungs- und Änderungsmöglichkeiten des Bundestages in Bezug auf Rechtsverordnungen Die Sechste Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 154/19 Abschluss der Arbeit: 24. Juni 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 154/19 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand erläutert die Mitwirkungsrechte des Bundestages beim Erlass von Rechtsverordnungen im Allgemeinen sowie in Bezug auf die Sechste Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin- Verordnung (VersMedV). Des Weiteren werden die Möglichkeiten des Bundestages, eine durch Rechtsverordnung geregelte Rechtslage zu ändern, dargelegt.1 2. Mitwirkungsrechte des Bundestages beim Erlass von Rechtsverordnungen der Bundesregierung Rechtsverordnungen sind Rechtsnormen, die von Exekutivorganen zur Regelung staatlicher Angelegenheiten erlassen werden.2 Rechtsverordnungen dürfen nur auf der Grundlage formeller Gesetze erlassen werden. Auf Bundesebene folgt dies aus Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landeregierungen durch Bundesgesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Art. 80 Abs. 1 GG eröffnet somit der Legislative die Möglichkeit, Rechtsetzungsbefugnisse auf die Exekutive zu delegieren.3 Allerdings behält sich der Bundestag in zahlreichen Verordnungsermächtigungen Mitwirkungsrechte vor.4 Die Mitwirkungsrechte können Kenntnisgabe der Rechtsverordnung, Anhörung oder Zustimmung umfassen.5 Auch ein Ablehnungs- oder Aufhebungsvorbehalt des Bundestages kann begründet werden.6 Da das Parlament in diesen Fällen der Mitwirkung nicht selbst inhaltlich gestaltet, ist die Verordnung weiterhin vollumfänglich der Exekutive zuzurechnen, so dass keine Unklarheiten über ihre normhierachische Zuordnung entstehen können.7 Nicht nur die Zuständigkeit zum Erlass von Rechtsverordnungen, sondern auch die Mitwirkungsrechte anderer staatlicher Organe ergeben sich im Einzelfall aus dem ermächtigenden Gesetz.8 1 Die folgenden Ausführungen basieren in weiten Teilen auf den Sachständen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte beim Erlass von Rechtsverordnungen der Bundesregierung, WD 3 - 3000 - 017/13 sowie Aufhebung und Änderung von Rechtsverordnungen durch den Bundestag, WD 3 - 3000 - 315/15. 2 Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 13. 3 Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 41. Edition 15. November 2018, Vorbemerkung zu Art. 80. 4 Voßkuhle/Wischmeyer, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Rechtsverordnung, in: JuS 2015, 311 (312). 5 Remmert, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 80 Rn. 104. 6 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 80 Rn. 30; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 106. 7 Voßkuhle/Wischmeyer, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Rechtsverordnung, in: JuS 2015, 311 (312). 8 Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 17 Rn. 147. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 154/19 Seite 4 3. Sechste Verordnung zur Änderung der VersMedV Die Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass der Sechsten Verordnung zur Änderung der VersMedV sind § 153 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG).9 Die Anforderungen, die an das Verfahren zum Erlass der Rechtsverordnung gestellt werden, sind folglich diesen Normen zu entnehmen. In § 153 Abs. 2 SGB IX wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zudem enthält die Norm die Bestimmung eines Zustimmungserfordernisses des Bundesrates. § 30 Abs. 16 BVG ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Verordnungsgeber im Regelungsbereich der Kriegsopferversorgung. Zudem ist normiert, dass eine entsprechende Rechtsverordnung nur im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden kann. Die verordnungsermächtigenden Normen enthalten jeweils keine Regelungen hinsichtlich einer Mitwirkung des Bundestages. Die Beteiligung des Bundestages an der Sechsten Verordnung zur Änderung der VersMedV ist daher ausgeschlossen. 4. Aufhebung oder Ersetzung einer Rechtsverordnung durch den Bundestag Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein, eine zunächst dem Verordnungsgeber überlassene Regelungsbefugnis wieder für sich in Anspruch zu nehmen und eine bestehende Rechtsverordnung durch Gesetz ganz oder zum Teil aufzuheben oder vollständig zu ersetzen.10 Von einer solchen Aufhebung oder Ersetzung einer Rechtsverordnung durch Gesetz ist die gesetzliche Aufhebung oder Änderung der Ermächtigungsgrundlage zu unterscheiden.11 Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass ein Wegfall der Ermächtigungsgrundlage nicht automatisch zum Geltungsverlust der auf ihr beruhenden Rechtsverordnung führt. Nach Auffassung des Gerichts lassen sowohl das nachträgliche Erlöschen als auch die nachträgliche Änderung einer Ermächtigungsgrundlage die Wirksamkeit einer zuvor ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung prinzipiell unberührt.12 Dies wird von der Literatur für die Konstellation angezweifelt, 9 Vgl. die Eingangsformel des Entwurfs zur Sechsten Verordnung zur Änderung der VersMedV. 10 BVerfGE 22, 330 (346); hierzu auch Studenroth, Einflußnahme des Bundestages auf Erlaß, Inhalt und Bestand von Rechtsverordnungen, DÖV 1995, 525 (527), m.w.N.; Konzak, Die Änderungsvorbehaltsverordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVBl 1994, 1107 (1109); Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 8, der darauf hinweist, dass für Aufhebungen etwas anderes gilt, wenn eine Pflicht zur Verordnungsgebung besteht. 11 Uhle, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 24 Rn. 108. 12 In Bezug auf das nachträgliche Erlöschen der Ermächtigungsgrundlage: BVerfGE 9, 3 (12); BVerfGE 12, 341 (346 f.); in Bezug auf deren nachträgliche Änderung: BVerfGE 14, 245 (249). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 154/19 Seite 5 in der die Rechtsverordnung durch den Wegfall ihrer gesetzlichen Grundlage offensichtlich gegenstandslos oder funktionslos wird und keine sinnvolle Regelung mehr darstellt.13 5. Änderung einer Rechtsverordnung durch den Bundestag Die Zulässigkeit der Änderung von Rechtsverordnungen durch den Bundestag auf der Grundlage eines Änderungsvorbehalts oder unmittelbar auf eigene Initiative hin ist in der juristischen Literatur umstritten.14 Insbesondere wird kritisiert, dass ein solcher Eingriff der Legislative in den Bereich der Exekutive die verfassungsrechtliche Formentypik unterlaufe und dadurch Zuständigkeiten und Rechtsschutzmöglichkeiten verunklare.15 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2005 dieser Problematik angenommen.16 Das Gericht betont dabei zunächst, dass das Grundgesetz zwischen der Rechtssetzung in der Form des Gesetzes und der Rechtssetzung in der Form der Rechtsverordnung unterscheide und die Voraussetzungen und Folgen der Rechtssetzung in der einen und anderen Form nach dem Grundgesetz verschieden seien.17 Die damit getroffene Unterscheidung stehe nicht zur beliebigen Disposition. Das hindere den Gesetzgeber aber nicht, die der Exekutive übertragenen Regelungsbefugnisse wieder zu übernehmen und bislang als Verordnung geltende Regelungen nun als Gesetz zu erlassen (siehe oben unter 4.).18 Ebenso wenig sei der Gesetzgeber prinzipiell gehindert , den Inhalt einer geltenden Rechtsverordnung unmittelbar kraft Gesetzes zu ändern. Aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips und des hieraus folgenden Prinzips der Rechtssicherheit sei jedoch eine Lösung erforderlich, die der durch Gesetz geänderten Rechtsverordnung einen einheitlichen Rang zuweise.19 Vor diesem Hintergrund qualifiziert das Gericht das durch verordnungsändernde Gesetze geschaffene Normgebilde insgesamt und einheitlich als Rechtsverordnung.20 13 Uhle, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 24 Rn. 108; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 368 ff.; Kotulla, Fortgeltung von Rechtsverordnungen nach Wegfall ihrer gesetzlichen Grundlage, NVwZ 2000, 1263 ff. 14 Siehe Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Auflage 2018, Art. 80 Rn. 9; Remmert, in: Maunz/Dürig, GG, 86. EL Januar 2019, Art. 80 Rn. 91; Voßkuhle/Wischmeyer, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Rechtsverordnung, in: JuS 2015, 311 (312). 15 Voßkuhle/Wischmeyer, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Rechtsverordnung, in: JuS 2015, 311 (312). 16 BVerfGE 114, 196 (235 ff.); BVerfGE 114, 303 (311 f.). 17 BVerfGE 114, 196 (235 f.), dort zum Folgenden. 18 Siehe schon BVerfGE 22, 330 (346). 19 BVerfGE 114, 196 (236). 20 BVerfGE 114, 196 (238). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 154/19 Seite 6 Für die Änderung von Rechtsverordnungen durch den Gesetzgeber stellt das Gericht im Hinblick auf den Grundsatz der Formenstrenge der Rechtssetzung und das Prinzip der Rechtssicherheit folgende Voraussetzungen auf21: Erstens sollen solche Parlamentsverordnungen nur zur Anpassung im Rahmen einer Änderung eines Sachbereichs durch den Gesetzgeber, nicht aber unabhängig von sonstigen gesetzgeberischen Maßnahmen zulässig sein.22 Zweitens ist der parlamentarische Gesetzgeber auch bei der Änderung von Verordnungsrecht an das in Art. 76 ff. GG geregelte Gesetzgebungsverfahren gebunden. Eine Verordnungsänderung in einem anderen Verfahren, etwa durch schlichten Parlamentsbeschluss, komme nicht in Betracht.23 Drittens sei der parlamentarische Gesetzgeber in inhaltlicher Hinsicht an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage (also der gesetzlichen Regelung, in der die Exekutive zum Erlass der Rechtsverordnung ermächtigt wird) gebunden, vgl. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.24 Viertens richte sich die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes, mit der eine Rechtsverordnung geändert werden solle, nach den für förmliche Gesetze geltenden Normen und nicht nach den speziellen Regelungen für Rechtsverordnungen in Art. 80 Abs. 2 GG.25 Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass aufgrund des anzunehmenden Verordnungsrangs auch die durch Gesetz eingefügten Teile einer Rechtsverordnung einer abermaligen Änderung durch die Exekutive zugänglich seien.26 Die Ermächtigung der Exekutive, den betreffenden Gegenstand selbst zu regeln, werde bei einem solchen Vorgehen durch den Gesetzgeber nicht aufgehoben oder ausgesetzt. *** 21 Siehe auch den Überblick bei Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2015, Art. 80 Rn. 52. Die bundesverfassungsgerichtliche Konzeption einer „Legislativverordnung“ ist nicht unumstritten. Uhle, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 24 Rn. 104, kritisiert beispielsweise, dass das Gericht hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine solche Verordnung in sachlich nicht nachvollziehbarer Weise Elemente der Gesetzgebung mit dem Erfolg der Verordnungsgebung zu einem „Rechtsquellencocktail“ vermische, dem es an einer stringenten Rezeptur mangele. 22 BVerfGE 114, 196 (238). 23 BVerfGE 114, 196 (239). 24 BVerfGE 114, 196 (239). 25 BVerfGE 114, 196 (240). 26 BVerfGE 114, 196 (240).