© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 135/19 Generelle Rauchverbote in öffentlichen Räumen Zur Verbindlichkeit des Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Artikel 8 (Schutz vor Passivrauchen) Tabakrahmenübereinkommen lautet wie folgt: „(1) Die Vertragsparteien erkennen an, dass wissenschaftliche Untersuchungen eindeutig bewiesen haben, dass Passivrauchen Tod, Krankheit und Invalidität verursacht. (2) Jede Vertragspartei beschließt in Bereichen bestehender innerstaatlicher Zuständigkeit nach innerstaatlichem Recht wirksame gesetzgeberische, vollziehende, administrative und/oder sonstige Maßnahmen zum Schutz vor Passivrauchen am Arbeitsplatz in geschlossenen Räumen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, an geschlossenen öffentlichen Orten und gegebenenfalls an sonstigen öffentlichen Orten, führt solche Maßnahmen durch und setzt sich auf anderen Zuständigkeitsebenen aktiv für die Annahme und Durchführung solcher Maßnahmen ein.“1 Angesichts der Berichterstattung über das Urteil eines niederländischen Berufungsgerichts2, das zu dem Schluss komme, der nach Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen geforderte Schutz sei nur dann wirksam gewährleistet, wenn an den in der Vorschrift genannten Orten jegliche Exposition gegenüber Tabakrauch gesetzlich ausgeschlossen werde, wird gefragt, ob der deutsche Gesetzgeber aufgrund Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen verpflichtet sei, generelle Rauchverbote in öffentlichen Räumen zu erlassen und Regelungen für eine vollkommen rauchfreie Gastronomie zu schaffen. 2. Zur Geltung und Anwendbarkeit von Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2004 das Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen beschlossen .3 Mit Inkrafttreten dieses Zustimmungsgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz sowie des völkerrechtlichen Übereinkommens hat Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen Geltung erlangt. Von der Frage der Geltung einer völkerrechtlichen Norm ist die Frage ihrer Anwendbarkeit zu unterscheiden: Unmittelbar anwendbar sind die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages nur dann, „wenn sie von ihrem Wortlaut her so hinreichend bestimmt sind, dass sie unmittelbar vom Adressaten ohne weitere nationale Vollzugsregelungen angewendet werden können. Dies gilt 1 BGBl. 2004 Teil II S. 1544. 2 Siehe dazu den Beitrag der Nichtraucher-Initiative-Deutschland (NID) e.V., Nichtraucher-Info Nr. 110 II-18, S. 8 f., abrufbar unter: https://www.nichtraucherschutz.de/images/stories/Nichtraucher-Infos/InfoPDF/info-110-218- Web.pdf (letzter Abruf am 13.06.2019) mit Hinweis auf eine inoffizielle englische Urteilsübersetzung des Den Haager Berufungsgerichts vom 13.02.2018. 3 Gesetz zu dem Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation vom 21. Mai 2003 zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen) vom 19.11.2004, BGBl. 2004 Teil II S. 1538 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 135/19 Seite 4 namentlich dann, wenn die Vertragsbestimmungen die Individuen berechtigen oder verpflichten sollen.“4 Gemäß Art. 8 Abs. 2 Tabakrahmenübereinkommen wird den Vertragsparteien aufgegeben, wirksame gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz vor Passivrauchen zu beschließen. Dies macht deutlich, dass dem Gesetzgeber insofern ein Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zukommt.5 Aus dem Wortlaut des Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen ergibt sich dagegen kein explizites Gebot, generelle Rauchverbote am Arbeitsplatz in geschlossenen Räumen, in öffentlichen Verkehrsmitteln , an geschlossenen öffentlichen Orten und gegebenenfalls an sonstigen öffentlichen Orten zu erlassen. Die von der Konferenz der Vertragsparteien des Tabakrahmenübereinkommens im Juli 2007 angenommenen Leitlinien zur Umsetzung von Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen (Leitlinien der WHO) gehen in dieser Frage dagegen weiter und empfehlen ein vollkommenes, gesetzliches Rauchverbot an allen Arbeitsplätzen in geschlossenen Räumen sowie in geschlossenen öffentlichen Orten, da sich erwiesen habe, dass andere Maßnahmen wie bspw. Raucherräume oder Abzugseinrichtungen nicht wirksam genug seien.6 Diese Leitlinien sind rechtlich allerdings nicht bindend.7 Regelungen für eine vollkommen rauchfreie Gastronomie ließen sich somit durch Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen legitimieren, da an ihrer Wirksamkeit zum Schutz vor Passivrauchen keine Zweifel bestehen und es sich bei den Räumen der Gastronomie wohl auch um geschlossene öffentliche Orte bzw. um sonstige öffentliche Orte im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Tabakrahmenübereinkommen handeln dürfte. Der offen gehaltene Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 Tabakrahmenübereinkommen spricht aber dafür, dass sich aus der völkerrechtlichen Norm keine derartige Pflicht ergibt und der Gesetzgeber in der Wahl seiner Maßnahmen nicht auf ein einziges Mittel reduziert wird. 3. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rauchverbot in Gaststätten Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem gesetzlichen Rauchverbot in Gaststätten in einer Grundsatzentscheidung vom 30.07.2008 auseinandergesetzt. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht drei exemplarische Verfassungsbeschwerden aus Baden-Württemberg und Berlin ausgewählt, um die verfassungsrechtliche Gemengelage aus Berufsfreiheit, Gesundheitsschutz , Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz richtungsweisend aufzulösen.8 4 Pieper, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 40. Edition Stand: 15.11.2018, Art. 59 Rn. 42. 5 So auch Niggemeier, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, AUEV Art. 168 Rn. 31. 6 Vgl. Leitlinie 1 bis 3 der von der Konferenz der Vertragsparteien angenommenen Leitlinien zur Umsetzung von Art. 8 Tabakrahmenübereinkommen vom Juli 2007, abrufbar (in englischer Sprache) unter: https://www.who.int/fctc/treaty_instruments/adopted/article_8/en/. 7 Niggemeier, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, AUEV Art. 168 Rn. 32. 8 Ausführlich dazu: Aktueller Begriff der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rauchverbot, Nr. 42/08 (31. Juli 2008). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 135/19 Seite 5 Die Leitlinien der WHO zum Schutz vor Passivrauchen werden in den Entscheidungsgründen kurz genannt.9 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung den Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers für ein Konzept des Nichtraucherschutzes in Gaststätten betont.10 Zugleich hat es aber auch ausgeführt, dass ein Rauchverbot in Gaststätten nicht schlechthin mit der Verfassung unvereinbar sei und der Gesetzgeber auf Grundlage der ihm zuzubilligenden Spielräume nicht gehindert wäre, dem Gesundheitsschutz gegenüber den damit beeinträchtigten Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen und ein striktes Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen.11 Da sich an der rechtlichen Ausgangslage für das Urteil seither nichts verändert hat, dürfte diese Auffassung weiterhin Bestand haben. *** 9 BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 –, BVerfGE 121, 317 ff. (Rn. 108). 10 BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 –, BVerfGE 121, 317 ff. (Rn. 120). 11 BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 –, BVerfGE 121, 317 ff. (Rn. 121); a.A. die 2. abweichende Meinung, die ein ausnahmsloses Rauchverbot für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig hält, ebenda, Rn. 184 ff.