© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 144/16 Fragen zu staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf privates Eigentum Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/16 Seite 2 Fragen zu staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf privates Eigentum Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 144/16 Abschluss der Arbeit: 17. Mai 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/16 Seite 3 1. Einleitung Mit folgendem Sachstand sollen Fragen zu den Zugriffsmöglichkeiten des deutschen Staates auf privates Eigentum beantwortet werden. Das Innehaben und die Nutzung vermögenswerter Rechtspositionen wird im deutschen Recht von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz1 (GG) geschützt.2 Der Staat kann in dieses Grundrecht insbesondere durch die Festlegung sogenannter Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) oder durch eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) eingreifen. 2. Kann im deutschen Recht zur Verwirklichung großer staatlicher Infrastrukturprojekte alternativ zu einer Zwangsenteignung mit angemessener Kompensation privates Grundeigentum mit einer Grunddienstbarkeit belastet werden? Im deutschen Recht wird eine Enteignung als „vollständige oder teilweise Entziehung konkreter durch Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben“ definiert.3 Die Enteignung setzt also eine Übertragung des Eigentumsrechts auf den Staat nicht zwingend voraus.4 Dieses Begriffsverständnis kommt beispielsweise in § 85 Abs. 1 Nummer 1, § 86 Abs. 1 Nummer 1 Alt. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zum Ausdruck. Danach kann durch Enteignung das Eigentum an einem Grundstück entzogen oder belastet werden, um es entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten. Eine Belastung in diesem Sinne ist die Bestellung einer Grunddienstbarkeit, mit der die Rechte an einem Grundstück zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines anderen Grundstücks beschränkt werden, vgl. § 1018 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch5.6 Die Grunddienstbarkeit entsteht kraft Gesetzes oder Rechtsgeschäfts oder – wie im Falle des § 85 Abs. 1 Nummer 1 Alt. 2 BauGB – durch Verwaltungsakt.7 1 Eine englische Fassung des Grundgesetzes kann im Internet unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gg/ (zuletzt abgerufen am 17.05.2016). 2 Jarass, Hans in: ders./Pieroth, Bodo, Grundgesetz-Kommentar, 13. Auflage 2014, Art. 14 Rn. 6 ff. 3 Axer, Peter in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 27. Edition, Stand: 01.12.2015, Art. 14 Rn. 73. 4 Vgl. Stober, Rolf/Kluth, Winfried/Müller, Martin/Peilert, Andreas, Verwaltungsrecht – Band II, 7. Aufl. 2010, § 71 Rn. 37. 5 Eine englische Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches kann im Internet unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.gesetze-im-internet.de/englisch_bgb/ (zuletzt abgerufen am 17.05.2016). 6 Wegmann, Bernd: in: Bamberger, Heinz Georg/Roth, Herbert (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB (BeckOK BGB), 38. Edition, Stand: 01.02.2016, § 1018 Rn. 1. 7 Wegmann, Bernd (Fn. 6), BeckOK BGB, § 1018 Rn. 21-24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 144/16 Seite 4 Mit der Möglichkeit einer Grundstücksbelastung durch das Rechtsinstitut der Grunddienstbarkeit sieht das BauGB zwar eine Alternative zu einem vollständigen Eigentumsentzug vor. Bei der Festlegung einer Grunddienstbarkeit handelt es sich gleichwohl um einen Enteignungsakt. 3. Nach welchen Kriterien entscheiden die zuständigen Stellen, ob im öffentlichen Interesse liegende staatliche Infrastrukturprojekte mittels einer Enteignung oder einer anderen Form der Belastung (Grunddienstbarkeit) privater Grundstücke umgesetzt werden? Welche staatliche Stelle ist befugt eine solche Grunddienstbarkeit anzuordnen? Eine Enteignung in Form einer Belastung des Grundstücks durch eine Grunddienstbarkeit wird von einer höheren Verwaltungsbehörde durchgeführt, § 104 Abs. 1 BauGB. Die Behörde hat dabei die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Enteignung zu beachten, die in § 87 BauGB geregelt sind. Nach § 87 Abs. 1 BauGB ist eine Enteignung im Einzelfall nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck nicht auf andere zumutbare Weise erreicht werden kann. Regelungen zu Umfang, Beschränkung und Ausdehnung der Enteignung finden sich zudem in § 92 BauGB. Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 BauGB darf ein Grundstück nur in dem Umfang enteignet werden, in dem dies zur Verwirklichung des Enteignungszwecks erforderlich ist. Reicht eine Belastung des Grundstücks mit einem Recht zur Verwirklichung des Enteignungszwecks aus, so ist die Enteignung hierauf zu beschränken, vgl. § 92 Abs. 1 Satz 2 BauGB. 4. Wie wird im Falle des Wertverlusts des Grundstücks die finanzielle Kompensation berechnet, falls die Grunddienstbarkeit den Eigentümer daran hindert, eine geplante künftige wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks umzusetzen? Gemäß § 93 Abs. 2 BauGB wird für den durch die Enteignung eintretenden Rechtsverlust (Nummer 1) und für andere durch die Enteignung entstehenden Vermögensnachteile (Nummer 2) eine Entschädigung gewährt. Die Entschädigung für Vermögensnachteile ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten festzusetzen, insbesondere für den vorübergehenden oder dauernden Verlust, den der bisherige Eigentümer in seiner Berufstätigkeit, seiner Erwerbstätigkeit oder in Erfüllung der ihm wesensgemäß obliegenden Aufgaben erleidet, jedoch nur bis zu dem Betrag des Aufwands, der erforderlich ist, um ein anderes Grundstück in der gleichen Weise wie das zu enteignende Grundstück zu nutzen, § 96 Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 BauGB. Ende der Bearbeitung