© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 137/20 Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 137/20 Seite 2 Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 137/20 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 137/20 Seite 3 1. Einleitung und Fragestellung Nachdem der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten von März 2016 bis Juli 2018 ausgesetzt war, ist er seit 1. August 2018 wieder möglich. Die Erteilung entsprechender Visa ist gemäß § 36a Abs. 2 S. 2 AufenthG (AufenthG) aber auf ein Kontingent von 1000 pro Monat begrenzt. Die Wissenschaftlichen Dienste wurden um einen Überblick über die Voraussetzungen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten gebeten. Ferner soll darauf eingegangen werden, wie das monatliche Kontingent für die Erteilung entsprechender Visa umgesetzt wird. 2. Voraussetzungen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a AufenthG) Der Familiennachzug nach §§ 27 bis 36a AufenthG stellt insgesamt eine sehr komplexe Regelungsmaterie dar, die in den letzten Jahren zahlreiche Änderungen durch den Gesetzgeber erfahren hat. § 36a AufenthG enthält zwar besondere Bestimmungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, zählt die Voraussetzungen aber selbst nicht vollständig auf, sondern setzt weitere Regelungen des AufenthG voraus, verweist auf diese (Abs. 4) oder schließt deren Anwendbarkeit aus (Abs. 5). Im Folgenden können nur die wesentlichen Anforderungen an den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten dargestellt werden. Familienangehörige subsidiär Schutzberechtigter haben gemäß § 36a Abs. 1 S. 3 AufenthG keinen Anspruch auf Familiennachzug; die Entscheidung steht viel mehr im Ermessen der zuständigen Behörden. § 36a AufenthG beschränkt den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten (als sog. Stammberechtigte ) auf Ehegatten, minderjährige ledige Kinder und Eltern von minderjährigen Schutzberechtigten , die ohne personensorgeberechtigten Elternteil in Deutschland leben; Geschwister werden von der Vorschrift nicht erfasst. Der Nachzug von sonstigen Familienangehörigen, also auch von Geschwistern, kann aber in Ausnahmefällen bei Vorliegen einer besonderen Härte nach § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG in Betracht kommen. Darüber hinaus bleibt gemäß § 36a Abs. 1 S. 4 AufenthG auch ein Nachzug von Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter im Rahmen von humanitären Aufnahmeprogrammen nach § 23 AufenthG oder auf Grundlage einer Einzelfallentscheidung des Bundesministeriums des Innern zur Wahrung der politischen Interessen Deutschlands nach § 22 AufenthG zulässig. Eine wesentliche Voraussetzung für den Familiennachzug nach § 36a AufenthG ist das Vorliegen humanitärer Gründe. § 36a Abs. 2 AufenthG nennt beispielsweise eine Trennung der Familienangehörigen über eine lange Zeit (Nr. 1), die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes (Nr. 2), eine ernsthafte Gefährdung der Familienangehörigen im Herkunftsland (Nr. 3) oder eine schwere Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit des Stammberechtigten oder des zuziehenden Familienangehörigen (Nr. 4). Die Aufzählung ist nur beispielhaft, humanitäre Gründe können sich auch aus weiteren Umständen ergeben. Sind Kinder betroffen, ist bei der Prüfung das Kindeswohl stets besonders zu berücksichtigen (§ 36a Abs. 2 S. 2 AufenthG). Soweit § 36a AufenthG keine spezielleren Regelungen beinhaltet, müssen auch die für die jeweilige Art des Familiennachzugs nach §§ 27 ff. AufenthG geltenden Voraussetzungen und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG vorliegen: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 137/20 Seite 4 Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG muss in der Regel die Identität und Staatsangehörigkeit des Nachziehenden geklärt (Nr. 1) und die Passpflicht erfüllt sein (Nr. 4). Nach § 36a Abs. 5 AufenthG ist in der Regel auch Voraussetzung, dass kein Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besteht. Der Aufenthalt des Nachziehenden darf auch nicht aus einem sonstigen Grund die Interessen Deutschlands beeinträchtigen oder gefährden. Abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt der Elternnachzug zu einem minderjährigen Stammberechtigten gemäß § 36a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 AufenthG weder die Sicherung des Lebensunterhalts noch das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums voraus. Beim Nachzug von Kindern und Ehegatten kann gemäß § 36a i.V.m. § 29 Abs. 2 S. 1 AufenthG von diesen Voraussetzungen im Ermessenswege abgesehen werden. Allerdings gilt gemäß § 36a Abs. 5 AufenthG die Privilegierung des § 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AufenthG für Familienangehörige von Asylberechtigten und Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht, wonach zwingend von den genannten Voraussetzungen abzusehen ist, wenn der Antrag auf Familiennachzug binnen drei Monaten nach unanfechtbarer Anerkennung gestellt wird. Ehegatten müssen zum Zeitpunkt des Familiennachzugs das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 36a Abs. 4 i.V.m. § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG). Bei Mehrehen ist der Ehegattennachzug grundsätzlich auf einen Ehegatten begrenzt . Der Ehegattennachzug ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach der Flucht des Stammberechtigten geschlossen wurde (§ 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG). Der Familiennachzug ist gemäß § 36a Abs. 3 AufenthG ausgeschlossen, wenn der Stammberechtigte wegen bestimmter Straftaten bzw. zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde (Nr. 2 a) bis d)) oder wenn nicht zu erwarten ist, dass die Aufenthaltserlaubnis des Stammberechtigten verlängert wird (Nr. 3) oder dieser eine Grenzübertrittsbescheinigung zur Ausreise (Nr. 4) beantragt hat. In § 27 Abs. 3a AufenthG sind zudem weitere Ausschlussgründe geregelt, die nach der Gesetzesbegründung den Nachzug zu terroristischen Gefährdern, Hasspredigern und Leitern verbotener Vereine verhindern sollen.1 Im Rahmen der Ausübung des Ermessens müssen die zuständigen Behörden über die konkreten humanitären Gründe für den Familiennachzug und das Kindeswohl hinaus auch Integrationsaspekte besonders berücksichtigen (§ 36a Abs. 2 S. 3 AufenthG). Diese können sich nicht nur hinsichtlich der nachziehenden Person sondern auch bezüglich des Stammberechtigten ergeben, zu dem der Nachzug erfolgen soll. Für die Integrationsprognose relevante – positive oder negative – Aspekte können beispielsweise Sprachkenntnisse, Schul-, Berufs- oder Bildungserfolge, die Sicherung des Lebensunterhalts- und des Wohnraums, aber auch Verurteilungen unterhalb der Schwelle der o.g. Ausschlussgründe sein. 3. Umsetzung des Kontingents von 1000 Visa pro Monat Die Umsetzung der Kontingentierung auf 1000 Visa pro Monat für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten obliegt dem Bundesverwaltungsamt (BVA). Deshalb werden die Anträge derjenigen Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter, die nach der Prüfung der zuständigen Auslandsvertretungen und Ausländerbehörden grundsätzlich die Voraussetzung für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG erfüllen, an das BVA übermittelt. 1 BT-Drs. 19/2438, S. 20 (letzter Abruf aller verlinkten Internetfundstellen: 16. Juni 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 137/20 Seite 5 Dieses trifft im Rahmen seines Auswahlermessens eine fortlaufende Priorisierung aller gestellten Anträge und übermittelt das Ergebnis zur Visumserteilung an die Auslandsvertretungen. Nach Angaben des BVA werden nicht berücksichtigte Anträge im kommenden Monat erneut in das Auswahlverfahren einbezogen, eine neue Antragstellung bei der Auslandsvertretung sei nicht notwendig .2 Laut einer Antwort der Bundesregierung von Oktober 2019 auf eine parlamentarische Kleine Anfrage mussten bisher keine Auswahlentscheidungen anhand der Rangfolge bestimmter Kriterien getroffen werden, da die Zahl der dem BVA zur Entscheidung vorliegenden Anträge monatlich unter 1000 lag.3 Dies war auch im November4 und Dezember5 2019 der Fall. Im gesamten 1. Quartal 2020 lag die Gesamtzahl der erteilten Visa zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sogar nur bei 1.856.6 *** 2 Informationen zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten im Internetangebot des Bundesverwaltungsamts . 3 BT-Drs. 19/14640, S. 13. 4 BT-PlPr. 19/133, S. 16653D - 16654B. 5 BT-PlPr. 19/139, S. 17412A - 17412C. 6 BT-PlPr. 19/162, S. 20230C.