© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 139/18 Rechtsauffassungen zur Einreiseverweigerung und Einreisegestattung im Zusammenhang mit der sog. Grenzöffnung Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 2 Rechtsauffassungen zur Einreiseverweigerung und Einreisegestattung im Zusammenhang mit der sog. Grenzöffnung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 139/18 Abschluss der Arbeit: 08.05.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 3 1. Einleitung Es wird um eine Zusammenstellung der in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertretenen Auffassungen zur rechtlichen Beurteilung der sog. Grenzöffnung Anfang September 2015 gebeten. Dabei sollen die Rechtsauffassungen – auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste – „Mehrheits- oder Minderheitsmeinungen“ zugeordnet und die Hauptargumentationslinien herausgestellt werden. 2. Rechtsgrundlagen und Rechtsfragen im Zusammenhang mit der sog. Grenzöffnung Einen Überblick über die im Zusammenhang mit der sog. Grenzöffnung einschlägigen Rechtsgrundlagen des nationalen und des Unionsrechts sowie über die aufgetretenen Rechtsfragen gibt die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, Einreiseverweigerung und Einreisegestattung (WD 3 - 3000 - 109/17) Anlage 1. Ausgehend von den in § 18 Asylgesetz (AsylG) geregelten Vorgaben für die Einreiseverweigerung und Einreisegestattung gegenüber Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten wird dargelegt, dass die sog. Grenzöffnung Anfang September 2015 komplexe Rechtsfragen aufwirft, insbesondere zur unionsrechtlichen Überlagerung des § 18 AsylG und zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine Mitwirkung des Bundestages. Eine weitere – in der genannten Ausarbeitung nicht weiter verfolgte – Frage ist es, ob und inwieweit aus föderaler Perspektive verfassungsrechtliche Pflichten gegenüber den Bundesländern verletzt wurden.1 Zu beachten ist, dass die rechtliche Bewertung der „Grenzöffnung“ durch die Unklarheiten des Sachverhalts erschwert wird. 2 So befasst sich beispielsweise ein jüngerer Beitrag von Tabbert/Wagenseil, Die seit 2015 geltende mündliche Ministeranordnung zur Grenzöffnung im Lichte der Gewaltenteilung, ZAR 2017, 429 ff. Anlage 2 intensiv mit der tatsächlichen Frage, ob es eine (mündliche) Anordnung des Bundesministeriums des Innern zur Einreisegestattung gegeben hat bzw. gegeben haben muss. 1 Vgl. hierzu Di Fabio, Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem, abrufbar unter: http://www.welt.de/bin/difabio -gutachten-150937063.pdf; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sicherung der Bundesgrenzen aus föderaler Perspektive (WD 3 - 3000 - 010/16); Möstl, hier Anlage 3, 224 ff. 2 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Einreise von Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten (WD 3 - 3000 - 299/15), 4 f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 4 Die Komplexität der Rechtsfragen und die Unklarheiten des Sachverhalts spiegeln sich auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion wider. Zu Recht konstatiert Möstl, Verfassungsfragen der Flüchtlingskrise 2015/16, AöR 2017, 175 ff. Anlage 3, hierzu „höchst heterogene literarische Stellungnahmen“ (S. 178 mit weiteren Nachweisen in Fn. 6). Darüber hinaus können die verschiedenen Beiträge, die sich (meist) auf einzelne Rechtsfragen auf Basis begrenzter Sachverhaltskenntnis beziehen, nicht als rechtliche Begutachtung des Gesamtkomplexes „Grenzöffnung“ gelesen werden. Vor diesem Hintergrund ist die erbetene Einordnung der Rechtspositionen zur „Grenzöffnung“ nach „Mehrheits- und Minderheitsmeinung“ nicht möglich. Die folgende Zusammenstellung beschränkt sich vielmehr auf die zu den o.g. Grundfragen vertretenen Rechtsaufassungen. Unberücksichtigt bleiben dabei Stellungnahmen, die die Rechtmäßigkeit der „Grenzöffnung“ allgemein, aber ohne konkrete rechtliche Auseinandersetzung mit den o.g. einschlägigen Rechtsgrundlagen rügen.3 3. Unionsrechtliche Überlagerung des § 18 AsylG Mit der unionsrechtlichen Überlagerung des § 18 AsylG wird die grundsätzliche Zulässigkeit von Einreisegestattungen im Zusammenhang mit der „Grenzöffnung“ begründet. Die Argumentationsansätze beziehen sich dabei auf die nach § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG vorrangigen sog. Dublin- Zuständigkeiten, und zwar insbesondere aufgrund der Möglichkeit des sog. Selbsteintritts oder einer Zuständigkeit für die Prüfung der Dublin-Zuständigkeit.4 3.1. Selbsteintritt Die EU-Mitgliedstaaten können durch Selbsteintritt ihre Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren begründen (Art. 17 Abs. 1 VO [EU] Nr. 604/2013).5 Von dem Selbsteintrittsrecht ist 3 So befassen sich z.B. einzelne Beiträge aus dem Band Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise (2016), nicht mit der konkreten Prüfung der relevanten Vorschriften des Asylgesetzes und der Dublin- III-Verordnung. Kritisch zu den dortigen Beiträgen, soweit sie die Rechts- und Verfassungswidrigkeit der „Grenzöffnung “ rein staatstheoretisch begründen, Wieckhorst, hier Anlage 7, 188 f. Weitere Hinweise zu allgemein gehaltenen Stellungnahmen in der Presse finden sich bei Tabbert/Wagenseil, hier Anlage 2, 429. 4 Zu weiteren möglichen Dublin-Zuständigkeiten z.B. wegen systemischer Mängel im zuständigen EU-Mitgliedstaat vgl. Wissenschaftliche Dienste, hier Anlage 1, 5. 5 Art. 17 Abs. 1 S. 1 und 2 VO [EU] Nr. 604/2013 lauten: „Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 5 möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn über Österreich Anfang September 2015 Gebrauch gemacht worden. Dafür spricht der Umstand, dass zeitweilig die Prüfung von Dublin-Zuständigkeiten ausgesetzt wurde.6 In tatsächlicher Hinsicht nimmt Wendel, Asylrechtlicher Selbsteintritt und Flüchtlingskrise, JZ 2016, 332 Anlage 4 einen „General-Selbsteintritt“ an (S. 337). Während Bast und Möllers von der Zulässigkeit eines solchen Selbsteintritts ausgehen,7 problematisieren andere dessen unionsrechtliche Grenzen.8 Möstl (Anlage 3, 206 f.) führt hierzu aus: „Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ermächtigt auf diese Weise zwar zu einer Übernahme der Zuständigkeit im konkreten Einzelfall oder zur vorübergehenden Bewältigung besonderer Situationen, nicht aber zu einem längerfristigen generellen Absehen von der Zuständigkeitsordnung in der EU (…). Wäre dies anders, hätte es ein einzelner Mitgliedstaat in der Hand, durch großzügige Handhabung des Selbsteintrittsrechts einen Migrationsdruck zu erzeugen, unter dem die anderen Mitgliedstaaten (…) zu leiden haben und der das unionsrechtliche Asylsystem nachhaltig gefährdet; (…).“9 Dieser Auffassung dürfte jedoch die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, Rs. C-646/16, Urt. v. 26.07.2017, ZAR 2017, 272 ff. Anlage 5 entgegenstehen, wonach das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-III-Verordnung wohl nicht auf Einzelfälle oder die Bewältigung besonderer Situationen beschränkt ist (Rn. 100): 6 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste (Fn. 2), 4 f. 7 Bast/Möllers, Dem Freistaat zum Gefallen: über Udo Di Fabios Gutachten zur staatrechtlichen Beurteilung der Flüchtlingskrise, Verfassungsblog v. 16.01.2016, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/dem-freistaat-zumgefallen -ueber-udo-di-fabios-gutachten-zur-staatsrechtlichen-beurteilung-der-fluechtlingskrise/. Zustimmend auch Brings/Farahat/Oehl, hier Anlage 8, 4. 8 Vgl. Wendel, hier Anlage 4, 339, der zwar unionsrechtliche Grenzen markiert, in Bezug auf die „Grenzöffnung“ aber zu keiner eindeutigen Bewertung kommt. 9 Im Ergebnis ebenso Peukert/Hillgruber/Foerste/Putzke, hier Anlage 9, 135; Sodan, Das Konzept der sicheren Drittund Herkunftsstaaten, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise (2016), 172, 179; Haderlein, hier Anlage 11, Rn. 33 f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 6 „Viertens kann (…) die Aufnahme einer außergewöhnlich hohen Zahl internationalen Schutz begehrender Drittstaatsangehöriger durch einen Mitgliedstaat auch dadurch erleichtert werden, dass andere Mitgliedstaaten, einseitig oder in Abstimmung mit dem betreffenden Mitgliedstaat, im Geist der Solidarität, der im Einklang mit Art. 80 AEUV der Dublin-III-Verordnung zugrunde liegt, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis Gebrauch machen, zu beschließen, bei ihnen gestellte Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig sind.“10 3.2. Zuständigkeit für die Prüfung der Dublin-Zuständigkeit Unabhängig von der Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren wird argumentiert, die Bundesrepublik wäre jedenfalls aufgrund einer Zuständigkeit für die Prüfung der Dublin- Zuständigkeit zur Gestattung der Einreisen verpflichtet gewesen. Normativer Anknüpfungspunkt für diese Auffassung ist Art. 20 Abs. 1 VO [EU] Nr. 604/2013, der denjenigen Mitgliedstaat, in dem erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verpflichtet.11 Nach Auffassung von Lehner, Grenze auf, Grenze zu? Die transnationale Wirkung von Rechtsverstößen im Dublin-System, VerfBlog, 30.10.2015 Anlage 6 und Wendel (Anlage 4, S. 341) ist eine Zurückweisung in den Transitstaat ausgeschlossen, wenn mit dem Asylgesuch an der Grenze zu Deutschland die Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung der Dublin-Zuständigkeit begründet worden ist. Angeschlossen haben sich dieser Auffassung Wieckhorst, Rechts- und verfassungswidriges Regierungshandeln in der sogenannten Flüchtlingskrise?, ThürVBl. 2016, 181 ff. Anlage 7 10 Kluth, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-646/16, hier Anlage 5, 378, geht aufgrund der Entscheidung des EuGH davon aus, dass auch die deutschen Behörden in unionsrechtskonformer Weise vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen konnten. 11 Art. 20 Abs. 1 VO [EU] Nr. 604/2013 lautet: „Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.“ Siehe dazu auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zulässigkeit direkter Zurückweisung von Flüchtlingen an EU-Binnengrenzen der Bundesrepublik, Ergänzung zur Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 259/15 (WD 3 - 3000 - 271/15). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 7 und Brings/Farahat/Oehl, Von wegen „Rückkehr zum Recht“: Warum die deutsche Grenzpolitik den Maßgaben des Dublin-Systems entspricht, VerfBlog, 09.03.2016 Anlage 8. Andere Stimmen in der Literatur lehnen eine Zuständigkeit der Bundesrepublik für die Prüfung der Dublin-Zuständigkeit mit Hinweis auf Art. 20 Abs. 4 VO [EU] Nr. 604/2013 ab.12 Für den Fall, dass das Asylgesuch an der Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat gestellt werde, in den der Asylsuchende noch nicht eingereist sei, bleibe es bei der Prüfungszuständigkeit des Transitstaates, so dass auch die Einreise verweigert werden könne, vgl. hierzu die Beiträge von Peukert/Hillgruber/Foerste/Putzke, Einreisen lassen oder zurückweisen? Was gebietet das Recht in der Flüchtlingskrise an der deutschen Staatsgrenze?, ZAR 2016, 131 ff. Anlage 9, dies., Die Flüchtlingskrise rechtsstaatlich bewältigen, JZ 2016, 347 ff. Anlage 10, Haderlein, in: Kluth/Heusch, Beck‘scher Onlinekommentar Ausländerrecht (Stand: 01.02.2018), Rn. 22 zu § 18 AsylG, Anlage 11. 12 Art. 20 Abs. 4 S. 1 VO [EU] Nr. 604/2013 lautet: „Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 8 3.3. Systemische Defizite des Dublin-Systems Ein weiterer Argumentationsansatz wirft die Frage auf, wie mit den systemischen Defiziten des Dublin-Systems („Politik des Durchwinkens“, „Ineffektivität des Dublin-Überstellungsverfahrens“) umzugehen ist, solange die Europäische Union (noch) keine Abhilfe geschaffen hat. Insoweit ziehen Hailbronner/Thym, Grenzenloses Asylrecht? Die Flüchtlingskrise als Problem europäischer Rechtsintegration, JZ 2016, 753 ff. Anlage 12 ein „Wiederaufleben der nationalen Zuständigkeitsordnung“ oder eine begrenzte Abweichungsbefugnis von den Dublin-Regeln in Betracht (S. 762 f.).13 Diese Argumentation erscheint vor dem Hintergrund der o.g. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedoch fraglich. Denn mit Verweis auf andere im Unionsrecht vorgesehene Reaktionsmöglichkeiten auf Situationen eines solchen Zustroms von Flüchtlingen betont der Europäische Gerichtshof, dass „die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl internationalen Schutz begehrender Drittstaatsangehöriger“ keinen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der Dublin- III-Verordnung haben könne (Anlage 5, Rn. 93 ff.).14 4. Mitwirkung des Bundestages Mit der fehlenden Mitwirkung des Bundestages wird die Unzulässigkeit von Einreisegestattungen im Zusammenhang mit der „Grenzöffnung“ begründet. Zu beachten ist aber, dass dieses Argument von vornherein nur greifen kann, wenn keine vorrangige unionsrechtliche Pflicht zur Einreisegestattung zum Zuge kommt (hier die Zuständigkeit für die Prüfung der Dublin-Zuständigkeit, siehe Ziff. 3.2.). In den Fällen der Ermessensausübung jedoch stellt sich die Frage, ob die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgende Verpflichtung des Gesetzgebers, in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (Wesentlichkeitslehre), eine Mitwirkung des Bundestages erfordert hätte. Diese Argumentationslinie betrifft zunächst die Möglichkeit einer Anordnung des Bundesministeriums des Innern zur Gestattung der Einreisen gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG. Es wird geltend gemacht, die Vorschrift des § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG trage als Ausnahmevorschrift allein die Vornahme von einzelnen Einreisegestattungen. Weitergehende Anordnungen hätten jedoch nach der Wesentlichkeitslehre der Entscheidung des Bundestages bedurft. 13 Ebenso Möstl, hier Anlage 3, 211 ff., der darüber hinaus eine Überschreitung der Integrationsschranken von Art. 23 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 GG annimmt, soweit wesentliche Staatsfunktionen durch das Handeln der Union oder anderer Mitgliedstaaten gefährdet sind. 14 Siehe hierzu auch Thym, Die Flüchtlingskrise vor Gericht – Zum Umgang des EuGH mit der Dublin-III-Verordnung , DVBl. 2018, 276, 278 f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 3 - 3000 - 139/18 Seite 9 So führen beispielsweise Tabbert/Wagenseil (Anlage 2, S. 433) hierzu aus: „Die zeitlich und quantitativ unbeschränkte Aufrechterhaltung der Grenzöffnung durch den Bundesinnenminister kann ohne Zweifel als wesentliche Entscheidung angesehen werden, die von der Anordnungsbefugnis des § 18 IV Nr. 2 AsylG nicht mehr gedeckt ist.“15 Für den Fall, dass die ermessensgeleiteten Einreisegestattungen nicht auf einer Ministeranordnung beruhen, sondern – wie oben erwähnt – auf der Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts nach der Dublin-III-Verordnung, könnte man ebenfalls die Frage stellen, ob es für die „Grenzöffnung“ nach Maßgabe der Wesentlichkeitslehre einer Mitwirkung des Bundestages bedurft hätte. In dem Beitrag von Stumpf, Der Ruf nach der „Rückkehr zum Recht“ bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise , DÖV 2016, 357 ff. Anlage 13 wird solch ein Mitwirkungserfordernis mit der Begründung abgelehnt, im Bereich der auswärtigen Gewalt komme der Rückgriff auf die Wesentlichkeitslehre (bzw. der Rückgriff auf den ungeschriebenen Parlamentsvorbehalt) nicht in Betracht. Allein die Bundesregierung verfüge institutionell und dauerhaft über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten, um auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren (S. 363). *** 15 Im Ergebnis ebenso Möstl, Anlage 3, 199; Haderlein, hier Anlage 11, Rn. 37, 40; Murswiek, Nationalstaatlichkeit, Staatsvolk und Einwanderung, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise (2016), 123, 134; Di Fabio (Fn. 1), 97.