© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 144/17 Auskunfts- und Vorlagepflichten von Bundesministerien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/17 Seite 2 Auskunfts- und Vorlagepflichten von Bundesministerien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 144/17 Abschluss der Arbeit: 19.07.2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/17 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand thematisiert die Auskunfts- und Aktenvorlagepflichten der Bundesministerien gegenüber dem Deutschen Bundestag. Dabei werden auch die Grenzen eines solchen Auskunftsverlangens aufgezeigt. Ferner wird auch auf die besondere Stellung des Verteidigungsausschusses nach Art. 45a Abs. 2 GG eingegangen. 2. Das Auskunftsrecht der Abgeordneten Den Abgeordneten des Bundestages steht ein allgemeines Frage- und Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung zu. Das Bundesverfassungsgericht leitet dies aus dem Status der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG her.1 Mit dem Fragerecht korrespondiert grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung. Diese hat die Fragen vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten.2 Die Verweigerung einer Antwort ist nur im Einzelfall auf der Grundlage einer Abwägungsentscheidung möglich und muss hinreichend begründet werden.3 Geschäftsordnungsrechtlich ist das Frage- und Informationsrecht in den §§ 100 ff. der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) näher ausgestaltet. Den Abgeordneten stehen insbesondere die Großen und Kleinen Anfragen, Einzelfragen, Fragestunden und eine Befragung der Bundesregierung als Instrumentarium zur Verfügung. Das Frage- und Informationsrecht wird allgemein als Fremdinformationsrecht des Parlaments eingeordnet.4 Diese Rechte sind dadurch geprägt, dass die Informationen an das Parlament durch die Bundesregierung übermittelt werden müssen. Hiervon abzugrenzen sind die Selbstinformationsrechte des Parlaments. Diese zeichnen sich durch ein eigenes parlamentarisches Zugriffsrecht aus.5 Hierbei ist insbesondere die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nach Art. 44 GG ist zu nennen. 1 Vgl. BVerfG, Urt. v. 2.6.2015 – 2 BvE 7/11, juris Rn. 103; Lorz/Richterich, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht 1. Aufl. 2016, § 35 Rn. 69. 2 Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [980]. 3 BVerfG, Beschl. v. 01.07.2009 – 2 BvE 5/06, juris Rn. 139; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 13. Aufl. 2014, Art. 43 GG Rn. 21 f. 4 Lorz/Richterich, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht 1. Aufl. 2016, § 35 Rn. 93. 5 Vgl. hierzu Wissenschaftliche Dienste „Das Akteneinsichtsrecht als Auskunftsrecht des einzelnen Abgeordneten“, Az. WD 3 - 3000 - 293/15, S. 4 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/17 Seite 4 3. Recht auf Aktenvorlage Das Recht auf Aktenvorlage wird klassischerweise als Selbstinformationsrecht eingeordnet. Über das allgemeine Frage- und Informationsrecht kann daher nicht die Vorlage von Akten bzw. Dokumenten verlangt werden.6 Der eigenständige Zugriff auf Akten und Dokumente erfolgt im Wesentlichen im Rahmen eines Untersuchungsverfahrens nach Art. 44 GG.7 Für den Bereich der Verteidigung ist zudem die Sonderregelung des Art. 45a Abs. 2 GG zu beachten. Demnach hat der Verteidigungsausschuss auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses und kann damit die Vorlage von Akten verlangen. Die Wahrnehmung dieser Rechte bedarf nach h. M. und bisheriger Staatspraxis eines Einsetzungsbeschlusses des Ausschusses. Der Ausschuss kann die Untersuchungsbefugnisse daher nicht ständig in Anspruch nehmen, sondern muss sich mittels eines entsprechenden Beschlusses, der das konkrete Untersuchungsthema definiert, einsetzen.8 Nach Art. 45a Abs. 2 S. 2 GG ist ein solcher Einsetzungsbeschluss zwingend, wenn dies mindestens ein Viertel der Ausschussmitglieder verlangen. Anders als bei Untersuchungsausschüssen nach Art. 44 GG bedarf es neben dieser Beschlussfassung im Ausschuss keiner weiteren Beschlussfassung im Plenum.9 Über den Weg des Art. 45a Abs. 2 GG ist es dem Verteidigungsausschuss daher möglich, eine Aktenvorlage durchzusetzen. 4. Verfassungsrechtliche Grenzen Sowohl das allgemeine Frage- und Informationsrecht als auch die dargelegten Aktenvorlagepflichten unterliegen rechtlichen Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht leitet diese im Wesentlichen aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung her und hat sie in zahlreichen Entscheidungen näher bestimmt. In Rechtsprechung und Literatur werden die nachfolgenden Fallgruppen diskutiert. Allgemein obliegt es einer Abwägungsentscheidung im Einzelfall, ob die Bundesregierung eine Information unter Verweis auf entgegenstehende Verfassungsrechtsgüter zurückhalten darf. 4.1. Beschränkung auf den Verantwortungsbereich der Bundesregierung Der parlamentarische Informationsanspruch beschränkt sich zunächst auf den Verantwortungsbereich der Bundesregierung. Demnach müssen nur solche Informationen erteilt werden, die in der Verbands- und Organkompetenz der Bundesregierung liegen.10 Themen, zu denen die Bundesregierung keine Informationen besitzt, und die auch keinen Bezug zu ihrem Verantwortungsbereich 6 Vgl. umfassend hierzu: Wissenschaftliche Dienste „Das Akteneinsichtsrecht als Auskunftsrecht des einzelnen Abgeordneten“, Az. WD 3 – 3000 – 293/15. 7 Zur Bedeutung der Aktenvorlagepflicht im Untersuchungsverfahren: BVerfG, Beschl. v. 17.06.2009 – 2 BvE 3/07, juris Rn. 113. 8 M.w.N. Hilgers, Der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss gemäß Art. 45a Abs. 2 des Grundgesetzes , Diss. 2015, S. 156 f. 9 Gerland, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht 1. Aufl. 2016, § 29, Rn. 49. 10 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, 79. EL 2016, Art. 43 GG, Rn. 100 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/17 Seite 5 aufweisen, können keine Antwortpflicht nach sich ziehen. Dennoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine Thematik nicht doch im weitesten Sinne einen Bezug zum Tätigkeitsbereich der Bundesregierung aufweist. Die Grenzziehung erfolgt hierbei im Einzelfall und wird in der juristischen Literatur kontrovers diskutiert.11 Gegebenenfalls kann die Bundesregierung gehalten sein, ihr nicht vorliegende Informationen zu beschaffen.12 4.2. Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung Eine Grenze findet das Informationsrecht der Abgeordneten im Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung , der die Bundesregierung vor einem „Mitregieren“ durch das Parlament schützt.13 Erfasst wird hiervon ein Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich, auf den das Parlament nicht zugreifen kann.14 Der Willensbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung, der in den Ressorts und im Kabinett erfolgt, soll so ungestört gewährleistet werden. In den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung fällt daher vor allem die Vorbereitung von Regierungsentscheidungen. Laufende Vorgänge unterliegen im Regelfall nicht dem Informationsrecht der Abgeordneten.15 Anders gestaltet sich dies bei abgeschlossenen Vorgängen. Deren Inhalt fällt in aller Regel nicht in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Dennoch ist es im Einzelfall möglich, dass auch solche Informationen zum Schutze des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung nicht erteilt werden müssen.16 4.3. Funktionsfähigkeit der Regierung Eine mögliche Grenze für das parlamentarische Informationsrecht besteht auch in der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung. Das Informationsrecht ist auf solche Informationen beschränkt, die der Regierung vorliegen oder mit zumutbarem Aufwand beschafft werden können.17 Eine mögliche Grenze ist dabei erreicht, wenn ein Informationsverlangen die Bundesregierung in ihrer Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtig. Dies kann etwa bei umfangreichen Anfragen innerhalb kurzer Fristen der Fall sein.18 Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass auch die Erfüllung des parlamentarischen Informationsanspruches zu den Kernaufgaben der Bundesregierung zählt. Ein 11 M.w.N. und für eine weite Auslegung: Klein, in: Maunz/Dürig, 79. EL 2016, Art. 43 GG, Rn. 102; für eine eher engere Orientierung an den verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenzen: BVerfG, Urt. v. 2.6.2015 – 2 BvE 7/11, juris Rn. 107 ff. 12 Vgl. hierzu umfassend: Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [980]. 13 Klein, in: Maunz/Dürig, 79. EL 2016, Art. 43 GG, Rn. 106; Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [981]. 14 BVerfG, Beschl. v. 17.06.2009 – 2 BvE 3/07, juris Rn. 122. 15 BVerfG, Urt. v. 21.10.2014 – 2 BvE 5/11, juris Rn. 138. 16 Vgl. hierzu die Beispiele bei: Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [981]. 17 Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [981]. 18 Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [981]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/17 Seite 6 Berufen auf die Funktionsfähigkeit kann daher nur im Einzelfall wegen eines besonderen Erfüllungsaufwandes in Betracht kommen. Die Bundesregierung hat dabei zu prüfen, ob zumindest eine teilweise Erfüllung des Informationsanspruches möglich ist.19 In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde zudem das Interesse der Bundesregierung an einer funktionsgerechten und organadäquaten Aufgabenwahrnehmung als verfassungsrechtliche Grundlage für eine Auskunftsverweigerung herangezogen.20 Danach kann die Informationserteilung verweigert werden, wenn diese zur Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in bestimmten Politikbereichen führt. Insbesondere betrifft dies den Bereich der außenpolitischen Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Geschützt werden solche Informationen, deren Preisgabe zu einer Beendigung der Zusammenarbeit führen kann. 4.4. Geheimnisschutz Auch der Geheimnisschutz kann eine Grenze für die Auskunftspflicht der Bundesregierung bilden. Diese kann sich jedoch nicht pauschal auf eine Geheimhaltungspflicht berufen, um Auskünfte zu verweigern. Das Bundesverfassungsgericht geht vom Grundsatz her davon aus, dass Geheimnisse der Regierung und dem Parlament gemeinsam anvertraut sind. Die Bundesregierung darf aber orientiert am Grad der Geheimhaltungsbedürftigkeit Informationen zurückhalten, solange das Parlament den erforderlichen Grad der Geheimhaltung nicht garantieren kann. Welcher Grad der Geheimhaltung erforderlich ist und ob dieser garantiert werden kann, ist im Einzelfall zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht fordert im Falle einer verweigerten Herausgabe von Informationen eine angemessene Darlegung der Gründe. 4.5. Grundrechte Dritter Als mögliche Grundlage einer Auskunftsverweigerung kommen auch Grundrechte Dritter in Betracht. Diese spielen vor allem bei personenbezogenen Daten natürlicher Personen oder bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen eine Rolle. Im Einzelfall ist abzuwägen, ob eine Informationserteilung die benannten Grundrechte in unzulässiger Weise beschränkt.21 Zu prüfen ist dabei als milderes Mittel, ob ein Interessenausgleich etwa durch Schwärzung bestimmter Teile eines Dokuments oder durch eine nur teilweise anonymisierte Beantwortung der Fragestellung erreicht werden kann.22 19 M.w.N. Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [981]. 20 Vgl. hierzu: BVerfG, Beschl. v. 13.10.2016 – 2 BvE 2/15, juris Rn. 159; umfassend zu diesem Grundsatz: Wissenschaftliche Dienste „Kontrolle von Nachrichtendiensten bei Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten im Ausland“, Az. WD 3 - 3000 - 072/17. 21 Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 13. Aufl. 2014, Art. 44 GG Rn. 32. 22 Warg, Die Grenzen parlamentarischer Kontrolle am Beispiel des Staatswohls, NVwZ 2014, 1263 [1269]; Ritzel/ Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Stand 2013, Vorbem. zu §§ 100-106 GOBT, Ziff. III Nr. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/17 Seite 7 4.6. Missbrauch des Fragerechts Unzulässig ist auch eine missbräuchliche Verwendung des Fragerechts. Von einem solchen Missbrauch ist in der Regel auszugehen, wenn an der Beantwortung der Frage kein sachlich begründetes Interesse bestehen kann und sie ausschließlich der Beeinträchtigung der Regierungstätigkeit dient.23 Ein Missbrauch ist im Einzelfall durch die Bundesregierung nachzuweisen, weshalb diese Kategorie in der Praxis kaum eine Rolle spielt.24 5. Abwägung im Einzelfall Das Vorliegen einer der aufgezeigten Fallkonstellationen führt nicht zu einem generellen Recht der Bundesregierung, die begehrten Auskünfte zu verweigern. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall eine Abwägung durchzuführen, die das Ziel verfolgt, einen Ausgleich zwischen Informationsanspruch und Geheimhaltungsinteressen herzustellen. Vor einer Verweigerung der Auskunft ist daher zu prüfen, ob die Geheimhaltungsinteressen nicht ausreichend durch Schwärzungen bzw. Anonymisierungen erreicht werden können oder eine Geheimhaltung über die Geheimschutzordnung des Bundestages sichergestellt werden kann.25 In jedem Falle ist eine vollständige oder teilweise Nichtbeantwortung der gestellten Frage durch die Bundesregierung hinreichend zu begründen.26 *** 23 BVerfG, Beschl. v. 01.07.2009 – 2 BvE 5/06, juris Rn. 146. 24 Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [981]. 25 Harks, Das Fragerecht der Abgeordneten, JuS 2014, 979 [982]. 26 BVerfG, Beschl. v. 01.07.2009 – 2 BvE 5/06, juris Rn. 139.