Religionsrechtliche Regelungen für Juden und Muslime - Sachstand - © 2006 Deutscher Bundestag WF III G -151/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Mitgliedschaft im Zentralrat der Juden Sachstand WF III G -151/06 Abschluss der Arbeit: 20.04.2006 Fachbereich III: Verfassung und Verwaltung Telefon: Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Der vorliegende Sachstand soll Informationen darüber liefern, wie Juden Mitglied im Zentralrat der Juden werden bzw. von diesem repräsentiert werden und der Frage nachgehen , ob eine ähnliche religionsrechtliche Regelung für Muslime möglich ist. 2. Mitgliedschaft im Zentralrat der Juden Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Dachverband der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland mit über 105.000 Mitgliedern. Er setzt sich aus 26 Landesverbänden zusammen. Derzeit sind 87 jüdische Gemeinden in den Landesverbänden/Mitgliedsverbänden organisiert. 2.1. Aufgaben des Zentralrats Der Zentralrat ist eine Körperschaft des öffentlichen rechts und verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Zu den Aufgaben des Zentralrats zählen: die Förderung und Pflege religiöser, kultureller und sozialer Aufgaben der jüdischen Gemeinschaft die Vertretung der gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder und die Unterstützung der Arbeit der Landesverbände, Gemeinden und der Zentralwohlfahrtsstelle . 2.2. Organisationsstruktur Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat drei Organe: die Ratsversammlung (Gemeindevertretung), das Direktorium (Vertretung der Landesverbände und Großgemeinden) das Präsidium (Exekutive). Die Ratsversammlung ist das oberste Entscheidungsgremium des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat Richtlinienkompetenz, verabschiedet den Haushalt und überwacht die Arbeit der Exekutive. Sie entscheidet über alle Grundsatzfragen der jüdischen Gemeinschaft , wobei die Autonomie der einzelnen Mitgliedsgemeinden höchste Priorität - 4 - hat. Der Ratsversammlung gehören alle Landesverbände und einzelne Großgemeinden (Berlin, München, Frankfurt und Köln) an. Zu der mindestens einmal im Jahr stattfindenden Ratsversammlung wird für je 1000 Gemeindemitglieder ein Delegierter entsandt . Die Ratsversammlung wählt aus ihrer Mitte für die Dauer von vier Jahren drei Mitglieder in das Präsidium des Zentralrats. Das Direktorium setzt sich aus von den einzelnen Mitglieds- und Landesverbänden entsandten Vertretern zusammen. Es überwacht die Tätigkeit des Präsidiums und wählt den Generalsekretär bzw. Geschäftsführer. Jeder Landesverband entsendet pro angefangene 5000 Gemeindemitglieder einen Vertreter. Das Direktorium wählt aus seiner Mitte sechs Mitglieder, die für die Dauer von vier Jahren dem Präsidium angehören. Das Präsidium führt die Geschäfte des Zentralrats. Es hat insgesamt neun Mitglieder und wählt aus seinen Reihen den Vorstand bestehend aus dem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten, die den Zentralrat der Juden in der Öffentlichkeit vertreten. Der Generalsekretär führt die laufenden Geschäfte des Zentralrats und wird für fünf Jahre gewählt. 2.3. Mitgliedschaft in den Gemeinden und Landesverbänden Nach den Meldegesetzen der einzelnen Bundesländer dürfen die Meldebehörden einer öffentlich rechtlichen Religionsgesellschaft aus dem Melderegister Daten der Mitglieder übermitteln. Hierdurch können die Meldepflichtigen den einzelnen jüdischen Gemeinden zugeordnet werden. Sofern meldepflichtige Personen auf dem Anmeldeschein keine Angaben hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer konkreten öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft machen , sind sie zunächst auf die nach innerkirchlichem Recht bestehende Pflicht zur Mitteilung der Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft hinzuweisen. Machen die Betroffenen gegenüber der Meldebehörde gleichwohl keine Angaben zur Frage der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft, ist im Melderegister der Hinweis „ohne Angabe “ zu speichern. - 5 - 3. Überblick über die bundesweiten islamischen Spitzenorganisationen Seit den 1980er Jahren haben sich im deutschen Islam Spitzenverbände etabliert, die den Anspruch vertreten, die Muslime überregional gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit zu vertreten. Vielfach stehen diese Organisationen in enger Verbindung zu einem der großen Dachvereinigungen der Moscheevereine. In Frage steht immer wieder auch, inwieweit diese Spitzenorganisationen legitimiert sind, "die" Muslime zu vertreten . Gläubige Muslime sind weniger fest organisiert als Christen.1 Der eine Gott, Allah, wird in großer Vielgestaltigkeit verehrt. Die Vielfalt der islamischen Religionsausübung hat sein Wurzeln in unterschiedlichen „Schulen“, die sich teilweise erbittert bekämpfen. Es gibt keine formalen Konfessionen oder gar Amtskirchen im westlichen Sinne. Die Vielgestaltigkeit des Islams hat auch in Deutschland zahlreiche islamische Moscheenund Kulturvereine entstehen lassen, die sich wiederum zu Verbänden zusammengeschlossen haben. 3.1. Zentralrat der Muslime in Deutschland Der 1994 gegründete Zentralrat hat sich insbesondere seit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 als überregionaler Ansprechpartner profiliert. Er repräsentiert eine größere Anzahl kleinerer islamischer Moscheeverbände, die in Bezug auf ihre ethnische Zuordnung meist nicht-türkisch sind. Die einstmals bedeutendste Organisation im Zentralrat , der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), ist im Jahr 2000 ausgeschieden . Grund war ein Kurswechsel innerhalb des VIKZ. 3.2. Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland Der Islamrat wurde 1987 gegründet und kann eindeutig als von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs dominiert gelten. Der Islamrat ist über die von ihm repräsentierten Verbände die an Mitgliedern stärkste Spitzenorganisation. 3.3. DITIB Die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V." (Diyanet Isleri Türk Islam Birligi - DITIB) steht in enger Verbindung zum Präsidium für Religionsangelegenheiten in der Türkei. Deshalb repräsentiert der Verband den türkischen Staatsislam und damit auch das Prinzip der Laizität, der Trennung von Staat und Religion, wie es in der Türkei praktiziert wird. Das bedeutet beispielsweise die strikte Unterordnung der 1 Kloepfer, Der Islam in Deutschland als Verfassungsfrage, in: DÖV 2006, S. 45-55 (45). - 6 - Religion unter die Staatsideologie und die Kontrolle der Religion durch den Staat. Als staatsnaher Verband ist die DITIB immer auch abhängig von der Politik der aktuellen türkischen Regierung. 4. Voraussetzungen für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts für Muslime In neuerer Zeit wird diskutiert, ob auch Religionsgemeinschaften, die nicht der jüdischchristlichen Tradition entstammen, den Körperschaftsstatus erlangen können. Die historisch gewachsenen Konzeption geht von einer Religionsgemeinschaft aus, die als öffentlich -rechtlicher Verband strukturelle Ähnlichkeiten mit einer hoheitlichen Gebietskörperschaft besitzt, der alle Gläubigen eines bestimmten Gebietes angehören, und die befugt ist, deren religiöse Angelegenheiten umfassend zu vertreten.2 Eine Religionsgemeinschaft muss deshalb gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV die „Gewähr der Dauer“ aufgrund ihrer Mitgliederzahl und durch ihre „Verfassung“ bieten,3 wenn sie den Status einer Körperschaft erhalten will. Voraussetzung für die Verleihung des Körperschaftsstatus gem. Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV ist neben dem ungeschriebenen Merkmal der Rechtstreue, das Vorliegen eines Antrags, die Eigenschaft des Antragstellers als Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft sowie die aus ihrer Verfassung und der Zahl der Mitglieder resultierenden Gewähr der Dauer. Die Religionsgemeinschaft muss über einen längeren Zeitraum bestanden haben und auch über eine hinreichende Finanzausstattung verfügen. Um nach Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV die Gewähr der Dauer zu bieten, muss die Religionsgemeinschaft so strukturiert sein, dass sie in der Lage ist, mit dem Staat in den vielen Bereichen, die mit der Verleihung des Körperschaftsstatus verbunden sind, langfristig zusammenzuarbeiten. Eine derartige Kooperationsfähigkeit setzt voraus, dass es eine eindeutige Regelung der Vertretung nach außen gibt. Vor allem bedarf es einer Instanz, die authentisch und verbindlich über Lehre und Ordnung zu entscheiden hat und hierüber Auskunft geben kann.4 Eine derartige auf Dauer eingerich- 2 Kloepfer, S.48. 3 Hollerbach, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VI, Heidelberg 2001, § 138 Rn. 135. 4 Hollerbach in: Isensee/ Kirchhof, § 138 Rn. 135. - 7 - tete Autorität ist dem Islam jedoch fremd.5 Hieran wird eine Regelung ähnlich wie der für den Zentralrat der Juden und die christlichen Kirchen nach der derzeit gültigen Rechtsordnung scheitern.6 5 Siehe hierzu auch Rohe, Zur Stellung des Islam in der deutschen Rechtsordnung, In: Christen und Muslime : Verantwortung zum Dialog, hrsg. Von den Evangelischen Akademien in Deutschland, Darmstadt 2006, S.217-228 (229). 6 Diese Frage hat Kloepfer, S. 45-55 (52) bewusst offen gelassen.