Deutscher Bundestag Die Zulässigkeit eines Vetorechts des Parlaments gegen die Ausfuhr von Rüstungsgütern Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 136/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 2 Die Zulässigkeit eines Vetorechts des Parlaments gegen die Ausfuhr von Rüstungsgütern Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 136/11 Abschluss der Arbeit: 24. Mai 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 3 1. Problemaufriss 4 2. Mögliche Ausgestaltung eines Vetorechts 4 3. Zulässigkeit eines gesetzlichen Vetorechts des Parlaments für die Ausfuhr von Kriegswaffen 5 3.1. Vereinbarkeit eines Vetorechts des Parlaments mit Art. 26 Abs. 2 GG 5 3.1.1. Anwendungsbereich des Artikel 26 GG 5 3.1.2. Regelungsgehalt des Artikel 26 Abs. 2 GG 6 3.2. Vereinbarkeit des Vetorechts mit dem Prinzip der Gewaltenteilung 7 3.2.1. „Vetorecht“ des Bundestages mit Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung (Fall 1) 9 3.2.2. Vetorecht des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung (Fall 2) 9 4. Ausfuhrkontrolle von Rüstungsgütern 10 4.1. Die Regelungen des Außenwirtschaftsgesetzes 11 4.2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Vetorecht des Parlaments 11 4.2.1. „Vetorecht“ des Bundestages mit Abweichungsmöglichkeit der Bundesbehörde (Fall 1) 12 4.2.2. Vetorecht des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesbehörde (Fall 2) 12 5. Mögliche Einführung eines Vetorechts durch eine Änderung des Grundgesetzes? 14 6. Ergebnis 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 4 1. Problemaufriss Der Wert von Genehmigungen für Rüstungs- und Waffenexporten aus Deutschland ins Ausland betrug 2009 etwas über sieben Milliarden Euro.1 Vom volkswirtschaftlichen Nutzen unabhängig können Exporte von Rüstungsgütern in der Öffentlichkeit Kritik oder Unverständnis hervorrufen, beispielsweise als 1990 bekannt wurde, dass deutsche Unternehmen Komponenten für eine Giftgasfabrik in Libyen geliefert hatten. Die Ausfuhr solcher Güter steht unter einer strengen Kontrolle . Diese Kontrolle wird durch die Regierung bzw. durch von ihr eingerichtete Behörden durchgeführt . Das Parlament ist nur insoweit eingebunden, als die Bundesregierung dem Bundestag jährlich einen Rüstungsexportbericht vorlegt.2 Im Folgenden soll geprüft werden, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, dem Parlament ein Vetorecht gegen die Genehmigung von Rüstungs- und Waffenexporten einzuräumen. 2. Mögliche Ausgestaltung eines Vetorechts Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie ein Vetorecht des Parlaments gegen Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen formuliert werden könnte. Ein solches Vetorecht könnte so ausgestaltet sein, dass die Bundesregierung vor Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung den Bundestag um Einverständnis ersucht und sich verpflichtet, im Einklang mit dem Votum des Bundestages zu handeln , gegebenenfalls mit einer Abweichungserlaubnis aus wichtigen außen- oder sicherheitspolitischen Gründen (Fall 1).3 Die Rechte des Bundestages wären am weitesten ausgestaltet, wenn die Bundesregierung eine entsprechende Ausfuhrgenehmigung nur mit vorheriger Zustimmung des Bundestages erteilen könnte (Fall 2). Diese beiden Varianten werden im Folgenden auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit geprüft. Im Fortgang wird zunächst die Zulässigkeit eines einfachgesetzlich ausgestalteten Vetorechts im Bereich der Ausfuhr von Kriegswaffen (Punkt 3) und sonstigen Rüstungsgütern (Punkt 4) untersucht . Danach wird erörtert, ob ein Vetorecht des Bundestages durch eine Änderung des Grundgesetzes eingeführt werden kann (Punkt 5). Unter Punkt 6 findet sich das Ergebnis. 1 Unterrichtung durch die Bundesregierung – Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2009 (Rüstungsexportbericht 2009), BT-Drs. 17/4200, S. 3 und 12. 2 Zur Vorlage des Berichts hat sich die Bundesregierung in den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern” vom 19. Januar 2000 (abgedruckt auf BT-Drs. 17/4200, als Anlage 1) verpflichtet. 3 Eine ähnliche Regelung existiert bereits in § 9 Abs. 4 EUZBBG, wenn die Bundesregierung über einen Rechtsakt der Europäischen Union abschließend entscheidet: „Vor der abschließenden Entscheidung im Rat bemüht sich die Bundesregierung, Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen. (…) Das Recht der Bundesregierung, in Kenntnis der Stellungnahme des Bundestages aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichende Entscheidungen zu treffen, bleibt unberührt.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 5 3. Zulässigkeit eines gesetzlichen Vetorechts des Parlaments für die Ausfuhr von Kriegswaffen Art. 26 Abs. 2 GG enthält eine spezielle Regelung für die Genehmigung des Umgangs mit Kriegswaffen ; daher muss zwischen diesen und sonstigen Rüstungsgütern unterschieden werden. 3.1. Vereinbarkeit eines Vetorechts des Parlaments mit Art. 26 Abs. 2 GG Gemäß Art. 26 Abs. 2 GG dürfen zur Kriegführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. 3.1.1. Anwendungsbereich des Artikel 26 GG Welche Waffen zur Kriegführung bestimmt sind, richtet sich nach objektiven Merkmalen und umfasst alle Waffen, die objektiv in einem Krieg verwendet werden können.4 Die Konkretisierung des Begriffs Kriegswaffen wird durch den Gesetzgeber vorgenommen, der in § 1 Kriegswaffenkontrollgesetz 5 (KrWaffKontrG) auf eine Definition verzichtet hat und stattdessen auf eine der Aktualisierung unterliegende Kriegswaffenliste (als Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG) verweist .6 Aufgeführt werden sowohl Kriegswaffen, auf deren Herstellung Deutschland verzichtet hat (atomare, biologische und chemische Waffen), als auch sonstige Kriegswaffen, die in Deutschland produziert werden dürfen: Flugkörper, Kampfflugzeuge, -hubschrauber, -fahrzeuge und -schiffe, Rohrwaffen, Panzerabwehrwaffen, Flammenwerfer, Minensysteme, Torpedos, Bomben und Munition. Art. 26 Abs. 2 GG nennt zwar die Beförderung von Kriegswaffen, nicht aber die Ausfuhr, also die Beförderung ins Ausland. Es ist daher nicht unumstritten, ob auch die Ausfuhr von Art. 26 Abs. 2 GG erfasst wird. Die herrschende Meinung bejaht dies allerdings mit dem Hinweis auf den Zweck der Vorschrift, wie er sich aus der Zusammenschau mit Art. 26 Abs. 1 GG ergibt, nämlich die Verbringung von Kriegswaffen in Staaten zu verhindern, wo diese zu völkerrechtswidrigen Zwecken eingesetzt werden könnten.7 Es wird folglich auch der hier interessierende Export von Kriegswaffen von Art. 26 Abs. 2 GG erfasst. 4 Pernice, Ingolf, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Auflage, Tübingen 2008, Art. 26 GG Rn. 22. 5 Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1990 (BGBl. I S. 2506), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. Juni 2009 (BGBl. 2009 II S. 502) geändert worden ist – KrWaffKontrG. 6 Vgl. hierzu auch Beschorner, Jürgen, Die Ausfuhrkontrolle von Rüstungsgütern, ZVglRWiss 90 (1991), S. 262 (S. 275 f.). 7 Pernice, in: Dreier (Fn. 4), Grundgesetz, Art. 26 GG Rn. 26; Fink, Udo, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich /Starck, Christian (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, München 2010, Art. 26 GG Rn. 68 f. Gleicher Meinung auch Streinz, Rudolf, in: Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage, München 2009, Art. 26 GG Rn. 35; Holthausen, Dieter, Das Kriegswaffenexportrecht als Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 2 GG, RIW 1997, 369 (370); Herdegen, Matthias, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günther (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz , 46. Lieferung, München 2006, Art. 26 GG Rn. 53. Anderer Ansicht Epping, Volker, Novellierungsbedarf im Bereich des Kriegswaffenexportrechts?, RIW 1996, 453 (456). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 6 3.1.2. Regelungsgehalt des Artikel 26 Abs. 2 GG Gemäß Art. 26 Abs. 2 GG ist damit für die Ausfuhr von Kriegswaffen eine Genehmigung durch die Bundesregierung8 erforderlich. Für die Frage, ob das Parlament an der Genehmigung einer Ausfuhr beteiligt werden kann, ist der Wortlaut jedoch unergiebig, da er die Beteiligung des Parlaments jedenfalls nicht ausdrücklich ausschließt. Die ausdrückliche Nennung der Bundesregierung als Genehmigungsbehörde spricht eher für die hohe Bedeutung, die der Verfassunggeber dem Kriegswaffenkontrollregime beigemessen hat9, als für die ausschließliche Zuordnung der Genehmigungszuständigkeit zu einer Gewalt. Vielmehr weist das Grundgesetz ausdrücklich den Gesetzgeber an, das Nähere zu regeln. Auch ein Blick auf Art. 26 Abs.1 GG im Rahmen der systematischen Auslegung ergibt keine weiteren Anhaltspunkte. Art. 26 Abs. 1 GG begründet für alle Staatsorgane und auch Individuen10 ein Verbot friedensstörender Handlungen. Hieraus ergibt sich höchstens ein Maßstab für die Genehmigungspraxis der Bundesregierung – nämlich eine Ausfuhr von Waffen nicht zu genehmigen , wenn sie im Bestimmungsland völkerrechtswidrigen Zielen dienen –, jedoch keine weitere Zuständigkeitsregelung. Fraglich ist, ob der Sinn der Vorschrift des Art. 26 Abs. 2 GG die Beteiligung des Parlaments an der Genehmigung von Rüstungsexporten ausschließt. Der Verfassunggeber hat den Entscheidungen über den Umgang mit Kriegswaffen besondere Bedeutung beigemessen.11 Das Friedensgebot des Grundgesetzes findet in der Präambel, in Art. 25 sowie in Artikel 26 GG seinen Ausdruck. Art. 26 Abs. 2 GG konkretisiert die grundgesetzliche Wertung des Absatzes 1, nach dem jeder Umgang mit Kriegswaffen potentiell gefährlich und sozial schädlich ist.12 Der Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 2 GG, nämlich die Sicherstellung einer umfassenden Kontrolle von Kriegswaffen , wird durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Übereinkommen ergänzt und verstärkt.13 Die Bundesrepublik Deutschland ist beispielsweise verpflichtet, auf den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegsführung zu verzichten, deren Wirkungen im Widerspruch zu den Grundsätzen und Regeln des humanitären Völkerrechts stehen würden. Neben der Friedenssicherung und 8 Bundesregierung ist hier im Sinne von Art. 62 GG als Kollegialorgan zu verstehen, was bedeutet, dass die Entscheidung durch den Bundeskanzler und alle Bundesminister getroffen werden muss. § 11 Abs. 2 KrWaffKontrG, der die Delegationsmöglichkeit der Genehmigungserteilung auf einen Bundesminister vorsieht, wird daher als verfassungswidrig angesehen, erteilte Genehmigungen seien aber bestandskräftig (Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 7), Grundgesetz, Art. 26 GG Rn. 75; Pernice, in: Dreier (Fn. 4), Grundgesetz, Art. 26 GG Rn. 28; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Fn. 7), Grundgesetz, Art. 26 GG Rn. 56). 9 Herdegen, in: Maunz/Dürig (Fn.7), Grundgesetz, Art. 26 Rn. 44. 10 Streinz, in: Sachs (Fn. 7), Grundgesetz, Art. 26 GG Rn. 22. 11 Art. 26 Abs. 2 GG nennt zwar nicht ausdrücklich die Ausfuhr von Kriegswaffen. Wegen der systematischen Nähe zu Art. 26 Abs. 1 GG und dem Zweck der Vorschrift, die Verbringung von Kriegswaffen in Staaten zu verhindern, in denen sie völkerrechtswidrig eingesetzt werden könnten, erstreckt die herrschende Lehre aber den Anwendungsbereich des Art. 26 Abs. 2 GG auch auf die Ausfuhr von Kriegswaffen. Pernice, in: Dreier (Fn. 4), Grundgesetz , Art. 26 Rn. 26; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Fn. 7), Grundgesetz, Art. 26 Rn. 68 f. je m.w.N. 12 Pernice, in: Dreier (Fn. 4), Grundgesetz, Art. 26 Rn. 20 m.w.N. 13 Heintschel von Heinegg, Wolff, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.), Grundgesetz, Auflage, München 2009, Art. 26 Rn. 29 (m.N. zu den einzelnen völkerrechtlichen Übereinkommen). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 7 Kriegsverhinderung liegt der zweite Schutzzweck des Kriegswaffenrechts im Schutz des deutschen Ansehens im Ausland14. Die Kontrolle des Umgangs mit Kriegswaffen ist damit eine wesentliche Staatsaufgabe. Dies spricht grundsätzlich nicht gegen eine Beteiligung des Parlaments an den Entscheidungen über eine Ausfuhrgenehmigung, da sich das Parlament als zentrales Staatsorgan15 genügend Sachverstand verschaffen kann und auch über die notwendige politische Sensibilität und Weitsicht verfügen kann.16 Dies zeigt das Parlament regelmäßig bei seinen (konstitutiven ) Entscheidungen über Auslandeinsätze der Bundeswehr.17 Art. 26 Abs. 2 GG dürfte einem gesetzlich verankerten Vetorecht des Bundestages unabhängig von seiner Ausformulierung daher zumindest nicht entgegenstehen, denn dessen Auslegung ergibt nicht, dass der Bundesregierung das alleinige Entscheidungsrecht über die Ausfuhr von Kriegswaffen zustehen muss. 3.2. Vereinbarkeit des Vetorechts mit dem Prinzip der Gewaltenteilung Mit einem Vetorecht würde das Parlament eine Entscheidung der Regierung maßgeblich beeinflussen (Fall 1) oder abschließend treffen (Fall 2) können. Dies könnte gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen. Dieser Grundsatz findet seine verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 20 Abs. 2 GG.18 Dieses tragende Organisationsprinzip des Grundgesetzes hat den Sinn, dass die Organe der Legislative, Exekutive und Judikative sich gegenseitig kontrollieren und begrenzen, damit die Staatsmacht gemäßigt und die Freiheit des Einzelnen geschützt wird.19 Trotz der – sowohl im Grundgesetz verankerten als auch aus der Verfassungspraxis resultierenden – Verzahnungen und Verschränkungen der Gewalten sind ihnen normativ getrennte Aufgaben und Funktionen zugewiesen.20 Die Gewaltenteilung kann im Staatsgefüge heutiger Prägung nicht mehr als strikte Trennung der Staatsorgane verstanden werden, sondern ist mit Rücksicht auf das parlamentarische Regierungssystem nur als Funktionszuordnung aufzufassen.21 Die daraus resultierende organisatorische Trennung schafft eine Balance zwischen den Gewalten, bestimmt aber gleichzeitig eine Gleich- 14 OLG Düsseldorf NJW 1993, 2253 (2254); Heinrich, Bernd, in: Joecks, Wolfgang/Miebach, Klaus (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch Band 5 Nebenstrafrecht I, 1. Auflage, 2007, Vorbemerkung zum KrWaff- KontrG Rn. 3f. 15 Morlok, Martin, in: Dreier (Fn. 4), Grundgesetz, Art. 38 Rn. 28. 16 Sollten für die Entscheidung geheime Informationen, z. B. der Nachrichtendienste, von Bedeutung sein, könnte das Geheimhaltungsinteresse dadurch sichergestellt werden, dass die Mitwirkung des Bundestages durch ein besonderes Gremium, beispielsweise das Parlamentarische Kontrollgremium, erfolgt. 17 Grundlegend BVerfGE 90, 286. 18 Sommermann, Karl-Peter, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 7), Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 197. 19 Vgl. BVerfGE 3, 225 (247); Busse, Volker, Exekutive Eigenverantwortung im Spannungsfeld staatlicher Gewalten, DÖV 1989, 45 (46) m.w.N. 20 Busse (Fn. 19), DÖV 1989, 45 (47). 21 Meyer-Bohl, Christoph, Die Grenze zur Pflicht der Aktenvorlage und Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen , 1992, S. 98. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 8 wertigkeit der Gewalten zueinander, damit die Balance funktionieren kann.22 Eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips bejaht das Bundesverfassungsgericht daher nur, wenn in den Kernbereich einer Gewalt eingegriffen wird.23 Dieser wäre verletzt, wenn eine Gewalt ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht erhielte oder eine Gewalt ihrer für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Zuständigkeiten beraubt würde.24 Kriterien für eine Verletzung des Kernbereichs einer Gewalt sind die Intention, die Intensität und die Quantität des Eingriffs.25 Die Ausfuhr von Kriegswaffen betrifft Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Das Grundgesetz räumt die Kompetenz über die auswärtige Gewalt dem Bund ein (Art. 32 Abs. 1 GG), nimmt aber innerhalb dieser Ebene keine Organzuweisung vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fällt die auswärtige Gewalt grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung.26 Im Bereich der Sicherheitspolitik übernimmt allerdings auch der Bundestag wichtige Aufgaben; so muss er insbesondere jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr ein Mandat erteilen. Außerdem übt er auch im Bereich der Außenpolitik seine Kontrolle über das Regierungshandeln aus. Die Bundesregierung ist auch nicht allein zuständig im Bereich der Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der Staaten. Das Störungsverbot des Art. 26 Abs. 1 GG verpflichtet alle staatlichen Organe.27 Entscheidungen über die Ausfuhr von Kriegswaffen in bestimmte Staaten sind bedeutsam für die außenpolitische Ausrichtung des Staates. Ihnen kommt folglich staatsleitende Bedeutung zu. Die Staatsleitung an sich hat das Grundgesetz sowohl der Exekutive als auch der Legislative zugewiesen.28 Wie die gemeinsame Aufgabe im Einzelfall zwischen den Gewalten aufgeteilt wird, betrifft das grundsätzliche Verhältnis der Staatsorgane zueinander und wird anhand der Organstruktur und Funktionsausstattung der Organe zu entscheiden sein. Dieses Zusammenwirken beider Organe darf jedoch nicht zu einem „distanzaufhebenden Mitregieren des Bundestages“ führen.29 Das Bundesverfassungsgericht hat entsprechend in seinem Urteil zum Nato-Doppelbeschluss ausgeführt: „Die dort [in Art. 20 Abs. 2 GG, Anm. d. Verf.] als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient zumal der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen 22 Vgl. hierzu Schulze-Fielitz, Helmuth, in: Dreier (Fn. 4), Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 68. 23 BVerfGE 7, 183 (188); 8, 155 (169 f.); Meyer-Bohl (Fn. 21), S. 98 m.w.N.; kritisch Achterberg, Norbert, Parlamentsrecht , 1984, S. 229. 24 BVerfGE 9, 268 (279). 25 Kloepfer, Michael, Verfassungsrecht I, 2011, § 10 B III Rn. 79, S. 311. 26 BVerfGE 1, S. 372 (394); 2, 347 (379); 68, 1 (87) Siehe auch Grewe, Wilhelm, Zum Verfassungsrecht der auswärtigen Gewalt: die Kompetenzverteilung zwischen den Bundesorganen, AöR 112 (1987), 521 (526 ff.). 27 Herdegen, in: Maunz/Dürig (Fn. 7), Grundgesetz, Art. 26 Rn. 38. 28 Verwiesen sei nur auf die Aufgabenteilung bei der Gesetzgebung oder der auswärtigen Gewalt (z. B. Art. 59 Abs. 2 GG). Hierzu siehe die Ausführungen von Schröder, Meinhard, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Band V, 3. Auflage, Heidelberg 2007, § 106 Rn. 10 ff. 29 Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Fn. 28), Handbuch des Staatsrechts Band V, § 106 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 9 werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken. Die Konzentration politischer Macht, die darin läge, dem Bundestag in auswärtigen Angelegenheiten – über die ihm im Grundgesetz zugeordneten Befugnisse hinaus – zentrale Entscheidungsbefugnisse exekutivischer Natur zuzuordnen, liefe dem derzeit vom Grundgesetz normierten Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider.“30 3.2.1. „Vetorecht“ des Bundestages mit Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung (Fall 1) Soweit dem Bundestag nur das Recht eingeräumt würde, vor einer Genehmigung von Rüstungsexporten angehört zu werden, die Letztentscheidung aber noch in der Hand der Bundesregierung läge, wäre die Zuständigkeit der Bundesregierung für die Entscheidung jedenfalls nicht berührt. Dies wäre wohl selbst dann nicht der Fall, wenn der Bundestag ein Votum abgeben könnte, von dem die Bundesregierung nur aus wichtigen außen- oder sicherheitspolitischen Gründen abweichen dürfte (Fall 1). Denn in diesem Falle würde noch immer die Bundesregierung die Entscheidung treffen und wohl auch zu beurteilen haben, ob entsprechende Gründe vorliegen. Fraglich ist, ob das auf gegenseitige Kontrolle und Ausbalancierung angelegte System durch ein entsprechend ausgestaltetes Vetorecht erheblich beeinträchtigt würde. Solange der Bundesregierung das Letztentscheidungsrecht – wenn auch eingeschränkt durch eine zusätzliche Begründungspflicht wichtiger außen- oder sicherheitspolitischer Erwägungen – zusteht, scheint die Balance beider Gewalten gewahrt zu sein. Eine gewisse Verschiebung zugunsten des Parlaments lässt sich im Falle der Ausfuhrkontrolle von Kriegswaffen mit der besonderen Bedeutung, die das Grundgesetz diesem Sachverhalt zuweist, rechtfertigen. Der Bundestag könnte in diesem Fall aber gerade nicht abschließend entscheiden, sodass es sich auch nicht um einen Fall der Konzentration politischer Macht beim Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zum Nato-Doppelbeschluss handeln würde. Eine entsprechende Ausgestaltung des Vetorechts des Bundestages für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen wäre wohl mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz vereinbar. 3.2.2. Vetorecht des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung (Fall 2) Die zitierte Aussage des Bundesverfassungsgerichts im Nato-Doppelbeschluss lässt aber zweifeln, ob auch ein Vetorecht des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung (Fall 2) zulässig wäre. In diesem Fall würde jede Genehmigung einer Ausfuhr von Kriegswaffen von der Zustimmung (bzw. dem Nichteinlegen des Vetos) des Bundestages abhängen. Es stellt sich bereits die Frage, ob durch ein derart gestaltetes Vetorecht die Bundesregierung einer für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Zuständigkeit beraubt würde. Dies ist nicht der Fall. Selbst in diesem Fall zieht der Bundestag die Zuständigkeit für die Genehmigung keineswegs an sich, er belässt sie bei der Regierung, die für die notwendige Aufklärung des Sach- 30 BVerfGE 68, 1 (87). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 10 verhalts und die Bewertung der einzelnen Anträge originär zuständig bleibt. Der Bundestag würde sich nur ein Vetorecht für bestimmte Ausnahmefälle vorbehalten. Fraglich ist, ob der Bundestag durch dieses Vetorecht gegenüber der Bundesregierung im Bereich der auswärtigen Gewalt ein Übergewicht erhielte. Dies wäre nach der Rechtsprechung des BVerfG im Nato-Doppelbeschluss im Bereich der auswärtigen Gewalt der Fall, wenn dem Bundestag zentrale Entscheidungsbefugnisse exekutiver Natur zugeordnet würden. Grundsätzlich handelt es sich bei der Entscheidung über die Ausfuhr von Kriegswaffen um die Anwendung eines Gesetzes – des KrWaffKontrG –, mithin um eine typische Aufgabe der Exekutive . Wie erläutert, bleibt diese Aufgabe auch bei der Bundesregierung, dem Bundestag wird aber ein – zumindest bislang im Grundgesetz nicht ausdrücklich vorgesehenes – zusätzliches Recht der Mitentscheidung eingeräumt. Fraglich ist, ob die Entscheidung über die Ausfuhr von Kriegswaffen eine zentrale Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung ist. Hierfür spricht, dass der Verfassunggeber in Art. 26 Abs. 2 GG die Zuständigkeit der Bundesregierung – und nicht einer nachgeordneten Behörde – für die Genehmigungen festgelegt hat. Die Ausfuhr von Kriegswaffen ist auch von erheblicher außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung, kann sie die Beziehungen zu Bündnispartnern oder auch anderen Staaten doch erheblich beeinträchtigen, wenn eine Genehmigung verweigert oder in Krisengebiete zugelassen wird. Andererseits ist die Entscheidung über die Ausfuhr von Kriegswaffen in ein anderes Land in einem Einzelfall wohl nicht von gleicher Bedeutung wie die in der Entscheidung des BVerfG in Rede stehende Grundsatzentscheidung über die Aufstellung von Atomwaffen auf deutschem Boden – dass es sich hierbei um eine zentrale Entscheidung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik handelt, dürfte unstreitig sein. Andererseits hat das BVerfG dem Bundestag auf anderen Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik mit erheblicher Bedeutung wie der Entsendung von Streitkräften ins Ausland oder Fragen der europäischen Integration doch erhebliche Mitwirkungs- bzw. Letztentscheidungsbefugnisse eingeräumt. Angesichts der sich wohl im Wandel befindlichen Rechtsprechung des BVerfG zur Rolle des Bundestages auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt31 ist eine abschließende Bewertung eines Vetorechtes des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung nicht möglich. Jedenfalls stößt es auf verfassungsrechtliche Bedenken: Gegen ein abschließendes Vetorecht des Bundestages spricht, dass selbst bei der Mitwirkung des Bundestags an Rechtssetzungsakten in der Europäischen Union die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundestag zwar gemäß Art. 23 Abs. 3 GG zu berücksichtigen hat, ihm aber bei diesem doch recht weitreichenden Eingriff in seine Rechtsetzungsrechte ein Vetorecht nicht zusteht. 4. Ausfuhrkontrolle von Rüstungsgütern Neben den zur Kriegführung bestimmten Waffen im Sinne des KrWaffKontrG gibt es Güter, die objektiv keine Kriegswaffen sind, aber zur Herstellung von Kriegswaffen dienen können. Diese 31 Kritisch zur Rechtsprechung insb. Calliess, Christian – Auswärtige Gewalt, in: Isensse/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Band IV, 3. Auflage, 2006, § 83 Rn. 44 ff. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 11 fallen aus dem Anwendungsbereich des Art. 26 Abs. 2 GG heraus32, sind aber wegen ihrer potenziell friedensgefährdenden Verwendung im Rahmen des Art. 26 Abs. 1 GG von Bedeutung. Zu nennen sind hier insbesondere die „Dual use-Güter“, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen (können). 4.1. Die Regelungen des Außenwirtschaftsgesetzes Das Außenwirtschaftsgesetz33 (AWG) unterstellt einfachgesetzlich die Ausfuhr von solchen Rüstungsgütern einem Genehmigungsvorbehalt (§§ 5, 7 AWG in Verbindung mit der Außenwirtschaftsverordnung 34 (AWV) und der Anlage AL (Ausfuhrliste) zur AWV35 (Teil 1)). Zuständig für die Erteilung der Genehmigung ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft gehört (§ 17 AWV). Das BAFA entscheidet in der Regel allein, bei Bedarf in Zusammenarbeit mit dem sachlich betroffenen Ministerium . Bei besonders schwierigen oder bedeutsamen Fällen wird der Bundessicherheitsrat befasst, in dem das Außen-, Innen, Wirtschafts-, Finanz-, Justiz-, Verteidigungsministerium und jenes für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Vorsitz der Bundeskanzlerin beraten und entscheiden.36 Grundsätzlich ist gemäß § 3 Abs. 1 AWG die Genehmigung zu erteilen, wenn die Ausfuhr den Zweck des Genehmigungsvorbehalts nicht gefährdet. Im Übrigen ist eine Abwägung zwischen der Beeinträchtigung des Zwecks und dem volkswirtschaftlichen Nutzen vorzunehmen (§ 3 Abs. 1 S. 2 AWG). Des Weiteren kann die Genehmigung von sachlichen und persönlichen Voraussetzungen , insbesondere der Zuverlässigkeit des Antragstellers, abhängig gemacht werden (§ 3 Abs. 2 S. 1 AWG). Ein Beurteilungsspielraum wird dem BAFA auch hinsichtlich der Frage zukommen, ob der Gesetzeszweck gefährdet wird oder ob die Voraussetzungen der gemäß §§ 5 ff. AWG erlassenen Beschränkungen – zur Erfüllung zwischenstaatlicher Vereinbarungen oder zum Schutz der Sicherheit des Staates und der auswärtigen Interessen – vorliegen.37 4.2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Vetorecht des Parlaments Die Einführung eines Vetorechts des Bundestages gegen die Erteilung einer Genehmigung gemäß § 3 Abs. 1 AWG durch eine Gesetzesänderung könnte ebenfalls gegen den Grundsatz des Gewaltenteilung verstoßen; wie bereits einleitend erwähnt, ist der Anwendungsbereich des Art. 26 Abs. 32 Pernice in: Dreier (Fn. 4), Art. 26, Rn. 23 m.w.N.; Herdegen in: Maunz/Dürig (Fn. 7). 33 Außenwirtschaftsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Mai 2009 (BGBl. I S. 1150), das zuletzt durch die Verordnung vom 3. Dezember 2010 (BAnz. 2010, 4443) geändert worden ist. 34 Außenwirtschaftsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1993 (BGBl. I S. 1934, 2493), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 18. August 2010 (BAnz. 2010 Nr. 126, 2891) geändert worden ist. 35 BAnz. 2010 Nr. 58a (Beilage). 36 Ausführlich zu diesem Kabinettsausschuss: Behme, Christian, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Bundessicherheitsrat , Aktueller Begriff Nr. 22/08, 09. Mai 2008, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2008/bundessicherheitsrat.pdf (Stand: 06.05.2011). 37 Hierzu siehe auch Beschorner (Fn. 6), ZVglRWiss 90 (1991), 262 (290 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 12 2 GG nicht eröffnet und damit nicht als weiterer Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des Gewaltenteilung ist für die beiden bereits dargestellten Fallgestaltungen gesondert zu prüfen. 4.2.1. „Vetorecht“ des Bundestages mit Abweichungsmöglichkeit der Bundesbehörde (Fall 1) Wie auch im Bereich der Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen bleibt in dieser Konstellation die Zuständigkeit für die Genehmigung bei der Exekutive – d.h. bei einer obersten oder einer nachgeordneten Bundesbehörde. Bei der Entscheidung über eine Genehmigung wendet die Bundesbehörde das AWG an, nimmt also eine typische exekutive Aufgabe wahr; der Bundestag hätte nur eine Art Anhörungsrecht. Aus den bereits unter 3.2.1. angestellten Erwägungen wäre eine Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens in der Form, dass dem Bundestag mit Abweichungsmöglichkeit der Bundesbehörde ein Vetorecht einzuräumen wäre, auch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar. Allerdings wäre zu bedenken, dass die Exekutive wohl nur auf Beschluss der Bundesregierung von einem Veto des Bundestages abweichen dürfte. Andernfalls könnte sich eine (nachgeordnete) Bundesbehörde über einen Beschluss des Bundestages hinwegsetzen, was der Legitimation und der Stellung des Bundestages im Verfassungsgefüge nicht entspräche. 4.2.2. Vetorecht des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesbehörde (Fall 2) Fraglich ist, wie ein Vetorecht ohne Abweichungsmöglichkeit zu beurteilen ist. Anders als im Fall des Art. 26 Abs. 2 GG steht die Ausfuhr von sonstigen Rüstungsgütern, worunter auch bestimmte (Tarn-)Lacke oder Bestandteile für Militärfahrzeuge fallen, nicht unter einem verfassungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalt. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung den Verwaltungsbehörden übertragen, nur in besonderen Fällen entscheidet der zuständige Minister oder das Bundessicherheitskabinett. Generell steht dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens durch gesetzliche Vorgaben frei. Er kann sowohl umfassende Anhörungs- und Begründungsrechte einführen, wie auch Beteiligungs- oder Klagerechte unterschiedlich ausgestalten. So hat sich der Gesetzgeber bereits bei der nachrichtendienstlichen Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs grundlegende Entscheidungsrechte vorbehalten. Gemäß § 15 Abs. 6 Artikel-10-Gesetz38 muss das Ministerium, das eine Abhörmaßnahme anordnet, vor dem Vollzug der Anordnung die Zustimmung der vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellten G-10-Kommission einholen. Diese kann die Anordnung mit bindender Wirkung für nicht notwendig und damit unzulässig erklären. Ferner hat das zuständige Bundesministerium in Abständen von höchstens sechs Monaten das Parlamentarische Kontrollgremium über die Durchführung entsprechender Maßnahmen zu berichten; 38 § 15 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) vom 26. Juni 2001, BGBl. I 1254, ber. 2298, zuletzt geändert durch Art. 1 Erstes Gesetz zur Änderung des Artikel 10- Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I 2499). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 13 dieses Gremium wiederum hat dem Deutschen Bundestag jährlich Bericht zu erstatten. Begründet wird die parlamentarische Kontrolle mit dem bedeutenden Eingriff in den durch Art. 10 GG gewährleisteten Schutzbereich.39 Wegen der Unbemerkbarkeit der Eingriffe, der Undurchsichtigkeit des anschließenden Datenverarbeitungsvorgangs und möglicher Rechtsschutzlücken fordert das BVerfG eine Kontrolle durch unabhängige und an keine Weisung gebundene staatliche Organe und Hilfsorgane; dabei schreibe die Verfassung die Art der Kontrolle jedoch nicht vor.40 Wenn es dem Gesetzgeber in diesem Fall möglich war, sich die Einzelfallentscheidungen vorzubehalten , bleibt doch fraglich, ob dies auch auf dem Gebiet des Außenwirtschaftsrechts zulässig ist. Wie unter 3.2 ausgeführt, sind Kriterien für eine Verletzung des Kernbereichs einer Gewalt – hier also der Exekutive – Intention, Intensität und Quantität des Eingriffs. Bei einem Vetorecht im Bereich des Exports von dual-use-Gütern ist die Verschiebung der Kompetenz der Entscheidung zumindest in einzelnen, als besonders brisant angesehenen Fällen, intendiert. Der Eingriff scheint aber nicht von besonderer Intensität gezeichnet zu sein, da er nur in einen kleinen Teilbereich exekutivischen Handelns eingreift. Die Quantität ist schwieriger zu beurteilen. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland insgesamt 16 202 Einzelanträge für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern genehmigt (im Vorjahr: 15 458).41 Zum Vergleich: Die G-10 Kommission musste sich in den Jahren 2008 und 2009 mit durchschnittlich 120 Einzelmaßnahmen der Telefonüberwachung befassen.42 Die hohe Anzahl an nachzuprüfenden Einzelentscheidungen, die mit einem Veto belegt würden, legt nahe, dass es sich quantitativ um einen erheblichen Eingriff in den Kernbereich der Exekutive handeln würde.43 Aufgrund der doch erheblichen Quantität des Eingriffs in den Aufgabenbereich der Exekutive könnte deren Kernbereich berührt sein und die Einführung eines Vetorechts des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung gegen den Grundsatz des Gewaltenteilung verstoßen. Ein solcherart ausgestaltetes Vetorecht stößt damit auf verfassungsrechtliche Bedenken auch im Bereich der Ausfuhr von Rüstungsgütern. 39 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, BR-Drs. 54/01, S. 54. 40 BVerfG 100, 313, 361. 41 Unterrichtung durch die Bundesregierung – Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2009 (Rüstungsexportbericht 2009), BT-Drs. 17/4200, S. 10. Darüber hinaus wurden im Jahre 2009 116 Sammelausfuhrgenehmigungen im Gesamtwert von 1,996 Mrd. Euro erteilt (2008: 146 im Wert von ca. 2,546 Mrd. Euro.), aufgrund derer die Unternehmen mehrere Ausfuhren an denselben oder verschiedene Empfänger im Ausland (vor allem im Rahmen der Zusammenarbeit bei regierungsamtlichen Kooperationsprojekten) vornehmen konnten. Sammelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter werden grundsätzlich nur für Ausfuhren in NATO- und NATO-gleichgestellte Länder erteilt. 42 Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) Bericht gemäß § 14 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) über die Durchführung sowie Art und Umfang der Maßnahmen nach den §§ 3, 5, 7a und 8 dieses Gesetzes (Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2009), BT-Drs. 17/4278, S. 5. 43 Es stellt sich im übrigen die Frage, ob das Parlament zur Überprüfung dieser großen Anzahl an Einzelfällen in sinnvoller Weise in der Lage wäre, oder ob eine andere Ausgestaltung der Kontrollbefugnisse des Bundestages und der Öffentlichkeit – bspw. mit einer Begründungspflicht gegenüber dem Bundestag oder der Möglichkeit eines Verbandsklagerecht – effektiver wäre. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 136/11 Seite 14 5. Mögliche Einführung eines Vetorechts durch eine Änderung des Grundgesetzes? Ein Vetorecht des Deutschen Bundestages mit einer Abweichungsbefugnis der Bundesregierung könnte für den Bereich der Kriegswaffenausfuhr sowie der Ausfuhrkontrolle von Rüstungsgütern auch im Grundgesetz eingeführt werden. Allerdings wäre eine einfachgesetzliche Regelung ausreichend . Anders sieht es bei einem Veto des Bundestages ohne Abweichungsbefugnis der Bundesregierung in diesen Bereichen aus. Soweit dem Gutachten folgend diese Ausgestaltung im Hinblick auf die Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes als verfassungsrechtlich problematisch angesehen wird, ist Art. 20 Abs. 3 GG betroffen. Gemäß Art. 79 Abs. 3 sind die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze einer Änderung nicht zugänglich. Dies verbietet jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG nur eine „prinzipielle Preisgabe“ dieser Grundsätze, hindert jedoch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht an einer systemimmanenten Modifikation.44 Dies ist der Fall, wenn den Grundsätzen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur „für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert“45 werden. Die Einführung eines Vetorechts des Bundestages wäre ein solcher Sonderfall, der nicht den Grundsatz der Gewaltenteilung generell preisgeben würde. Ein entsprechendes Vetorecht dürfte daher durch eine Änderung des Grundgesetzes eingeführt werden. 6. Ergebnis Ein Vetorecht des Bundestages für die Genehmigung von Kriegswaffen- und Rüstungsexporten ist dann mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar, wenn der Bundesregierung aus wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Gründen ein Abweichungsrecht eingeräumt wird. Ein absolut bindendes Vetorecht des Bundestages ohne Abweichungsmöglichkeit der Bundesregierung stößt hingegen auf verfassungsrechtliche Bedenken, da der Kernbereich der Exekutive in diesem Bereich betroffen sein könnte. In diesem Fall wäre die Einführung eines solcherart ausgestalteten Vetorechts nur durch eine Änderung des Grundgesetzes möglich; die Einführung eines Vetorechts mit Abweichungsvorbehalt wäre hingegen auch einfachgesetzlich zulässig. 44 BVerfGE 30, 1, 2, 25. 45 Rubel, Rüdiger in: Umbach, Dieter C. /Clemens, Thomas, Grundgesetz – Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd.2, 2002, Art. 79 26.