© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 135/20 Aktuelle Rechtsprechung zum Familiennachzug zu Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 2 Aktuelle Rechtsprechung zum Familiennachzug zu Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 135/20 Abschluss der Arbeit: 3. Juli 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 3 1. Einleitung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden um einen Überblick über die wesentlichen Änderungen der Rechtsprechung zum Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten seit 2018 gebeten. Dieser richtet sich nach §§ 27 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die davon zu unterscheidende Familienzusammenführung nach Art. 9 und 10 Dublin-III-VO ist nicht Gegenstand des Sachstandes. Danach kann die Familieneinheit zwischen Personen, die in einem Dublin-Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, mit engen Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat Asyl beantragt oder erhalten haben, hergestellt werden. 2. Rechtsprechung zum Familiennachzug zu Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten seit 2018 Die Entwicklung im Bereich des Nachzugs von Eltern, minderjährigen Kindern und Geschwistern zu anerkannten Flüchtlingen und des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten ist derzeit im Wesentlichen von der Frage geprägt, wie sich das Volljährigwerden der stammberechtigten Person oder ihrer minderjährigen, den Nachzug beantragenden Familienangehörigen auswirkt. 2.1. Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen 2.1.1. Elternnachzug Noch bis 2018 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass ein Anspruch auf Nachzug der Eltern nach § 36 Abs. 1 AufenthG nur bis zur Volljährigkeit des in Deutschland als Flüchtling anerkannten Kindes bestehe.1 Das Gericht entschied, dass zum Zeitpunkt der Einreise der Eltern das Kind noch minderjährig sein müsse, da den Eltern nach der Einreise kein Aufenthaltstitel mehr erteilt werden könne, weil das Aufenthaltsgesetz ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Eltern nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes nicht vorsieht. Der Elternnachzug diene alleine dazu, die Personensorge, also die Erziehung und Betreuung des minderjährigen Kindes, zu gewährleisten. Zur Sicherung des Nachzugsanspruchs bestehe für die Eltern die Möglichkeit, ihren Visumsanspruch aus § 36 Abs. 1 AufenthG mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)2 vor dem Erreichen der Volljährigkeit des Kindes durchzusetzen, ohne dass ihnen der Einwand der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen gehalten werden kann.3 Das Bundesverfassungsgericht hatte am 22. Dezember 2017 den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit der die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug für die minderjährigen Geschwister eines minderjährigen Flüchtlings gemeinsam mit ihren Eltern begehrt worden war. Da das Aufenthaltsrecht der Eltern in Deutschland mit Eintritt der Volljährigkeit ihres in Deutschland als Flüchtling anerkannten Kindes mit Ablauf des 31. Dezember 2017 ende, führe die Versagung 1 BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, Az. 10 C 9.12, juris. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Art. 56 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652). 3 BVerwG, Urteil vom 18. April 2013, 10 C 9.12, juris Ls. 3 und Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 4 der Visa für die 15 und 10 Jahre alten Geschwister nur zu einer sehr kurzfristigen – auf wenige Tage beschränkten – Trennung von ihren Eltern. Es sei nicht hinreichend dargelegt worden, weshalb ihnen diese unzumutbar sein würde. Die Absicht der Eltern, nach ihrer Einreise einen eigenen Antrag auf (Familien-)Asyl zu stellen und in der Folge länger von den im Herkunftsland verbleibenden Kindern getrennt zu werden, könne nicht berücksichtigt werden, da zu diesem Zweck nach dem AufenthG kein Visum erteilt werden könne. Es liege mithin kein Verstoß gegen das in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf Schutz der Familie vor. Das Bundesverfassungsgericht beanstandete insbesondere nicht, dass das Aufenthaltsrecht der Eltern mit der Volljährigkeit des stammberechtigten Kindes ende, wenngleich es in der Entscheidung betont, dass die Beschwerdeführer keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen diesen fachgerichtlich geprägten Grundsatz vorgetragen hätten.4 Im Frühjahr 2018 entschied indes der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Fall aus den Niederlanden , dass der Elternnachzug unter bestimmten Umständen auch möglich sei, wenn das Kind zwischenzeitlich volljährig geworden ist:5 Wird die zum Zeitpunkt ihrer Einreise und Antragstellung unter 18-jährige Person während des Asylverfahrens volljährig und wird sie später als Flüchtling anerkannt, sei sie hinsichtlich ihres Rechts auf Familiennachzug nach Art. 10 Familienzusammenführungsrichtlinie (FamZ-RL)6 dennoch als minderjährig im Sinne der Definition von Art. 2 Bst. f FamZ-RL anzusehen. Maßgeblich sei allein, ob die Person im Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährig war. Würde dagegen auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über die Anerkennung als Flüchtling abgestellt, hinge die praktische Wirksamkeit des Rechts auf Familiennachzug von der Dauer des Asylverfahrens ab. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieses Rechts würde somit völlig unvorhersehbar. Auch könnten sich Ungleichbehandlungen ergeben. Anstatt die nationalen Behörden dazu anzuhalten, die Anträge auf internationalen Schutz unbegleiteter Minderjähriger vorrangig zu bearbeiten, um ihrer in der FamZ-RL und weiteren maßgeblichen EU-Richtlinien verankerten besonderen Schutzbedürftigkeit Rechnung zu tragen, könnte ein gegenteiliger Effekt eintreten.7 Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung stelle sicher, dass der Erfolg des Antrags auf Familienzusammenführung in erster Linie von Umständen abhängt, die in der Sphäre der Antragsteller liegen, nicht aber von Umständen, die in der Behördensphäre liegen, wie die Bearbeitungsdauer des Antrags auf internationalen Schutz oder des Antrags auf Familienzusammenführung. Der Antrag müsse jedoch innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden; dabei könne auf die Dreimonatsfrist des insoweit vergleichbaren Art. 12 Abs. 1 UAbs. 3 FamZ-RL zurückgegriffen werden.8 Die Behördenpraxis der deutschen Auslandsvertretungen bleibt trotz der Rechtsprechung des EuGH unverändert ablehnend gegenüber dem Elternnachzug volljährig gewordener anerkannter 4 BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 2017, Az. 2 BvR 2801/17, juris Rn. 5. 5 EuGH, Urteil vom 12. April 2018, Az. C-550/16, juris Rn. 55 ff. 6 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. L 251 vom 22. September 2003, S. 12 ff. 7 EuGH, Urteil vom 12. April 2018, Az. C-550/16, juris Rn. 60. 8 EuGH, Urteil vom 12. April 2018, Az. C-550/16, juris Rn. 61. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 5 Flüchtlinge.9 Nach der Auffassung des Auswärtigen Amtes sei das Urteil des EuGH in Deutschland nicht anwendbar, da die Rechtslage in den Niederlanden von der in Deutschland abweiche und das deutsche AufenthG insbesondere kein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Eltern nach der Volljährigkeit des Kindes vorsehe.10 Die Haltung der Bundesregierung zur Umsetzung des Urteils des EuGH ist jedoch uneinheitlich;11 die interne Abstimmung dauert noch an.12 Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin sowie das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin- Brandenburg – als für Rechtssachen in Visaverfahren für den Familiennachzug örtlich allein zuständige Gerichte – bejahen hingegen überwiegend die Anwendbarkeit der Rechtsprechung des EuGH für den Elternnachzug zu in Deutschland anerkannten Flüchtlingen.13 So gab das OVG Berlin-Brandenburg im April 2018 einem Prozesskostenhilfeantrag für eine Klage auf Erteilung eines Visums für den Nachzug der Mutter zu ihrem als Flüchtling anerkannten Sohn unter Verweis auf die genannte Entscheidung des EuGH statt; die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedürfe insoweit einer Überprüfung.14 Im anschließenden Hauptsacheverfahren befand das VG Berlin, dass der EuGH unmissverständlich und für alle Mitgliedstaaten unionsrechtlich verbindlich festgestellt habe, dass zur Beurteilung des Alters der stammberechtigten Person beim Elternnachzug auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen sei.15 Infolgedessen bejahte das VG einen Nachzugsanspruch der Mutter zu dem während des Nachzugsverfahrens volljährig gewordenen, als Flüchtling anerkannten Sohn. Die Bundesrepublik hat gegen das Urteil Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Mit Beschluss vom 23. April 2020 hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens u.a. um Klärung der Frage gebeten, ob die Minderjährigkeit des als Flüchtling anerkannten Kindes 9 Krause, Der Streit um den Familiennachzug geht weiter – Uneinheitliche Umsetzung des EuGH-Urteils zum Nachzug zu volljährig Gewordenen, Asylmagazin 6-7/2019, 222, 227. 10 Vgl. etwa den Vortrag des Auswärtigen Amtes in den Verfahren VG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2019, Az. VG 15 K 936.17 V, BeckRS 2019, 24340 Rn. 10 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Mai 2019, Az. OVG 3 B 1.19, juris Rn. 14 ff. Zur insoweit wohl unverändert fortgeltenden Weisungslage vgl. Auswärtiges Amt, Weisung an alle Auslandsvertretungen vom 20. März 2017, A. Nachzug der Eltern, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/2017-03-20-Runderlass-Ausw%C3%A4rtiges-Amt-Geschwisternachzug .pdf sowie die Antwort der Bundesregierung auf Frage 20 einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 19/7267, S. 23. 11 Zur Haltung einzelner Ressorts vgl. etwa Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 2018, Erstmal ablehnen, S. 5. 12 Antwort der Bundesregierung im Oktober 2019 auf Frage 33 einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 19/14640, S. 17 f. 13 Krause, Der Streit um den Familiennachzug geht weiter – Uneinheitliche Umsetzung des EuGH-Urteils zum Nachzug zu volljährig Gewordenen, Asylmagazin 6-7/2019, 222, 223. 14 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2018, Az. OVG 3 S 23.18, juris Rn. 5 f. 15 VG Berlin, Urteil vom 20. Januar 2019, Az. 15 K 936.17 V, BeckRS 2019, 24340; ebenso Urteil vom 30. Januar 2019, Az. 20 K 538.17 V, BeckRS 2019, 3915. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 6 für den Nachzug der Eltern nach Art. 10 Abs. 3 Bst. a und Art. 2 Bst. f FamZ-RL über den Zeitpunkt der Asylantragstellung hinaus auch während des Nachzugsverfahrens fortbestehen muss.16 Ferner ist auf folgende weitere Entscheidungen hinzuweisen, die von einer Anwendbarkeit der Entscheidung des EuGH ausgehen: Im September 2018 lehnte das OVG Berlin-Brandenburg eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Erteilung eines Visums im Wege des einstweiligen Rechtschutzes ab, da der Anspruch des Vaters auf Nachzug laut der Rechtsprechung des EuGH nicht durch den Eintritt der Volljährigkeit der als Flüchtling anerkannten Tochter vereitelt werden würde und mithin die Entscheidung darüber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse.17 Auch gelte die vom EuGH genannte Dreimonatsfrist zur Stellung des Antrags auf Familiennachzug nicht, wenn der Flüchtling auch bei seiner Anerkennung noch minderjährig gewesen sei, da insoweit ohnehin weiterhin ein Anspruch auf Familiennachzug nach Art. 10 Abs. 3 Bst. a FamZ-RL bestehe.18 Ende Januar 2019 befand das VG Berlin die Frage für unerheblich, ob die Volljährigkeit bereits im Asylverfahren oder erst im anschließenden Visumsverfahren zum Familiennachzug eingetreten ist. Der EuGH habe klargestellt, dass es für Betroffene beim Familiennachzug nicht von Nachteil sein dürfe, wenn sie im Asylverfahren volljährig geworden seien. Dies müsse erst Recht gelten, wenn die Volljährigkeit erst später im Nachzugsverfahren eingetreten sei.19 Im Mai 2019 verpflichtete das OVG Berlin-Brandenburg die Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung von Visa zum Familiennachzug der Eltern zu ihrem als Flüchtling anerkannten und zwischenzeitlich volljährig gewordenen Sohn.20 2.1.2. Geschwisternachzug In einem Urteil aus Februar 2019 hat das VG Berlin zwar einen Anspruch der Eltern auf Nachzug zu einem volljährigen anerkannten Flüchtling bestätigt, den Geschwisternachzug jedoch abgelehnt .21 Für einen Nachzugsanspruch der Geschwister nach § 32 AufenthG stehe nicht ausreichend Wohnraum zur Verfügung. Deshalb komme es auch nicht darauf an, ob eine Ausnahme von der grundsätzlich ebenfalls erforderlichen Sicherung des Lebensunterhalts anzunehmen sei.22 Für die im Rahmen der Visumserteilung zu prüfenden Frage, ob die Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern nicht auch im Herkunftsland gelebt werden könne, gelte 16 BVerwG, EuGH-Vorlage vom 23. April 2020, Az. 1 C 9/19, juris. 17 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. September 2018, Az. OVG 3 S 47.18, OVG 3 M 52.18, juris. 18 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. September 2018, Az. OVG 3 S 47.18, OVG 3 M 52.18, juris Rn. 6. 19 VG Berlin, Urteil vom 30. Januar 2019, Az. 20 K 538.17 V, BeckRS 2019, 3915. 20 OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Mai 2019, Az. OVG 3 B 1.19, juris Rn. 27 ff. 21 VG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2019, Az. 15 K 936.17, BeckRS 2019, 24340. 22 VG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2019, Az. 15 K 936.17, BeckRS 2019, 24340 Rn. 45 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 7 die Fiktion der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der fortbestehenden Minderjährigkeit des in Deutschland als Flüchtling anerkannten Kindes jedenfalls nicht.23 Im Gegensatz dazu gewährte das OVG Berlin-Brandenburg in einer Eilentscheidung von Dezember 2018 – gemeinsam mit der Mutter – auch der Schwester den Nachzug zum in Deutschland als Flüchtling anerkannten Bruder.24 Den Visumsanspruch der Schwester leitete das Gericht dabei vom Aufenthaltsrecht der Mutter ab, welches nach der Entscheidung des EuGH nicht durch den Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes begrenzt sei.25 Das Gericht nahm dabei eine Ausnahme vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung der Schwester „unter Berücksichtigung höherrangigen Rechts (Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 24 Abs. 2 und Abs. 3 GR-Charta)“26 an. Bislang wurden diese Rechtsfragen weder durch das Bundesverwaltungsgericht, den EuGH oder den Gesetzgeber abschließend entschieden.27 2.1.3. Kindernachzug Nach einem Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg von April 2019 sei die Entscheidung des EuGH nicht auf den Kindernachzug übertragbar.28 Es reiche somit nicht aus, dass das nachzugswillige Kind bei Asylantragstellung des Elternteils noch minderjährig war. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht den EuGH zur Klärung und Auslegung von Regelungen der Familienzusammenführungsrichtlinie beim Kindernachzug zu anerkannten Flüchtlingen angerufen .29 Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob ein Kind eines in einem Mitgliedstaat anerkannten Flüchtlings auch dann vom Recht auf Familiennachzug nach Art. 4 Abs. 1 Bst. c FamZ-RL erfasst ist, wenn es im Zeitpunkt der Asylantragstellung des Stammberechtigten minderjährig war, aber schon vor dessen Anerkennung als Flüchtling und Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung volljährig geworden ist. 23 VG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2019, Az. 15 K 936.17, BeckRS 2019, 24340 Rn. 55. 24 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2018, Az. OVG 3 S 98.18, juris Rn. 5 ff. 25 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2018, Az. OVG 3 S 98.18, juris Rn. 12. 26 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2018, Az. OVG 3 S 98.18, juris Rn. 13. 27 Zur Regelungsbedürftigkeit vgl. auch Mantel, Anmerkung zum VG Urteil, Asylmagazin 4/2019, S. 123 ff., 125; Winzenried, Familienschutz für Angehörige für den Eltern- und Geschwisternachzug, Asylmagazin 4/2020, 111, 114. 28 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. April 2019, Az. 3 M 89.19, juris. 29 BVerwG, EuGH-Vorlage vom 23. April 2020, Az. 1 C 16/19, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 135/20 Seite 8 2.2. Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten Nachdem der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten von März 2016 bis Juli 2018 ausgesetzt war, ist er seit 1. August 2018 wieder möglich. Die Erteilung entsprechender Visa ist gemäß § 36a Abs. 2 S. 2 AufenthG aber auf ein Kontingent von 1000 pro Monat begrenzt.30 Der EuGH hat in einem Urteil vom 7. November 2018 auf eine Vorlagefrage der Niederlande entschieden , dass die FamZ-RL zwar wegen der Ausnahme in Art. 3 Abs. 2 Bst. c nicht direkt auf Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten anwendbar ist.31 Etwas anderes gelte jedoch, sofern ein Mitgliedstaat Vorschriften der FamZ-RL durch das nationale Recht (wie in den Niederlanden ) für subsidiär schutzberechtigte Personen für unmittelbar und unbedingt anwendbar erkläre. Die 38. Kammer des VG Berlin entschied im März 2019 zur deutschen Rechtslage, dass es keinen Elternnachzug zu volljährig geworden subsidiär Schutzberechtigten gebe. Die FamZ-RL finde nach der genannten Entscheidung des EuGH auf subsidiär Schutzberechtigte keine direkte Anwendung. Das Unionsrecht verlange somit keine andere Auslegung von § 36a Abs. 1 S. 2 AufenthG.32 Insbesondere komme es auf die (bereits unter 2.1. dargestellte) Rechtsprechung des EuGH zum Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen trotz Eintritts der Volljährigkeit nicht an. *** 30 Zu Einzelheiten vgl. den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, „Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten“, WD 3 - 3000 - 137/20 (Anlage). 31 EuGH, Urteil vom 7. November 2018, Az. C-380/17, juris Rn. 25 ff. 32 VG Berlin, Urteil vom 29. März 2019, Az. 38 K 27.18 V, BeckRS 2019, 9429; seither st. Rspr. der 38. Kammer vgl. Urteil vom 3. April 2019 und VG 38 K 26.18 V; Urteile vom 28. Juni 2019, Az. 38 K 25.19 V, 38 K 41.19 V und 38 K 43.19 V; Urteile vom 26. August 2019, Az. VG 38 K 28.18 V; VG 38 K 57.19 V und 38 K 18.19 V; Urteile vom 21. Januar 2020, Az. VG 38 K 51.19 V und 38 K 429.19 V.