© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 140/19 Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit in Dänemark Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 140/19 Seite 2 Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit in Dänemark Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 140/19 Abschluss der Arbeit: 06.06.2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 140/19 Seite 3 1. Einleitung Der Sachstand thematisiert die Einbettung des dänischen Verfassungsrechts in die dänische Rechtsordnung sowie die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit bei der Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorgaben. 2. Rolle des Verfassungsrechts in der dänischen Rechtsordnung Dänemark besitzt eine geschriebene Verfassung (Danmarks Riges Grundlov) aus dem Jahr 1953.1 Dem Verfassungstext ist keine dem Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 1 Abs. 3 GG entsprechende Regelung zu entnehmen, wonach ein Vorrang der Verfassung gegenüber dem sonstigen Recht besteht. Trotz dieser fehlenden Kodifizierung besteht jedoch auch in Dänemark die allgemeine Rechtsauffassung , dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben als höherrangiges Recht den sonstigen Gesetzen vorgehen.2 Hergeleitet wird dies vor allem aus den verfassungsrechtlich vorgegebenen höheren Anforderungen für eine Änderung der Verfassung.3 3. Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit Dänemark besitzt kein eigenständiges Verfassungsgericht oder eine gesonderte Verfassungsgerichtsbarkeit . Es besteht grundsätzlich auch kein anderweitiges institutionalisiertes Verfahren der Normenkontrolle.4 Fragen zur Auslegung der Verfassung werden von den allgemeinen Gerichten inzident behandelt.5 In der dänischen Rechtsprechung war dabei lange Zeit ungeklärt, ob die Gerichte auch befugt sind, die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu prüfen. Der Oberste Gerichtshof in Dänemark (Højesteret) hat eine solche Kompetenz grundsätzlich bejaht. In einem Fall ließ er auch direkt eine Normenkontrollklage zu.6 Gelangt ein dänisches Gericht zu der Auffassung, ein Gesetz verstoße gegen die Verfassung, so lässt es dieses bei seiner Entscheidung unangewendet. Die Entscheidung wirkt folglich lediglich zwischen den Parteien (inter partes) und entfaltet keine generelle Wirkung (erga omnes). Die Entscheidung eines obersten Gerichts erzeugt jedoch eine höchstrichterliche Bindung der unteren 1 Der Verfassungstext ist in englischer Sprache abrufbar unter: http://www.stm.dk/_p_10992.html; eine deutsche nicht offizielle Übersetzung ist zu finden unter: http://www.verfassungen.eu/dk/, jeweils Stand: 06.06.2019. 2 Vgl. hierzu: Kessel, Die Kontrolldichte der Normenkontrolle in Skandinavien aus deutscher Sicht, Diss. Greifswald 2011, S. 21 f. 3 Vgl. hierzu: Kessel, Die Kontrolldichte der Normenkontrolle in Skandinavien aus deutscher Sicht, Diss. Greifswald 2011, S. 55. 4 Vgl. hierzu m.w.N: Kessel, Die Kontrolldichte der Normenkontrolle in Skandinavien aus deutscher Sicht, Diss. Greifswald 2011, S. 37; Ring/Olsen-Ring, Einführung in das skandinavische Recht, 2. Aufl. 2014, Rn. 151. 5 Vgl. zum Gerichtsaufbau: Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste vom 05.06.2019 mit dem Titel „Der Aufbau des Gerichtswesens in Dänemark“, Az. WD 7 - 3000 - 096/19. 6 Vgl. Ring/Olsen-Ring, Einführung in das skandinavische Recht, 2. Aufl. 2014, Rn. 151. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 140/19 Seite 4 Instanzen. Ein höchstrichterlich festgestellter Verfassungsverstoß bindet daher in gewisser Weise die vorgehenden Instanzen in möglichen Folgeprozessen.7 Im Gegensatz zur deutschen Verfassungsgerichtbarkeit bestehen dennoch erhebliche Unterschiede. Anders als im dänischen Recht besteht in Deutschland für nachkonstitutionelle Gesetze ein Normenverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Fachgerichte können zwar Verfassungsfragen behandeln, über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes entscheidet jedoch ausschließlich das Bundesverfassungsgericht und gerade nicht jedes zur Entscheidung berufene Gericht. In der Literatur wird das dänische System daher im Wesentlichen mit der deutschen Verfahrensweise bei vorkonstitutionellen Gesetzen verglichen, bei denen ebenfalls jedes befasste Gericht über die Verfassungskonformität einer Norm selbst entscheiden kann.8 Ein bedeutender Unterschied besteht zudem bei der Wirkung der Entscheidung. Stellt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes fest, wird dieses regelmäßig für nichtig erklärt und verworfen (§§ 78, 95 Abs. 3 BVerfGG). In anderen Fällen erklärt das Bundesverfassungsgericht eine Regelung für mit der Verfassung unvereinbar und fordert den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Nachbesserung auf.9 In allen diesen Fällen entfaltet die Entscheidung Wirkung über den Einzelfall hinaus. Anders ist dies im dänischen Recht. Wie dargestellt, entfaltet die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Norm lediglich Wirkung für die beteiligten Parteien. Einen unmittelbaren Eingriff in das geltende Recht nehmen die dänischen Gerichte nicht vor. *** 7 Kessel, Die Kontrolldichte der Normenkontrolle in Skandinavien aus deutscher Sicht, Diss. Greifswald 2011, S. 48 f. 8 Kessel, Die Kontrolldichte der Normenkontrolle in Skandinavien aus deutscher Sicht, Diss. Greifswald 2011, S. 55. 9 Vgl. hierzu: Karpenstein, in: Walter/Grünewald, 6. Edition Stand: 01.12.2018, § 78 BVerfGG Rn. 32 ff.