© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 150/20 Abschiebungshaft bei Minderjährigen und Familien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 150/20 Seite 2 Abschiebungshaft bei Minderjährigen und Familien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 150/20 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 150/20 Seite 3 1. Fragestellung Im Folgenden werden Fragen zur Anordnung von Abschiebungshaft bei Familien, Minderjährigen und schwangeren Frauen beantwortet. Die Regelungen zur Abschiebungshaft sind im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) normiert.1 Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2019 3.806 Abschiebungen von Minderjährigen vollzogen.2 Statistiken zur Zahl der Minderjährigen in Abschiebungshaft liegen nicht vor. 2. Abschiebungshaft Ausländer, die über keinen Aufenthaltstitel bzw. kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, sind ausreisepflichtig und müssen das Bundesgebiet unverzüglich oder bis zum Ablauf einer gesetzten Ausreisefrist verlassen, § 50 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG. Wird der Ausreispflicht nicht freiwillig nachgekommen, kann diese mit der Abschiebung durchgesetzt werden. Ein Ausländer ist gem. § 58 AufenthG abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Damit die Abschiebung nicht fehlschlägt, sieht das AufenthG die Möglichkeit der Inhaftierung nach Maßgabe der §§ 62, 62a, 62b AufenthG vor. Dabei wird zwischen der Haft zur Vorbereitung der Abschiebung (Vorbereitungshaft), der Haft zur Sicherung der Durchführung der Abschiebung (Sicherungshaft), der Mitwirkungshaft und dem Ausreisegewahrsam unterschieden.3 Die Vorbereitungshaft gem. § 62 Abs. 2 AufenthG kann in Fällen angeordnet werden, in denen über die Ausweisung oder Abschiebungsanordnung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Die Sicherungshaft gem. § 62 Abs. 3 AufenthG betrifft insbesondere Fälle, in denen Fluchtgefahr besteht oder eine Abschiebungsanordnung gegen einen Ausländer nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Der Sicherungshaft kann eine Mitwirkungshaft vorausgehen, welche gem. § 62 Abs. 6 AufenthG im Einzelfall zulässig ist, um bestimmte Kooperationshandlungen durchzusetzen. Der Ausreisegewahrsam gem. § 62b AufenthG erlaubt unabhängig von einer Fluchtgefahr die Haft eines ausreisepflichtigen Ausländers zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung in sehr eng begrenzten Fällen. 1 In englischer Sprache zu finden unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_aufenthg/index.html. 2 BT-Drs. 19/18201, S. 9. 3 Nach § 15 Abs. 5 AufenthG besteht zudem die Möglichkeit der Zurückweisungshaft. Nach dieser Norm soll ein Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung – d.h. zur Hinderung der unerlaubten Einreise an der Grenze – auf richterliche Anordnung in Haft genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Die Zurückweisungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden und unter strengen Voraussetzungen darüber hinaus verlängert werden, vgl. §§ 15 Abs. 5 i.V.m. § 62 Abs. 4 AufenthG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 150/20 Seite 4 2.1. Abschiebungshaft bei Minderjährigen Die genannten Regelungen sind grundsätzlich auch auf Minderjährige, sowohl unbegleitet als auch in Begleitung ihrer Familie, anwendbar. Hierbei ist zu beachten, dass die Anordnung der Abschiebungshaft gem. § 62 Abs. 1 AufenthG nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur zulässig ist, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel nicht erreicht werden kann. Mildere Mittel zur Vermeidung der Abschiebungshaft für Minderjährige oder Familien mit Kindern können etwa die Unterbringung in Kinder- und Jugendeinrichtungen, Meldeauflagen und räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsortes sein. § 62 Abs. 1 S. 3 AufenthG bestimmt ferner, dass unbegleitete Minderjährige und Familien mit minderjährigen Kindern nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden dürfen, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Nach Ziffer 62.0.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift4 zum AufenthG sollen Minderjährige, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft genommen werden. Minderjährige Ausländer, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen vielmehr bis zur Abschiebung regelmäßig in der bisherigen Unterkunft untergebracht werden. Die Jugendämter sind gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zur Inobhutnahme ausländischer unbegleiteter Kinder und Jugendlicher verpflichtet. Im Falle einer Inhaftierung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings hat die Ausländerbehörde im Hinblick auf eine angemessene Berücksichtigung des Kindeswohls mit dem zuständigen Jugendamt Kontakt aufzunehmen. Nach der Ziffer 62.0.5 der Verwaltungsvorschrift soll bei Familien mit minderjährigen Kindern zudem in der Regel Abschiebungshaft nur für einen Elternteil beantragt werden. Nach der gängigen Verwaltungspraxis wird die Abschiebungshaft nur für den Vater angeordnet, während die Mutter in der Regel bei den minderjährigen Kindern verbleibt. § 62a Abs. 1 AufenthG sieht vor, dass im Fall der Inhaftierung mehrerer Angehöriger einer Familie diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen gemeinsam unterzubringen sind und ihnen ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten ist.5 § 62a Abs. 3 AufenthG bestimmt für minderjährige Abschiebungsgefangene unter Beachtung der Maßgaben in Art. 17 der Rückführungsrichtlinie6, dass alterstypische Belange zu berücksichtigen sind. 2.2. Abschiebungshaft bei schwangeren Frauen Grundsätzlich können auch schwangere Frauen in Abschiebungshaft genommen werden. Allerdings ist auch hierbei immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Aus diesem folgt, dass die mit einer Haft einhergehenden Beeinträchtigungen des Inhaftierten nicht außer Verhältnis zu dem durch die Haft verfolgten Zweck stehen dürfen. Im Einzelfall kann die Inhaftierung einer 4 Eine Verwaltungsvorschrift ist eine verwaltungsinterne Handlungsanweisung und Leitlinie für Entscheidungen von Verwaltungsbeamten. 5 Diese Regelung, wie auch die Orientierung der Haftdauer am Kindeswohl, dient der Einhaltung der Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (KRK), insbesondere Art. 20 KRK. 6 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 150/20 Seite 5 Schwangeren – insbesondere mit Blick auf den Fortschritt der Schwangerschaft und die körperliche Verfassung der Schwangeren – unverhältnismäßig und daher rechtswidrig sein. 3. Dauer der Inhaftierung Wie oben dargestellt, ist die Inhaftierung auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Bei Minderjährigen und ihren Familien bestimmt sich diese Dauer danach, wie lange die Haft unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Das AufenthG sieht ausdrückliche Grenzen für die Höchstdauer der Haft vor. Diese gelten sowohl für Erwachsene als auch für Minderjährige. Für die Vorbereitungshaft bestimmt § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG, dass diese sechs Wochen nicht überschreiten soll. Die Sicherungshaft kann nach § 62 Abs. 4 AufenthG für bis zu sechs Monate angeordnet werden. In Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, kann die Sicherungshaft um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Die Mitwirkungshaft gem. § 62 Abs. 6 AufenthG ist auf die Dauer von 14 Tagen beschränkt; eine Verlängerung ist nicht möglich. Die Dauer einer Vorbereitungshaft und einer Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der möglicherweise folgenden Sicherungshaft anzurechnen. Die Dauer des Ausreisegewahrsams ist gem. § 62b Abs. 1 S. 1 AufenthG auf zehn Tage begrenzt. 4. Gerichtliche Anordnung Die Entscheidung über die Inhaftierung trifft grundsätzlich der zuständige Richter mittels Anordnung . Ausnahmsweise darf die zuständige Behörde gem. § 62 Abs. 5 S. 1 AufenthG einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn ein dringender Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen der Sicherungshaft besteht, die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will. Allerdings ist der Inhaftierte unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen, § 62 Abs. 5 S. 2 AufenthG. Eine inhaltsgleiche Ausnahmeregelung findet sich in § 62b Abs. 4 AufenthG für den Ausreisegewahrsam. ***