© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 – 154/14 Berechtigt die Gefahr eines Parteiausschlussverfahrens zur Zeugnisverweigerung gemäß § 22 Absatz 2 PUAG? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 154/14 Seite 2 Berechtigt die Gefahr eines Parteiausschlussverfahrens zur Zeugnisverweigerung gemäß § 22 Absatz 2 PUAG? Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 – 154/14 Abschluss der Arbeit: 28. August 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 154/14 Seite 3 1. Einleitung § 22 Abs. 2 PUAG1 gibt Zeugen das Recht, die Auskunft auf Fragen von Mitgliedern des Untersuchungsausschusses zu verweigern, deren Beantwortung ihnen oder bestimmten anderen Personen die Gefahr zuziehen würde, einer Untersuchung nach einem „gesetzlich geordneten Verfahren “ ausgesetzt zu werden. Bei dem Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) handelt es sich um ein Ausführungsgesetz zu Art. 44 GG, welches die Einsetzung und das Verfahren der Untersuchungsausschüsse regelt.2 Aufgrund von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG sind die Vorschriften der StPO3 auf Beweiserhebungen in Untersuchungsausschüssen sinngemäß anzuwenden. Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO gilt daher auch für Untersuchungsausschüsse. In § 22 Abs. 2 PUAG wird das Auskunftsverweigerungsrecht explizit geregelt. Diese Konkretisierung geht dem allgemeinen Verweis in Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG vor.4 Das Auskunftsverweigerungsrecht in § 22 Abs. 2 PUAG ist weiter gefasst als § 55 StPO. Die Regelung in der StPO erlaubt dem Zeugen nur dann die Auskunft zu verweigern, wenn die Beantwortung ihn oder seine Angehörigen der Gefahr aussetzt, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. § 22 Abs. 2 PUAG hingegen erlaubt dem Zeugen, die Auskunft zu verweigern, wenn die Gefahr besteht, dass eine Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren erfolgen könnte. Zu den gesetzlich geordneten Verfahren gehören unstreitig Ermittlungsverfahren wegen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten und beamtenrechtliche Disziplinarverfahren .5 Die Ausarbeitung geht der Frage nach, ob ein Verfahren, das eine politische Partei im Rahmen eines Parteiordnungsverfahrens oder eines Ausschlussverfahrens einleiten könnte, ein „gesetzlich geordnetes Verfahren“ im Sinne dieser Vorschrift ist, so dass einem Betroffenen ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen würde. 2. Gesetzliche Vorgaben zu Parteiordnungsmaßnahmen im Parteiengesetz Das Parteiengesetz (PartG)6 macht nur wenige Vorgaben zur inneren Ordnung einer politischen Partei. § 6 Abs. 2 Nr. 4 PartG verpflichtet die politischen Parteien, in ihren Satzungen Bestimmungen über zulässige Ordnungsmaßnahmen gegen ihre Mitglieder und über deren Ausschluss 1 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 2 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG, Stand: 01.06.2014, Art. 44 GG, Rn. 2. 3 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 23. April 2014 (BGBl. I S. 410) geändert worden ist. 4 Brocker, in: Epping/Hillgruber, (Fn. 2), Art. 44 GG, Rn. 2. 5 BT-Drs. 14/5790, S. 18; Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz , Band 2, 6. Auflage 2010, Art. 44, Rn. 140. 6 Parteiengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. August 2011 (BGBl. I S. 1748) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 154/14 Seite 4 zu treffen. § 10 Abs. 3 bis 5 PartG trifft nähere Bestimmungen für die Voraussetzungen und das Verfahren des Ausschlusses. Demnach darf ein Mitglied aus der Partei nur ausgeschlossen werden , wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und sie damit schwer schädigt. Ferner werden Rahmenvorgaben für das notwendige parteiinterne Schiedsgerichtsverfahren gemacht. Weitere Vorgaben für das Verfahren der Parteischiedsgerichte finden sich in § 14 PartG. Die politischen Parteien sind daher zwar gesetzlich verpflichtet, Schiedsverfahren und Ordnungsmaßnahmen vorzusehen. Die Verfahrensregelungen setzen sie allerdings autonom; die Entscheidungen ergehen auf Grundlage ihrer autonomen Satzung. 3. „Gesetzlich geordnetes Verfahren“ im Sinne des § 22 Abs. 2 PUAG Fraglich ist, ob es sich bei einem derart geregelten Verfahren um ein „gesetzlich geordnetes Verfahren “ im Sinne des § 22 Abs. 2 PUAG handelt, das einen Zeugen zur Verweigerung der Aussage berechtigen würde. 3.1. Wortlaut Der Wortlaut der Vorschrift stellt auf die gesetzliche Regelung des Verfahrens ab. Das parteiordnungsrechtliche Verfahren beruht jedoch auf der Satzung der jeweiligen Partei; wie unter 2. ausgeführt , setzt das Parteiengesetz nur Rahmenvorschriften. Anders als etwa ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren, das auf staatlichen gesetzten Vorschriften in den Beamtengesetzen beruht, handelt es sich nach dem Wortlaut wohl nicht um ein gesetzlich geordnetes Verfahren. 3.2. Entstehungsgeschichte Bis zur 14. Wahlperiode wurden dem Verfahren der Untersuchungsausschüsse des Bundestages üblicherweise Regeln zugrunde gelegt, die von den Mitgliedern der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft im Entwurf eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen (sog. IPA-Regeln, BT-Drs. V/4209) formuliert worden waren. Dies geschah, soweit diese geltendem Recht nicht widersprachen und wenn nach übereinstimmender Auffassung der Mitglieder des Untersuchungsausschusses keine sonstigen Bedenken dagegen bestanden .7 § 16 Abs. 3 IPA-Regeln verwies lediglich auf das in der StPO geregelte Zeugnisverweigerungsrecht . Eine – im Plenum letztlich abgelehnte – Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung , Immunität und Geschäftsordnung in der 11. Wahlperiode zu Gesetzentwürfen eines Untersuchungsausschussgesetzes sah in § 18 Abs. 2 ein ergänzendes Aussageverweigerungsrecht in Anlehnung an § 55 StPO vor.8 Hiernach sollten „gesetzlich geordnete Verfahren“, die zu einem Aussageverweigerungsrecht führen, „alle in staatlichen Gesetzen niedergelegten Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren gegen eine Person mit Sanktionsfolgen“ sein, also auch „Verfahren nach 7 So zuletzt für den 1. Untersuchungsausschuss der 14. WP; vgl. BT-Drs. 14/2139 und PlPr. 14/76, S. 6991 B. Nachweise bei Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, 2013, Vorbem. zu IPA- Regeln. 8 BT-Drs. 11/8085, S. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 154/14 Seite 5 dem Ordnungswidrigkeitengesetz, Disziplinarverfahren oder Ehrengerichtsverfahren“. Sanktionen aufgrund nicht-staatlicher Rechtssetzung, wie parteiinterne Schiedsverfahren, sollten laut Begründung ausdrücklich nicht erfasst sein. Diese Regelung machte sich auch ein Gesetzentwurf der Fraktion der F.D.P aus der 14. Wahlperiode zu eigen9, ein Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN erwähnt diese auf nicht-staatlicher Rechtsetzung beruhenden Sanktionsverfahren hingegen nicht mehr.10 Auch in der einstimmig im Ausschuss angenommenen Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 4. April 2001, die im Plenum angenommen worden ist, werden parteiinterne Schieds- und Ausschlussverfahren nicht mehr erwähnt .11 Als Beispiele werden in der Begründung der Vorschrift neben Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren beamtenrechtliche Disziplinarverfahren genannt. Die Formulierung „Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren“ wurde in Stellungnahmen als zu ungenau und zu weitgehend kritisiert12: Hierunter könnten auch – entgegen dem explizitem Wunsch – Verfahren ohne Sanktionsandrohung verstanden werden. Die Anregung 13, wie in § 55 StPO auf die Gefahr abzustellen, „wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden“, wurde wohl auch wegen des Wunsches der Koalition, beamtenrechtliche Disziplinarverfahren in den § 22 Abs. 2 PUAG aufzunehmen, nicht weiterverfolgt. Zwar war die Formulierung des § 22 Abs. 2 PUAG umstritten und auch als zu weitgehend kritisiert . In der Auseinandersetzung stand aber nie in Rede, dass mit dem Begriff „gesetzlich geordnete Verfahren“ solche gemeint sind, die wie Parteiausschlussverfahren auf nicht-staatlicher Rechtsetzung beruhen.14 Die Entstehungsgeschichte spricht daher gegen ein Auskunftsverweigerungsrecht wegen der Gefahr eines Parteiordnungsverfahrens. 3.3. Regelungen in den Gesetzen der Bundesländer Im Rechtsvergleich mit den Regelungen der Bundesländer stellt sich heraus, dass in einem großen Teil der Länder konkret bezeichnete Verfahren – Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren 15 sowie Abgeordneten- oder Ministeranklage16 und Richteranklage17, wenn sie in der Lan- 9 BT-Drs. 14/2363, S. 16 f. 10 BT-Drs. 14/2518, S. 14. 11 BT-Drs. 14/5790, S. 18. 12 Stellungnahme Fitschen, 16. Januar 2001, S. 15; Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (12. Januar 2001), S. 8; Morlok, Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, 14. WP, Protokoll G 32, S. 32 f. 13 Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (12. Januar 2001), S. 8. 14 Im Ergebnis ebenso Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, 2003, S. 251 f.; Peters, Untersuchungsausschussrecht – Länder und Bund, 2012, Rn. 333. Soweit ersichtlich, nimmt die übrige Literatur zu dieser Frage keine Stellung. 15 Bremen, Hamburg, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 154/14 Seite 6 desverfassung entsprechend geregelt sind – zur Auskunftsverweigerung berechtigen. Lediglich § 24 Abs. 2 des Untersuchungsausschussgesetzes des Landes Berlin hat in seiner Novelle von 2011 die Formulierung des § 22 Abs. 2 PUAG („gesetzlich geordnetes Verfahren“) übernommen. In Sachsen-Anhalt kann ein Zeuge gemäß § 18 Abs. 3 des Untersuchungsausschussgesetzes des Landes auch dann die Auskunft verweigern, wenn die Beantwortung einer Frage den Zeugen oder einen Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) bloßstellen oder die Frage seinen höchstpersönlichen Lebensbereich betrifft oder die Aussage ihm schwerwiegende Nachteile bringen würde. § 18 Abs. 3 UAG gilt jedoch nicht für Mitglieder der Landesregierung und ihrer Beauftragten und für Angehörige des öffentlichen Dienstes. Ein Parteiausschlussverfahren wird niemals ausdrücklich erwähnt. Mit zwei Ausnahmen haben damit alle Länder, die ein eigenes Untersuchungsausschussgesetz verabschiedet haben, das Auskunftsverweigerungsrecht restriktiver gehandhabt als das PUAG. Auch dies spricht dagegen, Parteiordnungsverfahren als ein zur Auskunftsverweigerung berechtigendes Verfahren gemäß § 22 PUAG anzusehen. 3.4. Sinn und Zweck der Norm Letztlich widersprächen auch Sinn und Zweck der Norm dieser Auslegung. Das Auskunftsverweigerungsrecht beruht auf dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen (nemo tenetur se ipsum accusare).18 Dieses Recht dient im Untersuchungsausschuss dem Schutz des Zeugen und seiner Angehörigen: Es erspart dem Zeugen den Konflikt, unter dem Druck der Wahrheitspflicht im Verfahren sich selbst oder einen Angehörigen durch seine Aussage der Gefahr einer Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren auszusetzen (§ 22 Abs. 2 PUAG).19 Allerdings besteht anders als beim Strafverfahren, für den der nemo tenetur Grundsatz ausnahmslos gilt, im Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss ein „verfassungskräftiges öffentliches Interesse an der Aufklärung“. Aus der zweipoligen Interessenstruktur beim Strafverfahren – dem staatlichen Strafanspruch steht der Grundrechtsanspruch des Bürgers gegenüber – wird eine dreipolige Interessenstruktur.20 Das PUAG kennt die Rechtsfigur des Betroffenen nicht. Entsprechend dürfen die Auskunftsverweigerungsrechte nicht auf außerstrafrechtliche Vorwürfe ausgedehnt werden, um das politische Aufklärungsinteresse nicht leerlaufen zu lassen.21 Bloße zivilrechtliche Nachteile genügen für die 16 Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen. In Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist nur die Ministeranklage geregelt. 17 Rheinland-Pfalz, Thüringen. 18 BVerfGE 38, 105 (113). 19 Peters, (Fn. 14), Rn. 333; Senge, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 55 Rn. 1 mwN. 20 Morlok, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zum PUAG, 10. Mai 2000, S. 4. 21 Brocker, in: Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern , 2. Auflage 2011, Teil 4, § 22 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 154/14 Seite 7 Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts nicht.22 Insbesondere dürfte Fehlverhalten, das lediglich politische Konsequenzen hat, nicht zur Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechtes ausreichen.23 4. Ergebnis Ein drohendes parteiordnungsrechtliches Verfahren berechtigt einen Zeugen nicht zur Auskunftsverweigerung gemäß § 22 Abs. 2 PUAG. 22 Glauben, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 44 Rn. 110 (Drittbearbeitung, März 2013). 23 Glauben, in: Glauben/Brocker, PUAG Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, Kommentar, 2011, § 22 Rn. 25.