© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 147/19 Fragerecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 147/19 Seite 2 Fragerecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 147/19 Abschluss der Arbeit: 11. Juli 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 147/19 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand befasst sich mit dem parlamentarischen Fragerecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages.1 Dabei werden insbesondere dessen Umfang und Grenzen sowie eine verfassungsgerichtliche Durchsetzung des Fragerechts erläutert. 2. Grundlagen des Fragerechts Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht (Interpellationsrecht) ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich normiert. Das Bundesverfassungsgericht2 wie auch die Literatur3 leiten das Interpellationsrecht aus dem Status des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) und dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ab. Die Ausgestaltung des Fragerechts erfolgt dabei in der Geschäftsordnung des Bundestages (§§ 100 ff. GO-BT). So sieht die Geschäftsordnung des Bundestages insbesondere die Instrumente der Kleinen und Großen Anfragen sowie die Fragen einzelner Mitglieder des Bundestages vor.4 Mit dem Fragerecht der Abgeordneten korrespondiert grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung .5 Diese Antwortpflicht ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts Voraussetzung für eine sachgerechte Verwirklichung der parlamentarischen Kontrolle.6 3. Umfang und Grenzen der Antwortpflicht Die Frage- und Informationsrechte des Bundestages gelten nicht unbegrenzt. Die Bundesregierung ist nur insoweit zur Information verpflichtet, als sich das Informationsbegehren auf einen zulässigen Gegenstand richtet und der Informationsweitergabe keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegenstehen . Entsprechend der verfassungsrechtlichen Grundlage im Demokratieprinzip und in der daraus folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament dürfen sich Fragen zunächst 1 Die folgenden Ausführungen entstammen zu weiten Teilen dem Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zum Thema: „Reichweite des parlamentarischen Fragerechts, Zum Urteil des BVerfG vom 7. November 2017, Az. 2 BvE 2/11“ (WD 3 - 3000 - 220/17) sowie der Ausarbeitung „Informationsrechte des Bundestages , Berichte der Bundesregierung an Landesregierungen und Fachministerkonferenzen“ (WD 3 - 3000 - 314/14). 2 Vgl. BVerfGE 124, 161, 188; 137, 185, 223; 139, 194, 222; 147, 50, 126. 3 Vgl. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), 14. Aufl. 2017, Art. 38 GG Rn. 71, 81, 86 ff.; Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), 86. EL Januar 2019, Art. 43 GG Rn. 81 ff.; Schröder, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 188. EL Februar 2018, Art. 43 GG Rn. 25. Zur Diskussion der dogmatischen Herleitung in der Literatur siehe auch: Hölscheidt, Frage und Antwort im Parlament (1992), 18 ff. 4 Vgl. Glauben, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten im Bund und in den Ländern, in: DVBl. 2018, 751, 752 f. 5 BVerfGE 124, 161, 188; 147, 50, 126. 6 BVerfGE 137, 185, 231. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 147/19 Seite 4 nur auf Sachverhalte aus dem Verantwortungsbereich der Regierung (einschließlich des Verantwortungsbereichs nachgeordneter Behörden) beziehen.7 Dieser erstreckt sich nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben dem behördlichen Bereich auch auf alle „mehrheitlich oder vollständig in der Hand des Bundes befindlichen Unternehmen in Privatrechtsform “.8 Allgemeine Voraussetzung für die Einordnung eines Sachverhalts als im Verantwortungsbereich der Regierung stehend ist, dass die Bundesregierung entsprechende Einwirkungsrechte innehat. Die Art der erforderlichen Einwirkungsrechte ist dabei nicht vorgeschrieben.9 Innerhalb dieses Rahmens hat die Bundesregierung grundsätzlich alle Informationen mitzuteilen, über die sie verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand erlangen kann.10 Als verfassungsrechtliche Grenzen des Informationsrechts kommen sowohl Gründe des Staatswohls (z. B. der Schutz von Staatsgeheimnissen) als auch des Grundrechtsschutzes (z.B. Schutz von personenbezogenen Daten, bzw. von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen) in Betracht.11 Eine Grenze bildet zudem der Schutz des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung.12 Dieser basiert auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung und gewährt der Regierung einen nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich mit der Folge, dass sich die Kontrollkompetenz des Bundestages grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge bezieht. In laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen soll von Parlamentsseite her nicht hineinregiert werden.13 Die entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Schutzgüter sind mit dem Informationsinteresse des Bundestages grundsätzlich abzuwägen.14 Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die jeweiligen Geheimhaltungserwägungen nicht auch durch eine nicht öffentliche Beantwortung unter Anwendung der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages15 zu gewährleisten wären.16 Ist dies 7 BVerfGE 124, 161, 189; 147, 50, 86 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Nr. 2 der Anlage zur GO-BT (Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen): „Zulässig sind Fragen aus den Bereichen, für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist.“ 8 BVerfGE 147, 50, 134 f. 9 BVerfGE 147, 50, 136. 10 BVerfGE 147, 50, 147. 11 Vgl. etwa: Magiera, in: Sachs, 8. Auflage 2018, Art. 38 GG Rn. 42. 12 Siehe ausführlich dazu Glauben, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten im Bund und in den Ländern, in: DVBl. 2018, 751, 755 ff. 13 BVerfGE 67, 100, 139; vgl. hierzu auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste zum Thema: „Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als Grenze des parlamentarischen Fragerechts“ (WD 3 - 3000 - 399/10). 14 BVerfGE 110, 199, 222. 15 Vgl. Anlage 3 zur GO-BT. 16 BVerfGE 124, 161, 193. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 147/19 Seite 5 möglich, hat dieser Weg als milderes Mittel Vorrang. Insgesamt formuliert das Bundesverfassungsgericht strenge Anforderungen an die Anwendung der anerkannten Grenzen des Fragerechts.17 Verweigert die Bundesregierung eine Antwort ganz oder teilweise bzw. antwortet sie nicht öffentlich , so hat sie diese Entscheidung zu begründen. Dabei lässt das Bundesverfassungsgericht einen bloß pauschalen Verweis etwa auf einen angeblich fehlenden Verantwortungsbereich der Bundesregierung nicht genügen. Vielmehr bedarf es aus verfassungsgerichtlicher Sicht einer eigehenden Begründung, es sei denn, die Unzuständigkeit der Bundesregierung sei evident.18 Die Begründung muss die angewandte Grenze des Fragerechts benennen und eine konkrete und hinreichend ausführliche Abwägung der betroffenen Belange enthalten. Die Begründung trägt nicht zuletzt dem Ansatz Rechnung, später eine mögliche Grundlage für eine verfassungsgerichtliche Kontrolle zu bilden.19 4. Verfassungsgerichtliche Durchsetzung des Fragerechts Bei Nichtbeantwortung oder unzureichender Beantwortung von Fragen haben je nach Art des geltend gemachten Fragerechts das Parlament, die Fraktionen sowie die Abgeordneten im Wege des Organstreitverfahrens nach Art.93 Abs. 1 Nr. 1 GG die Möglichkeit zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung des Fragerechts und der korrespondierenden Antwortpflicht der Regierung.20 Das Organstreitverfahren dient dabei nicht zur Entscheidung von politischen Konflikten, sondern zur Beantwortung verfassungsrechtlicher Fragen im Hinblick auf die Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorgangen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis.21 Antragssteller eines Organstreitverfahrens können nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG oberste Bundesorgane bzw. andere Beteiligte sein, die im Grundgesetz oder den Geschäftsordnungen eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Antragsberechtigt sind demnach der Bundestag , seine Fraktionen sowie auch einzelne Abgeordnete.22 Ein Antragsteller muss zudem geltend machen, in den ihm durch das Grundgesetz zugewiesenen Rechten und Pflichten verletzt zu sein.23 Eine Antragsbefugnis ist somit gegeben, wenn die Bundesregierung unzureichend antwortet oder gar die Antwort verweigert.24 Ebenso kann eine zum Antrag 17 BVerfGE 147, 50, 133. 18 BVerfGE 124, 161, 196. 19 BVerfGE 124, 78, 128; 147, 50, 150. 20 Glauben, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten im Bund und in den Ländern, in: DVBl. 2018, 751, 758. 21 BVerfGE 68, 1, 69 ff.; 80, 188, 212; 118, 244, 257; 134, 141, 194; 147, 50, 122; Bethge, in: Maunz (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz , 48. EL Februar 2016, § 63 Rn. 1, 4. 22 Vgl. Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, 41. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 93 GG Rn. 21. 23 Barczak, in: ders. (Hrsg.), 1. Aufl. 2018, § 64 BVerfGG Rn. 18. 24 BVerfGE 139, 194, 221; 147, 50, 119. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 147/19 Seite 6 berechtigende Rechtsgutsverletzung vorliegen, wenn unter Verkennung des Geheimnisschutzes eine öffentliche Antwort verweigert oder eine unzureichende Begründung für die Geheimhaltungsbedürftigkeit gegeben wird.25 Antragssteller eines Organstreitverfahrens sind grundsätzlich nicht zu politischen Gegenreaktionen verpflichtet, bevor sie verfassungsgerichtlichen Schutz in Anspruch nehmen können.26 Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung zum parlamentarischen Fragerecht das Rechtsschutzbedürfnis der Fragesteller verneint.27 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts trifft die Fragesteller im Vorfeld einer verfassungsgerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte eine sogenannte „Konfrontationsobliegenheit“ gegenüber der Bundesregierung. Durch einen Hinweis auf die mutmaßliche Unrichtigkeit der Antwort soll der Bundesregierung zunächst die Möglichkeit eingeräumt werden, die Sach- und Rechtslage ihrerseits zu prüfen und ihre Antwort gegebenenfalls zu berichtigen oder zu ergänzen. 28 5. Rechtsprechungsübersicht In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde das Fragerecht der Abgeordneten insbesondere in den folgenden Entscheidungen thematisiert: – BVerfG, Urt. v. 7. November 2017, Az. 2 BvE 2/11, Antragsteller waren die Abgeordneten Schick, Ströbele, Hofreiter und Herrmann sowie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; – BVerfG, Beschl. v. 10. Oktober 2017, Az. 2 BvE 6/16, Antragstellerin war die Abgeordnete Mihalic; – BVerfG, Beschl. v. 13. Juni 2017, Az. 2 BvE 1/15, Antragsteller waren die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie DIE LINKE; – BVerfG, Urt. v. 2. Juni 2015, Az. 2 BvE 7/11, Antragstellerin war die Fraktion DIE LINKE; – BVerfG, Urt. v. 21. Oktober 2014, Az. 2 BvE 5/11, Antragsteller waren die Abgeordneten Ströbele, Keul und Roth; – BVerfG, Urt. v. 19. Juni 2012, Az. 2 BvE 4/11, Antragstellerin war die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; – BVerfG, Urt. v. 1. Juli 2009, Az. 2 BvE 5/06, Antragsteller waren mehrere Abgeordnete sowie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; 25 BVerfGE 126, 161, 185; 147, 50, 119. 26 BVerfGE 124, 78, 113 f. 27 Glauben, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts der Abgeordneten im Bund und in den Ländern, in: DVBl. 2018, 751, 759. 28 BVerfG NVwZ 2018, 572. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 147/19 Seite 7 – BVerfG, Beschl. v. 30. März 2004, Az. 2 BvK 1/01, Antragstellerin war die Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein; – BVerfG, Beschl. v. 25. März 1981, Az. 2 BvE 1/79, Antragstellerin war die NPD; – BVerfG, Beschl. v. 18. Juli 1961, Az. 2 BvE 1/61, Antragstellerin war die Deutsche Friedens- Union. ***