© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 151/16 Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass einer Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkflächen an stationsbasierte Carsharingunternehmen auf den Straßen der Länder Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 2 Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass einer Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkflächen an stationsbasierte Carsharingunternehmen auf den Straßen der Länder Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 151/16 Abschluss der Arbeit: 3. Juni 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Regelung im E-CsgG (Stand 7. April 2015) zu standortbasiertem Carsharing und im Gesetzentwurf enthaltene Aussagen zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes 5 3. Meinungsstreit um die Frage der Gesetzgebungskompetenz für eine bundesgesetzliche Regelung für stationsbasiertes Carsharing auf allen Straßen 6 3.1. Auffassung von Degenhart 6 3.2. Stellungnahme von BMI und BMJV 7 4. Bewertung der unterschiedlichen Auffassungen 8 5. Zusammenfassung des Ergebnisses 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 4 1. Fragestellung Die Bundesregierung hat einen „Entwurf eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing“ (E- CsgG)1 erarbeitet. Ziel des Gesetzes ist die „Förderung einer nachhaltigen umwelt- und klimafreundlichen Mobilität, die Wahrung des wirtschaftlichen Wachstums und der Erhalt des Innovationsstandorts Deutschland“.2 Ausweislich der Begründung zu diesem Entwurf, gilt die darin vorgesehene Ermächtigungsgrundlage zur Zuweisung von Parkplätzen an Carsharingunternehmen mit sogenanntem stationsbasiertem Konzept nur für die Bundesstraßen (§ 5 E-CsgG) und nicht auch für die Landes-, Kreisund Kommunalstraßen (im Weiteren als „Straßen der Länder“ bezeichnet).3 Die Länder werden in der Begründung des Gesetzentwurfs aufgefordert, für Straßen in ihrer Gesetzgebungskompetenz vergleichbare Regelungen für die stationsbasierten Carsharingunternehmen zu schaffen.4 Von Seiten der Carsharingunternehmen ist demgegenüber der Wunsch geäußert worden, dass durch den Bundesgesetzgeber eine bundeseinheitliche Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkplätzen für stationsbasiertes Carsharing auch für die Straßen der Länder geschaffen wird, um eine Zersplitterung in 17 verschiedene Gesetze zu vermeiden.5 In seinem Gutachten im Auftrag der Universität Kassel6 vertritt Degenhart die Auffassung, dass der Bund auch über die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass einer solchen Ermächtigungsgrundlage für die Straßen der Länder verfügt.7 Auf der Basis dieser Auffassung könnte der Wunsch nach einer bundeseinheitlichen Regelung im Grundsatz erfüllt werden. Das Bundesministerium des Innern (BMI) und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) haben in einer gemeinsamen Stellungnahme dem Gutachten von Degenhart in diesem Punkt jedoch widersprochen.8 Vor diesem Hintergrund sind die Wissenschaftlichen Dienste gebeten worden, auf der Basis der Argumentation von Degenhart zu prüfen, ob dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz für die 1 Der Gesetzentwurf ist derzeit nicht veröffentlicht. Den Wissenschaftlichen Diensten liegt eine Fassung des Gesetzentwurfs mit Bearbeitungsstand vom 7. April 2016 vor. 2 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 9. 3 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 12, 22. 4 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 12. 5 Wachholtz, Der lange Weg zum Carsharinggesetz - eine Positionsbestimmung des Bundesverbandes CarSharing e. V.: http://www.carsharing.de/politik/carsharing-stellplaetze/lange-weg-zum-carsharinggesetz-positionsbestimmung -des. 6 Das Gutachten wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) initiierten Forschungsprogramms der Universität Kassel erstellt, vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Leidig vom 14. März 2016, BT-Drs. 18/7585, S. 44. 7 Degenhart, Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Carsharing-Gesetz, Rechtsgutachten, September 2015 – soweit ersichtlich, wurde dieses Gutachten bisher nicht veröffentlicht. 8 BMI und BMJV, Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Carsharing-Gesetz, insbesondere für eine Regelung zum stationsgebundenen Carsharing, undatiert und – soweit ersichtlich – nicht veröffentlicht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 5 Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkplätzen für stationsbasiertes Carsharing auch auf den Straßen der Länder zusteht. 2. Regelung im E-CsgG (Stand 7. April 2015) zu standortbasiertem Carsharing und im Gesetzentwurf enthaltene Aussagen zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes Inhaltlich unterscheidet der Entwurf des Carsharinggesetzes zwischen zwei verschiedenen Angebotsmodellen : Einerseits dem „stationsunabhängigen Carsharing“, bei dem die Fahrzeuge von den Nutzern beliebig im öffentlichen Verkehrsraum abgeholt und abgestellt werden können, und andererseits dem „stationsbasierten Carsharing“, bei dem die Fahrzeuge nur auf vorab festgelegten Parkplätzen des Carsharinganbieters abgeholt und abgestellt werden dürfen. Für beide Gruppen sieht der Gesetzentwurf zunächst verschiedene Bevorrechtigungen vor, die in der Straßenverkehrsordnung (STVO9) festgelegt werden sollen (z.B. Möglichkeit des gebührenfreien Parkens, besondere Verkehrsschilder, § 3 E-CsgG).10 Ein Unterschied ergibt sich aber für die beiden Gruppen in Bezug auf das Parken des Autos nach dem Ende der Mietzeit. Während die Nutzer des stationsunabhängigen Carsharingkonzepts genau wie andere Autofahrer den öffentlichen Verkehrsraum zum Parken nutzen, sind die Anbieter des stationsbasierten Konzepts auf Park- bzw. Abstellplätze zur alleinigen Nutzung angewiesen.11 Daher sieht § 5 Abs. 1 S. 1 E-CsgG für die Bundesstraßen vor, dass „die nach Landrecht zuständigen Behörden zum Zwecke der Nutzung als Stellfläche für stationsbasierte Carsharingfahrzeuge geeignete Flächen an Ortsdurchfahrten“ bestimmen können. Die Beschränkung des § 5 Abs. 1 S. 1 E-CsgG auf Bundesstraßen spiegelt sich auch in den Erläuterungen des Gesetzentwurfs zu den Gesetzgebungskompetenzen wider. Darin wird zwischen den Regelungen zur Bevorrechtigung beider Gruppen (insbesondere nach § 3 E-CsgG) und der Regelung über die Zuweisung von Abstellplätzen auf Bundesstraßen für das für stationsbasierte Carsharing (§ 5 E-CsgG) unterschieden.12 Der Schwerpunkt der Regelungen über die Bevorrechtigungen für beide Gruppen wird im Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) sowie der Luftreinhaltung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 Var. 2 GG), jedoch ausdrücklich nicht im Straßenverkehrsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Var. 1 GG) gesehen. Hinsichtlich der Park- und Abstellplätze auf Bundesstraßen für stationsbedingtes Carsharing wird erläutert, dass dies eine Sondernutzung des öffentlichen Straßenraums darstelle, so dass der Schwerpunkt im Straßenrecht liege. Diese Regelung 9 Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 15. September 2015 (BGBl. I S. 1573) geändert worden ist. 10 Siehe dazu auch die Begründung des E-CsgG (Fn. 1), S. 10. 11 Roßnagel, Alexander/Anschütz, Maria, Sonderregeln für Carsharing aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes ?, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2015, S. 105 (106). 12 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 11 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 6 wird im Gesetzentwurf daher auf die straßenrechtliche Kompetenz des Bundes für die Bundesstraßen gestützt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Var. 3 GG13). Eine entsprechende straßenrechtliche Gesetzgebungskompetenz für die Straßen der Länder stehe dem Bund nicht zu.14 3. Meinungsstreit um die Frage der Gesetzgebungskompetenz für eine bundesgesetzliche Regelung für stationsbasiertes Carsharing auf allen Straßen Wie eingangs erwähnt, ist Degenhart der Auffassung, dass der Bund auch über die Kompetenz verfügt, eine Ermächtigung zur Zuweisung von Abstellplätzen von stationsbasiertem Carsharing auch auf den Straßen der Länder zu schaffen (dazu unten Ziff. 3.1.).15 Dem haben die Verfassungsressorts des BMI und BMJV widersprochen (dazu unten Ziff. 3.2.). Im Hinblick auf die Argumentation von Degenhart bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, wobei allerdings das Bundesverfassungsgericht bisher noch keine trennscharfe Abgrenzung für diese Fälle vorgenommen hat (dazu unten 3.3.). 3.1. Auffassung von Degenhart Zunächst erläutert Degenhart in seinem Gutachten, dass die Zuweisung besonderer Parkflächen für Carsharingunternehmen auch in den Bereich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes „Straßenverkehr “ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG fallen kann. Insbesondere sei vom Straßenverkehr auch der „ruhende“ Verkehr umfasst, weshalb ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch das Parken auf öffentlichen Straßen Gegenstand des Rechts des Straßenverkehrs sei. Bei den Carsharingfahrzeugen handele es sich um zugelassene und betriebsbereite Fahrzeuge, die aktuell genutzt werden sollen und daher konkret „betriebsgwidmet“ seien.16 Daher handele es sich dabei auch nicht um eine Sondernutzung der Straßen der Länder, für die den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zukomme. Das Parken entspreche auch beim Carsharing dem widmungsgemäßen Gebrauch des Straßenraums, so dass es sich um Gemeingebrauch und nicht um eine Sondernutzung handeln würde.17 Überdies gebe es vergleichbare Beschränkungen im Straßenverkehrsrecht, die keine Sondernutzung darstellen, wie für Taxistände und Anwohnerparkplätze sowie insbesondere für Behindertenparkplätze.18 Degenhart erkennt aber auch, dass das Straßenverkehrsrecht traditionell als Ordnungsrecht bzw. Gefahrenabwehrrecht gesehen wird, so dass sich das Carsharinggesetz, das vornehmlich den Um- 13 Der Kompetenztitel „Bau und Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr“ bezieht sich auf Bundesfernstraßen , zu denen die Bundesautobahnen und die Bundesstraßen gehören (§ 1 Abs. 2 FStG). Vgl. dazu Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band II, 6. Auflage 2010, Art. 74 Rdnr. 156. 14 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 22. 15 Degenhart (Fn. 7). 16 Zum ganzen Absatz: Degenhart (Fn. 7), S. 21 f. 17 So auch Roßnagel/Abschütz, Sonderregeln für Carsharing aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes?, in: Hebeler u.a. (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt und Technikrechts, 2015, S. 105, 107 ff. 18 Zum Ganzen: Degenhart (Fn. 7), S. 27 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 7 welt- und Klimaschutz fördern wolle, nicht uneingeschränkt in dieses tradierte ordnungsrechtliche Muster einfüge.19 Der Umfang der Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes dürfte jedoch nicht nur dadurch definiert werden, welche einfachen Gesetze bisher auf dieser Grundlage erlassen wurden (hier: Straßenverkehrsgesetz). Die Definition müsse sich vielmehr an die gewandelten Anforderungen anpassen und im Falle der Kompetenz „Straßenverkehr“ auch umweltbezogene Auswirkungen des Verkehrs einbeziehen.20 Somit verfüge der Bund auch über die Kompetenz zur Erweiterung des § 5 E-CsgG auf die Straßen der Länder. Diese könne er auf die Kompetenztitel Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG), Luftreinhaltung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) und Straßenverkehr (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) stützen. Zwar sehe Art. 72 Abs. 2 GG für die Kompetenztitel Recht der Wirtschaft und Straßenverkehr eine Erforderlichkeitsprüfung vor, dies gelte jedoch nicht für den Kompetenztitel Luftreinhaltung . Wenn dem Bund aber für ein Gesetz ein Kompetenztitel zur Verfügung stehe, für den keine Erforderlichkeitsprüfung erfolgen muss, so entfalle diese Pflicht auch im Hinblick auf die anderen, der Erforderlichkeitsprüfung unterliegenden Kompetenztitel.21 3.2. Stellungnahme von BMI und BMJV Die Verfassungsressorts BMI und BMJV folgen Degenhart nicht darin, dass der Bund auch über die Kompetenz zur Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkplätzen an stationsbasierte Carsharingunternehmen für die Straßen der Länder verfügt. Es handele sich dabei um eine Sondernutzung, so dass eine entsprechende gesetzliche Regelung einen straßenrechtlichen Schwerpunkt habe und in die Gesetzgebungskompetenz der Länder falle. Es sei nicht zutreffend, dass sich das Parken der Carsharingkunden bei standortbasierten Konzepten noch im Gemeingebrauch bewege. Diese Argumentation stelle zu einseitig auf die Perspektive der Carsharingkunden ab. Es sei jedoch mit Blick auf den grundsätzlichen Vorrang des Straßen- und Wegerechts gegenüber dem Straßenverkehrsrecht wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht auf die Sicht der Carsharingunternehmer abstellen würde. Den Unternehmen werde der Straßenraum jedoch nicht zur Verkehrsteilnahme, sondern zur gewerblichen Nutzung überlassen, die jedoch in der Regel eine Sondernutzung darstelle.22 Darüber hinaus habe Degenhart zwar zutreffend festgestellt, dass es auch im Straßenverkehrsrecht Regelung mit gewisser widmungsrechtlicher Relevanz gibt. Der im Gutachten angeführte Vergleich mit den personenbezogenen Behindertenparkplätzen laufe jedoch fehl. Denn anders als beim Behindertenparkplatz, der eine höhere Sicherheit des Straßenverkehrs gewährleisten soll, fehle es dem Carsharingplatz an der für solche Beschränkungen im Straßenverkehrsrecht erforderlichen ordnungsrechtlichen Funktion.23 19 Degenhart (Fn. 7), S. 23 f. 20 Degenhart (Fn. 7), S. 25 f. 21 Zum Ganzen: Degenhart (Fn. 7), S. 35 ff. 22 Zum Ganzen: BMI und BMJV (Fn. 8) S. 5 f. 23 Zum Ganzen: BMI und BMJV (Fn. 8) S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 8 Schließlich könne auch die Auffassung Degenharts nicht überzeugen, dass eine Erforderlichkeitsprüfung nicht notwendig sei, wenn für einen der möglichen Kompetenztitel dies nicht vorgesehen ist (hier: Luftreinhaltung). Dies wäre allenfalls dann zulässig, wenn der Schwerpunkt der gesetzlichen Regelung eindeutig in der Luftreinhaltung zu sehen und ein Rückgriff auf den Kompetenztitel Recht der Wirtschaft nicht notwendig sei. Wann es tatsächlich durch das Carsharing zu weniger Fahrten und damit zu weniger Luftverunreinigung komme, sei nicht gesichert und daher nur einer unter mehreren Aspekten des Gesetzesvorhabens. Es müsse daher auch auf den Kompetenztitel Recht der Wirtschaft zurückgegriffen werden, für den aber eine Erforderlichkeitsprüfung durchgeführt werden müsse. 4. Bewertung der unterschiedlichen Auffassungen Da die vorliegende Frage noch nicht vom Bundesverfassungsgericht entschieden wurde, kann weder die Meinung von Degenhart noch die Gegenmeinung in der Stellungnahme von BMI und BMJV als verfassungsrechtlich falsch bewertet werden. Die Auffassung von BMI und BMJV, die der nun in dem Entwurf des Carsharinggesetzes gefundenen Lösung entspricht und die die Erweiterung der Ermächtigungsgrundlage in § 5 E-CsgG für die Straßen der Länder auf der Basis des Kompetenztitels Straßenverkehr (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) ablehnt, kann sich auf die tradierte Auslegung dieses Kompetenztitels stützen und birgt insoweit ein geringes verfassungsrechtliches Risiko. Eine Reihe von Argumenten in Degenharts Rechtsgutachten ist ebenfalls durchaus vertretbar. So ist es z.B. zutreffend, dass der ruhende Verkehr und sogar das Dauerparken zum Straßenverkehrsrecht gehören können.24 Auch aus Sicht der Nutzer der Carsharingfahrzeuge, stellt sich die Einrichtung besonderer Parkflächen für Unternehmen mit stationsbasierten Konzepten als Privilegierung im Straßenverkehr dar. Dennoch begegnen der Meinung Degenharts, dass deshalb die Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkplätzen an stationsbasiertes Carsharing auf den Kompetenztitel Straßenverkehr gestützt werden könnte, verfassungsrechtlichen Bedenken. In dem Meinungsstreit geht es letztlich um die Abgrenzung zwischen Straßenrecht (Länderkompetenz , BMI und BMJV) und Straßenverkehrsrecht (Bundeskompetenz, Degenhart). Nach der schon lange geltenden herrschenden Meinung ist das Straßenverkehrsrecht als sachlich begrenztes Ordnungsrecht anzusehen.25 Danach dient es dazu, einerseits die vom Straßenverkehr für seine Teilnehmer und Dritte drohenden Gefahren abzuwehren und andererseits solchen Gefahren zu begegnen, die von außen auf den Straßenverkehr einwirken.26 Ausweislich seiner Begründung liegt die Motivation für den Erlass des Carsharinggesetzes jedoch nicht in der Gefahrenabwehr, 24 BVerfGE 67, 299, 315 ff. m.n.N. 25 BVerfGE 40, 371, 380; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, 23. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 1984), Art. 74 Rdnr. 238; Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 6. Auflage 2012, Art. 74 Rdnr. 95; Wittreck, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 3. Auflage 2015, Art. 74 Rdnr. 108; Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band II, 6. Auflage 2010, Art. 74 Rdnr. 154; Seiler, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar GG, Stand: 01.09.2015 (Edition 28), Art. 74 Rdnr. 82. 26 Wittreck, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 3. Auflage 2015, Art. 74 Rdnr. 108 m.w.N. aus der Rechtsprechung . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 9 sondern in der „Förderung einer nachhaltigen umwelt- und klimafreundlichen Mobilität, der Wahrung des wirtschaftlichen Wachstums und dem Erhalt des Innovationsstandorts Deutschland “.27 Dieses gesetzgeberische Ziel fügt sich daher nicht, bzw. nicht uneingeschränkt, wie Degenhart selbst formuliert,28 in die tradierte Interpretation des Kompetenztitels Straßenverkehr ein. Nach Degenhart müsse sich die Definition der Kompetenztitel jedoch an die geänderten Anforderungen anpassen.29 Nach hiesiger Auffassung überzeugt diese Argumentation Degenharts für die vorliegende Fallkonstellation jedoch nicht. Es geht hier um die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und den Ländern. Diese Kompetenzen verhalten sich zueinander wie kommunizierende Röhren. Wird eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes erweitert, verringert sich notwendigerweise die Gesetzgebungskompetenz der Länder in diesem Bereich (Art. 70 Abs. 1 GG). Führt eine neue, angepasste Interpretation von Kompetenztiteln dazu, dass die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes erweitert werden, verringern sich die der Länder entsprechend. Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes kann jedoch nur durch den verfassungsändernden Gesetzgeber (Art. 79 Abs. 2 GG) und nicht durch den einfachen Gesetzgeber geändert werden. Aus diesem Grunde misst auch das Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung von Kompetenztiteln der Verfassungstradition großes Gewicht bei. So hat es gerade auch die verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Kompetenztitels Straßenrecht bis zum Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 zurückverfolgt und seine Interpretation des Titels maßgeblich darauf gestützt.30 Daher bestehen nach hiesiger Auffassung verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Argumentation Degenharts, dass auch Vorschriften auf den Kompetenztitel Straßenrecht gestützt werden können, die im Schwerpunkt keine ordnungsrechtlichen Ziele verfolgen und daher nicht dem tradierten ordnungsrechtlichen Muster dieses Kompetenztitels entsprechen. Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht noch keine trennscharfe Abgrenzung zwischen dem Kompetenztitel Straßenverkehr und dem in der Länderkompetenz liegenden Straßen - und Wegerecht vorgenommen hat.31 Daher erscheint es nicht gänzlich unmöglich, dass das Bundesverfassungsgericht, würde es einmal mit der vorliegenden Frage befasst, von der tradierten Interpretation des Kompetenztitels abweicht und sich möglicherweise der Lösung Degenharts anschließt. Schließlich hat wohl der Streit um die Notwendigkeit einer Erforderlichkeitsprüfung letztlich keine praktische Relevanz. Es wird – soweit ersichtlich – von keiner Seite behauptet, dass die Regelung durch den Bund schon gar nicht erforderlich ist und aus diesem Grunde keine Bundes- 27 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 9. 28 Degenhart (Fn. 7), S. 24. 29 Degenhart (Fn. 7), S. 25 f. 30 BVerfGE 67, 299, 315 ff. 31 BVerfGE 67, 299, 315; Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band II, 6. Auflage 2010, Art. 74 Rdnr. 154. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 151/16 Seite 10 kompetenz bestehen würde. Für den Entwurf des Carsharinggesetzes wurde eine solche Erforderlichkeitsprüfung durchgeführt und in der Begründung des Entwurfs ausführlich und überzeugend dargestellt.32 5. Zusammenfassung des Ergebnisses Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf eine Ermächtigungsgrundlage für die Zuweisung von Parkplätzen (Abstellflächen) für standortbasiertes Carsharing nur für die Bundestraßen vorgesehen (§ 5 E-CsgG). Nach Auffassung der Bundesregierung kann der Bund dies nicht auch für die Straßen der Länder regeln, weil sie die exklusive Nutzung der Parkplätze durch ein Carsharingunternehmen als straßenrechtliche Sondernutzung ansieht. Für Sondernutzungen auf Straßen der Länder liegt die Gesetzgebungskompetenz jedoch bei den Ländern. Insbesondere die Carsharingunternehmen setzen sich jedoch für eine entsprechende bundesgesetzliche Regelung auch für die Straßen der Länder ein, um eine Zersplitterung der Ermächtigungsgrundlagen in insgesamt 17 Gesetzen zu vermeiden. Ein Rechtsgutachten von Degenhart kommt zu dem Ergebnis, dass dem Bund insoweit auch für die Straßen der Länder die Gesetzgebungskompetenz nach dem Kompetenztitel Straßenverkehr (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG) zusteht. Auch wenn eine Reihe von Degenharts Argumenten durchaus vertretbar erscheint, bestehen an seinem Ergebnis verfassungsrechtliche Bedenken. Diese ergeben sich daraus, dass der Kompetenztitel Straßenverkehr im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG in seiner bis heute von der herrschenden Meinung vertreten Tradition als spezifisches Ordnungsrecht angesehen wird. Aus der Begründung des Entwurfs zum Carsharinggesetz ergibt sich jedoch, dass Ziel dieses Gesetzes nicht ordnungsrechtliche Gesichtspunkte, sondern Gesichtspunkte des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Wirtschafts- und Innovationsförderung sind. Nach Degenhart müsse sich die Auslegung des Kompetenztitels Straßenverkehr jedoch an die neuen Verhältnisse anpassen und z.B. Klimaschutzaspekte im Rahmen des Straßenverkehrsrechtes zulassen. Mit einer solchen interpretatorischen Erweiterung des Kompetenztitels Straßenrechts zugunsten des Bundes geht jedoch notwendigerweise eine Reduzierung der Länderkompetenzen im Straßenrecht einher. Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes und damit die Reichweite der Bundes- und Landeskompetenzen kann jedoch nicht der einfache, sondern nur der verfassungsändernde Gesetzgeber (Art. 79 Abs. 2 GG) ändern. Daher ist es nach hiesiger Auffassung verfassungsrechtlich bedenklich, wenn der Bund auf der Basis des Kompetenztitels Straßenverkehr die Regelung des § 5 E-CsgG auch auf die Straßen der Länder erweitern würde. Ende der Bearbeitung. 32 Gesetzentwurf (Fn 1), S. 12.