AUSARBEITUNG Thema: Rechtliche Grundlagen der Rechte nationaler Minderheiten in Deutschland Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 30. März 2006 Reg.-Nr.: WF III – 139/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zusammenfassung 3 2. Vorbemerkung 4 3. Landesebene 7 3.1. Brandenburg 7 3.2. Mecklenburg-Vorpommern 7 3.3. Sachsen 8 3.4. Sachsen-Anhalt 9 3.5. Schleswig-Holstein 10 4. Bundesebene 12 5. Europäische Ebene 14 5.1. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 14 5.2. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten 14 5.3. Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 15 5.4. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 16 - 3 - 1. Zusammenfassung Deutschland versteht unter Minderheiten „nur klar definierte und deutlich unterscheidbare Gruppen, die lange auf dem Territorium eines Staates gelebt haben“. Nationale Minderheiten, die unter das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 fallen, sind demnach in Deutschland nur die dänische Minderheit , das sorbische Volk, die Friesen in Deutschland und die deutschen Sinti und Roma. Das erste die nationalen Minderheiten schützende und international verbindliche Normenwerk ist die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 ist das erste rechtsverbindliche multilaterale europäische Übereinkommen, das speziell dem Schutz von Angehörigen nationaler Minderheiten gewidmet ist. Deutschland verpflichtet sich darin, die Bedingungen zu fördern, die es Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiter zu entwickeln und die wesentlichen Bestandteile ihrer Identität, nämlich ihre Religion, ihre Sprache, ihre Traditionen und ihr kulturelles Erbe, zu bewahren. Die Europäische Charta der Regional - oder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 1992 sieht den Schutz und die Förderung der geschichtlich gewachsenen Regional- und Minderheitensprachen Europas vor. Die Charta beinhaltet eine Vielzahl von Verpflichtungen insbesondere in Bezug auf Bildung, Justiz, Verwaltung, Medizin und kulturelle Tätigkeiten. Nach den Vertragsgesetzen der Übereinkommen gelten die Konvention und das Rahmenabkommen in Deutschland als Bundesgesetz, das nachrangiges Recht - einschließlich Landesgesetze – bricht und gegenüber sonstigen Bundesgesetzen grundsätzlich als das speziellere Gesetz anzuwenden ist. Die innerstaatliche Beachtung der Abkommen ist rechtlich somit umfassend gewährleistet. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist zur Zeit nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Allerdings kann sie mittelbare Rechtswirkungen insbesondere durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften entfalten. Das Grundgesetz enthält keine spezifische Norm zum Schutz nationaler und ethnischer Minderheiten. Doch sowohl im einfachen Bundes- als auch im Landesverfassungsrecht sowie im einfachen Landesrecht gibt es jedoch eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der von dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten erfassten Gruppen dienen. Die Verfassungen der Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gewährleisten einen ausdrücklichen Schutz der in ihrem Gebiet lebenden Minderheiten. - 4 - 2. Vorbemerkung Über die Definition der geschützten nationalen Minderheit besteht keine Einigkeit.1 Zu einer Deklaration der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. Dezember 1992 „Über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten“ gehören, erklärte der deutsche Vertreter, Deutschland verstehe unter Minderheiten „nur klar definierte und deutlich unterscheidbare Gruppen, die lange auf dem Territorium eines Staates gelebt haben“.2 Im zweiten Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz Nationaler Minderheiten, wird der Begriff der nationalen Minderheiten durch fünf Zugehörigkeitskriterien definiert:3 - ihre Angehörigen sind deutsche Staatsangehörige, - sie unterscheiden sich vom Mehrheitsvolk durch eigene Sprache, Kultur und Geschichte, also eigene Identität, - sie wollen diese Identität bewahren, - sie sind traditionell in Deutschland heimisch, - sie leben hier in angestammten Siedlungsgebieten4. Nationale Minderheiten, die unter das Rahmenübereinkommen fallen, sind demnach in Deutschland nur die dänische Minderheit, das sorbische Volk, die Friesen in Deutschland und die deutschen Sinti und Roma.5 Die Jüdische Gemeinschaft betrachtet sich nicht als Minderheit, sondern als religiöse Gemeinschaft.6 Sowohl im Bundes- als auch im Landesrecht gibt es eine Vielzahl von Rechtsvorschriften , die dem Schutz der von dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten erfassten Gruppen dienen. Eine Übersicht hierzu kann dem ersten Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz Nationaler Minderheiten entnommen werden. 1 von Campenhausen, in: Tilch/Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, drei Bänden, München 2001, Bd. 2, G-P, S. 2868. 2 Zitiert in: von Campenhausen, in: Tilch/Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, drei Bänden, München 2001, Bd. 2, G-P, S. 2868. 3 Zweiter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz Nationaler Minderheiten, A 2.1.5. 4 Zu der letztgenannten Voraussetzung gibt es nur eine Ausnahme für die deutschen Sinti und Roma. Sie fallen nach der Zeichnungserklärung der Bundesrepublik unter das Rahmenübereinkommen, obwohl sie meist in kleinerer Zahl nahezu in ganz Deutschland und nicht in abgegrenzten eigenen Siedlungsgebieten leben. 5 Zweiter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz Nationaler Minderheiten, A 2.1.4. 6 Vgl. Pan/Pfeil, Minderheitenrechte in Europa, Band 2, 2002. - 5 - Zu Minderheitensprachen in der Europäischen Union, die nicht gleichzeitig Amtssprache der Europäischen Union sind, werden die folgenden Sprachen gezählt:7 • Albanisch - Griechenland, Italien • Aragonesisch - Spanien • Aranesisch - Spanien (= Gascognisch in Frankreich) • Armenisch - Zypern • Aromunisch - Griechenland • Arpitanisch - Frankreich, Italien, Schweiz (= Franko-Provenzalisch) • Asturisch - Spanien, Portugal (dort Mirandes genannt) • Baskisch - Frankreich, Spanien • Belarussisch - Estland, Lettland, Litauen, Polen • Bosnisch - Slowenien • Bretonisch - Frankreich • Bulgarisch - Griechenland • Bündnerromanisch (Rätoromanisch) - Italien, Schweiz • Franko-Provenzalisch - Frankreich, Italien, Schweiz (= Arpitanisch) • Friesisch - Deutschland, Niederlande • Nordfriesisch - Deutschland • Saterfriesisch (Ostfriesisch) - Deutschland • Westfriesisch - Niederlande • Furlanisch - Italien • Galicisch - Spanien • Gascognisch - Frankreich • Gutamal (Gutnisch, Gotländisch) - Schweden (Gotland) • Jiddisch - in der gesamten EU • Jämtländisch - Schweden • Jenisch - Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Benelux • Karaimisch - Litauen • Kaschubisch - Polen • Katalanisch - Frankreich, Spanien, Italien (Sardinien) • Kornisch - Vereinigtes Königreich • Korsisch - Frankreich (Korsika) • Kroatisch - Italien, Österreich, Slowenien, Ungarn, Tschechien, Slowakei 7 Aus: Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Minderheitensprachen_in_der_Europ%C3%A4ischen_ Union). - 6 - • Kurische - Litauen, Lettland • Ladinisch - Italien • Ligurisch - Italien (Sardinien) • Limburgisch-Bergisch (Limburgisch) - Niederlande, Belgien, Deutschland • Livisch - Lettland • Luxemburgisch - Luxemburg • Manx - Isle of Man (untersteht der britischen Krone, nicht Mitglied der EU) • Mazedonisch - Griechenland • Meänkieli (Tornedalfinnisch) - Schweden • Meglenorumänisch (Meglenitisch) - Griechenland • Niedersächsisch (Niederdeutsch, Plattdüütsch) - Deutschland, Niederlande • Romani (Sprache der Sinti und Roma) - in der gesamten EU • Rumänisch - Ungarn • Russisch - Estland, Lettland, Litauen • Russinisch - Slowakei, Ungarn • Samisch (Gruppe von 10 Einzelsprachen, davon mind. 2 aber nur in Russland gesprochen) - Finnland, Schweden, Norwegen • Sardisch - Italien (Sardinien) • Schottisch-Gälisch - Vereinigtes Königreich • Scots - Vereinigtes Königreich • Selonisch - Litauen • Serbisch - Slowenien, Ungarn • Sorbische Sprache • Niedersorbisch - Deutschland • Obersorbisch - Deutschland • Shelta (Cant, Gammon) - Irland • Tatarisch - Litauen, Polen • Türkisch - Griechenland, Zypern • Ukrainisch - Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei • Võro - Estland • Walisisch - Vereinigtes Königreich - 7 - 3. Landesebene 3.1. Brandenburg In Brandenburg gewährleistet Art. 25 Absatz 1 Satz 1 der Brandenburgischen Verfassung (VerfBB)8 das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seines angestammten Siedlungsraumes: (1) Das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes wird gewährleistet. Das Land, die Gemeinden und Gemeindeverbände fördern die Verwirklichung dieses Rechtes, insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes. (2) Das Land wirkt auf die Sicherung einer Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie der Sorben hin. (3) Die Sorben haben das Recht auf Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur im öffentlichen Leben und ihre Vermittlung in Schulen und Kindertagesstätten. (4) Im Siedlungsgebiet der Sorben ist die sorbische Sprache in die öffentliche Beschriftung einzubeziehen. Die sorbische Fahne hat die Farben Blau, Rot, Weiß. (5) Die Ausgestaltung der Rechte der Sorben regelt ein Gesetz. Dies hat sicherzustellen , dass in Angelegenheiten der Sorben, insbesondere bei der Gesetzgebung, sorbische Vertreter mitwirken. Art. 25 Absatz 1 Satz 2 VerfBB verpflichtet das Land somit, die Verwirklichung dieser Rechte, insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitbestimmung des sorbischen Volkes, zu fördern. Neben verschiedenen weiteren konkreten Rechten, die sich für die brandenburgischen Sorben direkt aus der Landesverfassung ergeben, enthält insbesondere das brandenburgische Sorben(Wenden)-Gesetzes vom 7. Juli 1994 sowie die Verordnung über die schulischen Bildungseinheiten der Sorben (Anlagen 1 und 2) weitere Ausgestaltungen. 3.2. Mecklenburg-Vorpommern Artikel 18 der Verfassung des Landes Mecklenburg Vorpommern9 bestimmt bezüglich der nationalen Minderheiten und Volksgruppen: 8 Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 (GVBl.I/92 S.298), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. Juni 2004 (GVBl.I/04 S.254). 9 Verfassung des Landes Mecklenburg Vorpommern vom 23. Mai 1993, GVOBl. M-V S. 372 geändert durch Gesetz vom 4. April 2000/GVOBl. M-V S. 158. - 8 - Die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen von Bürgern deutscher Staatsangehörigkeit steht unter dem besonderen Schutz des Landes. Einfachgesetzliche Ausgestaltungen dieser Verfassungsgarantie gibt es nicht. 3.3. Sachsen Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Verfassung Sachsens (VerfSN)10 bestimmt: (1) Dem Volk des Freistaates Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an. Das Land erkennt das Recht auf die Heimat an. (2) Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung. (3) Das Land achtet die Interessen ausländischer Minderheiten, deren Angehörige sich rechtmäßig im Land aufhalten. Mit Art. 5 Absatz 2 VerfSN schützt und gewährleistet das Land das Recht nationaler und ethischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung. ‚Schützen’ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Beeinträchtigungen der Rechte auf Identitätsbildung und Kulturpflege vom Land Sachsen abzuwehren sind und beinhaltet zudem, dass das Land selbst diese Beeinträchtigungen nicht verursachen darf.11 Unter dem Begriff dem „Recht auf Heimat“ wird das Recht verstanden, in der angestammten Heimat zu leben. Er gewährt kein subjektiv-öffentliches Recht12 und wird zudem überlagert durch die Garantie der Freizügigkeit in Art. 11 GG. Artikel 6 Absatz 1 Satz 2 VerfSN regelt insbesondere bezüglich der sorbischen Volksgruppe : (1) Die im Land lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit sind gleichberechtigter Teil des Staatsvolkes. Das Land gewährleistet und schützt das Recht auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung, insbesondere durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen. 10 Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992. 11 Kunzmann/Haas/Baumann-Hasske, Die Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentierte Textausgabe , 2. überarbeitete Auflage, Berlin, 1997, Artikel 5 Rn. 12. 12 Kunzmann/Haas/Baumann-Hasske, Die Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentierte Textausgabe , 2. überarbeitete Auflage, Berlin, 1997, Artikel 5 Rn. 7. - 9 - (2) In der Landes- und Kommunalplanung sind die Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes zu berücksichtigen. Der deutsch-sorbische Charakter des Siedlungsgebietes der sorbischen Volksgruppe ist zu erhalten. (3) Die landesübergreifende Zusammenarbeit der Sorben, insbesondere in der Ober- und Niederlausitz, liegt im Interesse des Landes. Artikel 6 Absatz 2 verpflichtet somit zur Berücksichtigung der Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes in der Landes- und Kommunalplanung. Diese Planungsleitlinien können von den konkret durch Maßnahmen der Landes- und Kommunalplanung betroffenen Körperschaften geltend gemacht werden. Verwaltungseinheiten müssen demnach so abgegrenzt sein, dass der sorbisch-deutsche Charakter (Art. 6 Absatz 2 Satz 2 VerfSN) gewahrt bleibt. Die Verfassung enthält darüber hinaus eine Gewährleistungsund Schutzpflicht bezüglich der Identität des sorbischen Volkes in Sprache, Kultur und Überlieferung. Daraus folgt eine Verpflichtung vor allem in Schulen auch die sorbische Sprache zu berücksichtigen und zu pflegen.13 Insgesamt lassen sich staatliche Schutzpflichten gerichtet auf die Abwehr von Beeinträchtigungen der Identität aus den Artikeln 5 und 6 der sächsischen Verfassung ableiten . Unmittelbare Leistungspflichten wie die Bereitstellung von Mitteln für sorbische Schulen, sowie vorschulische und kulturelle Einrichtungen sind lediglich aus der konkreten Verfassungslage des Art. 6 Absatz 1 VerfSN begründbar.14 Die konkrete Ausgestaltung der Rechte der Sorben durch ein Gesetz ist unter anderem durch das Sächsische Sorbengesetz vom 31. März 1999 (Anlage 3) umgesetzt. 3.4. Sachsen-Anhalt Artikel 37 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt15 bestimmt zu kulturellen und ethnischen Minderheiten: (1) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes und der Kommunen. (2) Das Bekenntnis zu einer kulturellen oder ethnischen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbügerlichen Pflichten. Einfachgesetzliche Ausgestaltungen dieser Verfassungsgarantie gibt es nicht. 13 Degenhart, in: Degenhart/Meißner (Hrsg.), Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, Leipzig, 1997, § 5 Rn. 39 f. 14 Degenhart, in: Degenhart/Meißner (Hrsg.), Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen, Leipzig, 1997, § 5 Rn. 42. 15 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 (GVBl. LSA Nr. 31/1992, ausgegeben am 17.7.1992), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Januar 2005 (GVBl. LSA S. 44). - 10 - 3.5. Schleswig-Holstein Gesetzliche Grundlage der Minderheitenpolitik des Landes Schleswig-Holstein ist Artikel 5 der Landesverfassung vom 13. Juni 1990 (VerfSH): Nationale Minderheiten und Volksgruppen (1) Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei, es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten. (2) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung. Diese Staatszielbestimmung verpflichtet den Staat zum Handeln, begründet aber keinen unmittelbaren, gerichtlich durchsetzbaren Anspruch. Dem Wortlaut der Bestimmung kann auch kein Anspruch auf Förderung oder positive Schutzmaßnahmen entnommen werden.16 Er bedarf daher der Umsetzung durch Gesetz, Verordnung, Satzung und konkrete administrative und politische Entscheidungen. Zudem vermittelt Absatz 2 dem Einzelnen keine unmittelbaren gerichtlich durchsetzbaren Ansprüche.17 Der wesentliche materiell rechtliche Inhalt dieser Bestimmung besteht in der Garantie des freien Bekenntnisses zu einer nationalen Minderheit. Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Besonders hervorgehoben wird, dass die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe Anspruch auf Schutz und Förderung haben. Die Vorschrift trägt somit der besonderen historischen und kulturellen Situation Schleswig-Holsteins im Landesteil Schleswig Rechnung und stellt klar, dass die dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe Anspruch auf Schutz und Förderung genießen. Für die dänische Minderheit ist überdies Artikel 8 der Landesverfassung von besonderer Bedeutung. Danach können die Erziehungsberechtigten entscheiden, ob ihre Kinder die Schule einer nationalen Minderheit besuchen sollen. Das Schulgesetz, in dem dieser Grundsatz umgesetzt wird, ist eine der Rechtsvorschriften in Schleswig-Holstein, die Belange nationaler Minderheiten aufgreifen. Ferner enthalten die Geschäftsordnung des 16 v. Mutius, in: v. Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Kiel 1995, Artikel 5 Rn. 2. 17 v. Mutius., in: v. Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Kiel, 1995, Artikel 5 Rn. 6. - 11 - Schleswig-Holsteinischen Landtages, das Landeswahlgesetz, das Landesrundfunkgesetz , das Jugendförderungsgesetz, das Kindertagesstättengesetz sowie verschiedene Rechtsverordnungen und Ausführungsbestimmungen spezielle Regelungen zum Schutz und zur Förderung der Minderheiten und Volksgruppen.18 Bezüglich der dänischen Minderheit sind zusätzlich die Bonn-Kopenhagener- Erklärungen vom 29. März 195519 zu beachten, die die im Rahmen der Aufnahmever- 18 Bericht der Landesregierung zur Minderheitenpolitik in der 15. Legislaturperiode, Minderheitenbericht 2002, Landtagsdrucksache 15/2210, S. 33 f. 19 Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland In dem Wunsche, das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung beiderseits der deutsch-dänischen Grenze und damit auch die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark allgemein zu fördern und eingedenk der völkerrechtlichen Verpflichtung, welche die Bundesrepublik durch ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Konvention für Menschenrechte hinsichtlich der Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung nationaler Minderheiten (Artikel 14) übernommen hat, erklärt die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Grundsätze, auf welche die Schleswig-Holsteinische Landesregierung in ihrer Erklärung vom 26.9.1949 Bezug genommen hatte, folgendes: Die Angehörigen der Minderheit genießen wie alle Staatsbürger die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 garantierten Rechte, insbesondere haben sie im Rahmen des Grundgesetzes folgende Rechte: 1) Das Recht auf die Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit, 2) die Gleichheit vor dem Gesetz, 3) die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 4) das Recht der freien Meinungsäußerung und die Pressefreiheit, 5) die Versammlungs- und Vereinsfreiheit, 6) das Recht, den Beruf und den Arbeitsplatz frei zu wählen 7) die Unverletzlichkeit der Wohnung, 8) die freie Gründung der politischen Parteien, 9) den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung; bei den Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes darf zwischen Angehörigen der dänischen Minderheit und anderen Staatsbürgern kein Unterschied gemacht werden, 10) das allgemeine, unmittelbare freie, gleiche und geheime Wahlrecht, das auch für die Landesund Kommunalwahlen gilt, 11) das Recht, bei Verletzung von Rechten durch die öffentliche Gewalt den Schutz der Gerichte anzurufen, 12) das Recht auf gleiche Behandlung, nach dem niemand wegen seiner Abstammung, seiner Sprache , seiner Herkunft oder seiner politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf. In Ausführung dieser Rechtsgrundsätze wird hiermit festgestellt: 1) Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden. 2) Angehörige der dänischen Minderheit und ihre Organisationen dürfen am Gebrauch der gewünschten Sprache in Wort und Schrift nicht behindert werden. Der Gebrauch der dänischen Sprache vor den Gerichten und Verwaltungsbehörden bestimmt sich nach den diesbezüglichen gesetzlichen Vorschriften. 3) Bei Unterstützungen und sonstigen Leistungen aus öffentlichen Mitteln, über die im Rahmen des Ermessens entschieden wird, dürfen Angehörige der dänischen Minderheit gegenüber anderen Staatsbürgern nicht unterschiedlich behandelt werden. 4) Das besondere Interesse der dänischen Minderheit, ihre religiösen, kulturellen und fachlichen Verbindungen mit Dänemark zu pflegen, wird anerkannt. Die Bundesregierung gibt zur Kenntnis, dass die Landesregierung Schleswig-Holstein ihr mitgeteilt hat; - 12 - handlungen der Bundesrepublik Deutschland in die NATO die nationalen Spannungen zwischen Deutschland und Dänemark, die durch die Aufteilung des früheren Herzogtums Schleswig 1920 entstanden waren, von den nationalen Regierungen abgegeben wurden. Das Ergebnis der Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Dänemark wurde am 29. März 1955 in Bonn von beiden Regierungen veröffentlicht und später im Deutschen Bundestag sowie im Dänischen Parlament, dem Folketing, gebilligt . Bei der Erklärung handelt es sich um zwei einseitige, beinahe identische Regierungserklärungen. Sie sind nicht verpflichtend, wurden jedoch zügig auf beiden Seiten umgesetzt. Auf deutscher Seite wurde zum Beispiel die Fünf-Prozent-Hürde bei den Wahlen zum Landtag Schleswig-Holstein für die dänische Minderheit, d. h. für den Südschleswigschen Wählerverband aufgehoben, die für den Folketing geltende 2 %- Hürde für die Schleswigsche Partei, der Partei der deutschen Minderheit in Nordschleswig , hingegen nicht. 4. Bundesebene Das Grundgesetz enthält keine spezifische Norm zum Schutz nationaler und ethnischer Minderheiten. Die gemeinsame Verfassungskommission die in den Jahren 1991-1993 die Problematik erörterte, hat empfohlen, den Schutz von ethnischen Minderheiten in einem eingefügten Artikel 20 b mit dem Wortlaut: “Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten.“ im Grundgesetz zu verankern .20 Der Gesetzgeber ist dieser Empfehlung nicht gefolgt. Das einfache Bundesrecht enthält hingegen eine Vielzahl von Rechtsvorschriften die dem Schutz der von dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 199521 erfassten Gruppen dienen. Zum großen Teil handelt es sich um allgemeine Diskriminierungsverbote wie z. B. § 8 Bundesbeamtengesetz22 oder um 1) Da das Verhältniswahlverfahren gemäß der Kommunalgesetzgebung bei der Einsetzung von Ausschüssen in den kommunalen Vertretungskörperschaften Anwendung findet, werden die Vertreter der dänischen Minderheit zur Ausschussarbeit im Verhältnis zu ihrer Anzahl herangezogen. 2) Die Landesregierung empfiehlt, dass die dänische Minderheit im Rahmen der jeweils geltenden Regeln für die Benutzung des Rundfunks angemessen berücksichtigt wird. 3) Bei öffentlichen Bekanntmachungen sollen die Zeitungen der dänischen Minderheit angemessen berücksichtigt werden. 4) Im Lande Schleswig-Holstein können allgemein bildende Schulen und Volkshochschulen (auch solche mit fachlicher Ausrichtung) sowie Kindergärten von der dänischen Minderheit nach Maßgabe der Gesetze errichtet werden. In Schulen mit dänischer Unterrichtssprache ist ein zureichender Unterricht in deutscher Sprache zu erteilen. Eltern und Erziehungsberechtigte können frei entscheiden, ob ihre Kinder Schulen mit dänischer Unterrichtssprache besuchen sollen. 20 Drucksache 12/6000. 21 BGBl. 1997 II S. 1406. 22 § 8 Abs. 1 BBG: - 13 - Folgeregelungen, die völkerrechtliche Verpflichtungen in Bundesrecht – wie z. B. § 18 Abs. 4 S. 3 Parteiengesetz23 bezüglich des SSW in Schleswig-Holstein - umsetzen. Im Einzelnen sind dies folgende Vorschriften:24 1. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Auszug: Artikel 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 11, 19, 21, 33), 2. Gesetz über die politischen Parteien – Parteiengesetz (Auszug: §§ 18, 25), 3. Bundeswahlgesetz (Auszug: §§ 6, 20, 27), 4. Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die Rechte der dänischen Minderheit in Deutschland vom 29.03.1955 - Bonner Erklärung von 1955, 5. Bundesbeamtengesetz (Auszug: § 8), 6. Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts- Beamtenrechtsrahmengesetz (Auszug: § 7), 7. Strafgesetzbuch (Auszug: §§ 11, 26, 111, 130), 8. Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts – Vereinsgesetz (Auszug : § 1), 9. Gerichtsverfassungsgesetz (Auszug: §§ 184,185), 10. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag (Auszug: Artikel 35, Protokollnotizen, 11. Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet - Rechtspflege- Anpassungsgesetz (Auszug: § 11), 12. Gesetz zu dem Rahmenübereinkommen des Europarates vom 01. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten (einschließlich Minderheiten- Namensänderungsgesetz - MindNamÄndG) 13. Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung - Bundesausbildungsförderungsgesetz (Auszug: § 5), 14. Bundespersonalvertretungsgesetz (Auszug: §§ 67,105). Die Bewerber sind durch Stellenausschreibung zu ermitteln. Ihre Auslese ist nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen vorzunehmen. Dem stehen gesetzliche Maßnahmen zur Förderung von Beamtinnen zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung im Erwerbsleben, insbesondere Quotenregelungen mit Einzelfallprüfung, nicht entgegen. 23 § 18 Abs. 4 PartG: Anspruch auf staatliche Mittel gemäß Absatz 3 Nr. 1 und 3 haben Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis der jeweils letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5 vom Hundert oder einer Landtagswahl 1,0 vom Hundert der für die Listen abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben; für Zahlungen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 muss die Partei diese Voraussetzungen bei der jeweiligen Wahl erfüllen. Anspruch auf die staatlichen Mittel gemäß Absatz 3 Nr. 2 haben Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis 10 vom Hundert der in einem Wahl- oder Stimmkreis abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Parteien nationaler Minderheiten. 24 Aus: Erster Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz Nationaler Minderheiten, 1999, S. 129 ff. - 14 - 5. Europäische Ebene 5.1. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Das erste die nationalen Minderheiten schützende und international verbindliche Normenwerk ist die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie ihre zahlreichen Zusatzprotokolle. Artikel 14 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten bestimmt:25 Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung , der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Die Bundesrepublik Deutschland ist an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden, deren Artikel 46 lautet: "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen." Die Konvention steht in der Bundesrepublik Deutschland im Rang eines einfachen Gesetzes. Damit geht sie allen landesgesetzlichen Bestimmungen vor. Durch einfaches Bundesgesetz ist sie allerdings dem "lex posterior"-Grundsatz unterworfen, könnte also unter Umständen hinter neueren gesetzlichen Regelungen zurücktreten. Da jedoch die Grundrechtsgewährleistung der EMRK weitgehend der des Grundgesetzes entspricht, hat das Bundesverfassungsgericht 1987 ausgeführt, dass andere gesetzliche Bestimmungen der Bundesrepublik (wie beispielsweise die Strafprozessordnung) im Lichte der EMRK auszulegen seien.26 Damit kommt de facto der EMRK im deutschen Recht zwar kein verfassungsrechtlicher, aber doch ein übergesetzlicher Rang zu. 5.2. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 199527 ist das erste rechtsverbindliche multilaterale europäische Übereinkommen, das dem Schutz von Angehörigen nationaler Minderheiten im Allgemeinen gewidmet ist28. Deutschland hat das Rahmenübereinkommen am 11. Mai 1995 unterzeichnet und am 25 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. 1952 II 685, 953, Stand: Durch Protokoll Nr. 11 geänderte Fassung. 26 BVerfGE 74, 358, 370. 27 BGBl. 1997 II S. 1406. 28 http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/menschenrechte/europarat/konventionen/ minderheiten_html, Stand 24. März.2006. - 15 - 10. September 1997 ratifiziert. Es ist für die Bundesrepublik am 1. Februar 1998 in Kraft getreten.29 Deutschland hat bezüglich des Minderheitenbegriffs einen Vorbehalt erklärt, nach dem unter Minderheiten „nur klar definierte und deutlich unterscheidbare Gruppen, die lange auf dem Territorium eines Staates gelebt haben“, verstanden werden . Nationale Minderheiten, die unter das Rahmenübereinkommen fallen, sind demnach in Deutschland nur die dänische Minderheit, das sorbische Volk, die Friesen in Deutschland und die deutschen Sinti und Roma.30 Der erste Staatenbericht Deutschlands ist dem Europarat Anfang 2000 übermittelt worden. Eine zentrale Vorgabe lautet: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Bedingungen zu fördern, dieses Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiter zu entwickeln und die wesentlichen Bestandteile ihrer Identität, nämlich ihre Religion, ihre Sprache, ihre Traditionen und ihr kulturelles Erbe, zu bewahren.“31 Nach dem Vertragsgesetz vom 22. Juli 1997 gilt das Rahmenübereinkommen in Deutschland als Bundesgesetz, das nachrangiges Recht - einschließlich Landesgesetze - bricht und gegenüber sonstigen Bundesgesetzen grundsätzlich als das speziellere Gesetz anzuwenden ist.32 5.3. Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen33 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 1992, in Kraft getreten am 1. März 1998, sieht den Schutz und die Förderung der geschichtlich gewachsenen Regional- und Minderheitensprachen Europas vor. Der Ausdruck "Regional- oder Minderheitensprachen" Sprachen bezeichnet die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden. Er umfasst aber weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch die Sprachen von Zuwanderern.34 Die Charta beinhaltet eine Vielzahl von Ver- 29 BGBl. 1997 II S. 1406. 30 Deutschland hat folgenden Vorbehalt erklärt (BGBl II 1998 S. 1334): „Das Rahmenübereinkommen enthält keine Definition des Begriffs der nationalen Minderheiten. Es ist deshalb Sache der einzelnen Vertragsstaaten zu bestimmen, auf welche Gruppen es nach der Ratifizierung Anwendung findet. Nationale Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland sind die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das Rahmenübereinkommen wird auch auf die Angehörigen der traditionell in Deutschland heimischen Volksgruppen der Friesen deutscher Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit angewendet.“ 31 Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens. 32 Erster Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz Nationaler Minderheiten,1999, Teil I Absatz 2 (Seite 4). 33 BGBl. 1998 II S. 1314. 34 Artikel 1 der Charta. - 16 - pflichtungen insbesondere in Bezug auf Bildung, Justiz, Verwaltung, Medizin und kulturelle Tätigkeiten.35 Die Bewahrung der Sprachen- und Kulturvielfalt bedeutet nicht nur Identitätssicherung und Erhalt des kulturellen Erbes, sondern dient auch der innerstaatlichen Verständigung und der Integration aller Bürger in den Staat; Toleranz und Offenheit für andere Sprachen und Kulturen werden von der Charta vorausgesetzt und eingefordert. Die Anwendung der Charta wird von einem Sachverständigenausschuss kontrolliert, der die Aufgabe hat, die von den Vertragsstaaten regelmäßig vorzulegenden Berichte zu prüfen. Deutschland gehörte zu den Erstzeichnern der Charta am 5. November 1992 und hat die Ratifikation am 16. September 1998 vollzogen.36 Die Charta ist für die Bundesrepublik am 1. Januar 199937 in Kraft getreten.38 Nach dem Vertragsgesetz gilt die Charta in Deutschland als Bundesgesetz, das nachrangiges Recht - einschließlich Landesgesetze – bricht und gegenüber sonstigen Bundesgesetzen grundsätzlich als das speziellere Gesetz anzuwenden ist. Die innerstaatliche Beachtung der Charta ist rechtlich umfassend gewährleistet .39 5.4. Charta der Grundrechte der Europäischen Union Eine weitere Rechtgrundlage zugunsten der Rechte nationaler Minderheiten könnte sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergeben.40 Diese Charta stellt eine rechtliche Kodifizierung der Grundrechte auf Ebene der Europäischen Union dar, die die Grundrechte erstmals umfassend schriftlich und in einer verständlichen Form niedergelegt. Sie orientiert sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention. So lautet Artikel 21 Absatz 1: Nichtdiskriminierung (1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale , der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten. 35 Artikel 8 ff. der Charta. 36 Deutschland ist der Charta allerdings mit einer Vielzahl von Vorbehalten beigetreten, die insbesondere die landesrechtlichen Besonderheiten berücksichtigen sollen. 37 Novelliert 2002. 38 http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/menschenrechte/europarat/konventionen/ sprachen_html. Stand 23.03.2006. 39 Zweiter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, 2003. 40 Charta der Grundrechte der Europäischen Union Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 18.12.2000, C 364/1. - 17 - Artikel 22 hat zusätzlich folgenden Inhalt: Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Durch diese Vorschriften könnten die Rechte nationaler Minderheiten weiter gestärkt sein. Jedoch ist die Charta selbst zur Zeit nicht unmittelbar rechtsverbindlich, da sie den Teil II des Europäischen Verfassungsvertrages41, wie er am 29. Oktober 2004 unterzeichnet wurde und 2007 in Kraft treten sollte, bildet. Durch In-Kraft-Treten des Vertrags über eine Verfassung für Europa würde die Charta rechtlich verbindlich für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten, soweit sie EU-Recht ausführen. Durch die gescheiterten Referenden zum Verfassungsvertrag ist nun auch die Zukunft der Charta ungewiss. Allerdings kann die Charta der Grundrechte der Europäischen Union insofern Rechtswirkungen entfalten, als sie ein Ausdruck des in Artikel 151 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften42 von der Gemeinschaft zu leistenden „Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“ darstellt. Da die europäische Rechtsprechung unabhängig vom Ratifikationsverfahren der EU-Verfassung die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“ aus Artikel 6 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union43 beachten muss, wird der Charta mittelbare Rechtswirkungen insbesondere durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften entfalten können.44 41 Siehe Drucksache 15/4900. 42 Konsolidierte Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt Nr. C 325 vom 24. Dezember 2002. 43 Artikel 6 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union lautet: (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. 44 Zum Thema ausführlich: Meyer, Vorwort zum Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Jürgen Meyer (Hrsg.), bearb. von Norbert Bernsdorff, 2. Auflage Baden-Baden 2005 und Hölscheidt, ebenda, S. 297 ff.