© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 139/19 Rechtliche Zulässigkeit der Verteilung politischer Hauswurfsendungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 2 Rechtliche Zulässigkeit der Verteilung politischer Hauswurfsendungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 139/19 Abschluss der Arbeit: 20. Juni 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Parteienrecht 4 2.1. Grundsatz: Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung 4 2.2. Verteilen von Wurfsendungen als Einnahme? 4 3. Fraktionsrecht 5 3.1. Grundsatz: Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit 5 3.2. Allgemeine Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit 6 3.3. Zulässigkeit von Postwurfsendungen? 9 3.4. Rechtsfolgen 11 4. Abwehransprüche der Empfänger 12 4.1. Grundsatz 12 4.2. Abgrenzung Werbung/Zeitschrift 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung untersucht, – ob es parteienrechtlich zulässig ist, wenn Bürger Hauswurfsendungen von Parteien verteilen; – ob es fraktionsrechtlich zulässig ist, wenn Bürger Hauswurfsendungen von Fraktionen verteilen . Ferner stellt die Ausarbeitung mögliche Abwehransprüche der Empfänger der Hauswurfsendungen dar. 2. Parteienrecht Das Parteiengesetz (PartG) enthält keine unmittelbare Regelung zu Hauswurfsendungen. Die Arbeitsleistung von Bürgern, die Hauswurfsendungen verteilen, könnte aber als Einnahme der Partei zu verbuchen sein. 2.1. Grundsatz: Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung Nach § 23 PartG hat der Vorstand einer Partei „über die Herkunft und die Verwendung der Mittel sowie über das Vermögen der Partei zum Ende des Kalenderjahres (Rechnungsjahr) in einem Rechenschaftsbericht wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen öffentlich Rechenschaft zu geben“. Dieser Rechenschaftsbericht muss die in § 24 Abs. 4 Nr. 1 bis 10 PartG aufgeführten Einnahmequellen offenlegen. 2.2. Verteilen von Wurfsendungen als Einnahme? Nach der Legaldefinition aus § 26 Abs. 1 S. 1 PartG ist eine Einnahme jede von der Partei erlangte Geld- oder geldwerte Leistung. Der Begriff der geldwerten Leistung ist dabei weit zu verstehen. Er umfasst sämtliche Vorgänge, die für die Partei einen wirtschaftlichen, in Geld messbaren Vorteil begründen.1 Unternehmen bieten das Verteilen von Wurfsendungen gegen Entgelt als Dienstleistung an. Erfolgt die Dienstleistung unentgeltlich, erspart die Partei das marktübliche Entgelt. Die Dienstleistung ist dann grundsätzlich in entsprechender Höhe im Rechenschaftsbericht als „sonstige Einnahme“ aufzunehmen (§ 26 Abs. 2, Abs. 4 Nr. 9 PartG). Für ehrenamtliche Arbeit besteht eine Ausnahme: Diese erfolgt grundsätzlich unentgeltlich. § 26 Abs. 4 S. 1 PartG stellt eine entsprechende Vermutungs- und Beweislastregel auf.2 Als Einnahmen unberücksichtigt bleiben daher Sach-, Werk- und Dienstleistungen, die Parteien außerhalb eines 1 Jochum, in: Ipsen, Gesetz über die politischen Parteien, 2. Aufl. 2018, § 26 Rn. 2; Kersten, in: Kersten/Rixen, Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, 2009, § 26 Rn. 4; Morlok, in: Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2013, § 26 Rn. 1. 2 Vgl. dazu BVerfGE 104, 249, 297. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 5 Geschäftsbetriebes üblicherweise unentgeltlich erhalten (§ 26 Abs. 4 S. 2 PartG). Hierzu dürfte regelmäßig das Verteilen von Hauswurfsendungen durch Bürger in privater Initiative gehören.3 Strittig ist, ob eine Tätigkeit im Einzelfall noch ehrenamtlich ist, wenn sie „aus der Masse der ehrenamtlichen Bagatelltätigkeiten herausragt“ und damit ein besonderes Engagement für die Partei darstellt.4 Für eine Nichtanrechnung auch solcher intensiver privater Tätigkeiten könnte folgende Erwägung des Bundesverfassungsgerichts sprechen: „Es gehört zum Wesen der freien, aus eigener Kraft wirkenden Partei, dass Abgeordnete, Mitglieder und Anhänger ihre Dienste leisten, die nicht vergütet werden.“5 Die Ausnahme des § 26 Abs. 4 PartG für ehrenamtliche Leistungen bezieht sich nicht nur auf Parteimitglieder , sondern auch auf Nichtmitglieder. Das 10. Änderungsgesetz zum Parteiengesetz6 hat die Ausnahme für „ehrenamtliche Leistungen“ von „Mitgliedern“ auf alle Bürger erweitert.7 Dies sollte auch den Schwierigkeiten bei der wertmäßigen Verbuchung von unentgeltlichen Leistungen von Nichtmitgliedern abhelfen.8 3. Fraktionsrecht 3.1. Grundsatz: Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit Gemäß § 50 Abs. 1 Abgeordnetengesetz (AbgG) haben die Fraktionen zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anspruch auf Geld- und Sachleistungen aus dem Bundeshaushalt. Nach Absatz 4 Satz 1 dieser Norm dürfen die Fraktionen diese Leistungen nur für Aufgaben verwenden, die ihnen nach dem Grundgesetz, dem AbgG und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags obliegen. Zu den Aufgaben der Fraktionen zählt nach § 47 Abs. 1 AbgG das Mitwirken an der Erfüllung der Aufgaben des Deutschen Bundestages. Nach § 47 Abs. 3 AbgG können die Fraktionen und ihre Mitglieder „die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeiten unterrichten“.9 Ferner listet § 52 Abs. 2 Nr. 2 3 Vgl. Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 26 Rn. 18. 4 Gegen Unentgeltlichkeit Kersten, in: Kersten/Rixen, Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, 2009, § 26 Rn. 15; a.A. Jochum, in: Ipsen, Gesetz über die politischen Parteien, 2. Aufl. 2018, § 26 Rn. 10; nicht angesprochen bei Morlok, in: Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2013, § 26. 5 BVerfGE 20, 56, Rn. 176 (Hervorhebung durch Autor). 6 BGBl. I 2015, S. 2563, in Kraft getreten am 01.01.2016. 7 Vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes vom 01.12.2015, BT-Drs. 18/6879, S. 15; Jochum, in: Ipsen, Gesetz über die politischen Parteien, 2. Aufl. 2018, § 26 Rn. 11. 8 Vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes vom 01.12.2015, BT-Drs. 18/6879, S. 9 f. 9 Lontzek, in: Austermann/Schmahl, Abgeordnetengesetz Kommentar, 2016, § 47 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 6 lit. f) AbgG Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit ausdrücklich auf. Hierzu gehört unter anderem der Druck von Broschüren10 und die Herstellung von Flugblättern und Publikationen.11 3.2. Allgemeine Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit Ein Anhaltspunkt für unzulässige Öffentlichkeitsarbeit ergibt sich aus § 50 Abs. 4 S. 2 AbgG: „Eine Verwendung [von Fraktionsmitteln] für Parteiaufgaben ist unzulässig“.12 Die weiteren Einzelheiten sind strittig.13 Das Bundesverfassungsgericht hat bislang keine konkrete Grenze für zulässige Öffentlichkeitsarbeit definiert.14 Anhaltspunkte ergeben sich aber aus der Rechtsprechung der Länder und aus Stellungnahmen der Rechnungshöfe. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat festgestellt: Das Gebot eines Bezugs zur parlamentarischen Arbeit und das Verbot ausdrücklicher, gezielter Werbung einer Fraktion für eine Partei verlangen „sowohl eine Zurückhaltung in der Art der Präsentation der Informationen als auch eine Mäßigung in der Zeit von Wahlkämpfen.“15 Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen hat in einem weiteren Fall entschieden: „Zwar weisen die Werbebotschaften innerhalb der letzten Wochen vor dem Wahltag auch einen Bezug zur parlamentarischen Arbeit der Bundestagsfraktion auf und verzichten auf ausdrückliche Wahlwerbung für die anstehenden Landtagswahlen. Der werbende Effekt […] [für die Partei] ist aber nicht lediglich als notwendige Folge der Öffentlichkeitsarbeit in Kauf genommen, sondern sogar gezielt für den Landtagswahlkampf eingesetzt worden. Das ergibt sich zum einen aus der Verwendung wahlkampftypischer Werbeformen und der Inanspruchnahme auf den Wahlkampf zugeschnittener Versanddienstleistungen unmittelbar vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ohne akuten Anlass auf Bundesebene. […] Damit wurden die in das Kleid 10 So Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 609 mit Verweis auf die Beschlussempfehlung und den Bericht zum Entwurf eines Gesetzes über die Finanzierung der Fraktionen, BT-Drs. 12/6067, S. 10. 11 Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, Abgeordnetengesetz Kommentar, § 50 Rn. 26 mit weiteren Beispielen; BT-Drs. 12/6067, S. 10. 12 Für eine Einbeziehung aller, auch aus privaten Quellen stammender Fraktionsmittel in dieses Verbot: Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, Abgeordnetengesetz Kommentar, 2016, § 50 Rn. 25; Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen , 2001, S. 612. 13 Butzer, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 40. Edition Stand: 15.02.2019, Art. 38 Rn. 143.1 mit ausführlichen Angaben zur Rechtsprechung und Literatur. 14 Vgl. BVerfGE 146, 327, Rn. 55: „Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher zu den Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen aufgrund § 47 Abs. 3 AbgG nicht abschließend geäußert“. 15 Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.08.2002, VGH O 3/02, Rn. 61 (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 7 der Öffentlichkeitsarbeit einer Fraktion gehüllten Werbebotschaften für den nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf instrumentalisiert. Die verfassungsrechtlich vorgegebene Grenze zwischen der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit einer Fraktion und der unzulässigen Parteienwerbung dürfte somit nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers überschritten worden sein.“16 Für den Bezug von Fraktionsmaterial auf konkrete Persönlichkeiten hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz folgende Grenze gezogen: „Die Darstellung der parlamentarischen Arbeit kann sich auch auf die Persönlichkeit des Fraktionsvorsitzenden beziehen. Für reine Sympathiewerbung ohne Bezug zur sachlichen Arbeit der Fraktion im Parlament dürfen staatliche Fraktionsgelder jedoch nicht verwendet werden (Verbot unzulässiger Parteienfinanzierung; hier: Herausgabe eines Prospekts zur Fußballweltmeisterschaft).“17 Wegen der personellen und inhaltlichen Überschneidungen zwischen Parteien und Fraktionen ist eine Abgrenzung zur unzulässigen Parteiwerbung im Einzelfall schwierig.18 Insgesamt ergeben sich damit folgende Grundsätze: Die Öffentlichkeitsarbeit muss der Fraktion zuordnenbar sein. Für die Unterscheidung lassen sich mehrere Faktoren heranziehen. So müssen die Urheberschaft der Fraktion eindeutig sein, ein unmittelbarer Bezug zur Parlamentsarbeit bestehen, ein sachbezogener Stil vorherrschen, werbemäßige Aussagen zugunsten der Partei fehlen, und die Verbreitung in erkennbarem Bezug zur Fraktion oder einzelnen Abgeordneten erfolgen.19 Auch die zeitliche Nähe der Verteilung zu einer Wahl und ein zielgerichteter Versand können bei ansonsten unbedenklichem Material gegen die Zulässigkeit sprechen.20 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf einen Beschluss der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder von Mai 2001 mit folgenden Maßstäben zur Abgrenzung zulässiger von unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit: 16 Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2013 – VerfGH 17/12, S. 10, https://www.vgh.nrw.de/rechtsprechung/entscheidungen/2013/130716_17-12.pdf (Hervorhebung durch Autor). 17 Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.08.2002 – VGH O 3/02, Rn. 61 (Hervorhebung durch Autor). 18 So Lontzek, in: Austermann/Schmahl, Abgeordnetengesetz Kommentar, 2016, § 47 Rn. 17, mit weiteren Verweisen auf Rechtsprechung und Literatur; zu Einzelfällen siehe Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 455/10, Verwendung von Fraktionsgeldern zur Finanzierung von Parteiaufgaben, https://www.bundestag.de/resource /blob/412766/f38bdecb95369d08c6f25b08e91c5544/WD-3-455-10-pdf-data.pdf. 19 Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 607, mit weiteren Nachweisen; vgl. Waldhoff, in: Austermann /Schmahl, Abgeordnetengesetz Kommentar, 2016, § 50 Rn. 26, mit Verweis auf RhPfVerfGH NVwZ 2003, 75; Lenski, Regierungs- und Fraktionsarbeit als Parteiarbeit, DÖV 2014, 585, 588. 20 Vgl. BVerfG, Urteil vom 02.03.1977 – 2 BvE 1/76, Leitsatz 7: „Als Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahlwerbung kommt weiterhin ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe in Betracht […]“ (in Bezug auf Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung); so in Bezug auf Fraktionen auch Lenski, Regierungs- und Fraktionsarbeit als Parteiarbeit, DÖV 2014, 585, 588: Indiz für Unzulässigkeit ist ein „auffälliger Anstieg der Öffentlichkeitsarbeit in der Vorwahlzeit“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 8 „1. Die Finanzierung von Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen aus Haushaltsmitteln ist grundsätzlich zulässig, wenn sie allgemeinen formalen und zugleich inhaltlichen Kriterien genügt, die den Bezug zur parlamentarischen Arbeit der Fraktion begründen. Die Öffentlichkeitsarbeit muss sich unmittelbar auf die vergangene, gegenwärtige oder aktuell zukünftige Tätigkeit der Fraktion im Parlament beziehen. 2. Die Fraktion muss bei allen Formen der Öffentlichkeitsarbeit deutlich als Fraktion in Erscheinung treten. 3. Die Öffentlichkeitsarbeit aus Fraktionszuschüssen darf in der engeren Vorwahlzeit fortgesetzt , aber unter Beachtung des Gebotes der Zurückhaltung nicht gezielt verstärkt werden. Sie muss einen konkreten Bezug zur aktuellen parlamentarischen Arbeit aufweisen und darf nicht auf Wahlwerbung ausgerichtet sein. In der Schlussphase des Wahlkampfes sind für den Einsatz öffentlicher Mittel besonders strenge Maßstäbe anzulegen. 4. Die Grenze zwischen der zulässigen und der unzulässigen Finanzierung von Öffentlichkeitsarbeit ist überschritten, wenn der Sachinhalt eindeutig hinter die werbende Form zurücktritt, insbesondere bei Sympathiewerbung für die Fraktion oder für einzelne Fraktionsmitglieder. 5. Die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion muss beim Bürger bereits den Eindruck einer werbenden Einflussnahme zugunsten einer Partei oder eines Wahlbewerbers/-bewerberin vermeiden. 6. Die Fraktionen müssen Vorkehrungen treffen, dass die für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit hergestellten Druckwerke oder andere Erzeugnisse der Fraktion nicht von den Parteien (z. B. zur Wahlwerbung) eingesetzt werden. Druckerzeugnisse sollten daher den Hinweis enthalten, dass sie nicht für Zwecke der Partei verwendet werden dürfen. 7. Die anteilige Finanzierung von gemeinsamen Publikationen und gemeinsamen Veranstaltungen von Fraktion und Partei stößt in besonderem Maße an die Grenzen der Zulässigkeit. Die Grundsätze der Trennung von Partei und organisierter Staatlichkeit, der Zweckbestimmung der Fraktionszuschüsse und des Verbotes der Parteifinanzierung durch die Fraktion werden hier nicht eingehalten. Hinzu kommt, dass gemeinsame Aktivitäten von der Öffentlichkeit in der Regel allein der Partei zugeordnet werden. 8. Von den Fraktionen im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit veranstaltete Umfragen müssen der Informationsgewinnung für die parlamentarische Arbeit dienen. Die ‚Sonntagsfrage‘ und die Ermittlung von Sympathiewerten für Politiker gehören beispielsweise nicht zu den Fraktionsaufgaben .“21 21 Zitiert u. a. bei Sächsischer Rechnungshof, Beratende Äußerung gem. § 88 Abs. 2 SäHO, Verwendung der Fraktionszuschüsse , 2015, S. 14, http://www.rechnungshof.sachsen.de/files/BA1502.pdf (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 9 Der Bundesrechnungshof hat in Prüfungsmitteilungen vom 11. April 2017 unter dem Titel „Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages – Wahljahr 2013“ eine Vielzahl an Sachverhalten aufgeführt und zum Teil kritisch bewertet.22 3.3. Zulässigkeit von Postwurfsendungen? Es sprechen gute Gründe dafür, dass das umfassende Verteilen von Fraktionsmaterial als Hauswurfsendung grundsätzlich unzulässig ist.23 Nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts ist „Öffentlichkeitsarbeit einer Fraktion in Form von Zeitungsanzeigen, Flugblattaktionen und Briefkastenverteilungen […] in der Regel nicht zulässig. Denn dabei handelt es sich um Formen der Parteiwerbung und nicht der Fraktionsdarstellung.“24 Für diese Ansicht spricht auch, dass der Empfänger eines durchschnittlichen Haushalts Informationsmaterial einer Fraktion als Parteiwerbung wahrnehmen wird: Der „Durchschnittsleser, der Informationsmaterial einer Landtagsfraktion zur Kenntnis nimmt, […] wird […] davon ausgehen, dass solches Informationsmaterial […] ihn primär für die politischen Positionen der die Fraktion tragenden Partei […] einnehmen soll“.25 In diese Richtung geht auch die folgende Erwägung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz: „Diejenigen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen, die ihrem Inhalt und ihrer äußeren Aufmachung nach auf eine große Aufmerksamkeit in den Medien und in breiten Kreisen der Bevölkerung abzielen, geraten leicht in die Nähe von Formen herkömmlicher Parteienund Wahlwerbung […]. Wegen der notwendigen Abgrenzung zu den Aufgaben der Parteien 22 Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages - Wahljahr 2013 (Prüfungsmitteilungen vom 11.04.2017), https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/pruefungsmitteilungen /oeffentlichkeitswirksame-massnahmen-der-fraktionen-des-deutschen-bundestages-im-wahljahr-2013. 23 Schumacher, in: PdK Brandenburg, B-1, § 32 Fraktionen, Rn. 11.7.2: „Flugblattaktionen und Wurfsendungen müssen ebenfalls grundsätzlich unterbleiben“ (mit weiteren Nachweisen zur Literatur); Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen , 2001, S. 607; in der Tendenz auch Braun/Benterbusch, ZParl 2002, 653, 662 („wahlkampftypische Medien wie Postwurfsendung“ sind „Indiz“ für Grenzüberschreitung); a. A. Kretschmer, ZG 2003, 1, 13; Koch/ Mohring, ThürVBl. 2010, 199, 200; die zitierten Literaturstimmen beziehen sich zum Teil auf Besonderheiten des jeweiligen Landesrechts. 24 Urteil vom 24.05.1995 – 6 A 286/94, Leitsatz 3 und S. 10. 25 Vgl. OLG Dresden, Urteil vom 09.05.2017 – 4 U 102/17, Rn. 29 (im zivilrechtlichen Kontext der Persönlichkeitsrechtsverletzung ) – Hervorhebung durch Autor. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 10 müssen sich die Parlamentsfraktionen deshalb bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit Zurückhaltung auferlegen.“26 Ähnlich hat sich der Rechnungshof Thüringen positioniert: „Bei Erscheinungsbild und Art der Kontaktaufnahme ist allerdings zu beachten, dass typische Elemente der Werbewirtschaft und der Parteienwerbung wie zum Beispiel Plakat- und Flugblattaktionen sowie Briefkastenverteilungen ausscheiden.“27 Der Rechnungshof Sachsen führt in diesem Zusammenhang auch die Wirtschaftlichkeit als Argument an: „Insbesondere dann, wenn Druckerzeugnisse kostenfrei an alle Haushalte in Sachsen oder eines Landkreises verteilt werden, sieht der SRH ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Dadurch werden Mittel in erheblichem Maße aufgewendet, obwohl ein Informationsbedürfnis der Adressaten ggf. gar nicht vorhanden ist. Daneben besteht nach Ansicht des SRH für die Bevölkerung eine zu große Verwechslungsgefahr mit Aktivitäten der Parteien zur Wahlwerbung .“28 Der Bundesrechnungshof ist hingegen in einem Fall der Versendung eines Informationsmaterials an 3,1 Millionen Haushalte nicht auf die Wirtschaftlichkeit oder die grundsätzliche Zulässigkeit von Postwurfsendungen eingegangen. Gleichwohl hat der Bundesrechnungshof im konkreten Fall gerügt, dass die Fraktion die Postwurfsendung „nicht aus öffentlichen Mitteln [hätte] finanzieren dürfen“.29 Entscheidend war aber nicht der Umstand der Postwurfsendung, sondern Inhalt und Aufmachung des versandten Materials: 26 Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.08.2002, VGH O 3/02, Rn. 61 (Hervorhebung durch Autor) – in Bezug auf Plakate und einen Prospekt zur Fußballweltmeisterschaft; ähnlich Rechnungshof Mecklenburg- Vorpommern: „Der Landesrechnungshof gibt zu bedenken, dass diejenigen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen, die ihrem Inhalt und ihrer äußeren Aufmachung nach auf eine große Aufmerksamkeit in den Medien und in breiten Kreisen der Bevölkerung abzielen, identisch mit den Formen herkömmlicher Parteien- und Wahlwerbung sein können“, Jahresbericht 2003, S. 76 (in Bezug auf die Schaltung von Anzeigen). 27 Thüringer Rechnungshof, Beratung des Thüringer Landtags nach § 88 Abs. 2 ThürLHO, Bewirtschaftung und Verwendung der Leistungen an die Fraktionen im Thüringer Landtag, S. 21, https://www.thueringer-rechnungshof .de/files/1584E85B747/07_beratung_bewirtschaftung_und_verwendung_der_leistungen_an_die_fraktionen .pdf (Hervorhebung durch Autor). 28 Sächsischer Rechnungshof, Beratende Äußerung gem. § 88 Abs. 2 SäHO, Verwendung der Fraktionszuschüsse, 2015, S. 16-17, http://www.rechnungshof.sachsen.de/files/BA1502.pdf (Hervorhebung durch Autor). 29 Bundesrechnungshof, 2017 PM – Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages im Wahljahr 2013, S. 95, https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/pruefungsmitteilungen /langfassungen/2017/2017-pm-oeffentlichkeitswirksame-massnahmen-der-fdp-fraktion-des-deutschenbundestages -im-wahljahr-2013-pdf/view. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 11 „Entscheidend ist – das zeigt der Vergleich [der Postwurfsendung der Fraktion mit einem Parteiwerbebrief] – um ein typisches Wahlwerbemittel handelt, nicht um eine bloße Unterrichtung .“30 Zu erwähnen ist in diesem Kontext noch ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das die Deutsche Post zum Vertragsabschluss über den Versand einer Fraktionsdruckschrift an 200.000 Haushalte verurteilt hat. Die Druckschrift mit dem Titel „Klartext“ berichtete über „Fraktionsarbeit, aktuelle politische und gesellschaftliche Probleme sowie Stellungnahmen ihrer Landtagsabgeordneten und der Abgeordneten anderer Fraktionen im Sächsischen Landtag“.31 Dabei wiesen „die Inhalte einseitig in eine bestimmte politische Richtung“.32 Der Bundesgerichtshof ist in seinen Entscheidungsgründen aber nur auf die streitgegenständlichen postrechtlichen Aspekte, nicht jedoch auf die etwaige Unvereinbarkeit eines solchen Vertrags mit Fraktionsrecht eingegangen. 3.4. Rechtsfolgen Ist im Einzelfall eine Hauswurfsendung einer Fraktion unzulässige Parteiwerbung, können entsprechende Ausgaben der Fraktion für Druckkosten oder den Versand Rückforderungen an den Bundeshaushalt33 oder eine Strafbarkeit nach § 266 Strafgesetzbuch (Untreue)34 nach sich ziehen. Entsprechend bedenklich ist es wohl auch, wenn eine Fraktion an sich zulässiges Öffentlichkeitsmaterial an einen Bürger sendet, und zumindest damit rechnen muss, dass der Bürger das Material in gegebenenfalls unzulässiger Weise an Haushalte allgemein verteilt. Im Kontext staatlicher Öffentlichkeitsarbeit hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Regierung „Vorkehrungen dagegen treffen [muss], dass die von ihr für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit hergestellten Druckwerke nicht von den Parteien selbst oder von anderen sie bei der Wahl unterstützenden Organisationen oder Gruppen zur Wahlwerbung eingesetzt werden.“35 Das Recht der Fraktionen findet auf den Bürger selbst keine Anwendung. Grundsätzlich trifft ihn daher keine Pflicht, von der Verteilung von Material Abstand zu nehmen. Auch muss sich die Fraktion eine „aufgedrängte“ Werbung eines Bürgers, z. B. mit selbst nachgedrucktem Material, 30 Bundesrechnungshof, vorige Fn., S. 96 (Hervorhebung durch Autor); siehe hierzu auch Gerz, Information – Wissenschaft & Praxis 2012, 367, mit Hinweis auf das Prüfungsergebnis der Verwaltung des Deutschen Bundestages („ein ausdrücklicher werbender Bezug auf die Partei, ihr Grundsatz- und Wahlprogramm [besteht] nicht“). 31 Urteil vom 20.09.2012 – I ZR 116/11, Rn. 2. 32 Urteil vom 20.09.2012 – I ZR 116/11, Rn. 26-27. 33 Vgl. Waldhoff, in: Austermann/Schmahl, Abgeordnetengesetz Kommentar, 2016, § 50 Rn. 27. 34 BGH, NJW 2015, 1618 – Untreue durch gesetzwidrige Wahlkampffinanzierung. 35 BVerfG, Urteil vom 02.03.1977 – 2 BvE 1/76, Leitsatz 9 (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 12 nicht als eigene Werbung zurechnen lassen.36 Gleichwohl sind Fallgestaltungen denkbar, in denen sich z. B. ein vorsätzliches Mitwirken des Bürgers an der unzulässigen Verteilung von Öffentlichkeitsmaterial strafrechtlich als Beihilfe zur Veruntreuung von Fraktionsmitteln werten ließe. Rechtsprechung hierzu besteht – soweit ersichtlich – nicht. 4. Abwehransprüche der Empfänger 4.1. Grundsatz Besitzer von Briefkästen („Empfänger“) haben das Recht, den Einwurf von politischem Informationsmaterial zu untersagen.37 In der Praxis geschieht dies in der Regel durch einen Hinweis am Briefkasten wie z. B.: „Bitte keine Werbung“. Derartige Hinweise erfassen nach der Rechtsprechung auch politische Werbung: „Jedenfalls aber soweit es um Werbematerial geht, mit dem die politischen Parteien ihre Inhalte und Zielrichtungen dem Bürger nahe bringen und auf diese Weise – zumindest mittelbar – auch für Wählerstimmen werben wollen, besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung von Konsumwerbung und politischer Werbung, da das Ausmaß der Störung und Beeinträchtigung in beiden Fällen das Gleiche ist“.38 Diese für Parteiwerbung geltende Rechtsprechung dürfte auf Informationsmaterial von Fraktionen grundsätzlich entsprechend anwendbar sein. Für den Durchschnittsbürger ist der Unterschied zwischen Partei und Fraktion ohnehin nicht geläufig.39 4.2. Abgrenzung Werbung/Zeitschrift Empfänger können auch das Einwerfen kostenloser Zeitschriften oder Zeitungen untersagen. Hierzu müssen sie ihren Willen nach außen kundtun (z. B. durch einen entsprechenden Aufkleber am Briefkasten „Bitte keine kostenlosen Zeitschriften“).40 36 Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 097/18, Indirekte Parteienfinanzierung durch Wahlwerbung, S. 4, https://www.bundestag .de/resource/blob/554938/07d9b67c5fdd3a45452aa31d81f1556c/WD-3-097-18-pdf-data.pdf. 37 Vgl. KG Berlin NJW 2002, 379 ff.; umfassend zu dieser Problematik: Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 106/16, Unerwünschte Briefkastenwerbung von Parteien, https://www.bundestag.de/resource /blob/425278/0ec77c664c9b008cad2e1d52acdf28f4/WD-3-106-16-pdf-data.pdf. 38 KG Berlin, NJW 2002, 379, 380 (Hervorhebung durch den Autor). 39 Siehe oben bei Fn. 25. 40 Schöler, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Auflage 2016, § 7 Rn. 198. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 139/19 Seite 13 Maßgeblich für die Unterscheidung zwischen Werbung und kostenlosen Zeitschriften ist allein der redaktionelle Gehalt der Wurfsendung.41 Enthält die Wurfsendung trotz eines etwaigen äußerlichen Charakters als Zeitschrift keinen redaktionellen Gehalt, handelt es sich um Werbung.42 Um die Wurfsendung als kostenlose Zeitschrift einordnen zu können, muss der redaktionelle Gehalt so groß sein, dass der Charakter als Werbung nicht mehr im Vordergrund steht.43 Diese Differenzierung ist von Bedeutung, wenn der Empfänger den Erhalt von nur einer der beiden Gattungen untersagt. Ein Sperrvermerk hinsichtlich Werbung umfasst nach überwiegender Meinung nicht auch kostenlose Anzeigeblätter oder Zeitschriften: „Der Begriff ‚Werbung‘ hat aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers keinen eindeutigen Erklärungsinhalt und lässt somit für den Verleger eines Anzeigenblattes nicht sicher erkennen, ob derjenige, der keine Werbeprospekte im Briefkasten haben will, auch den Einwurf von Anzeigenblättern ausschließen will oder nicht […].“44 *** 41 LG Münster BeckRS 2014, 8963; OLG Hamm BeckRS 2011, 23811; OLG Stuttgart NJW-RR 1992, 502; siehe auch Mankowski, in: Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht: UWG, 3. Auflage 2016, § 7 Rn. 345. 42 Mankowski, in: Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht: UWG, 3. Auflage 2016, § 7 Rn. 345. 43 Schöler, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Auflage 2016, § 7 Rn. 198. 44 So OLG Hamm BeckRS 2011, 23811; bestätigt durch: BGH, BeckRS 2012, 13520; LG Münster BeckRS 2014, 8963; OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 502; a.A. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 7. Auflage 2016, § 7 Rn. 39.