© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 138/16 Fluchtmigration nach Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 2 Fluchtmigration nach Deutschland Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 138/16 Abschluss der Arbeit: 10.05.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 3 1. Einleitung Im Zusammenhang mit den US-amerikanischen und mexikanischen Reaktionen auf Fluchtmigrationsbewegungen aus Lateinamerika wird danach gefragt, wie Deutschland mit der Fluchtmigration von Drittstaatsangehörigen umgeht. Von besonderem Interesse ist dabei die Steuerung der Fluchtmigration an den Grenzen, die Gewährung von asylrechtlichem und sonstigem humanitären Schutz sowie die Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Opfern von Menschenhandel . Wesentlich für das Verständnis der deutschen Fluchtmigrationspolitik ist die Einbettung Deutschlands in das europäische Asylsystem: Einerseits begrenzen die unionsrechtlichen Vorgaben die nationalen Handlungsspielräume, andererseits ergeben sich aus dem europäischen Asylsystem zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten, z.B. durch den Schutz der EU-Außengrenzen. Im Folgenden soll die nationale Perspektive im Vordergrund stehen. Besondere Berücksichtigung finden die Maßnahmen, die seit der Zuspitzung der Flüchtlingskrise Mitte 2015 ergriffen wurden. 2. Sicheres Drittstaatenkonzept und Dublin-Zuständigkeitssystem Nach dem sicheren Drittstaatenkonzept, das verfassungsrechtlich in Art. 16a Abs. 2 GG und einfachgesetzlich in § 18 Asylgesetz (AsylG) angelegt ist, wird Asylsuchenden, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, kein asylrechtlicher Schutz gewährt bzw. schon die Einreise nach Deutschland verweigert. Zu den sicheren Drittstaaten gehören neben den EU-Mitgliedstaaten Norwegen und die Schweiz, § 26a Abs. 2 AsylG. Auch ohne besondere Grenzsicherungsmaßnahmen werden die Möglichkeiten der Fluchtmigration nach Deutschland dadurch erheblich eingeschränkt. Flankiert wird das sichere Drittstaatenkonzept durch das unionsrechtliche Dublin-Zuständigkeitssystem nach der Dublin-III-Verordnung (VO [EU] Nr. 604/2013). Dieses führt im Grundsatz dazu, dass die EU-Mitliedstaaten an den EU-Außengrenzen für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig sind.1 Die Einreise von Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten ist aber unter besonderen Umständen zu gestatten. Zum einen kann der Bundesminister des Innern u.a. aus humanitären Gründen die Einreisegestattung anordnen, § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG. Darüber hinaus können sich besondere Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-III-Verordnung gegenüber der grundsätzlichen Pflicht zur Einreiseverweigerung durchsetzen, § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG. Besondere Zuständigkeiten für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz bestehen z.B. für unbegleitete Minderjährige (Art. 8 VO [EU] Nr. 604/2013) und Familienangehörige (Art. 9 VO [EU] Nr. 604/2013). Relevant ist nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO [EU] Nr. 604/2013 auch, ob „es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen“, mit 1 Vgl. Art. 13 Abs. 1 S. 1 VO (EU) Nr. 604/13, wonach die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates grundsätzlich gegeben ist, wenn auf Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt wird, „dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten hat“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 4 der Folge, dass eine Überstellung in diese EU-Mitgliedstaaten unmöglich ist2 und eine Zuständigkeit des prüfenden EU-Mitgliedstaates entsteht, Art. 3 Abs. 2 S. 3 VO [EU] Nr. 604/2013. Von besonderer Bedeutung ist die (Auffang-) Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaats, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, wenn sich der nach den grundsätzlichen Regeln zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO [EU] Nr. 604/2013). Schwierigkeiten bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entstehen insbesondere, wenn keine Registrierung der Asylsuchenden erfolgt.3 Bleibt die Registrierung der Asylsuchenden – ggf. aus Überforderung – aus, wird aber gleichwohl die Weiterreise ohne Stellung eines Asylgesuchs gewährt, kommt es zur Zuständigkeit desjenigen EU-Mitgliedstaats, in dem die Asylsuchenden den Antrag auf internationalen Schutz stellen. Schließlich besteht nach der Dublin-III-Verordnung die Möglichkeit des Selbsteintritts. Art. 17 Abs. 1 VO [EU] Nr. 604/2013 lässt es ausdrücklich zu, von einer Zuständigkeitsprüfung abzusehen und „einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. In diesem Fall wird der Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat, Art. 17 Abs. 1 S. 2 VO [EU] Nr. 604/2013. Die Abweichung von der grundsätzlichen Pflicht zur Einreiseverweigerung gegenüber Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten folgt damit einem differenzierten Regelungssystem: einerseits in Form von Abweichungsmöglichkeiten durch das Selbsteintrittsrecht im Rahmen der Dublin- III-Verordnung und durch die Anordnung des Bundesministers des Innern und andererseits in Form von Abweichungspflichten aus den zwingenden Zuständigkeitsvorschriften der Dublin- III-Verordnung. Auf welcher rechtlichen Grundlage Anfang September 2015 die „Öffnung der Grenzen“ für Asylsuchende aus sicheren Drittstaaten erfolgte, ist unklar.4 3. Humanitärer Schutz Der humanitäre Schutz wird durch asylrechtlichen Schutz oder sonstige humanitäre Aufenthaltstitel gewährt. Der asylrechtliche Schutz basiert auf der Gewährung subjektiver Rechte (Ansprüche), die sonstigen humanitären Aufenthaltstitel sind als Ermessensentscheidungen ausgestaltet. 3.1. Asylrechtlicher Schutz Im Zentrum des asylrechtlichen Schutzes steht der internationale Schutz, d.h. die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus oder der subsidiären Schutzberechtigung entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben, die in nationales Recht umgesetzt worden sind. Dem nationalen asylrechtlichen Schutz in Form der Asylberechtigung (Art. 16a Abs. 1 GG) und der nationalen Abschiebungsverbote 2 Vgl. dazu BVerwG NVwZ 2014, 1039 mit weiteren Hinweisen zur einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. 3 Die Feststellung der illegalen Einreise in einen anderen Mitgliedstaat erfolgt regelmäßig über einen Abgleich mit der EURODAC-Datenbank, siehe dazu die Verordnung [EU] Nr. 603/2013 (EURODOC-Verordnung). 4 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Einreise von Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten (WD 3 - 3000 - 299/15). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 5 (§ 60 Abs. 5, 7 Aufenthaltsgesetz - AufenthG) kommt in der Praxis lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu.5 Ein Asylsuchender hat nach § 3 Abs. 1 AsylG Anspruch auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn er sich „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Falls eine Verfolgung nicht vorliegt, kann die Gewährung subsidiären (Menschenrechts-)Schutzes in Betracht kommen. Der auf der EU-Anerkennungsrichtlinie basierende internationale subsidiäre Schutz setzt insofern voraus, dass dem Ausländer ein „ernsthafter Schaden“ droht, z.B. „infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“ nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (Stichwort: Bürgerkriegsflüchtlinge). Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise erfolgten seit Oktober 2015 im Rahmen der sog. Asylpakete I und II zahlreiche Gesetzesänderungen. Die gesetzlichen Änderungen zielten in erster Linie auf die Beschleunigung der Asylverfahren, die Senkung der Anreize für illegale (Wirtschaftsflucht-) Migration sowie auf die Integration asylrechtlich Schutzberechtigter ab. Hervorzuheben ist die frühzeitige Differenzierung zwischen Asylbewerbern mit guter und ohne gute Bleibeperspektive. Zu den Asylbewerbern ohne gute Bleibeperspektive gehören insbesondere diejenigen aus sicheren Herkunftsstaaten. Zu den sicheren Herkunftsstaaten zählen nach der Anlage II zu § 29a AsylG Bosnien und Herzegowina, Ghana, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Senegal, Serbien und nach den Änderungen durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auch Albanien, Kosovo und Montenegro. Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten müssen für die Dauer des Asylverfahrens in der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen (§ 47 Abs. 1a AsylG), dürfen keine Erwerbstätigkeit ausüben (§ 61 Abs. 2 S. 4 AsylG) und haben keinen Zugang zu Integrationsangeboten (§ 44 Abs. 4 S. 3, § 45a Abs. 2 S. 3 und 4 AufenthG). Für Asylbewerber ohne gute Bleibeperspektive wurde darüber hinaus die Möglichkeit beschleunigter Asylverfahren geschaffen, die innerhalb von einer Woche durchzuführen sind und den Aufenthalt in besonderen Aufnahmeeinrichtungen vorsehen (§ 30a AsylG). Asylbewerbern mit guter Bleibeperspektive hingegen wurde der Zugang zu Integrationskursen ermöglicht (§ 44 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 AufenthG). Eine weitere wichtige Gesetzesänderung betrifft den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 AsylG. Nach dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 wird der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgesetzt.6 Regelungstechnisch erfolgt die Aussetzung des Familiennachzugs durch eine Übergangsvorschrift in § 104 Abs. 13 AufenthG. Diese Übergangsvorschrift sieht vor, dass der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, die nach dem 17.3.2016 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, bis zum 16.3.2018 nicht gewährt wird. Die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten umfasst auch den Nachzug von Eltern zu ihren minderjährigen 5 Zum internationalen und nationalen asylrechtlichen Schutz vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages , Kategorien des asylrechtlichen Schutzes in Deutschland (Aktueller Begriff, WD 3 Nr. 30/15), abrufbar unter: http://www.bundestag.btg/ButagVerw/W/Ausarbeitungen/Einzelpublikationen/Ablage/2015/Kategorien _des_a_1450169075.pdf. 6 Vgl. BGBl. 2016 I, 390 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 6 unbegleiteten Kindern, denen die subsidiäre Schutzberechtigung gewährt wurde. Die Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 13 AufenthG enthält allerdings einen ausdrücklichen Hinweis auf die Anwendbarkeit der §§ 22, 23 AufenthG, nach denen eine humanitäre Aufnahme von Familienangehörigen aus dem Ausland im Rahmen von Ermessensentscheidungen weiterhin möglich bleibt.7 3.2. Sonstige humanitäre Aufenthaltstitel In den §§ 22 ff. AufenthG sind verschiedene Rechtsgrundlagen für die Gewährung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen geregelt. Hervorzuheben sind hier die Aufnahmeprogramme zugunsten bestimmter Ausländergruppen nach § 23 AufenthG (sog. Kontingentflüchtlinge) sowie die Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel nach § 25 Abs. 4a AufenthG. 3.2.1. Aufnahmeprogramme Die Vorschrift in § 23 Abs. 1 AufenthG bezieht sich auf Landesaufnahmeprogramme. Danach kann eine oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Anordnung kann dabei unter der Maßgabe erfolgen, dass eine Verpflichtungserklärung bezüglich der Haftung für den Lebensunterhalt nach § 68 AufenthG abgegeben wird.8 § 23 Abs. 2 AufenthG stellt die Rechtsgrundlage für Bundesaufnahmeprogramme dar. Danach kann das Bundesministerium des Innern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Auf Bundesebene gab es für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge bislang drei Programme (Mai 2013, Dezember 2013 und Juli 2014).9 3.2.2. Opfer von Menschenhandel Die Rechtsstellung von Opfern von Menschenhandel wurde mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.201510 verbessert. Während zuvor nur die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von sechs Monaten 7 Siehe dazu sogleich unter Ziff. 3.2. 8 Eine Übersicht über die Aufnahmeprogramme der einzelnen Bundesländer findet sich unter https://www.proasyl.de/thema/aufnahmeprogramme/syrien-aufnahmeprogramme/ (Stand: 29.03.2016). 9 Vgl. dazu die Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Migration/syrien-aufnahme-merkblatt-faq-3- programm.pdf?__blob=publicationFile. Die Anordnung des Bundesministeriums des Innern vom 18. Juli 2014, die dem dritten Bundes-Aufnahmeprogramm zugrunde liegt, kann abgerufen werden unter https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/01_2014-07-20_BMI_Anordnung_HAP_10.000-3_Syrien _mit_Anlagen.pdf. 10 Vgl. BGBl. I 2015, 1386 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 7 in Betracht kam,11 wird nun eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von einem Jahr erteilt, § 25 Abs. 4a, § 26 Abs. 1 S. 5 AufenthG. Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist nach § 25 Abs. 4a AufenthG u.a., dass der Ausländer Opfer einer Straftat nach den §§ 232, 233 oder § 233a des Strafgesetzbuches (StGB)wurde,12 seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird und er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen. Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern, § 25 Abs. 4a S. 3 AufenthG.13 Die Regelung in § 25 Abs. 4a AufenthG schließt die Gewährung von Aufenthaltstiteln nach anderen Rechtsgrundlagen für Opfer von Menschenhandel nicht aus.14 4. Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Wesentlich für den Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist die Inobhutnahme durch die Jugendämter nach den §§ 42 ff. Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Durch die Inobhutnahme wird eine geeignete Unterbringung und Betreuung gewährleistet.15 Ferner besteht nach § 1773 Bürgerliches Gesetzbuch die Verpflichtung, für Minderjährige einen Vormund zu bestellen. Der Vormund von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen fungiert als gesetzlicher Vertreter auch in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren.16 Der Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird darüber hinaus in Asylverfahren durch die unmittelbar anwendbare Dublin-III-Verordnung gewährleistet,17 die in ihrem Anwendungsbereich u.a. die Berücksichtigung der Familienzusammenführung und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen erfordert sowie Sicherheitserwägungen vorschreibt, „insbesondere wenn es sich bei dem Minderjährigen um ein Opfer des Menschenhandels handeln könne“.18 Weitere Garantien für Minderjährige in Asylverfahren folgen aus der EU-Asylverfahrensrichtlinie (Art. 25 11 Diese Frist basierte auf den Mindestanforderungen, die die zugrundeliegende EU-Opferschutzrichtlinie (Richtlinie 2004/81/EG) voraussetzt. 12 Der strafbare Menschenhandel umfasst den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232 StGB), zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) sowie die Förderung des Menschenhandels (§ 233a StGB). 13 Siehe dazu auch BT-Drs. 18/4097, 41. 14 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht (Loseblatt-Slg., Stand: November 2015), Rn. 114 zu § 25 AufenthG. 15 Zur bundesweiten Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge siehe das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 28.10.2015, BGBl. 2015 I, 1802 ff. 16 Die Handlungsfähigkeit in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren tritt nach den gesetzlichen Änderungen im Jahr 2015 nicht mehr mit Vollendung des 16. Lebensjahres, sondern mit Erreichen der Volljährigkeit ein, § 12 Abs. 1 AsylG, § 80 Abs. 1 AufenthG. 17 Siehe dazu bereits unter Ziff. 2. 18 Vgl. Art. 6 und 8 VO [EU] Nr. 604/2013. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 138/16 Seite 8 Richtlinie 2013/32/EU), der EU-Anerkennungsrichtlinie (Art. 31 Richtlinie 2011/95/EU) und der EU-Aufnahmerichtlinie (Art. 14, 23 und 24 Richtlinie 2013/33/EU). In aufenthaltsrechtlichen Verfahren ist der besondere Schutz von Minderjährigen bei der Abschiebung hervorzuheben. Nach § 58 Abs. 1a AufenthG hat sich die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Diese Vorschrift wird so ausgelegt, dass die abstrakte Möglichkeit einer Übergabe des unbegleiteten Minderjährigen z.B. an Verwandte, die sich im Herkunftsland aufhalten und deren Aufenthaltsort nach der Ankunft erst noch ermittelt werden muss, nicht ausreicht . Die zuständigen Behörden müssen sich vielmehr vergewissern, z.B. durch Einschaltung der Botschaften und Konsulate vor Ort, dass eine Übergabe an konkret benannte Personen oder Stellen tatsächlich vollzogen werden kann.19 Ist eine solche Vergewisserung nicht möglich, darf eine Abschiebung nicht erfolgen. Ende der Bearbeitung 19 Siehe dazu BVerwG NVwZ 2013, 1489, 1491.