© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 145/19 Zustimmungsbedürftigkeit des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 145/19 Seite 2 Zustimmungsbedürftigkeit des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht? Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 145/19 Abschluss der Arbeit: 07.06.2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 145/19 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Frage, ob sich aus bestimmten, von den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Änderungen1 des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht2 eine Zustimmungspflicht des Bundesrates ergibt. Die Ausarbeitung bezieht sich gemäß kursorischer Prüfung auf folgende Regelungen des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen: – § 12a AsylG-E (Asylverfahrensberatung) – § 44 Abs. 2a AsylG-E (Maßnahmen zum Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Personen) – §§ 47 ff. AsylG-E (Erhöhung der bisherigen Dauer der verpflichtenden Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, die durch die Länder betrieben werden). 2. Allgemein zur Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes Bei Zustimmungsgesetzen ist gemäß Art. 78 Var. 1 Grundgesetz (GG) das Zustandekommen des Gesetzes von einer ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates abhängig. 3 Ein Gesetz bedarf nur dann der Zustimmung des Bundesrates, wenn dies im Grundgesetz ausdrücklich angeordnet ist.4 Die Verfassung zählt die Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen abschließend auf.5 Ausnahmen von diesem Enumerationsprinzip für zustimmungspflichtige Gesetze kennt das Grundgesetz nicht.6 Maßgeblich für die Zustimmungsbedürftigkeit ist allein die verfassungsrechtliche Einordnung des Gesetzes.7 Sinn und Zweck der im Grundgesetz geregelten Zustimmungsvorbehalte ist es, die Länder davor zu schützen, dass der Bund gegen den Willen der Bundesratsmehrheit Maßnahmen durchsetzt, die das föderale System zum Nachteil der Länder verändern.8 Das Bundesverfassungsgericht betont dabei jedoch, dass das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit lediglich ausnahmsweise 1 Änderungsantrag der Fraktionen CDU, CSU und SPD zum Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 19/10047 – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, Ausschuss für Inneres und Heimat, Ausschussdrucksache 19(4)307. 2 BT-Drs. 19/10047. 3 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, 2013, Art. 77 Rn. 19. 4 Vgl. BVerfG Gutachten v. 22.11.1951 – BPvV 1/51; BVerfGE 37, 363 (381). 5 Eine Auflistung der Artikel, die gegenwärtig eine Zustimmung des Bundesrates vorsehen, findet sich bei: Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 95 f. 6 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 96. 7 Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, 2013, Art. 77 Rn. 20. 8 BVerfGE 37, 363 (379 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 145/19 Seite 4 und nur für Fälle einer besonders gewichtigen Berührung der föderalen Ordnung und des Interessenbereichs der Länder vorsieht.9 Ist keine Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich normiert, liegt ein Einspruchsgesetz vor.10 Bei Einspruchsgesetzen kommt das Gesetz zustande, wenn der Bundesrat keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG auf Einberufung eines Vermittlungsausschusses stellt, keinen fristgemäßen Einspruch einlegt, ihn zurücknimmt oder wenn der Einspruch vom Bundestag überstimmt wird (Art. 78 GG). 3. Zustimmungsbedürftigkeit der Regelungen aus dem Änderungsantrag Eine Zustimmungsbedürftigkeit könnte sich aus Art. 84 Abs. 1 sowie aus Art. 104a Abs. 4 GG ergeben. 3.1. Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 84 Abs. 1 S. 3 und 6 GG? Gemäß Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit sich aus dem Grundgesetz nichts anderes ergibt. Art. 84 Abs. 1 GG greift diesen Regelfall auf und trifft nähere Bestimmungen über die Ausgestaltung der Organisationsgewalt im Bereich der Landeseigenverwaltung.11 Danach regeln die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren . Art. 84 Abs. 1 GG regelt zwei Fälle, in denen der Bundesgesetzgeber an die Zustimmung des Bundesrates gebunden ist: Zustimmungsbedürftig sind zum einen bundesgesetzliche Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren ohne Einhaltung der in Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG vorgesehene Karenzfrist (Art. 84 Abs. 1 S. 3 GG). Zum anderen sind solche Bundesgesetze zustimmungsbedürftig , die Abweichungsmöglichkeiten für die Bundesländer ausschließen (Art. 84 Abs. 1 S. 6 GG). Daraus folgt, dass Bundesgesetze über Verwaltungsverfahren und Behördeneinrichtung, von denen die Länder abweichen dürfen, nicht zustimmungsbedürftig sind. Der Begriff Einrichtung der Behörden ist weit zu verstehen. Vom Begriff sind nicht nur die Neuschaffung von Behörden und ähnliche in die Behördenorganisation der Länder eingreifende Akte umfasst, sondern auch die Ausgestaltung der Behörden einschließlich der Aufgaben- und Befugniszuweisung.12 Der Begriff des Verwaltungsverfahrens bleibt im Grundgesetz eher unscharf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind jedenfalls solche Bestimmungen verfahrensrechtlicher Natur, „die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde im Blick auf die Art und Weise der Ausführung der Gesetze einschließlich ihrer Handlungsformen, die Formen der behördlichen Willensbildung, die Art und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie 9 BVerfGE 61, 149 (206). 10 Kersten, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 77 Rn. 95 f. 11 Dittmann/Winkler, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 8. Auflage 2018, Art. 84 Rn. 1. 12 Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band 3, 7. Auflage 2018, Art. 84 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 145/19 Seite 5 verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf regeln“13. Als Regelungen des Verwaltungsverfahrens sind bspw. Bestimmungen über Antragserfordernisse, Beweiserhebung, Form- und Fristvorschriften, Zustellungsvorschriften und Zustimmungserfordernisse anzusehen.14 Bezogen auf die hier zu prüfenden Regelungen des Änderungsantrages gilt es insoweit zwischen den einzelnen asylrechtlichen Regelungen zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Regelungsinhalte haben. 3.1.1. Asylverfahrensberatung, § 12a AsylG-E Die in § 12a AsylG-E geregelte Asylverfahrensberatung sieht vor, dass die Beratung durch das Bundesamt bzw. durch Wohlfahrtsverbände durchgeführt werden soll. Der Bund nimmt hier keinen Einfluss auf die Einrichtung einer Landesbehörde oder das landeseigene Verwaltungsverfahren. Allein die Zurverfügungstellung von Räumen und Sachmitteln in den Erstaufnahmeeinrichtungen für die Durchführung der Beratung durch das Bundesamt bzw. Wohlfahrtsverbände eröffnet noch nicht den Anwendungsbereich des Art. 84 Abs. 1 GG. 3.1.2. Erhöhung der Dauer für die verpflichtende Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, §§ 47 ff. AsylG-E Die vorgesehenen Änderungen der §§ 47 ff. AsylG-E sehen insbesondere vor, die bisherige Dauer für die verpflichtende Unterbringung in den von den Ländern betriebenen Erstaufnahmeeinrichtungen von bislang höchstens 6 Monate auf bis zu 18 Monaten bzw. in bestimmten Fallkonstellationen auch darüber hinaus zu erhöhen. Gegen eine Zustimmungsbedürftigkeit für die vorgeschlagenen Änderungen der §§ 47 ff. AsylG-E sprechen folgende Erwägungen: Die schon bestehenden Regelungen zur Schaffung und Unterhaltung von Erstaufnahmeeinrichtungen sind von den Änderungen – soweit ersichtlich – nicht betroffen. Bei der Dauer der verpflichtenden Unterbringung handelt es sich um eine Pflicht, die zunächst den Asylbegehrenden trifft. Die Unterbringung als solche stellt kein Verwaltungsverfahren dar, so dass auch die Verlängerung ihrer Dauer nicht als Regelung des Verwaltungsverfahrens zu verstehen ist. Hinzu tritt der Umstand, dass § 47 Abs. 1b AsylG eine Abweichungsmöglichkeit der Länder regelt, die auch nach den vorgeschlagenen Änderungen weiter Bestand haben soll. 3.1.3. Maßnahmen zum Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Personen, § 44 Abs. 2a AsylG-E § 44 Abs. 2a AsylG-E enthält den Auftrag an die Länder, geeignete Maßnahmen zu treffen, um bei der Unterbringung Asylbegehrender den Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Personen zu gewährleisten. Dieser Auftrag bleibt aber unbestimmt. Die Norm enthält weder Regelungen zur Behördenzuständigkeit noch zum Verwaltungsverfahren. Die konkrete Ausgestaltung obliegt den 13 BVerfGE 37, 363 (390, 394); 55, 274 (297 ff.); 75, 108 (150); 105, 313 (331); 114 196 (224). 14 Dittmann/Winkler, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 8. Auflage 2018, Art. 84 Rn. 11 mit weiteren Beispielen und Rechtsprechungsnachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 145/19 Seite 6 Ländern. Mangels Kompetenzverlusts der Länder ist daher von keiner Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG auszugehen. 3.2. Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 104a Abs. 4 GG? Art. 104a Abs. 4 GG regelt die Voraussetzungen, unter denen Bundesgesetze wegen der Begründung einer Ausgabenlast der Länder zustimmungsbedürftig werden.15 Es muss sich zunächst um ein Bundesgesetz handeln, das Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründet. Die Begriffe der Sach- und Dienstleistungen werfen Abgrenzungsprobleme auf.16 Die Gesetzesbegründung zur Neufassung des Art. 104a Abs. 4 GG macht deutlich, dass der Gesetzgeber von einem weitem, umfassenden Verständnis ausgeht: „Die Vergleichbarkeit einer Dienstleistung mit Geld- und geldwerten Sachleistungen im Sinne des neuen Zustimmungstatbestandes ist dann gegeben, wenn sie unter vergleichbar engen Voraussetzungen wie dies bei Geld- und Sachleistungen der Fall ist, einem Dritten Vorteile gewährt oder sonstige Maßnahmen gegenüber Dritten veranlasst , die zu einer erheblichen Kostenbelastung der Länder führen.“17 Die Verpflichtung der Länder zur Schaffung von Einrichtungen für die Unterbringung von Asylbegehrenden wird in der Gesetzesbegründung explizit als Beispiel für eine geldwerten Sachleistung genannt.18 Eine weitere Voraussetzung für die Zustimmungspflicht ist, dass es sich um ein Gesetz handelt, das von den Ländern entweder als eigene Angelegenheit nach Art. 84 GG oder nach Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG in Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85 GG ausgeführt wird. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den zu prüfenden Regelungen um Änderungen einzelner Bestimmungen des AsylG handelt. Insbesondere im Hinblick auf die Schaffung und Unterhaltung von Erstaufnahmeeinrichtungen begründet das AsylG eine Ausgabenlast der Länder. Im Hinblick auf die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit eines Änderungsgesetzes eines – nach wie vor eine Ausgabenlast der Länder begründenden – Bundegesetzes wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass es einer differenzierender Beurteilung bedarf: „Zustimmungspflichtigkeit besteht, sofern die Leistungen erhöht bzw. ausgeweitet werden, so dass die Ausgabenlast der Länder steigt. Ebenso ist die Änderung zustimmungspflichtig, wenn die vorgesehenen Geld-, Sach- oder Dienstleistungen neu geregelt werden, da dadurch eine Belastung der Länder mit materiell anderen Leistungen begründet wird. Nicht zustimmungspflichtig ist hingegen die Minderung oder Streichung von Leistungen nach einem bestehenden zustimmungspflichtigen Gesetz.“19 Daraus folgt, dass dann von einer Zustimmungsbedürftigkeit auszugehen sein dürfte, 15 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band 3, 7. Auflage 2018, Art. 104a Rn. 99. 16 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 8. Auflage 2018, Art. 104a Rn. 40. 17 BT-Drs. 16/813, 18. 18 Ebenda. 19 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band 3, 7. Auflage 2018, Art. 104a Rn. 109; Maunz, in: Maunz/Dürig, (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 85. EL November 2018, Art. 104a Rn. 41. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 145/19 Seite 7 wenn die Regelungen zu einer erhöhten Ausgabenlast der Länder führen würden. Ob dies der Fall ist, kann an dieser Stelle nicht eindeutig beurteilt werden. Schließlich tritt die Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 104a Abs. 4 letzter Halbsatz GG nur ein, wenn aus dem fraglichen Bundesgesetz entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. Die Zustimmungspflicht soll dagegen entfallen, wenn von den Ländern auszuführende Gesetze den Ländern im Ergebnis keine Ausgabenlast aufbürden, weil die Ausgaben vollständig aus Beitragsmitteln , Zuschüssen aus dem EU-Haushalt oder dem Bundeshaushalt finanziert werden.20 Eine abschließende Bewertung der Zustimmungsbedürftigkeit der hier zu prüfenden asylrechtlichen Regelungen kann auch diesbezüglich nicht erfolgen, da es insoweit an Informationen dazu mangelt, wie die längeren Unterbringungszeiten finanziert werden sollen. *** 20 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band 3, 7. Auflage 2018, Art. 104a Rn. 106.