© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 151/17 Auswahlverfahren für die Richter des Bundesverfassungsgerichts Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 151/17 Seite 2 Auswahlverfahren für die Richter des Bundesverfassungsgerichts Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 151/17 Abschluss der Arbeit: 21.07.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 151/17 Seite 3 1. Fragestellung und Vorbemerkung Der Sachstand thematisiert das Verfahren zur Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts. Dabei soll auch auf den parteipolitischen Einfluss auf das Wahlverfahren eingegangen werden. Den Ausführungen liegen im Wesentlichen die Darstellungen des Sachstandes WD 3 - 3000 - 258/16 zugrunde. 2. Die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts 2.1. Rechtliche Grundlagen der Verfassungsrichterwahl Auf der Ebene des Verfassungsrechts schreibt Art. 94 Grundgesetz (GG) vor, dass die Bundesverfassungsrichter je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Einfachgesetzlich konkretisiert das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) diese Regelung des Grundgesetzes. Nach § 2 BVerfGG besteht das Bundesverfassungsgericht aus zwei Senaten, mit je acht Richtern. Von den jeweils acht Richtern werden gemäß § 2 Absatz 3 BVerfGG je drei aus dem Kreis der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt. Alle Kandidaten für das Verfassungsrichteramt müssen ein Mindestalter von 40 Jahren erreicht haben, die Wählbarkeit zum Bundestag besitzen und zum Richteramt befähigt sein. Das Bundesministerium der Justiz führt nach § 8 Abs. 1 BVerfGG eine ständig zu aktualisierende Liste mit den für das Verfassungsrichteramt geeigneten Bundesrichtern sowie nach § 8 Abs. 2 BVerfGG eine Liste mit den Vorschlägen der Fraktionen, der Bundesregierung oder der Landesregierungen . Diese Listen sind nicht bindend, werden den Wahlorganen von Bundesrat und Bundestag jedoch vor einer Wahl zugeleitet. 2.2. Ausgestaltung des Wahlverfahrens In der Praxis teilen Bundestag und Bundesrat die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts wie nachfolgend beschrieben auf: Der Bundestag wählt je Senat zwei Bundesrichter sowie zwei sonstige Mitglieder. Der Bundesrat wählt einen Bundesrichter sowie drei sonstige Mitglieder. Bei der Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten wechseln sich die Bundesorgane gemäß § 9 BVerfGG ab.1 2.3. Wahlverfahren im Bundestag Die Wahl der vom Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts ist in § 6 BVerfGG geregelt. Danach werden die Richter durch das Plenum des Bundestages auf Vorschlag des sog. Wahlausschusses gewählt. Der Wahlausschuss wird zu Beginn jeder Wahlperiode eingesetzt und besteht aus zwölf Mitgliedern des Bundestages, die auf Vorschlag der Fraktionen nach den Regeln der Verhältniswahl vom Bundestag gewählt werden. Entfallen im Wahlausschuss auf einen Kandidaten für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht mindestens acht Stimmen der 1 Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Die Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts, Aktueller Begriff Nr. 37/06, abrufbar unter https://www.bundestag .de/blob/189672/b56ac462bac28ad61cf0d3fa011f77f4/die_wahl_von_richtern_des_bundesverfassungsgerichts -data.pdf (Stand: 21.07.2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 151/17 Seite 4 Mitglieder des Wahlausschusses, wird der Kandidat dem Plenum des Bundestages zur Wahl vorgeschlagen . Die Wahl des Kandidaten im Plenum erfolgt ohne Aussprache und mit verdeckten Stimmzetteln. Gewählt ist ein Kandidat durch das Plenum, wenn er eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. 2.4. Wahlverfahren im Bundesrat Die Wahl der vom Bundesrat zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts ist in § 7 BVerfGG geregelt. Die zu berufenden Richter werden nach einem Beschlussvorschlag einer Findungskommission gewählt. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen des Bundesrates, nicht nur der abgegebenen Stimmen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Beschlussregeln des Bundesrates . Das Wahlverfahren des Bundesrates ist damit einschließlich der Abstimmung öffentlich. Dabei wird grundsätzlich durch Handaufheben, auf Verlangen eines Landes durch Aufruf der Länder abgestimmt. 3. Staatspraxis In der Staatspraxis ist das Wahlverfahren von spezifischen politischen Gepflogenheiten geprägt. Diese genießen zwar grundsätzlich keine rechtliche Verbindlichkeit und sind auch nicht kodifiziert; dennoch wird in der juristischen Literatur ein klar strukturierter Auswahlprozess beschrieben:2 Demnach habe sich ein Modus entwickelt, in welchem die beiden großen politischen Parteien für jeweils die Hälfte der Richter in einem Senat das Vorschlagsrecht innehaben. Der Gegenseite komme dabei nur noch ein Vetorecht zu, von dem in der Praxis jedoch nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werde.3 Zwei Richter jedes Senats sollen zudem parteipolitisch neutral sein. Ferner habe sich die Praxis eingebürgert, dass für jeweils eine Richterstelle das Vorschlagsrecht von einer der beiden großen Parteien an die FDP bzw. an Bündnis90/Die Grünen abgetreten werde.4 Dieses Auswahlprozedere habe insgesamt dazu geführt, dass jede Richterstelle parteipolitisch zuzuordnen sei und auch das jeweilige Vorschlagsrecht bereits vorher feststehe.5 In der Praxis seien daher auch sog. Paketlösungen etabliert, bei denen mehrere Richterstellen, die in zeitlicher Nähe zu besetzen sind, zwischen den Vorschlagsberechtigten als Gesamtpaket verabredet würden.6 An der aufgezeigten Staatspraxis wird in der juristischen Literatur Kritik geltend gemacht. Diese stützt sich vor allem auf den Einwand der Bildung parteipolitischer „Erbhöfe“.7 Geltend gemacht 2 Vgl. nur: Kischel, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 69 Rn. 21 ff.; Meyer, in: Münch/Kunig Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 94 GG Rn. 11 ff.; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 13. Aufl. 2014, Art. 94 GG Rn. 43 ff.; Wieland, in: Dreier Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 94 GG Rn. 13 ff. 3 Wieland, in: Dreier Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 94 GG Rn. 13. 4 Kischel, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 69 Rn. 21. 5 Kischel, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 69 Rn. 22. 6 Kischel, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 69 Rn. 24. 7 Vgl. umfassend m.w.N.: Kischel, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 69 Rn. 27 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 151/17 Seite 5 wird aber auch die Intransparenz des Auswahlverfahrens sowie eine Vereinheitlichung der eigentlich getrennten Auswahlverfahren in Bundestag und Bundesrat.8 Die kritischen Stimmen sind dabei überwiegend rechtspolitischer Natur, die hinsichtlich einzelner Teile des Verfahrens aber auch durchaus den Einwand der Verfassungswidrigkeit aufwerfen.9 *** 8 Kischel, in: Handbuch des Staatsrechts Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 69 Rn. 24, 26. 9 Vgl. etwa zur Ablehnung des „großen Vorschlagsrechts“: Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 13. Aufl. 2014, Art. 94 GG Rn. 47.