Ungleichbehandlung durch Veränderung der Verordnungsfähigkeit von Insulinanaloga - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WF III G - 154/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Ungleichbehandlung durch Veränderung der Verordnungsfähigkeit von Insulinanaloga Ausarbeitung WF III G - 154/06 Abschluss der Arbeit: 7. April 2006 Fachbereich III: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Nach dem derzeitigen Sachstand gibt es keine Belege für eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung durch den Einsatz von Insulinanaloga. Diese Arzneimittel sind jedoch teurer als vergleichbare Humaninsulina. Die geplante Beschränkung der Erstattungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenkasse wirft deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Verfassungsrechtliche Prüfung 4 2.1. Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG 4 2.2. Artikel 2 Absatz 1 GG 5 2.3. Artikel 3 Absatz 1 GG 5 3. Ergebnis 5 - 4 - 1. Einleitung Der Gemeinsame Bundesausschuss plant die Substanzklasse der rasch wirksamen Insulinanaloga als unwirtschaftlich zu deklarieren1 und deshalb aus der Erstattungsfähigkeit der GKV für Typ 2 Diabetiker zu nehmen. Die bereits mit Insulinanaloga behandelten Patienten sollen ihr Medikament weiterhin erhalten, so dass von der Regelung allein neu mit Insulinanaloga zu behandelnde Patienten betroffen wären. 2. Verfassungsrechtliche Prüfung 2.1. Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG Die Änderung der Erstattungsfähigkeit könnte das Grundrecht der Patienten auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG verletzen, welches die körperliche Gesundheit und Integrität bewahren soll2. Das Grundrecht kann insbesondere auch durch Unterlassen beeinträchtigt sein, etwa durch staatliche Unterbindung des Zugangs zu einer nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell verfügbaren Therapie, mit der eine Verlängerung des Lebens, mindestens aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens verbunden ist3. Eine Beeinträchtigung läge somit nur vor, wenn durch das Vorhaben eine bessere medizinische Versorgung genommen bzw. verwehrt würde. Nach der Antwort auf die Kleinen Anfrage4 fehlt es an einem Nachweis für einen patientenrelevanten Zusatznutzen kurzwirksamer Insulinanaloga gegenüber Humaninsulin5. Speziell für die intensivierte Insulintherapie eignen sich Humaninsuline und Insulinanaloga in gleicher Weise6. Zudem wird die Behandlung mit Insulinanaloga nicht verboten. Es soll nur ihre grundsätzliche Erstattungsfähigkeit wegen des teureren Arzneimittelpreises7 abgeschafft werden. Eine Verordnung ist ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen nach § 31 Absatz 1 Satz 4 SGB V weiterhin möglich. Eine Beeinträchtigung dieses Grundrechts ist somit nicht erkennbar. 1 Grundlage ist der am 15.02.2006 veröffentliche Abschlussbericht „Kurz wirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2“ des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). 2 Vgl. nur Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl., Tübingen 2004, Art. 2 II Rn. 33 ff. 3 BVerfG, NJW 1999, 3399, 3400. 4 Drucksache 16/888 v. 08.03.2006. 5 Drucksache 16/1050, Antwort zu Frage Nr. 3, S. 4, dort vgl. Zitat aus dem Bericht des IQWiG. 6 Drucksache 16/1050, Antwort zu Frage Nr. 6, S. 6. 7 Drucksache 16/1050, Antwort zu Frage Nr. 4, S. 4. - 5 - 2.2. Artikel 2 Absatz 1 GG Der sachliche Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Absatz 1 GG gewährleistet als Auffanggrundrecht eine allgemeine Betätigungsfreiheit, soweit nicht spezielle Freiheitsgrundrechte eingreifen8. Dieses Abwehrgrundrecht begründet keinen Anspruch auf Förderung unwirtschaftlicher Arzneimittelinnovationen durch die gesetzlichen Krankenversicherungen, die keine Verbesserung der Behandlung nachweisen können. Ein Eingriff in dieses Grundrecht ist deshalb nicht ersichtlich. 2.3. Artikel 3 Absatz 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 GG gebietet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln“9. Nach der neueren Rechtsprechung wird dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf die Ungleichbehandlung angewendet 10. Die Insulinanaloga wurden vor ca. 10 Jahren als von Spezialisten geforderte Weiterentwicklung zugelassen. Gleichwohl gibt es noch keine hochwertigen Langzeitstudien , die primär den Nachweis eines patientenrelevanten Nutzens zum Ziel haben 11. Es gibt noch nicht einmal Belege dafür, dass das Risiko von Komplikationen bei Insulinanaloga verringert würde. Ein Nachweis solcher therapierelevanten Verbesserung der Behandlung ist jedoch nach den geltenden gesetzlichen Vorgaben des SGB V Voraussetzung für eine unbeschränkte Erstattung für Arzneimittel12. Die Deklaration als unwirtschaftlich ist aufgrund der Ergebnisse des Abschlussberichts des IQWiG13 sachlich gerechtfertigt und bedingt folgerichtig den grundsätzlichen Ausschluss von der Erstattungsfähigkeit . Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung ist nicht zu erkennen, zumal eine Verordnung von Insulinanaloga im Einzelfall bei medizinisch gebotener Behandlung durch § 31 Absatz 1 Satz 4 SGB V zulässig ist. 3. Ergebnis Unter Zugrundelegung des dargestellten Sachverhalts bestehen insgesamt keine verfassungsrechtlichen Bedenken. 8 Vgl. Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl., Tübingen 2004, Art. 2 I Rn. 27 ff. 9 BVerfGE 4, 144, 155; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Dreier, GG, aaO. Fn. 8, Art. 3 Rn. 19. 10 Sog. „neue“ Formel; vgl. dazu Dreier, GG, aaO. Fn. 8, Art. 3 Rn. 21. 11 BT-Drs. 16/1050, Antwort zu Frage Nr. 3 und Nr. 4, S. 4. 12 BT-Drs. 16/1050, Antwort zu Frage Nr. 9, S. 7. 13 Siehe oben Fn. 1.