Deutscher Bundestag Haftung der Kirche in sexuellen Missbrauchsfällen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 144/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 2 Haftung der Kirche in sexuellen Missbrauchsfällen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 144/10 Abschluss der Arbeit: 26. März 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 3 1. Einleitung Die aktuell bekannt gewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen werfen die Frage nach einer Haftung der Kirchen auf. In Betracht kommt eine Amtshaftung nach § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Art. 34 Grundgesetz (GG). § 839 Abs. 1 BGB lautet: „Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.“ Art. 34 GG lautet: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.“ Soweit ein Amtshaftungsanspruch besteht, tritt er als Anspruchsgrundlage an die Stelle der sonst in Betracht kommenden haftungsrechtlichen Ansprüche1, etwa aus § 823 Abs. 1 BGB2, § 823 Abs. 2 BGB3 in Verbindung mit §§ 1764, 176a5, 1826 StGB, § 825 BGB7, § 831 BGB8. Auch kommt kein 1 Siehe Wurm, in: Staudinger, BGB, Bd. §§ 839-839a, Neubearbeitung 2007, § 839 Rn. 34 und 755. 2 Schadensersatzpflicht: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ 3 Schadensersatzpflicht wegen Verletzung eines Schutzgesetzes: „Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein. 4 Sexueller Missbrauch von Kindern: „(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. (3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen. (4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, 2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist, 3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder 4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt. (5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. (6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4 und Absatz 5.“ 5 Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern: „(1) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn der Täter innerhalb der letzten fünf Jah- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 4 Schadensersatzanspruch aus §§ 31, 89 Abs. 1 BGB in Betracht. Dieser erfordert eine Verletzungshandlung durch einen verfassungsgemäß berufenen Vertreter im privaten Rechtsverkehr,9 was bei Amtspflichtverletzungen in Ausübung eines öffentlichen Amtes nicht der Fall ist. Anspruchsvoraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch ist die Erfüllung folgender Tatbestandsmerkmale : Ausübung eines öffentlichen Amtes durch einen Beamten im haftungsrechtlichen Sinne, Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht, Verschulden. re wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. (2) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn 1. eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, 2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder 3. der Täter das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. (3) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3, 4 Nr. 1 oder Nr. 2 oder des § 176 Abs. 6 als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand einer pornographischen Schrift (§ 11 Abs. 3) zu machen, die nach § 184b Abs. 1 bis 3 verbreitet werden soll. (4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. (5) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer das Kind in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3 bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt. (6) In die in Absatz 1 bezeichnete Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die im Ausland abgeurteilt worden ist, steht in den Fällen des Absatzes 1 einer im Inland abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine solche nach § 176 Abs. 1 oder 2 wäre. 6 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen: „(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder 2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. (3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder 2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, und dabei die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Der Versuch ist strafbar. (5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt , es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.“ 7 Bestimmung zu sexuellen Handlungen: „Wer einen anderen durch Hinterlist, Drohung oder Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen bestimmt, ist ihm zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ 8 Haftung für den Verrichtungsgehilfen: „(1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. (2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt.“ 9 Säcker/Rixecker, in: Säcker/Rixecker (Fn. 31), § 89 Rn. 12 und 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 5 2. Ausübung eines öffentlichen Amtes Während § 839 BGB den Amtswalter, dessen Handeln oder Unterlassen den Amtshaftungsanspruch auslöst, als „Beamten“ bezeichnet, spricht Art. 38 GG von „jemand“. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Tatbestandsmerkmal der Ausübung eines öffentlichen Amtes von der Person des Amtswalters völlig abgelöst ist.10 Der haftungsrechtliche Beamtenbegriff ist nicht staatsrechtlich zu verstehen, sondern als Funktionsbegriff. Haftungsrechtlich ist jeder Beamter, der hoheitlich tätig wird.11 Nach Art. 137 Abs. 5 Weimarer Reichsverfassung (WRV), der gemäß Art. 140 GG Bestandteil des GG ist, bleiben die Religionsgesellschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren. Dazu zählen sowohl die Katholische als auch die Evangelische Kirche als christliche Großkirchen. Damit stellt sich die von öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften ausgeübte kirchliche Gewalt als öffentliche Gewalt dar.12 Mit der Garantie kirchlicher Autonomie in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 WRV hat der Staat ihre Eigenständigkeit und grundsätzliche Unabhängigkeit vom Staat anerkannt. Diese Autonomie beinhaltet die Befugnisse der Kirchen, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig und eigenverantwortlich zu regeln.13 Sie ist aber nicht grenzenlos und absolut. Die Kirchen stehen als Gemeinschaften auch in der „Welt“; die Wirkungen ihrer Maßnahmen beschränken sich nicht immer auf den innerkirchlichen Bereich , sondern greifen darüber hinaus und können auch auf den staatlich-gesellschaftlichen Bereich ausstrahlen. Schranken findet ihre Autonomie an den „für alle geltenden Gesetze“ (Art. 137 Abs. 3 WRV). Damit ist nicht jede staatliche Vorschrift gemeint, die mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit auftritt, sondern „jedes für die Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz“.14 Dadurch wird die kirchliche Autonomie eingeengt durch alle, aber auch nur diejenigen Normen, die sich als Ausprägungen und Regelungen grundsätzlicher, für den sozialen Rechtsstaat unabdingbarer Postulate darstellen.15 Dazu führt der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem grundlegenden Urteil vom 17.12.195616 aus: „Das sind aber Sätze, die entweder jedes Recht, auch das kirchliche Recht, mit Notwendigkeit enthält oder vom kirchlichen Recht stillschweigend oder ausdrücklich bejaht und in Bezug genommen werden. Daraus ergibt sich mit Blick auf die Zulässigkeit von Amtshaftungsklagen folgendes : Es muss als Postulat rechtstaatlichen Denkens anerkannt werden, dass Pflichtverletzungen, die von Beamten in Ausübung des ihnen anvertrauten Amtes zum Schaden dritter Personen begangen werden, eine Schadensersatzpflicht begründen. Ebenso verlangt rechtsstaatliches Denken, dass der Geschädigte wegen seines Schadensersatzanspruches eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen können muss. Deshalb kann daraus, dass es an kirchenrechtlichen Normen über die Haftung der Kirchen bei Amtspflichtverletzungen ihrer Beamten und über einen entsprechenden 10 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Auflage 1998, S. 12. 11 Ossenbühl (Fn. 9), S.14. 12 Wurm, in: Staudinger, BGB, Bd. §§839-839a, Neubearbeitung 2007, § 839 Rn. 749. 13 BGH NJW 1957, 542. 14 Heckel, VerwArch. 37 (1932), 282, auf den BGH NJW 1957, 542 Bezug nimmt. 15 BGH NJW 1957, 542. 16 BGH NJW 1957, 542; Besprechung von Hesse ZevKR 5 (1956), 400. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 6 Rechtsweg fehlt, keineswegs geschlossen werden, dass durch Amtspflichtverletzungen kirchlicher Beamten eine Schadensersatzpflicht auch nicht begründet werde und ein Rechtsschutz insoweit nicht gegeben sei. Vielmehr ergibt sich aus den aufgezeigten Grundsätzen, dass auch durch Amtspflichtverletzungen von kirchlichen Amtsträgern eine Schadensersatzpflicht entsteht und dass Gerichte zur Entscheidung darüber angerufen werden können. Mangels entsprechender eigener kirchenrechtlicher Vorschriften müssen Voraussetzungen und Umfang der Haftung bei Amtspflichtverletzungen im kirchlichen Bereich nach den einschlägigen staatlichen Gesetzen beurteilt werden. Es kommen daher die Bestimmungen des § 839 BGB sowie die des Art. 34 GG auch bei Amtspflichtverletzungen von kirchlichen Beamten zur Anwendung. Es steht nichts im Wege, die kirchlichen Beamten den Beamten im Sinne des § 839 BGB zuzurechnen und die Kirchen selbst mit unter den Begriff der öffentlichen Körperschaften im Sinne des Art. 34 GG zu fassen, da dieser Begriff hier nicht auf den Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung und damit auf die in den Staatsaufbau eingegliederten Körperschaften beschränkt zu werden braucht.“ Der BGH betont als Resümee, dass die Tätigkeit der Kirchen außerhalb des rein fiskalischen Bereichs „Ausübung öffentlicher Gewalt“ im Sinne von Art. 131 WRV und damit „Ausübung eines öffentlichen Amtes“ im Sinne von Art. 34 GG darstellt. Die Kirche selbst habe in dem damaligen Verfahren gegen die Zulässigkeit des Rechtsweges keine Bedenken erhoben.17 Auf der Grundlage dieser Entscheidung des BGH hat sich eine ständige Rechtsprechung zur haftungsrechtlichen Einstandspflicht der Kirche aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG entwickelt.18 Von dieser Fallkonstellation sind die Tätigkeiten kirchlicher Amtsträger zu unterscheiden, die in der Ausübung staatlicher oder vom Staat verliehener Gewalt bestehen. Wenn Geistliche Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen erteilen, haftet für Amtspflichtverletzungen (zum Beispiel unzulässige körperliche Züchtigung) nicht die Religionsgemeinschaft , sondern der Staat, der dem Geistlichen die Erteilung von Unterricht als staatliche Aufgabe anvertraut hat.19 3. Schuldhafte Amtspflichtverletzung Eine Amtshaftung tritt nur bei der Verletzung einer Amtspflicht ein, die einem Dritten gegenüber besteht. Diese Amtspflichten werden nirgends zusammenfassend aufgezählt und sind vielmehr durch Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Lehre ausgeformt worden.20 Hierzu gehört die Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten, die Ausdruck des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs. 3 GG) und der hieraus resultierenden Pflicht ist, bei der Erfüllung von Staatsaufgaben Gesetz und Recht zu beachten.21 Dies umfasst insbesondere auch die Pflicht, 17 BGH NJW 1957, 542. 18 BGH NJW-RR 1989, 921, NJW 2003, 1308. 19 Papier, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5, 5. Auflage 2009, § 839 Rn. 142; BGHZ 34, 20 (21, 23); OLG Celle DVBl. 1974, 44. 20 Ossenbühl (Fn. 9), S. 43. 21 Ossenbühl (Fn. 9), S. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 7 unerlaubte Handlungen zu unterlassen,22 wie sie sexueller Missbrauch darstellt. Begeht ein Amtsträger solche Handlungen, verstößt er gegen die Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten. Der Drittbezug ergibt sich daraus, dass jeder Amtsträger die Amtspflicht hat, deliktische Eingriffe in die durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechte zu unterlassen.23 Es ist ihm verboten , rechtswidrige Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Sachbeschädigungen oder dergleichen gegenüber individualisierbaren Rechtsträgern zu begehen.24 Ein Amtshaftungsanspruch ist allerdings nur insoweit gegeben, als die Amtspflichtverletzung gerade in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgte und nicht bloß bei Gelegenheit der Ausübung .25 Dabei ist der Begriff „in Ausübung“ aber nicht eng auszulegen.26 Entscheidend ist, ob bei objektiver Betrachtung ein genügend naher innerer und äußerer Zusammenhang zwischen der übertragenen Aufgabe und der Schadenshandlung besteht, sodass die Letztere als Teil einer, wenn auch mangelhaften Diensthandlung anzusehen ist, oder ob es an einer inneren Beziehung fehlt und die schädigende Handlung nur in einer rein äußerlichen örtlichen oder zeitlichen Beziehung zur Dienstausübung steht.27 Die Diensthandlung impliziert, dass der Beamte in seiner Eigenschaft als Träger hoheitlicher Aufgaben, also „in amtlicher Eigenschaft“ gehandelt hat. Der maßgebliche innere Zusammenhang entfällt nicht schon dadurch, dass der Missbrauch des Amtes zu eigennützigen, schikanösen oder gar strafbaren Zwecken erfolgt oder die Pflichtwidrigkeit auf eigensüchtigen oder rein persönlichen Beweggründen beruht.28 Ein innerer Zusammenhang ist dagegen nicht mehr gegeben, wenn der Beamte grundsätzlich aus dem Bereich seiner Obliegenheiten heraustritt und quasi nur als Privatmann handelt.29 In Fällen des sexuellen Missbrauchs dürfte immer Vorsatz (§ 276 BGB bzw. § 15 StGB) vorliegen. Festzuhalten bleibt, dass auch Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche Amtshaftungsansprüche auslösen können.30 Schematisch lässt sich dies anhand der aufgezeigten Kriterien aber nicht bewerten; es ist Tatfrage im Einzelfall. 4. Schaden Die Amtspflichtverletzung muss kausal für den Schaden sein. Ersetzt wird der materielle und immaterielle Schaden. Nach § 253 Abs. 2 BGB kann bei einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Die durch den sexuellen Missbrauch unmittelbar zugefügte Einbuße an personaler Würde stellt schon für sich einen auszugleichenden immateriellen Schaden dar, 22 BGH DVBl. 1993, 718 (719). 23 BGHZ 69, 128 (138); 78, 274 (279). 24 BGH DVBl. 1993, 718 (719). 25 Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 93. 26 RGZ 104, 289; BGH LM § 839 Fe Nr. 6. 27 RGZ 104, 286; 126, 28 (33); 159, 235 (238); 166, 1 (8); 168, 231; BGHZ 11, 181; VersR 1960, 365, 1964, 488. 28 Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 93, 96. 29 Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 97. 30 Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 755. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 144/10 Seite 8 unabhängig davon, ob der Betroffene die Beeinträchtigung so empfindet.31 5. Haftpflichtige Körperschaft Die Frage, welches die haftpflichtige Körperschaft im Sinne des Art. 34 GG ist, richtet sich nach den staatskirchenrechtlichen Organisationsformen, also danach, welche kirchliche Körperschaft mit im staatsrechtlichen Sinne öffentlichrechtlichem Status Dienstherr des schuldigen Amtsträgers ist oder ihm sein Amt in haftungsbegründender Weise anvertraut hat.32 Die Dienstherreneigenschaft bestimmt als vorrangiges und wichtigstes Zurechnungskriterium das Haftungssubjekt33. Der BGH stellt in ständiger Rechtsprechung34 bei der Frage nach dem Haftungssubjekt darauf ab, welche Körperschaft dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlerhaft gehandelt hat, anvertraut hat, also wer dem Amtsträger die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung vorgekommen ist, übertragen hat. In der Regel ist dies die Anstellungskörperschaft, weil in der Mehrzahl aller Fälle sie dem Amtsträger die von ihm wahrzunehmenden Aufgaben überträgt und anvertraut.35 6. Verjährung Der Amtshaftungsanspruch unterliegt der Verjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 BGB. Danach verjähren die Ansprüche drei Jahre nach Amtspflichtverletzung und Kenntnis des Gläubigers bezüglich der den Anspruch begründenden Tatbestände.36 Darüber hinaus hemmt § 208 BGB die Verjährung bei Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, bis der Anspruchsgläubiger das 21. Lebensjahr vollendet hat. Der Zeitraum, in dem der Anspruch gehemmt ist, wird nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet, § 209 BGB. Zu beachten ist, dass die Verjährung nicht zum Untergang des Anspruchs führt. Vielmehr stellt sie eine Einrede dar, die für den Schuldner ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht begründet , § 214 Abs. 1 BGB.37 Die Einrede wird im gerichtlichen Verfahren nicht von Amts wegen geprüft , sondern wirkt erst, wenn der Schuldner sich auf sie beruft.38 Daher kann ein Schuldner auch darauf verzichten die Verjährung geltend zu machen. 31 OLG Hamm NJW-RR 2009,959. 32 Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 756. 33 Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 51. 34 BGHZ 99, 326 (330); 143, 18 (26); 150, 172 (179); 160, 216 (228). 35 Ossenbühl (Fn. 17), S. 113. 36 Vgl. Wurm (Fn. 1), § 839 Rn. 372. 37 Peters/Jacoby, in: Staudinger, BGB, Bd. §§ 160-240, Neubearbeitung 2009, § 214 Rn. 1. 38 Grothe, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 5. Auflage 2006, § 214 Rn. 3.